Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus - Friedrich Christian Delius

  • Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus
    Friedrich Christian Delius, Januar 2004
    Schroedel Verlag; ISBN:3507470128
    Seiten: 223


    "Der Spaziergang von Syrakus" ist ein Buch, das ich für die Schule lesen durfte. Normalerweise denkt man dann gleich wieder an Zwang, aber meine Deutsch-Lehrerin hat bisher eigentlich immer Bücher ausgesucht, die mir, bis auf eine Ausnahme, doch gut bis sehr gut gefallen haben. Dementsprechend bin ich auch mit etwas Vorfreude an das Buch herangegangen, ihr habe es damals sehr gut gefallen, meinte sie. Dann habe ich mich mal ein paar Stunden mit dem Buch und einem Stift bewaffnet in eine gemütliche Ecke verzogen.



    Inhalt:


    Einmal in seinem Leben die Grenze überwinden und nach Syrakus auf Sizilien reisen: Dieses Vorhaben des DDR-Bürgers Paul Gompitz aus Rostock wird in Delius' spannender Erzählung geschildert.Gompitz will wieder zurückkehren, beharrt aber auf seinem Recht auf eine Bildungs- und Pilgerreise auf den Spuren J.G. Seumes, dessen "Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802" er seit Jugendzeiten im Kopf hat.List und Hartnäckigkeit, mit denen Gompitz seine Reise vorbereitet, werden von Delius so erzählt, dass hinter der amüsanten Geschichte die Tragik von Eingesperrtsein und Überwachung deutlich wird.


    In der Mitte seines Lebens, im Sommer 1981, beschließt der Kellner Paul Gompitz aus Rostock, nach Syrakus auf der Insel Sizilien zu reisen. Der Weg nach Italien ist versperrt durch die höchste und ärgerlichste Grenze der Welt, und Gompitz ahnt noch keine List, sie zu durchbrechen...



    Über den Autor:


    Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom. Aufgewachsen in Hessen, lebt heute als Schriftsteller in Berlin und Rom. 2004 wurde er mit dem Fontane-Preis für Literatur ausgezeichnet und 2007 erhielt er den Joseph-Breitbach-Preis.Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom. Aufgewachsen in Hessen, lebt heute als Schriftsteller in Berlin und Rom. 2004 wurde er mit dem Fontane-Preis für Literatur ausgezeichnet.



    Meine Meinung:


    Der Titel "Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus" spiegelt den Inhalt des Buches wider, auch wenn es für Paul alles andere als ein Spaziergang war. "Spaziergang" würde ich sowieso entweder als ironisch gemeint einstufen bzw. wahrscheinlicher ist, dass sich der Titel an Johann Gottfried Seumes Werk "Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802" anlehnt, denn schießlich will Paul auf Seumes Spuren von Rostock nach Syrakus gelangen.


    Das Cover meiner Ausgabe ist in schlichtem Weiß gehalten, nur der Titel ist in rot gedruckt, sowie der Name des Autors in schwarz. Mit dem Bild von Paul Klee, das ebenfalls abgebildet ist, konnte ich zunächst nichts anfangen. Aber ich habe mich kundig gemacht: Das Bild trägt den Titel "Revolution des Viaductes" und entstand 1937. Mir ist aber nicht ganz klar, was das Bild mit dem Inhalt des Buches zu tun hat, auch wenn mir das Bild gut gefällt.


    Was mir aber an meiner Ausgabe gleich Positiv augefallen ist, sind die vielen Materialien am Ende des Buches. Wer Zusatzinformationen braucht, wird dafür sehr dankbar sein, u. a. findet sich dort eine Biographie des Autors, ein Interview mit dem Autor zur Entstehung des Buches u. v. m. Auch am Rand der Seiten im Buch werden Hinweise und Erklärungen zu Wörtern und Personen gegeben, was sehr hilfreich ist.


