Was in der Realität möglich oder nicht möglich ist, spielt innerhalb der Funktionsweise des Texts ja auch nur bedingt eine Rolle
Psychologie: Eddie braucht Hilfe bei Hausarbeit
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Original von Q-fleck
Was in der Realität möglich oder nicht möglich ist, spielt innerhalb der Funktionsweise des Texts ja auch nur bedingt eine RolleDie Argumentation verstehe ich nicht. Eddie fragt ja auch nach "realen" Störungen, die dazu führen könnten, dass dieser "Selbsterhaltungstrieb" ausgeschaltet wird. Und mein Einwand war eben, dass keine - wie auch immer geartete - Störung dazu führt, dass man irgendwann NICHT versucht, nach Luft zu schnappen und doch noch nach oben (an die Wasseroberfläche) zu kommen. Das muss man jetzt nicht unbedingt berücksichtigen, wenns keinen interessiert, der das Ding korrigiert, aber ich wollte das mal ansprechen
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Wollte dich auch gar nicht kritisieren, deine Anmerkung ist ja bei dieser Fragestellung durchaus berechtigt. Und auch noch richtig dazu
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Original von Q-fleck
Wollte dich auch gar nicht kritisieren, deine Anmerkung ist ja bei dieser Fragestellung durchaus berechtigt. Und auch noch richtig dazuSo hab ich das auch nicht verstanden
Ich habe mich nur gefragt (bzw. Eddie und die, die die Story genauer kennen, den genauen Text kenn ich nicht), ob Ophelia eben ausdrücklich NICHT versucht hochzukommen. Denn unabhängig von einer Störung bin ich davon überzeugt, dass das gar nicht geht, dass man durch (freiwilliges) Ertrinken stirbt. Wobei ich dafür jetzt auch nicht die Hand ins feuer legen würde, aber ich halte es für ziemlich ausgeschlossen. Falls es aber in dem Text eine Stelle gibt, in der man nicht sagen kann, was Ophelia tut (weil es nicht genauer beschrieben ist), ist es was Anderes.Das sollte ja von mir auch keine Kritik an den bereits erwähnten Ansätzen sein, die ich sehr wohl hilfreich finde. Mich hat nur die Frage beschäftigt, ob man tatsächlich "freiwillig" ertrinken kann.
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Es haben sich schon Leute Steine in die Tasche gefüllt, damit sie untergehen. Aber so ohne alles geht das vermutlich nicht. Ich nehme aber an, dass bei Ophelia die Kleider die Funktion der Steine übernehmen.
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Original von Eddie Poe
Es haben sich schon Leute Steine in die Tasche gefüllt, damit sie untergehen. Aber so ohne alles geht das vermutlich nicht. Ich nehme aber an, dass bei Ophelia die Kleider die Funktion der Steine übernehmen.Gummibärchen hat ja geschrieben, dass es ohne solche "Hilfsmittel" nicht klappen würde (zumindest ihrer Ansicht nach). Aber die Funktion mit den Kleidern als Steinen klingt gut. Obwohl... Suizid durch Steine - da ist ja noch ein aktiver Wille dabei. Den vermiss ich bei den Kleidern - aber dazu hast du eh schon einige Gedanken
Ich finde die ganze Diskussion hier höchst interessant.
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Original von Eddie Poe
Es haben sich schon Leute Steine in die Tasche gefüllt, damit sie untergehen. Aber so ohne alles geht das vermutlich nicht. Ich nehme aber an, dass bei Ophelia die Kleider die Funktion der Steine übernehmen.Ja, Taschen gefühlt wäre ne Möglichkeit. Aber selbst wenn ich Taschen füllen würde, gibt es irgendwann im Laufe des Prozesses "Ertrinken" einen Zeitpunkt, an dem man versucht doch noch hochzukommen (behaupte ich einfach mal, ohne Beweise). Sei es, dass man die Sachen aus den Taschen doch rauswirft, falls möglich. Oder mit aller Kraft um sich schlägt, strampelt und Ähnliches. Genau aus diesem Grund soll der Tod durch Ertrinken sehr qualvoll sein. Man kann sich noch so sehr umbringen wollen - der Körper braucht Luft und tut alles dafür. Und ich würde dann eher denken, dass ein Mensch in Ophelias Lage dann eben versucht, die Kleider loszuwerden. Das wird wahrscheinlich nicht klappen, aber an den Versuch kommt es an.
