Es beginnt mit einem langen Zitat aus dem Buch vom Louanne Brizendine, Das weibliche Gehirn. Demnach steigt der Testosteronspiegel von Jungen in der Pubertät so rasant an, daß sie nur noch an eines denken können: Sex. Der starke Sexualtrieb bestimmt auch ihr weiteres Leben. Bei Mädchen ist das anders, sie schwächeln auch in dieser Hinsicht ein Leben lang. Der folgende Jugendroman soll laut Verlagsangabe humoristisch-provokant sein, man ist also von Anfang an richtig eingestimmt.
Es beginnt tatsächlich humorvoll mit einer der witzigsten Darstellungen dreier Siebenjähriger beim sog. Doktorspiel, die man in der Literatur finden kann. Für unseren Protagonisten, Andi, ist die Angelegenheit allerdings nicht lustig. Kusine Lilli erklärt nach eingehender Betrachtung, daß sie sein bestes Stück für zu klein hält. Dieses Urteil traumatisiert Andi für die nächsten neun Jahre.
Nach diesem Zeitsprung treffen wir ihn wieder. Andi, die männliche Pubertät auf zwei Beinen. Sein Familienleben mit drei älteren Schwestern, von denen nur noch eine im Haus lebt, einer esoterisch heilpraktizierenden Mutter und einem bläßlichen Vater mit intellektuellem Hippie-Einschlag läuft eher an ihm vorbei. Wichtig ist nur eins: Mädchen, und zwar besonders ihre Geschlechtsteile. Von ihnen ist Andi besessen. An sie muß er drankommen. Bloß wie? Andi ist nämlich schüchtern (und von Lilli traumatisiert).
Als besten Freund hat er sich Harry ausgesucht, schulbekannt unter dem Namen Dirty Harry, der vor keinem deftig-lautem Ausdruck sexueller Natur zurückschreckt. Bloß an Mädchen kommt Andi damit nicht ran, mehr als eine große Klappe hat Dirty Harry nicht zu bieten. Aber starke Worte sind wenigstens ein kleiner Druckausgleich im triebgedrängten Alltag.
Lieber wäre Andi mit Bobby befreundet, dem obercoolen Macker aus der Parallelklasse. Der hat die Masche drauf, an der Andi noch herumknüpft, der ist ständig von Tussis, Mädels und heißen Öfen umgeben, denen er jederzeit einheizen kann. Wie macht Bobby das nur? Tatsächlich waren Bobby und Andi einmal befreundet, aber dann kam der Streit und das war’s. Dummerweise hängt an Bobbys Arm ausgerechnet Katja, die Andis größter Schwarm ist. Für Katja (besser für ihren Körper), tut Andi alles. Ehe jedoch klappt, was er gerne zum Klappen bringen würde, überrascht ihn seine Chakren - und Engelsgläubige Mutter mit der Nachricht, daß Kusine Lilli die Sommerferien über bei ihnen wohnen wird. Andi dreht beinahe durch. Wie soll er mit der Trauma-Frau im Haus an die Traumfrau kommen?
Zum Glück gibt es das Internet. Beim mitternächtlichen Chatten trifft Andi Definitiv. Er versteht Andi auf den ersten Tastenklick. Und gibt ihm von nun an Ratschläge, wie man Frauen ‚rumkriegt’. Andi, mit Lilli in nächster Nähe, setzt Definitivs weise Vorschläge umgehend in die Tat um. Das führt zu einer Menge hochnotpeinlicher Auftritte, aber am Ende hat sich’s gelohnt. Der Dampf kann entweichen und jedes Deckelchen auf das zugehörigen Töpfchen niedergehen, wo es brav liegenbleibt.
Dieses Buch ist für all diejenigen, die es aus Gründen, die man sicher nicht der Werbemaschinerie Hollywoods in die Schuhe schieben kann, die American Pie-Filme nicht gesehen haben. Und alle schlechten und noch schlechtern Kopien, die seither über Leinwände und in geschriebener Form auch über Buchseiten geistern. Andis Geschichte enthält im Kern keinen einzigen neuen Gedanken, keinen einzigen neuen Blick auf die sexuelle Seite der Pubertät, die nicht schon hunderte von Malen durchgedroschen worden wäre. Es gibt nicht einmal einen neuen unanständigen Witz.
Die Sprache ist durchaus deftig, so manche Szene platt plakativ. Hin und wieder überrascht der Autor mit Pointen und ein wenig Wortwitz. Insgesamt wirkt es aber sprachlich-stilistisch fast altmodisch, einschließlich der eindrucksvollen Versuche, gleichartige Vokabeln wie ‚Pimmel’ oder ‚wichsen’ so oft wie möglich auf einer einzigen Buchseite unterzubringen. Mir war nicht klar, daß ‚heißer Ofen’, ‚Sexbombe’ und ‚krass’ die Jugendsprache noch immer in diesem Ausmaß charakterisieren. Immerhin fehlt für einmal weitgehend das ‚f’-Wort.