    Paul Gompitz will nach Italien, am besten auf dem Spuren Seumes, doch das geht nicht so einfach, denn er ist DDR-Bürger. Wie man weiß durfte Bürger der DDR nur in andere sozialistische Länder reisen, aber nicht nach Italien. Auf dem legalen Weg kommt er aber nicht an sein Ziel, da er dennoch unbedingt nach Syrakus will, lässt er sich sehr viel einfallen, wie er es schaffen könnte. Er macht einen Segelschein, lernt viel über Radartechnik, versucht Touristen seine Westmark zu geben, damit diese dann an seine entfernt verwandte Cousine übergeben werden können und sie wengistens schon im Westen sind, er verschickt Grußkarten an seine Cousine, die aus doppeltem Karton bestehen, in dem er Geld versteckt usw. Er lässt sich auf jeden Fall sehr viel einfallen.


    Seine ganzen Einfälle zeigen auch, dass er sich in dem System, in dem er lebt wohlfühlt, doch die Möglichkeit zu reisen fehlt im sehr und das ist auch der Punkt, wieso er teilweise doch sehr DDR-kritisch eingestellt ist. An einer Stelle schimpft er z. B. über die Parteibonzen, für die Südfrüchte etc. eingeführt werden und die reisen dürfen, doch der normale DDR-Bürger darf beides nicht. Indirekt kritisiert er auch das Stasi-System: Paul will sich über Radartechnik kundig machen, denn er will wissen, ob er mittels jener von Grenzern beobachtet bzw. entdeckt werden könnte. Dazu geht er in eine Buchhandlung, aber er kann sich nicht einfach ein Buch über Radartechnik kaufen, denn das würde Aufsehen erregen und die Stasi wäre ihm gleich auf den Spuren. Er macht es wiefolgt: Er liest die Bücher über Radartechnik in der Buchhandlung bzw. das, was ihn dazu interessiert und geht dann wieder nach einer Zeit, aber vorher sieht er sich noch andere Bücher an, damit es nicht so auffällt.


    Obwohl das Buch von der Thematik her doch etwas ernster ist und die Atmosphäre wie sie in der damaligen DDR hätte sein können, gut herüberkommt, sind auch witzige Stellen vorhanden. Manchmal zieht sich das Buch aber auch sehr, die ganzen Vorbereitungen für Pauls Reise sind wirklich interessant, vor allem seine verschiedenen Einfälle, aber manchmal habe ich mir wirklich gedacht: "Wann segelt er denn jetzt endlich los?", auch wenn ich doch sehr mit ihm mitgefiebert habe. Als er dann aber endlich losfuhr, war die Erleichterung groß.


    Der Schreibstil war anfangs sehr gewöhnungsbedürftig, da viele Fachausdrücke, was das Segeln betrifft, vorkommen. Im Materialteil werden diese aber gut erklärt und so gewöhnt man sich mit der Zeit auch daran. Was mir auch aufgefallen ist, dass der Autor Landschaften sehr detailreich beschreibt z. B. als Paul durch die verschiedenen Städte in Italien reist. Man kann natürlich vermuten, dass es mit Paul etwas zu tun, denn er ist das erste Mal in seinem Leben im "Ausland" und beschreibt vielleicht deshalb das, was er sieht umso genauer.


    Am Anfang jedes Kapitels befinden sich zwei bis drei Zeilen schräggedruckter Text, den ich noch nicht richtig einzuordnen weiß. Das ganze Buch wird aus Pauls Perspektive geschrieben, doch diese kurzen Stellen haben eine ganz andere. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Textstellen die Meinung der Menschen widerspiegelt, die von Pauls Vorhaben gewusst haben könnten, wobei Paul eigentlich niemanden davon erzählt hat, nicht einmal seiner Frau. Vielleicht stellen sie also eine Anmerkung des Autors dar d. h. so in etwas könnten andere Personen darüber gedacht haben.


    Ein Einfall von Paul hat mir besonders gefallen: Auf dem Postamt lernt er Anschriften von Pakten, die DDR-Bürger an Verwandte in den Westen schicken, auswending und geht dann nach Hause, da es ihm heute zu lange dauern würde. Zu Hause notiert er sich die Adressen auf und schreibt einige Sicherheitsbriefe, die er vor seiner "Flucht" abschickt, in denen er die Empfänger bittet die Briefe an das Gesamtdeutsche Ministerium in Bonn weiterzuleiten, das ihm dann u. U. helfen könnte.