Mich irritierte das nur, weil es klingt, als würde Ophelia durchnässte Kleider haben und einfach "in Kauf nehmen", dass sie halt untergeht, ohne jegliche Rettungsversuche zu unternehmen. Und das halt ich für sehr unwahrscheinlich -
Ich halte es aufgrund der ganzen Konzeption der Figur Ophelia hingegen für sehr stimmig, dass sie sich eben nicht 'wehrt'. Ob das nun in der Realität möglich ist oder nicht, spielt, wie gesagt, für den Text nur eine untergeordnete Rolle.
Ophelia lässt geschehen, sie lässt mit sich machen, ergreift nicht selbst das Zepter und agiert nicht.Wie Magali weiter oben schon sagte: Ein plötzliches Sich-Aufbäumen würde nicht zu Ophelias bisheriger Zeichnung und Charakterisierung passen.
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Original von Q-fleck
Ich halte es aufgrund der ganzen Konzeption der Figur Ophelia hingegen für sehr stimmig, dass sie sich eben nicht 'wehrt'. Ob das nun in der Realität möglich ist oder nicht, spielt, wie gesagt, für den Text nur eine untergeordnete Rolle.Mein Problem bei der Frage ist in erster Linie, dass Shakespeare oder Autoren im Allgemeinen Anspielungen im Text verstecken und manchmal Dinge gar nicht so meinen, wie sie sie geschrieben haben.
Und da weiß ich nicht, was ich außer der Realität / den realen Möglichkeiten als Anhaltspunkt nehmen kann, um das zu begründen.
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Original von Q-fleck
Ich halte es aufgrund der ganzen Konzeption der Figur Ophelia hingegen für sehr stimmig, dass sie sich eben nicht 'wehrt'. Ob das nun in der Realität möglich ist oder nicht, spielt, wie gesagt, für den Text nur eine untergeordnete Rolle.
Ophelia lässt geschehen, sie lässt mit sich machen, ergreift nicht selbst das Zepter und agiert nicht.Wie Magali weiter oben schon sagte: Ein plötzliches Sich-Aufbäumen würde nicht zu Ophelias bisheriger Zeichnung und Charakterisierung passen.
Es geht nicht um "Sich-Aufbäumen" - zumindest in meinen Augen nicht. Es geht bei meiner Argumentation lediglich darum, dass selbst eine Ophelia sich nicht "nicht wehren" kann (physisch unmöglich, sag ich mal ;-))
Aber wenn du natürlich sagst, dass die Realität für den Text keine Rolle spielt, kann ich nichts dagegen vorbringen. Ich frage mich dann aber schon, wie du darauf kommst@Eddie: Und was möchte Shakespeare hier sagen oder was meint er deiner Meinung nach?
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@gummi: Was Shakespeare sagen wollen würde, wenn Ophelia wirklich Selbstmord begangen hätte, weiß ich nicht. Da müsste man die ganze Szene untersuchen. Aber ich bin ja auch der Meinung, dass Ophelia keinen Selbstmord begangen hat.
Ophelia beleidigt das Königspaar indirekt; und zwar durch die Bedeutung der Blumen, die sie ihnen gibt. Um dieses Maß and Eigeninitiative zu erlangen, musste sie anscheinend erst wahnsinnig werden.
Wenn sie Selbstmord begangen hätte, hätte sie zum ersten Mal eine eigenständige Entscheidung getroffen und diese auch durchgezogen. Sie hätte sich dem Umfeld, das sie unterdrückt und klein hält durch ihre Entscheidung entzogen. Dazu kommt ja noch die Bedeutung, die Selbstmord zu Shakespeares Zeit und zur Zeit, in der das Stück spielt, hatte. Selbstmörder konnten beispielsweise nicht auf Friedhöfen bestattet werden, da Selbstmord als Sünde angesehen wurde. Aber Ophelia WIRD auf einem Friedhof bestattet; hätte also sogar die Kirchengesetze umgangen.
Obwohl ich meine gelesen zu haben, dass sich während des Humanismus, also zu Shakespeares Zeit, auch schon andere Sichtweisen auf Selbstmörder abzeichneten :gruebel.
