Realität und Fiction

  • Hi zusammen*


    Bin nach einer längeren Absenz wieder hier.


    Mein Anliegen: Ich bin im Moment ziemlich genervt. Und zwar wegen Robert Ludlum.
    Ich lese zur Zeit sein Buch "Das Sigma - Protokoll" und habe mich echt darauf gefreut, wegen der Eingangssequenz, die im Zürcher ShopVille spielt. Ich halte mich selber häufig dort auf und konnte so die wilde Verfolgungsjagd ziemlich eindrücklich miterlesen. So, jetzt kommts:


    So.
    Was mich daran stört, ist die Beschreibung einer einfachen Dorfkirche als "gotische Kathedrale". In Graubünden gibt es genau eine Kathedrale, nämlich in Chur (dass Ben sich noch in Graubünden aufhält, wird kurz davor erwähnt). Ben hatte Chur zu diesem Zeitpunkt aber bereits verlassen.
    Ich stelle mir jetzt folgende Fragen:
    Hat Robert Ludlum schlecht recherchiert?
    Was versteht er unter dem Begriff "Kathedrale"?
    Ist er sich bewusst, was sich der Leser/ die Leserin unter dem Begriff "gotische Kathedrale" vorstellt (nämlich sehr wahrscheinlich ein riesiges, mit spitzen Türmchen besetztes Gebäude, welches auf den Terassen der Bergabhänge wahrscheinlich gar keinen Platz gefunden hätte)?
    Ganz simpel: Wieso schreibt er sowas?


    Natürlich kann es sein, dass ich mich hier über Kleinigkeiten "aufrege" :alter, aber schliesslich habe ich ja zeit (Osterferien).
    Ich hätte jetzt einfach gerne eure Meinung dazu gehört.


    PS.:Das Buch liest sich bis jetzt (S. 141) super.

    Ein gutes Buch kannst du nicht verschlingen. Es verschlingt dich.

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  • ... Sachen dieser Art findet man in vielen Büchern - und sie fallen besonders auf, wenn man sich am Ort des Geschehens oder in der Materie gut auskennt. Aus Autorensicht kann ich nur sagen: Recherche muss so perfekt wie nur möglich sein. Aber, Asche auf mein Haupt, natürlich passieren Schnitzer, man versteht Zusammenhänge falsch, baut dann Fehler in die Geschichte ein. Findet ein Leser sowas in meinen Geschichten, dann ärgere ich mich massiv.
    Finde ich selbst solche Dinge in Büchern, dann kommts auf die Tagesform und das Buch an. Bin ich völlig gefangen von der Story, dann "überlese" ich das. Ist es Bockmist kann ich mich auch schon mal aufregen.
    Zum konkreten Beispiel: bestenfalls nehmen wir mal an, dass es eine schlechte Übersetzung ist. (Oder wir sind fies und sagen, dass in Amerika alles, was älter als 100 Jahre ist, gotisch genannt wird...)

  • Zitat

    bestenfalls nehmen wir mal an, dass es eine schlechte Übersetzung ist


    genau das habe ich mir auch schon gedacht :lache

    Ein gutes Buch kannst du nicht verschlingen. Es verschlingt dich.

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von buchi ()

  • Grad von Ludlum kenne ich das auch... irgendeins von seinen Büchern hab ich mal auf Englisch gelesen und da sprachen welche Deutsch... nur, das Deutsch war sooo fehlerhaft. Da konnte ich mich auch so aufregen :zwinker... und dann war da auch noch eine örtliche Begebenheit, ähnlich wie bei Dir, die überhaupt nicht stimmte... ich fand das alles so schlecht recherchiert und lektoriert... ich hab dann nichts mehr von Ludlum gelesen :grin

  • Hm, an einen Übersetzungsfehler glaube ich hier nicht so ganz. Ich glaube nicht, dass der Übersetzer aus einem einfachen "church" gleich mal eine gotische Kathedrale gemacht hat. Das darf er auch gar nicht, ein Übersetzer darf nicht die Bedeutung des Textes verändern.


