Yoruba-Mädchen, tanzend - Simi Bedford (ab ca. 14)

  • OT: Yoruba Girl Dancing 1991


    Remi wächst im Haus ihrer reichen Großeltern in Lagos auf. Es ist ein Leben in einer Großfamilie, lebhaft, bunt, behütet, verwöhnt. Als ihr Großvater unvermutet stirbt, beschließt ihr Vater, sie nach England ins Internat zu schicken. Eine Erziehung nach englischem Muster gilt als die beste und wichtigste für ein Mädchen der Oberschicht. Remi ist entsetzt, aber Widerstand ist zwecklos. So wird sie im Alter von sechs Jahren von Nigeria nach England verfrachtet. Der Kulturschock ist heftig. Aber nicht nur das Klima, die Unterbringung und die höchst merkwürdigen Nahrungsmittel lassen Remi fast verzweifeln, sondern eine ganz neue Erkenntnis: sie ist schwarz. Nie zuvor war das so wichtig. Sie begreift es lange nicht, schließlich ist es viel merkwürdiger, daß die anderen so weiß sind.


    Remi ist aber ein sehr entschlossenes und durchsetzungsfähiges Kind, diese Eigenschaften legt sie auch beim Älterwerden nicht ab. Daher wird aus ihr eine so überzeugte Vertreterin der englischen Gesellschaft, daß sie sich als Teenager ihre afrikanische Kultur regelrecht zurückerobern muß. Aber auch das gelingt ihr. So sehen wir sie am Ende bei einem Empfang in der nigerianischen Botschaft in London tanzend. Wie es sich für eine Yoruba gehört, die trotzdem ganz englisch ist.


    Das hätte ein überzeugendes Buch werden können, wenn sich die Autorin entschieden hätte, was sie schreiben möchte. Es ist als Roman angelegt, aber zu einem Roman fehlen die wichtigsten Elemente der Gattung. Es wird nicht erzählt, es wird berichtet, eine Episode nach der anderen. Da wird nicht konstruiert, ausgewählt, zugespitzt, verknüpft. Es sind nur Reihungen, dann geschah das, dann das und darauf dieses.


    Es tauchen sehr, sehr viele Personen auf, Namen und Familienbeziehungen prasseln auf die Leserin herunter. Es gibt aber keine Charakterisierungen, keine Figurenzeichnung, eine Tante, Schwester, Halbschwester, Kusine, Schulfreundin folgt auf die nächste, zusammen mit Kindermädchen, Lehrerinnen, Nachbarskindern. Selbst beim konzentrierten Lesen kann man sie bald nicht mehr auseinanderhalten, es sind einfach nur Namen. Es gibt keine Spannungsbögen, keinen Handlungsverlauf, sieht man von der Abfolge unzähliger Vorkommnisse über ca. 10, 12 Jahre ab.


    Tatsächlich kann die Autorin nicht erzählen, in dem Sinn, die ein Roman verlangt. Was sie kann, ist berichten und beschreiben. Sie hat ein Ohr für die Absurditäten des Rassissmus, die nicht wenigen Dialogen eine beträchtliche Portion Komik verleihen. Allerdings läßt auch diese im schier endlosen Lauf der Aufzählung nach. Das gilt auch für die böse Seite des Themas. Alles verflüchtig sich in der Endlos-Schleife eines nahezu unstrukturierten Berichts.


    Das Ganze wäre taugliches Material für eine echte Autobiographie gewesen. Als solche kann man das Buch aber auch nicht lesen, da offenbar einiges fiktionalisiert wurde. Das wiederum hat zur Folge, daß man beim Lesen nicht recht weiß, was man denn nun glauben soll und was ‚Roman’ ist.
    Was für die Autobiographie, aber auch für das Verständnis des Texts als Geschichte fehlt, ist vor allem die zeitliche Einordnung. Einige spärliche Hinweise im Text und der Lebenslauf der Autorin ergeben, daß sich das Ganze Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahre in England abspielt, was so macnhe extreme Reaktionen auf den Anblick schwarzhäutiger Menschen verständlicher macht. Der Rassissmus ist heutzutage weit subtiler geworden.


    Doch auch diese Erkenntnis hilft letztlich nicht weiter. So ist das Buch eher enttäuschende Lektüre, es enthält eine Fülle kulturgeschichtlicher Details über das Nigeria der Oberschicht ebenso wie über den Alltag in England nach dem zweiten Weltkrieg, aber das Lesen ist ein Kampf gegen die Langeweile. Am Ende bleibt man mit nahezu leeren Händen zurück, was auch darauf zurückzuführen ist, daß sich die Autorin doch sehr bemüht, immer die positive Seite hervorzuheben. Bei ihrer Herkunft kann sie das auch, materielle Probleme gibt es nie. Es ist, gleich ob Afrika oder England, letztlich eben doch eine Klassenfrage.


    Das ist die einzige klare Erkenntnis, die das Buch liefert, der Rest ist nicht Fisch, nicht Fleisch.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Diesen Roman habe ich vor Jahren gelesen und viele Szenen in Erinnerung behalten, so stark waren die Bilder, die Simi Bedford vor meinem inneren Auge entstehen ließ. Vielleicht ist dies kein Roman, der unseren europäischen Vorstellungen entspricht, mir hat er aber zu mehr Einfühlung und einigen Einsichten verholfen.
    Interessant ist vor allem, dass die Tragweite der Probleme, die entstehen, wenn Kinder aus einem afrikanischen Land nach Europa in ein Internat geschickt werden und anschließend in ihre Heimat zurückkehren, mit der Protagonistin sehr nahe miterlebbar werden, ohne dass es jemals kitschig oder klischeehaft wird.


    Edit: Der Roman ist nur noch antiquarisch erhältlich