Der letzte Kommunist – Matthias Frings

  • Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau Gebunden, 488 Seiten


    Verlag: Aufbau-Verlag, 2009
    Gebundene Ausgabe: 488 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Im Sommer 1980 zieht Ronald M. Schernikau (1960-1991) nach Westberlin. Er ist eine Lichtgestalt der Literatur, Autor der provokanten "Kleinstadtnovelle". Er stürzt sich ins Nachtleben, in die Welt der Cabarets, Saunen, Discos. Er trifft die Liebe seines Lebens. Unter seinen Freunden, die wie er die Welt erobern wollen, ist der junge Schauspieler Matthias Frings. Doch in einem Punkt unterscheidet sich Schernikau von den anderen: Er ist Kommunist. Zum Entsetzen seiner Freunde will er DDR-Bürger werden. Im Herbst 1989 erfüllt sich sein Lebenstraum. Doch wenige Wochen später fällt die Mauer. - Neben einer schillernden Biographie, in der Elfriede Jelinek, Thomas Hermanns, Marianne Rosenberg, Peter Hacks u. v. a. auftreten, gilt es einen Autor zu entdecken: "Einer der größten deutschen Schriftsteller der letzten Jahrzehnte." Dietmar Dath


    Über den Autor:
    Matthias Frings, 1953 in Aachen geboren, war Journalist und Fernsehmoderator, lebt als Schriftsteller in Berlin. Er studierte Anglistik, Germanistik und Linguistik und brachte 1981 zusammen mit Elmar Kraushaar das Buch »Männer-Liebe« heraus. Ab 1985 arbeitete er als Radiomoderator beim SFB, von 1992 an war er Fernsehproduzent und -moderator.


    Meine Meinung:
    Der letzte Kommunist von Matthias Frings ist ein kluges Buch über einen Schriftsteller und über die Zeit von 1980 bis 1990 mit seinen gravierenden Änderungen.
    Im Mittelpunkt steht dabei der Kultur- und Literaturbetrieb und der Schriftsteller Ronald M. Schernikau, der 1980 im Rotbuch Verlag Berlin sein erstes Buch herausbrachte: Kleinstadtnovelle.
    Dabei geht es um einen homosexuellen Gymnasten und seine Liebe zu einem Mitschüler und die Reaktion der Gesellschaft darauf. Der Stoff wurde gut aufgefasst, trotzdem war es für Schernikau, ein überzeugter Kommunist, der von DDR überzeugt ist, obwohl er durchaus kritisch mit dem Land umgeht, schwierig zu veröffentlichen. Seine Themen und seine offen gelebte Homosexualität schränkten den Markt ein.
    Einige Passagen gehen auch weiter in die Zeit zurück, die sechziger mit Schernikaus Mutter Ellen und Schernikau als Kind.
    Zu Lebzeiten hat Scherniaku dann nur 3 Bücher veröffentlicht.
    1989 geht er tatsächlich in die DDR, wird dort Staatsbürger, in der Hoffnung endlich Anerkennung zu finden. Dann fällt allerdings schnell die Mauer, zurück im Westen muss er mit seiner AIDS-Erkrankung kämpfen.


    Der Aufhänger des Buches, das jemand so kurz vor dem Mauerfall in die DDR geht, ist verblüffend, aber letztlich nicht so entscheidend.
    Ein wenig bleibt mir die Figur auch fremd, seinen Gefühlen, die seine Handlungen und Entscheidungen beeinflussten, konnte ich letztlich nicht auf die Spur kommen.


    Das Buch erzählt nicht nur vom Schriftsteller, sondern auch viel von der Zeit. Das vollkommen unpathetisch, wie Matthias Frings Stil komplett ohne Affektiertheit auskommt und bei aller Lesbarkeit auch geschickt aufgebaut ist.
    Frings besitzt einen Blick für Details und Zusammenhänge.
    Ein wenig schreibt Frings auch über sich selbst, seine beruflichen Erlebnisse im Kulturbetrieb, Treffen mit Verlegern und Künstler. Kritisch sieht er ein Treffen mit der einst sympathischen Alice Schwarzer, die inzwischen mit rethorischer Schulung nur noch pauschalisiert.


    Wegen der vielen nebenbei erzählten Episoden, die natürlich oft im Zusammenhang mit Schernikau stehen, habe ich sogar kurzzeitig überlegt, das Buch unter zeitgenössisch einzuordnen, aber das wäre der Titelfigur, dem letzten Kommunisten Schernikau nicht gerecht geworden.
    Das Lesen dieses Buches kann als Gewinn verbucht werden.

  • Matthias Frings ist einigen vielleicht als ehemaliger TV-Moderator der Erotik-Sendung "Wahre Liebe" bekannt. Mir war nicht bewusst, wie lange er schon als Publizist in Sachen Homosexualität eine feste Größe in der deutschen Sachbuchlandschaft ist.


