„Mein Name ist Sadik, aber nicht einmal das ist sicher.[…]“
Jeden Abend begibt sich der passionierte Geschichtenerzähler Sadik in die Manege des Circus India und verzaubert das Publikum. Er gibt Weisheiten und Geschichten zum Besten, er lädt seine Zuhörer zu einer Reise ins Reich der Fabelwesen ein, ein jedes von ihnen steht Pate für die darauf folgende Geschichte. Dort treffen wir dann unter anderem das Nasenohr, dessen menschliches Pendant Chalil ist, der Cousin von Sadik. Und genau wie das Nasenohr geht auch Chalil an den Sorgen seiner Mitmenschen zugrunde…
Wie es dazu kam, das ist eine neue Geschichte…
Dieser Satz begegnet dem Leser oft in diesem Buch und in vielen Erzählungen finden sich weitere kleine Geschichten, die wiederum noch kleinere Anekdoten in sich vereinigen.
Rafik Schami erzählt uns von einer großen, unerfüllten Liebe. Der Liebe zwischen Sadik dem Geschichtenerzähler und der Seiltänzerin Mala. Die Romanze der beiden dient dem Autor aber eigentlich nur als Rahmen, als Gelegenheit ein Füllhorn wunderbarer Erzählungen zu öffnen. Das Buch quillt geradezu über von diesen kleinen Begebenheiten und des öfteren tauchen Randfiguren aus früheren Erzählungen später an anderer Stelle, in anderem Kontext erneut auf und so wird der Leser immer mehr verstrickt in diese sprachgewaltige Darbietung morgenländischer Erzählkunst.
Die Geschichte spielt in der fiktiven Stadt Morgana, welche eines Tages um die Ankunft des Circus (man beachte die Schreibweise; wer mehr dazu wissen möchte, der sei freundlichst auf das Vorwort zum „Lügner“ verwiesen) India bereichert wird. In der krisengeschüttelten, kriegsbedrohten Region ist die Künstlertruppe die einzige Zuflucht, die die Menschen für zwei Stunden in die Traumwelt der Artisten entführt.
Sadik ist wohl Rafik Schamis Alter Ego, denn er ist selber ein begnadeter Geschichtenerzähler, wie er auf jeder dieser fast sechshundert Seiten eindrucksvoll beweist. Ein „Brückenbauer zwischen Orient und Okzident“, der gegen Ende des Buches dann auch noch seine ganz eigene Vision der „Olympiade der Langsamkeit“ zum Besten gibt und uns allen damit aufs Trefflichste den Spiegel vorhält.