    Mich stören solche Beschreibungen auch immer, dadurch verliert der Autor für mich seine Glaubwürdigkeit und ich kann das Buch nicht mehr ganz entspannt lesen, weil ich automatisch nach weiteren Fehlern suche.

  • Bei Übersetzungen "glaube" ich an gar nichts mehr.


    Zwischen dem, was Übersetzer "dürfen", und dem was sie tun, liegen bisweilen Welten. Ich habe mich darüber schon mal so geärgert, daß ich das schon mal in diesem Thread zur Diskussion gestellt habe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich wuerde auch darauf tippen, dass es kein Uebersetzungsfehler ist, sondern entweder eine nicht ganz so gruendliche Recherche oder ein Fall von kuenstlerischer Freiheit.


    Ich stosse auf derlei "Freiheitsgrade" in letzter Zeit auch haeufiger, weil immer mehr amerikanische Autoren ihre Thriller in Europa spielen lassen, gerade Muenchen und Berlin stehen da hoch im Kurs. Und da passieren auch immer wieder Schnitzer. Die einem allerdings nur auffallen, wenn man den Ort gut kennt. Und da lasse ich dann Gnade vor Recht ergehen :grin, wenn es nicht gerade ein Mordsfauxpas ist wie etwa, dass jemand das Brandenburger Tor nach Frankfurt versetzt.


    Ich denke, wenn es der Stimmung zutraeglich ist, sollte es schon erlaubt sein, dass ein Autor aus einer Kirche eine Kathedrale macht, oder ein paar Details am Handlungsschauplatz erfindet, die so nicht der Realitaet entsprechen. Das wuerde ich dann nicht gleich unter schlampiger Recherche verbuchen. 99,99% der Leserschaft werden es nie bemerken und sich alle fesseln lassen von der lauschigen mittelalterlichen Atmosphaere in dem kleinen Bergdorf.
    Sollte es aber doch "aus Versehen" passiert sein, dann wahrscheinlich, weil der gute Mann den Ort nicht selbst besucht hat. Da gibts ja gern heisse Diskussionen darueber, was da arbeits-ethisch vertretbar oder nicht vertretbar sei in der Schriftstellerei. Es gibt die, die darauf pochen, jeden Ort in ihrem Buch selbst gesehen haben zu muessen - die haben dann entweder Geld und Zeit, die Welt zu bereisen, oder beschraenken sich auf ihren Heimatort als Schauplatz. Und dann gibts das andere Extrem, deren prominentester Vertreter wohl Karl May sein duerfte :grin.
    Ich bin da fuer die gemaessigte Mitte - also fabulieren ist erlaubt, aber bitte nicht zu offensichtlich. Wenn also Herr Ludlum seinen Schauplatz anhand von einer Luftaufnahme und ein paar Photos konstruiert hat (und ich glaube, Google Earth gab es zu Zeiten des Stigma-Protokolls noch nicht), kann es schon sein, dass er dachte - oh, das ist aber eine praechtige Kirche, machen wir eine Kathedrale draus.


    Also langer Rede, kurzer Sinn - ich finde es eigentlich gar nicht so schlimm. Zumal das Buch ja spannend zu sein scheint :).


    schoene Gruesse,
    Andrea

  • Zitat

    wenn es der Stimmung zuträglich ist


    ist es ja eben nicht...der Rest des Dorfes wird so armselig beschrieben, dass da beim besten Willen keine Kathedrale Platz hat.. :bonk

  • Meine bescheidene Meinung zu dem Thema ist folgendes: Ich möchte von einem Buch unterhalten werden.


    Wenn das paßt, ist alles prima. Wenn dazu in einem schweizer Bergdorf eine Kathedrale entsteht, die da nicht hingehört, ist mir das ehrlich gesagt sowas von egal...


    Es gibt Bücher, bei denen glaube ich vieles, was da steht - aber längst nicht alles. Und wenn mich der Autor unterhält, erlaube ich ihm künstlerische Freiheiten. Prima ist es, wenn der Autor diese dann auch einräumt, wenn nicht, ist es mir auch egal. Zwar fallen mir dann auch mal Ungereimtheiten auf, aber eher auf medizinischer denn auf geographischer Seite. Na und?