    "Der letzte Kommunist" widmet sich einer recht interessanten Figur, schwul, kommunistisch, Schriftsteller. Ronald M. Schernikau wurde als 6-jähriger im Kofferraum eines sowjetischen Diplomatenwagens in den Westen geschmuggelt, damit dort die Familienzusammenführung mit dem Vater Lorenz stattfinden konnte. Seine Mutter Ellen war eine überzeugte Kommunistin und DDR-Bürgerin, die nur aus romantischen Hoffnungen heraus diesen Schritt wagte - und damit den größten Fehler ihres Lebens beging. Weder sie noch ihr Sohn wurden in der BRD jemals heimisch, dafür gelang Ronald mit der "Kleinstadtnovelle" ein vielbeachteter Erstling, dem aber nichts ähnlich Erfolgreiches mehr folgte, bevor er Anfang der 90er Jahre an AIDS starb.
    Frings erzählt nun von seiner Westberliner Zeit, in der er mit Schernikau sehr eng befreundet war und beide ihre ersten Schritte im linksintellektuellen Buchmarkt Westdeutschlands machten.


    Frings schildert nicht nur Schernikaus Leben, ja manchmal tritt dieses sogar so weit zurück, dass man sich fragt, ob man noch seine Biographie liest. Und auch wenn es mich manchmal etwas gestört hat, dass Frings es nicht lassen kann, kapitelweise über sich selbst zu schreiben, so muss ich zugeben, dass ich dadurch einen guten Einblick in die Schwulen- und Linkenszenen von Nachkriegsdeutschland bekommen habe. Insofern sei ihm diese unangekündigte Selbstbespiegelung verziehen.


    Die Figur Schernikaus ist tatsächlich außerordentlich faszinierend, wenn man auch die über Jahrzehnte ungebrochene Faszination mit dem DDR-Staat nicht recht versteht, der seine Bücher nach dem Erstling ebenso mit Verachtung straft, wie der Westen, vielleicht sogar noch etwas mehr. Interessant sind die Passagen, als Schernikau mit widerwilliger Hilfe der West-SED (deren Mitglied er war) an das Leipziger Literaturinstitut kommt und dort fast drei Jahre verbringt. Das Sympathische, aber auch Naive an ihm ist, dass er niemals systemkonform wird, dass er als Westler natürlich eine Art Narrenfreiheit besitzt, von der seine östlichen Kommilitoninnen nur träumen können. Schernikau erscheint als einer, der für die eigene Überzeugung alles zu opfern bereit ist. Er ist Schriftsteller, er ist Kommunist, wenn die Welt diese beiden berufungen nicht so sieht wie er selbst, dann irrt sich die Welt und er wird es ihr ruhig und stetig zu verstehen geben.


    Die Welt, die Frings uns präsentiert, scheint so weit weg, und auch die Figur Schernikaus scheint ein solcher Anachronismus zu sein, dass man mit einem Unbehagen zurückbleibt. Würde man sich mehr von diesen Leuten wünschen, die einer Überzeugung so unverbrüchlich folgen, oder ist das die Ideologieaffinität des letzten Jahrhunderts? Das ausgerechnet Schernikau kurz vor dem Fall der Mauer in die DDR eingebürgert und nach kurzer Glückseligkeit von der Geschichte eingeholt wird, hat etwas Tragikomisches, das ganz ins Tragische kippt, als er kurz darauf an AIDS erkrankt und stirbt.


    Ein durchaus lesenswertes und kurzweiliges Buch. Ob es mir Lust auf die Texte Schernikaus macht? - Ich weiß es noch nicht, anfangs wollte ich gern wenigstens seine Erinnerungen an die Leipziger Zeit lesen, inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, zu weit weg erscheint mir der nichtsdestoweniger sympathische "Protagonist" dieses Buches.


    Es gibt einen Buchtrailer (eines dieser überflüssigen Werbemittel neuerer Bauart), der ausnahmsweise mal ganz schön ist, weil man einen längeren Ausschnitt von Schernikau auf VHS präsentiert bekommt, während er mit angenehmer Stimme ein friednesbewegtes Kinderlied singt. Irgendwie schön.

  • Ich kann mich Herrn Palomar und Bartlebooth nur anschließen: ein wirklich lesenswertes Buch.


    Nach dem Lesen würde ich das Buch nicht unbedingt in das Genre Autobiografie einordnen. Frings schweift zu sehr ab, erzählt aus seinem eigenen Leben und dem der Zeitgenossen Schernikaus. Dennoch habe ich das nicht als Manko empfunden, sondern als Bereicherung und quasi Bühnenbild vor dem das Leben Schernikaus ausgebreitet wurde.


    Frings schildert Schernikau aus seiner sehr persönlichen Sicht als Freund und Weggefährte und gibt damit ihm, der in der Bundesrepublik der 80er Jahre häufig entweder als Skurrilität lächerlich gemacht oder als Kommunist beschimpft wurde, menschliche Züge. Er legt die Person Schernikau frei und zeigt seinen Kampf um Anerkennung und Erfolg als Schriftsteller. Eine Folge dieses Kampfes - jedoch nicht der einzige Grund für diese Entwicklung - ist Schernikaus zunehmende kritische Haltung gegenüber der westdeutschen Gesellschaft und das Sympathisieren mit der DDR. Ich bin versucht, dass Bild des Kampfes gegen Windmühlen zu bemühen, wenn ich an Schernikaus zähes Ringen denke. Hut ab vor einem Menschen, der bereits sehr früh einen äußerst starken eigenen Willen entwickelte und sich bis zum tragischen Ende treu blieb.


    Wie bereits eingangs gesagt: Ein lesenwertes Buch, dass neben der Person Schernikau auch die linke/schwule/Künstler- Szene (West-)Berlins in den 80ern thematisiert.


    Von mir gibt es dafür 9 Punkte.