2 CDs, 135 Minuten, ungekürzte Lesung Sonderausgabe
Verlag: Hörbuch Hamburg
Erschienen: 2009
Kurzbeschreibung:
Jeder Baum, jeder Passant, jedes Wolkengebirge wird ihm zur Geschichte. Mit subtilem Sprachwitz führt Walser wie ein alpenländischer Don Quijote durch einen Kosmos voll skurriler Gestalten und Traumgebilde.
Über den Autor:
Robert Walser (1878-1956) gilt als der bedeutendste Schweizer Autor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Spaziergang entstand 1917.
Sprecher Fritz Lichtenhahn
Fritz Lichtenhahn, geboren 1932 in Arosa, spielte an vielen großen deutschsprachigen Bühnen, bis 1997 am Hamburger Thalia Theater. Großen Erfolg erlebte Lichtenhahn als Familienvater Bruno Semmeling in Dieter Wedels Fernsehproduktionen Einmal im Leben, Alle Jahre wieder und Die Affäre Semmeling.
Mein Eindruck:
Dieser bekannte Text ist früher schon erschienen, damals von Gert Westphal gelesen.
Auch diese neue Lesung ist beeindruckend. Da es ganze Hausarbeiten und Ausarbeitungen zu Der Spaziergänger gibt, werde ich auf Interpretationen weitgehend verzichten und nur meinen Höreindruck schildern.
Der Text beinhaltet einen Erzähler, in dem der Schriftsteller Robert Walser und seine Kunstfigur, der Spaziergänger, ineinander erschmelzen.
Der Spaziergänger spricht den Leser bzw. Hörer kontinuierlich an und schildert mit genauem Schriftstellerblick die Orte und Menschen, denen er begegnet.
Das man als Zuhörer so einbezogen wird, lässt Der Spaziergang zu einem besonders geeigneten Hörbuch werden. Die Wirkung entfaltet sich größer, die Nuancen werden deutlicher als man gelesenen Text. Das liegt auch an dem Sprecher Fritz Lichtenhahn, der ihn wirklich verinnerlicht hat und es schafft, dem Zuhörer vollkommen zu erreichen und mit den Worten zu durchdringen.
Der Stil ist so altmodisch gehalten, wie man es von einem Text von 1917 erwartet. Hinzu kommt ein parodistisches und selbstironisches Element beim Erzählen, dass mich an ähnlich pseudo-idyllische Texte wie zum Beispiel Herr und Hund von Thomas Mann oder auch Kafka erinnert.
Der Spaziergänger ist anscheinend als Kunstfigur auch ein Vorläufer heutiger skurriler Charaktere, wie den bekannten Flaneur aus Wilhelm Genazinos Romanen. Ich denke da besonders an „Ein Regenschirm für diesen Tag“
Denn auch der Spaziergänger von Walser hat einen ungewöhnlichen Blick auf die Dinge, sieht die Menschen genau an, fängt auch mal an zu schwadronieren oder regt sich auf.
Sein Spaziergang führt ihn einen weiten Weg durch Stadt und Natur, so passiert er unterwegs Bank, Post, Schneider, Steuerberater. Zwischendurch ein Mittagessen. Es ist also keineswegs ziellos. Zudem trifft er unterwegs verschiedene Personen, wobei nicht immer ganz klar ist, ob diese real oder aus der Fantasie entsprungen sind. Da sind da eine Sängerin und eine Schauspielerin, aber auch ein Riese. Dazu kommen viele Erinnerungen wieder hoch
So vergeht ein ganzer Tag bei diesem Spaziergang.
Aus der Sprache entwickelt sich ein Witz, nicht jedoch ohne eine Spur Tragik, wenn der Spaziergänger klagt, dass er einige Bücher geschrieben hat, jedoch ohne den geringsten Erfolg.
Vehement wehrt er sich dagegen, dass sein Spaziergang bloßes Lustwandeln ist. Im Gegenteil, schwere Kopfarbeit leistet er dabei, wenn ihm imaginäre und reale Geschehnisse viel zu denken und zu verarbeiten geben. Das ist sehr glaubhaft, wenn man diesen Text liest und den Autor begleiten darf. Da der Text sehr kurz ist, kann man mit dem Schriftsteller, der auch zu Gewaltmärschen fähig ist, doch noch Schritt halten und es ist ein Vergnügen wie ein eigener Spaziergang.