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Buchi, außerdem wäre es hilfreich, den Titel des Threads dahingehend zu ändern, daß man weiß, worum es geht - "Nervende Beschreibungen" trifft nicht wirklich Deine Aussage, daß es hier um Abweichungen zwischen Realität und Fiction geht.

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Bei Übersetzungen "glaube" ich an gar nichts mehr.


    Zwischen dem, was Übersetzer "dürfen", und dem was sie tun, liegen bisweilen Welten. Ich habe mich darüber schon mal so geärgert, daß ich das schon mal in diesem Thread zur Diskussion gestellt habe.



    Das wird eher vom Lektorat geändert als vom Übersetzer. Sicher, im Prinzip ist es egal, es kommt tatsächlich vor, dass bei der Übersetzung der Sinn verändert wird. Aber bei solchen Dingen wie dieser Kathedrale glaube ich jetzt nicht, dass das Lektorat eingegriffen hat, denn warum um alles in der Welt sollte man das tun?


    Ich nehme übrigens an, dass eine gotische Kapelle gemeint war (sowas: http://www.allgaeu-ausfluege.d…rche_zell_oberstaufen.htm), das kann man eigentlich gar nicht falsch übersetzen. :gruebel Es sei denn, es war ein doofer Flüchtigkeitsfehler.

  • Mir fallen dazu zwei Dinge ein.


    Erstens scheinen mir die Ludlums, die ich in den letzten Jahren in der Hand hatte, meistens recht schlecht übersetzt zu sein, und hier bei dieser Art Thriller gehts nicht darum, was ein Übersetzer darf oder nicht darf, sondern oft darum, wie weit seine Übersetzungsfähigkeiten überhaupt reichen, und zweitens schreibt Ludlum ja doch in erster Linie für ein amerikanisches Publikum, das wenig bis keine Ahnung von Europa hat und für die soll es vielleicht auch noch richtig malerisch beschrieben sein. Dem Leser ist es ja vielleicht egal was eine Kathedrale ist (vorausgesetzt das Wort steht im englischen an der Stelle) und was die in einem Dorf zu suchen hat, ich denke, der Autor will im Leser ein bestimmtes Bild erzeugen und das gelingt ihm damit wahrscheinlich auch.

  • Zitat

    Original von Ushuaia
    [..] was ein Übersetzer darf oder nicht darf, sondern oft darum, wie weit seine Übersetzungsfähigkeiten überhaupt reichen, [..]


    Das mag durchaus sein, aber ich traue schon jedem Übersetzer zu, eine "chapel" von einer "chatedral" unterscheiden zu können. Es ist ja nicht so, dass das total schwierige und ungewöhnliche Begriffe wären. Mir geht es ja im Moment nur um diesen einen Fehler. Sollte es wirklich ein Übersetzungsfehler sein, kann ich mir das nur als Flüchtigkeitsfehler erklären. Wobei ich fürchte, dass die gar nicht so selten vorkommen, die Übersetzer stehen ja meistens unter enormen Zeitdruck.

  • Es ist schon komisch - als Leser glaubt man gern die ungewöhnlichsten Storys, doch wenn eine Ortsbeschreibung nicht stimmt, die vielleicht mitten in einer real nicht vorstellbaren Handlung steht, dann ist das ärgerlich.
    Es können also Aliens direkt vorm Kölner Dom auf der Domplatte landen - wenn aber dort angeblich Gaslaternen stehen und der Boden übertrieben gesagt als aus Katzenstreu bestehend geschildert wird, dann schreien wir auf... :lache Warum eigentlich?
    Ich weiß es nicht und muss gestehen, dass ich mich auch ein wenig ärgere, wenn Örtlichkeiten, die man recherchieren kann, falsch beschrieben werden. Vor einiger Zeit habe ich in einem Roman eine große Autobahnraststätte entdeckt, die als Übergabeort in einer Agentenstory herhalten musste - genau auf der Strecke, die ich jahrelang jeden Tag fuhr. Da darf keine sein!!! Und ich war sauer, obwohl die eigentliche Handlung viel unrealistischer war... :gruebel

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Es können also Aliens direkt vorm Kölner Dom auf der Domplatte landen - wenn aber dort angeblich Gaslaternen stehen und der Boden übertrieben gesagt als aus Katzenstreu bestehend geschildert wird, dann schreien wir auf... :lache Warum eigentlich?


