Die Lady im Lieferwagen - Alan Bennett

  • The Lady in the Van
    Alan Bennett, 1989

    Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
    Profile Books, ISBN: 978-1861971227


    Es existiert eine dt. Ausgabe, erweitert um 3 Kurzgeschichten:
    "Die Lady im Lieferwagen", Wagenbach, ISBN: 978-3803112255


    Meine erste Reaktion angesichts der ältlichen Dame auf dem deutschen Cover und dem gezeichneten Lieferwagen auf meinem englischen, war "Ach, wie putzig!"
    Eine ältliche Dame, die es sich mit dem Lieferwagen, in dem sie haust, im Vorgarten des Mr. Bennett bequem gemacht hat, Briefe an Margaret Thatcher schreibt und zu den leicht sonderlichen Gestalten auf unserer Welt zählt.


    So putzig war es dann doch nicht, die Cover täuschen ein wenig. Lady und Lieferwagen sind doch nicht so aus dem Ei gepellt, wie dargestellt - der Lieferwagen ist gelblich-eierschalfarben-miefig, Miss Shepherd lebt und kleidet sich in Lagen flickiger und schmutziger Kleidung - sie ist die Art von Person, die von Kindern und Erwachsenen mit Streichen und bösen Worten bedacht wird, verschroben vor sich hinlebt und von einem Hauch der Verwahrlosung umgeben ist.


    Und Mr. Bennett, der ihr schon geholfen hatte den Lieferwagen nach einer der vielen Räumungsaufforderungen zu schieben, endet als ihr Nachbar - erst parkt sie gegenüber und ein paar Jahre später zieht sie mit einem ihrer Vans 1974 in seinen Vorgarten ein. Was ihn veranlasst, ist eine Art Sympathie, Mitleid, Interesse, ganz so klar wird es nicht immer, sie ist eine sonderliche Person.


    Miss Shepherds politische Ansichten sind niemals gemäßigt, und durchaus Grund zur Erheiterung. Sie verteilt Blätter und gibt ihre Meinung in die Welt, sie schreibt Briefe an Mrs. Thatcher, die sie für zu weichlich hält, und Briefe an die argentinische Botschaft, in denen sie behauptet, sie selbst sei die wirkliche 'Eiserne Lady. Sie will sich für die Wahlen aufstellen lassen und wollte einst Nonne werden. Sie ist einfach überaus skurril und sonderbar.


    Hilfe von Außen nimmt sie nicht gerne, sie meistert das Leben - nein, das trifft nicht zu, sie bestreitet es - auf ihre eigene Art. Die immer ein wenig abweicht und mitunter doch zum Schmunzeln anregt. Und zum Kopfschütteln.
    Als Leser fühlt man vieles, obwohl die Schilderungen nur kurze, nachbearbeitete Tagebucheinträge sind. Mitleid, weil ihre Lebensbedingungen für uns unerträglichh scheinen und sie ihren Lieferwagen doch den Sozialangeboten vorzieht, Sympathie, weil sie doch ein wenig putzig wirkt, aber auch Respekt. Sie ist ungewöhnlich, keine eiserne Lady, aber eine sonderbare alte Jungfer, deren Charakter das deutsche Cover dann doch ganz gut einfängt. Und auch wenn Mr. Bennett das ein ums andere Mal wohl zurecht (ich hätte das nicht mitgemacht) nicht gut auf die Nachbarin im Lieferwagen zu sprechen ist, schildert auch er augenzwinkernd, aber voller Respekt - er gibt die skurrile Miss Shepherd nie der Lächerlichkeit preis. Er ist auch nicht sentimental, stirbt sie doch schließlich auch in seinem Vorgarten, er schildert immer sehr ansprechend freundlich. Manchmal gerät der Text ihm allerdings doch ein wenig zu eintönig..


    Das Buch erhebt keinen Anspruch, den Leser mitzureißen oder zu begeistern, es geht in seiner Kürze auch nicht zu sehr in die Tiefe, Miss Shepherds Hintergründe offenbaren sich erst in den letzten paar Seiten. Alles in allem, ist es in seiner 'Alltäglichkeit' recht beschaulich. So ist das Büchlein, das wie auch "Die souveräne Leserin" im roten Leineneinband erschienen ist, zwar interessant und durchaus das Lesen wert, aber doch nur eine Lektüre für Zwischendurch. Um es zu einem wirklich nachdrücklichen Leseerlebnis werden zu lassen, reichen die Sympathie für die Lady im Lieferwagen und der nette Humor leider nicht aus. Gefallen hat es mir dennoch.


    Zu den in der deutschen Ausgabe enthaltenen weiteren Kurzgeschichten kann ich nichts sagen, da ich eine englische Ausgabe gelesen habe, in der nur "The Lady in the Van" enthalten ist.


    6/10