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Das fällt mir übrigens noch ein: In der Psychopharmakologie-Forschung gibt es den forcierten Schwimmtest (FST, Porsolt), mit dem man aktive vs. passive Stressbewältigung beurteilen kann, oder zum Beispiel die Wirkung von Antidepressiva. Und zwar lässt man Ratten in einem mit Wasser gefüllten Glaszylinder schwimmen. Die Ratten merken dann irgendwann, dass sie dort nicht rauskommen und lassen sich dann irgendwann nur noch passiv treiben. Gemessen wird dann die Zeit, die die Ratte aktiv schwimmt. Unter Antidepressiva schwimmen die Ratten dann länger, bzw. Ratten mit erlernter Hilflosigkeit ("depressive Ratten") geben früher auf. D.h. wenn Ophelia sich nur treiben lässt und sehr schnell aufgibt, könnte man vielleicht von passiver Stressbewältigung reden.
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DAS ist ein interessanter Hinweis, danke. Spannend.
Aber bloß fürs RL, für die Literatur bringt er eine nicht weiter.
Ich verweise noch einmal auf den Originaltext. Shakespeare, der ja bloß der Autor ist, läßt die Berichterstatterin sagen, daß es nicht lange dauerte.
Man darf den Autor auch mal beim Wort nehmen.nein, definitiv, laut und fundamental NEIN: die Realität, d.h. Deine Lebenserfahrung, ist nie und unter keinen Umständen Anhaltspunkt für einen Vorgang, der künstlerisch-literarisch geschildert wird. (Gilt für alle Künste, aber bleiben wir hier mal beim Wort/Text)
Deine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie Shakespeare sich seine Figur gedacht hat. Aslo: welche Worte hat er gefunden, sie zu beschreiben? Wie stellt er sie dar?
Was läßt er sie sagen? Wie agiert sie im Umgang mit anderen Personen des Stücks?
Daraus und NUR daraus - mußt Du einen Steckbrief, eine Biographie, ein Porträt Ophelias entwickeln.Des weiteren: es geht nicht um Eindeutigkeit. Das ist etwas, das AnfängerInnen im Bereich Literatur sehr verunsichert. Kunst ist nicht eindeutig, sie ist vielschichtig, läßt mehrere Deutungen zu. Aber: nicht alle und jede.
Auch hier muß man versuchen, zuerst mal den Absichten von Autorin/Autor auf die Spur zu kommen.Zum Selbstmord-Vorwurf: das sind kirchenrechtliche Bestimmungen, da konnte eine/r noch so humanistisch-aufgeklärt sein, Selbstmord galt offiziell als Todsünde Punkt.
Daneben existierten noch jede Menge populäre Vorstellungen über Leute, die sich selbst töteten, auch diese Vorstellungen waren nicht freundlich. SelbstmörderInnen waren z.B. als WiedergängerInnen gefüchtet. Oder sie brachten Unglück. Was das Bild von SelbtsmörderInnen (man beachte den Ausdruck Selbst MORD!!) betrifft, waren sich alle einig: negativ.Und, wie bereits gesagt: ein Ast bricht unter ihr, während sie da in der Weide herumklettert. 'Envious' ist er, sagt Shakespeare, trügerisch. Noch etwas, das unter ihr wegbricht, wie ihr Geliebter, ihr Vater, ihre vertraute Umgebung.
Was die Blumenkränze betrifft:
das meinte ich oben schon, Ophelia muß 'außer sich' sein, um handeln zu können.
magali
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*hüstel*
Natürlich kann man sich auch ohne Hilfsmittel ertränken, der Wille muß nur groß genug sein.
Mir sind mindestens zwei Fälle in den letzten 10 Jahren bekannt, in denen man sich auf diese Art umgebracht hat. Einen dritten kann ich nennen, bei welchem eine alte Dame sich selbst im Waschbecken (!!!!!) ertränkte.
Es geht also sehr wohl, die Frage ist, wie groß tatsächlich die "Todessehnsucht" ist und wie gut man in der Lage ist den Reflex aufzutauchen zu unterdrücken und man kann ihn unterdrücken.Ich muß gestehen, den Text nicht zu kennen, aber die Kälte des Wasser dürfte hier auch eine entscheidende lähmende Rolle spielen.