    Weil eine Geschichte eine eigene kleine Welt ist, von der wir glauben wollen, dass sie theoretisch existieren könnte. Theoretisch könnten Aliens vorm Dom landen, aber das mit dem Katzenstreu geht halt nicht - es sei denn, die Geschichte findet eine Erklärung, wieso es theoretisch doch möglich ist.

  • Zitat

    Original von agu
    Ich wuerde auch darauf tippen, dass es kein Uebersetzungsfehler ist, sondern entweder eine nicht ganz so gruendliche Recherche oder ein Fall von kuenstlerischer Freiheit.


    ......


    Künstlerischer Freiheit war auch mein erster Gedanke.
    Ansonsten stimme ich Caia zu. Ich will unterhalten werden.

  • Bei Büchern, die reine Unterhaltung sind, kann ich auch mal ein oder beide Augen zudrücken, wenn "künstlerische Freiheiten" in der Ortsbeschreibung oder sonstigem Hintergrund präsentiert werden.


    Bei Büchern, die ein realistisches Weltbild zeigen (wollen), ärgere ich mich über schlampige Recherche oder Beschreibungen, da das für mich die Glaubwürdigkeit des sonstigen Inhalts schmälert, nach dem Motto, wenn der Autor schon "das" nicht hingekriegt hat, kann ich ihm andere Aussagen, die ich nicht nachprüfen kann, denn glauben? :gruebel


    Zitat

    Original von uert
    ... Bücher .... auf Englisch gelesen und da sprachen welche Deutsch... nur, das Deutsch war sooo fehlerhaft. Da konnte ich mich auch so aufregen :zwinker...


    Das ist mir auch schon oft passiert und sowas ärgert mich immer. :bonk :rolleyes New York soll doch der Nabel der amerikanischen Verlagswelt sein, und dort ist es nicht möglich ein paar zugezogene Deutsche zu finden, die mal ein paar Sätze Korrektur lesen? Bzw. Telefon und Internet gibt es ja auch noch. Wenn die Atmosphäre durch fremdsprachige Sätze hervorgehoben werden soll, dann erwarte ich auch, dass die richtig sind, auch wenn das amerikanische Publikum es nicht besser weiß. Daraus schließe ich wieder auf die sonstige Recherche des Autors.

  • Zitat

    Original von SabineW


    Weil eine Geschichte eine eigene kleine Welt ist, von der wir glauben wollen, dass sie theoretisch existieren könnte. Theoretisch könnten Aliens vorm Dom landen, aber das mit dem Katzenstreu geht halt nicht - es sei denn, die Geschichte findet eine Erklärung, wieso es theoretisch doch möglich ist.


    Nein, für mich können weder theoretisch, noch praktisch Aliens auf der Kölner Domplatte landen :lache.



    Ich kann mich ja immer tierisch aufregen, wenn medizinische Sachverhalte sowas von falsch dargestellt sind, dass die Person eigentlich so gar nicht mehr leben könnte :grin.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Ich kann mich ja immer tierisch aufregen, wenn medizinische Sachverhalte sowas von falsch dargestellt sind, dass die Person eigentlich so gar nicht mehr leben könnte :grin.


    Aber da gruendet doch das gesamte Action-Genre drauf :grin. Wo waeren dann die Heroen, die, von vier Kugeln durchloechert, immer noch heldenhaft die Maid vom Dach des brennenden Hochhauses retten?

  • Zitat

    Original von agu



    Aber da gruendet doch das gesamte Action-Genre drauf :grin. Wo waeren dann die Heroen, die, von vier Kugeln durchloechert, immer noch heldenhaft die Maid vom Dach des brennenden Hochhauses retten?


    Da hast Du sicher Recht :lache. Aber das ist auch nicht so mein Genre. Sonst käme ich wohl vor lauter Wut :fetch gar nicht zum Lesen :lache.

    Liebe Grüße, Sigrid

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