Katze mit Hut
Simon & Desi Ruge, 1980
Meine Rezension bezieht sich auf die Ausgabe:
Beltz & Gelberg, ISBN: 978-3407780669
Illustriert von Helga Gebert
ZitatAlles anzeigen»Und wann, bitte schön«, fragen wir die Katze, »sind
diese Geschichten passiert?«
»Passiert?«, sagt sie und tut sehr verwundert.
»Wieso passiert? Sie sind ja noch gar nicht passiert.
Sie sollen erst passieren.«
»Ach so! Das ist etwas anderes.
Entschuldigen Sie vielmals!
Und wann ungefähr,
wenn man fragen darf,
sollen sie passieren?«
»Gleich nach Pfingsten.
Sobald besseres Wetter ist.
Natürlich nur, wenn wir zufällig
alle miteinander Zeit haben.«
Wer kennt sie nicht aus der liebevollen Darstellung aus der Augsburger Puppenkiste, die sympathische Katze mit dem immer beladenen Hütchen, und die Sonderlinge, die mit ihr das Haus bewohnen? Und die Bücher besitzen den selben Charme.
Dass die Katze mit Hut nach Stackeln an der Kruke kommt, ist eigentlich ein Zufall, da sie doch nach Hamburg wollte. Wo sie allerdings schon einmal da ist, kann sie sich natürlich auch umsehen. Und in der Backpflaumenallee findet sie ein altes, leeres Haus, das wie geschaffen aussieht für sie. Der erste Stock ist zwar voller Filzpantoffeln, aber damit kann man leben.
Den Vermieter, den brummeligen Brauereibesitzer Maulwisch, wickelt sie mit der ihr eigenen Liebenswürdigkeit um den Finger und handelt die Miete herunter - denn reden kann sie, die Katze. Nach und nach finden sich dann wortwörtlich die Sonderlinge an. Marianne Dudel, das Dudelhuhn, das jeden Tag stolz ein Ei bekakelt, findet sich auf dem Holzstoß vor dem Haus, das insektische Waisenkind Brumsel zwischen den Rosen, der verschmitzte, keckernde Zappergeck als zweite Waise am Zaun, und Baby Hübner - das musikalische Wildschweinkind mit Verbesserungspotenzial vor dem Klavier. Andere Bewohner folgen: Kapitän Knaak, der Seemannsgarn spinnende Hund, der so leicht beleidigt ist, der Stolpervogel, der so furchtbar neugierig ist, die Erfinderbrüder Erbsenstein mit ihrer Hosenstopfmaschine, der Hundertfuß mit seinen Glühbirnen und das Lama, das eigentlich sehr wohlerzogen ist, aber im Schlaf rückwärts geht. Lauter Sonderlinge, Individualisten, die hier die Chance haben, sich zu entfalten - selbst wenn sie wie Baby Hübner auf den ersten Blick ein wenig talentlos wirken.
Es ist eine Kommune der besonderen Art, die Tiere mit ihren menschlichen Zügen sind auf ihre Weise alle etwas Besonderes, voller Fantasie ausgedacht, und durch und durch liebenswerte Charaktere.
Aber auch wenn die Katze als Kunsthäklerin das Städtchen begeistern mag, gibt es Probleme mit Maulwisch - denn so ganz hat die Katze es nicht mit dem Geld. Es gibt aber auch so viel anzuschaffen, und die kleine Gesellschaft muss ja auch mit Pudding, Hafergrütze und was man sonst noch so zum Leben braucht, versorgt werden. So wird der wutentbrannte Maulwisch das ein ums andere Mal vertröstet, bis er resigniert. Die Katze wohne ihm schließlich schon das Haus, in dem er eine schreckliche Kindheit verbrachte, glücklich mit ihrer kleinen Familie.
Aber das ist ja nicht alles, was passiert. Es gibt eine Schatzsuche, Wanderrhabarber, Naturforscher und eine Portion Seemansgarn, lauter kleine Abenteuer, die bisweilen ähnlich sonderlich sind wie die Einwohner von "Haus Katze", wie es kurzerhand getauft wurde.
Und es ist gut, dass es das Haus gibt, denn all diese Einwohner würden an einem anderen Ort ihr Glück vermutlich nicht finden in ihrer sonderliche Art. Das sind auch die Grundgedanken, die im Verhalten der Katze deutlich werden und auch in der Erzählstimme zustimmend durchbrechen, sie zeugen von freien Entfaltungsmöglichkeiten, Individualismus und in reduzierter Form auch von Anarchismus - richten sich doch einige Spitzen gegen Maulwisch, den Großindustriellen und die Bürger des Städtchens.
Zu weit geht das Buch nicht dabei, die Anklänge an Anarchismus sind zwar vorhanden, aber überwiegen nicht. Viel wichtiger sind die Botschaft, dass es nichts ausmacht, ein klein wenig sonderlich zu sein und zum Beispiel alte Glühbirnen zu sammeln. Etwas versteckt finden sich auch einige, wenige moralische Anmerkungen - wie zum Beispiel in der Geschichte, in der verschenkt wird, was einem nicht gehört - aber all diese Botschaften sind so eingebunden in die Geschichte, die sonderbaren Personen, dass sie wie selbstverständlich wirken und keinesfalls einem erhobenen Zeigefinger gleichkommen.
Sprachlich den Charakteren angemessen, also ein wenig sonderbar, aber immer mit Respekt für sämtliche Personen, ist das Buch doch etwas schlicht geschrieben. Simon & Desi Ruge (ein Pseudonym übrigens) haben in der "Katze mit Hut" und ihren Kommentaren dennoch einen ganz eigenen, unverkennbaren Stil, den man sofort als Erzählstimme im Ohr hat. Leicht amüsiert und ironisch geleiten sie gut durch die Geschichte und sorgen immer wieder für ein kleines Schmunzeln. Begleitet wird das alles durch die ebenfalls sehr gerlungen Bleistift-Illustrationen von Helga Gebert.
Ich bin froh, dass ich mir die Bücher ertauscht habe und bedaure umso mehr, dass sie vergriffen sind. Von manchen wird ihr Kultstatus zugeschrieben, für mich gehört sie zu meiner Kindheit, diese Geschichte, die sich dann irgendwann ereignen wird. Gleich nach Pfingsten. Und so lange ist es bis dahin ja nicht mehr hin.
9/10 Punkten
bartimaeus