EDIT: Muß korrigieren, kenne den Text doch, hab ihn lediglich verdrängt... seufz
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Ich finde es übrigens ganz interessant, wenn bestimmte psychologische Phänomene in älterer Literatur beschrieben werden. Ich habe mal einen Aufruf von Forschern gesehen, die die früheste Literaturstelle gesucht haben, in der Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung beschrieben werden. Ich glaube, sie wollten herausfinden, ob es diese spezifischen Reaktionen auf ein Trauma vor einem bestimmten Zeitpunkt nicht auftraten, also ob Leute auf Traumata früher anders reagiert haben. Der Begriff PTBS wurde erst nach dem Vietnam-Krieg eingeführt und erst 1980 ins Diagnosemanual DSM III aufgenommen worden, aber vorher gab es sie schon unter allerlei anderen Namen, z.B als Kriegsneurose.
Und ich sehe hier gerade in Wikipedia, dass Jonathan Shay bei der Darstellung des Sir Henry Percy („Hotspur“) in William Shakespeares Henry IV eine Beschreibung typischer Symptome der PTBS gefunden hat. Hotspur hat Schlafstörungen und Albträume, verliert das Interesse an Beschäftigungen, die ihm früher Freude bereitet haben und wird schreckhaft und launisch.
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Ja, klar ist das interessant.
Man kann so etwas finden. Man kann allerdings auch glauben so etwas zu finden, weil es vertraut klingt. Das ist die große Gefahr bei der Auswertung älterer Texte. Man erkennt sich selbst.Es ist plausibel daß es PTBS auch vor dem Vietnam-Kreig gegeben hat, Menschen sind ja nun seit vielen tausend Jahren psychisch ähnlich verfaßt. Wahrscheinlich kann man solche Phänome in altbabylonischen Gedichten entdecken.
Gibt es eigentlich altbabylonische Lyrik?Bloß: mit Literatur hat es nichts zu tun. Hotspur müßte man in dem Fall nach den Vorstellungen der damaligen Zeit beurteilen und einschätzen, warum ihm der Autor grad diese Form der Fehlfunktion von Galle, Leber, Blut oder was-immer zugeschrieben hat (vier-Säfte.Lehre) und welche Funktion das im Stück hat. Er ist eine Kunstfigur.
Mir wären als Grundlage für die Geschichte psychischer Krankheitsbilder nicht-literarische Quellen lieber.
magali
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Original von Babyjane
*hüstel*
Natürlich kann man sich auch ohne Hilfsmittel ertränken, der Wille muß nur groß genug sein.
Mir sind mindestens zwei Fälle in den letzten 10 Jahren bekannt, in denen man sich auf diese Art umgebracht hat. Einen dritten kann ich nennen, bei welchem eine alte Dame sich selbst im Waschbecken (!!!!!) ertränkte.
Es geht also sehr wohl, die Frage ist, wie groß tatsächlich die "Todessehnsucht" ist und wie gut man in der Lage ist den Reflex aufzutauchen zu unterdrücken und man kann ihn unterdrücken.Wie gesagt, ich kann das nicht belegen. Ich weiß nur ganz sicher, dass ich das irgendwo gelesen hab (in dem Text ging es darum, warum Ertrinken als Selbstmordard seeeehr qualvoll ist) und ich muss sagen, dass es mir immer noch sehr logisch erscheint. Selbst die von dir genannten Fällen könnte ich mir so drehen, dass es passt
Wie auch immer - das spielt hier anscheinend eh keine Rolle
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Original von Gummibärchen
Aber wenn du natürlich sagst, dass die Realität für den Text keine Rolle spielt, kann ich nichts dagegen vorbringen. Ich frage mich dann aber schon, wie du darauf kommst
Magali hat es ja oben auch schon ausgeführt.
Aber auch mal ganz banal: Wenn die Realität für Texte als obligatorische Richtlinie gelten würde, könnte es ja auch keine Fantasy-Romane gebenKunst folgt eben eigenen Regeln.
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Original von Q-fleck
Magali hat es ja oben auch schon ausgeführt.
Aber auch mal ganz banal: Wenn die Realität für Texte als obligatorische Richtlinie gelten würde, könnte es ja auch keine Fantasy-Romane gebenKunst folgt eben eigenen Regeln.
Das stimmt natürlich. Aber dann würde ich auch nicht unbedingt damit argumentieren, dass ich "reale" Störungen als Erklärung nehme. Das widerspricht sich doch
Aber ich beschäftige mich jetzt lieber mit meinen eigenen Problemen