Die peinlichen Szenen, die der Autor die Hauptfigur durchleben läßt, sind streckenweise tatsächlich sehr komisch, sie verführen durchaus zum lauten Auflachen. Spätestens nach der Hälfte des Buchs aber wiederholt sich vieles. Einige Auftritte sind einfach nur grotesk, man fragt sich bald nicht nur, warum Andi sich das eigentlich antut, sondern auch, was das für Mädchen sein sollen, die einen solchen Affentanz für unwiderstehlich halten. Das umso mehr, als sie allesamt von einem wunderbaren Vampir schwärmen. Andi kauft sich den Roman, aber er kann einfach nicht kapieren, was die Tussen an Edward so toll finden. Da wirft er sich am Badesee lieber in die Spitzenunterhose seiner Oma. Das knallt. Meint der Autor.
Dicke Anspielungen auf die derzeitige Jugendkultur gibt es nicht wenige, das macht das Buch aber nicht unbedingt authentisch, sondern läßt es oft knapp an der Anbiederei entlang rutschen. Am wenigsten angenehm erweist es sich dabei, daß sich der Autor nicht entblödet, in höchsteigener Person seinen Protagonisten auf dem Fußball-Bolzplatz zu begegnen (fast hätte ich geschrieben ‚nahezutreten’). Damit auch der letzte begreift, wer der ‚erwachsene Tscheche’ ist, folgt wenige Kapitel weiter auch sein Vorname, von dem Andi dann seinen Nick im Chat ableitet. Der Holzhammer liegt auf dem Schreibtisch also griffbereit.
Die mitgelieferten Songs, Tabultaoren zur Gitarrenbegleitung incl., ändern nichts an diesem Eindruck.
Die Auflösung des Geheimnisses um Definitiv schließlich macht die Geschichte so konventionell bieder, daß Großmamas Plüschsofa verwundert knarzen würde. Sie lenkt den Blick zum einen endgültig auf die wenig zeitgemäße Männerrolle, die die männlichen Figuren im Roman ausfüllen sollen. Ein echter Mann ist sportlich, rundum aktiv, schlägt eher zu als zu reden (worüber auch, ihn interessiert ja nur Sex) und fordert sein Objekt der Begierde auch mal mit einem barschen ‚dalli, dalli’ zum Mitkommen auf. Die als klug, weitblickend, gebildet und selbstverständlich unheimlich sexy geschilderten Mädels horchen umgehend aufs Wort. Eigentlich wollen sie sowieso bloß beschützt werden, Blindschleichen wie Hunde bringen sie zum Kreischen und Flüchten, Helden machen sie schwach. Das gilt für alle Generationen. Ein Streitpunkt zwischen Andis Eltern, deren angedeutete Eheverhältnisse nur als zerrüttet beschrieben werden können, ist neben der behaupteten Unfähigkeit des Vaters, finanziell zum Haushalt beizutragen, der, daß er einen seiner Schwiegersöhne, der angeblich Alkoholiker ist und seiner Frau auch mal ein blaues Auge verpaßt, nicht einfach verprügelt. So soll’s es sein, eine harte Männerfaust schafft klare Verhältnisse. Friede kehrt auch umgehend ein zwischen dem Elternpaar, als die angebliche Lusche von Vater doch zu Geld kommt. Ein Bündel mit 500 Euro-Scheinen zähmt selbst die frustrierteste Ehefrau. Wer hätte es gedacht.
Zum anderen aber kommt hier ein hochkonservatives Vaterbild zum Tragen. Väter sind die, die alles lenken, selbst die sexuellen Begierden der Söhne. Die Pubertät ist nicht die Zeit der Ablösung, das Finden der eigenen Persönlichkeit, die Zeit wichtiger Grenzziehung zwischen den Generationen. Im Gegenteil wird hier der männliche Schulterschluß über die Generationen abgefeiert. Wenn’s um Frauen geht, kann keiner besser raten als Papa. Zum Lachen daran ist allerdings, daß dieser seine Weisheiten ebenfalls aus dem Internet bezieht. Vielleicht hat er dort ja seinen Großpapa getroffen, um das scherzhaft weiterzuführen. Tatsächlich ist das aber nur einer der vielen, vielen Brüche in der Handlungslogik, die die ganze Geschichte aufweist und die vor allem in der zweiten Hälfte des Buch sehr störend bemerkbar machen. Aber das Lesevergnügen hat sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verflüchtigt.
Leider enthält die Geschichte um Definitiv aber noch einen Denkstrang, der der ganzen Sache einen sehr unangenehmen Beigeschmack verleiht. Mit diesem Teil der Handlung wird nämlich gezeigt, wie ein erwachsener Mann einem jüngeren ganz selbstverständlich dabei hilft, ein minderjähriges Mädchen zu verführen, das unter seinem Dach lebt und von seinen Eltern eigentlich seinem Schutz anvertraut ist. Das ist etwas, das man entschieden nicht in einem Jugendbuch lesen möchte, und schon gar nicht unter dem Aspekt ‚humoristisch’. Von dem Umstand, daß es sich um eine Kusine zweiten Grades handelt, ganz zu schweigen. Ich weiß nicht, was sich der Verlag dabei gedacht hat bzw. ich weiß es doch. Nichts.
Am Ende war es natürlich doch Liebe. Und was für eine rührende. Es ist gar nicht nur Sex, es ist Romantik pur. Sogar Bobby und Andi vertragen sich wieder.
Und das Buch soll Jungen zum Lesen anregen?
Um Jungen in der Pubertät muß es heutzutage schlimmer stehen, als selbst Brizendine sich ausgemalt hat.
edit: Tipfehler