    Auch wenn das Buch teilweise sehr DDR- kritisch geschrieben ist, zeigt Pauls Heimatverbunden heit, denn er will nach seiner Reise wieder in die DDR zurückkehren, dass er doch auch an der DDR hängt. Paul gelangt auch in Kontakt mit den West-Deutschen, doch auch diese Personen werden sehr kritisch betrachtet.


    Das Ende lässt aber einige Fragen offen: Fährt Paul nun nach GB? Was hat es mit dem Brief von der Staatsanwaltschaft auf sich? Wie geht es mit der Beziehung zu seiner Frau weiter? Die Erfahrung einer neuen/andere Umgebung, die Paul gemacht hat, hat ihn auch ein weniger verändert oder geformt, auch die Daheimgebliebenen denken nun anders über ihn als zuvor.


    Fazit: "Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus" ist eine empfehlenswerte Lektüre für jeden, der an das Unmögliche glaubt. Eine sehr eindringliche Geschichte.


    Ich vergebe 4 von 5 möglichen Punkten.

  • Meine Meinung:


    Das Buch spielt in den 1980-er Jahren, erzählt wird die Geschichte eines DDR-Bürgers, der reisen wollte, um bleiben zu können.
    In der Mitte seines Lebens beschließt Paul Gompitz, Kellner aus Rostock, sich seinen Lebenstraum zu erfüllen: auf den Spuren J. G. Seumes möchte er nach Syrakus in Italien reisen. Damit hat sich Paul Gompitz viel vorgenommen, denn DDR-Bürger durften nur ins sozialistische Ausland reisen. Da ihm klar ist, dass er bei einem illegalen Grenzübertritt sein Leben riskiert, versucht er zunächst auf legalem Wege, über die BRD nach Italien zu gelangen, mit Einladungen seiner Cousine in Solingen und zweier Studenten aus Karlsruhe, deren Bekanntschaft er in Prag gemacht hat. Seine Besuchsanträge werden abgelehnt, weshalb Paul Gompitz nun den Weg über die See nach Dänemark mit dem eigenen Segelboot wählt. Er plant seine Reise in den Westen genau, sieben Jahre dauern die Vorbereitungen, dann ist es ganz plötzlich soweit, der Seewetterbericht des Deutschlandfunk meldet Wind Nordost und ein Tief und damit schlechte Sicht für die Grenzer …


    Das Buch erschien erstmals 1995, die Geschichte ist ausgedacht und sie wirkt auch ein wenig surreal. Paul Gompitz muss viel Phantasie, Mut, Bauernschläue und Witz aufbringen, um sich seinen Traum zu erfüllen. Da er auf seiner Reise nach Syrakus finanziell unabhängig sein will, trifft er auch hierfür mühsam Vorsorge. In seinem Reisetagebuch, das er für sich, die zu Hause gebliebenen sowie für die Stasi (!) schreibt, nimmt dieses Thema größeren Raum ein – denn Paul Gompitz weiß, dass sich die Reisebestimmungen der DDR ändern müssen und hoffentlich auch werden und dass das größte Problem dann immer noch die schwache DDR-Währung sein wird. Und immer wieder macht er deutlich, dass er nach seiner Reise auf jeden Fall zurück in die DDR will, zu seiner Frau und zu seiner Arbeit. Einer seiner Ängste ist es, nicht mehr in die DDR einreisen zu dürfen, auch der Wiedereinreise gelten daher seine akribischen Vorbereitungen.


    Ich musste beim Lesen oft schmunzeln über die Chuzpe des Paul Gompitz, dem DDR-Patrioten, der unbeirrt an seinem Traum festhält und seinem Staat ein Schnippchen schlägt.
    Die Sprache F. C. Delius’ ist kurz und prägnant, punktgenau. Die Handlung schreitet rasch voran, so wie sein Held Gompitz schweift Delius nicht ab, sondern schildert geradeweg die Reise seines Helden von Rostock nach Syrakus.


    Auf jeden Fall ein lesenswertes Buch, wenn man sich auf die etwas surreale Handlung einlassen kann. Von mir 9 Punkte.