OT: „Un Couple ordinaire“
Les Editions Le Dilettante, Paris, 2005
Diogenes Verlag, Dezember 2008
Taschenbuch, 203 Seiten, 8,90 Euro
Übersetzung aus dem Französischen von Ina Kronenberger
ISBN-10 3257065876
ISBN-13 9783257065879
Benajmin und Béatrice sind „ein ganz normales Paar“, eine ganz besondere Familie. Gemeinsam mit Tochter Marion leben sie innerhalb des französischen Mittelstandes. Er arbeitet als Apotheker, sie als Kinderbuchautorin. Die Kommunikation innerhalb der Beziehung ist schleppend, einseitig, lieblos und bestimmt von nicht ausgesprochenen Wünschen und Vorstellungen. Benjamin agiert und reagiert in Konfliktsituationen mit seiner Partnerin nur passiv, ausweichend, ergreift selten das Wort, zu anderen Ansichten steht er nicht und charakterisiert sich selbst als leer:
Zitat„“Der Schein trügt, das Äußere macht was her, spiegelt uns was vor, aber im Inneren… herrscht Leere.“ Leere… Mit diesem Wort ist plötzlich alles gesagt. Ich fühle mich so leer… Nur noch eine Hülle, nur noch Staffage, aber im tiefsten Inneren, hinter den Kulissen, ist nichts. Nichts mehr. Ohne es gemerkt zu haben, bin ich irgendwo auf der Strecke geblieben.“[1]
Der Umgang mit Problemen innerhalb einer Beziehung sollte konstruktiv sein; beide Partner sollten im Gespräch einen Kompromiss finden, um Konflikte zu lösen. Mit Sachlichkeit und Objektivität sollte jedes Problem betrachtet werden, ohne Einbeziehung verschiedener emotionaler Befindlichkeiten. Dominanz im geregelten Rahmen kann ein Anstoß zur Problemlösung sein, geht diese aber vermehrt nur von einem Partner aus, kann dies im Machtgefälle einer Beziehung zu beidseitigen Verletzungen, Problemen innerhalb des Liebes-und Ehelebens sowie zum Rückzug des Partners führen.
Nach Daphne Rose Kingma[2] durchläuft jede Partnerschaft sieben emotionale und spirituelle Stadien[3]. Die erste Stufe, definiert als die Phase des „Falling in Love“, beschreibt die gegenseitige Erfüllung aller positiven seelischen Bedürfnisse, Hoffnung und Glückseligkeit sind die tragenden Emotionen. Offenheit für Konflikte und Probleme innerhalb der Partnerschaft ist nicht vorhanden. Die zweite Stufe, bedingt durch die erste, definiert sich durch „Versprechen und Gelübde“ - also die Befriedigung des Bedürfnisses nach Monogamie und Treue gegenüber dem Partner. Es bedeutet die Anerkennung der Existenz einer bestehenden Beziehung, mit dem Wunsch der Fortsetzung dieser.
Die dritte Stufe - „Crises“ - ist die des Verlustes jeder romantischen Erwartung, jeder Illusion; Schwächen des Partners werden erkannt, Probleme thematisiert. Es entstehen Spannungen und Konflikte, die sich (in der 4.Stufe) in Machtkämpfen niederschlagen können. Das Erkennen eigener Schwächen, eigener Illusionen und zu hoher Erwartungen kann zum positiven Wachstum der Beziehung beitragen. Werden die Konflikte nicht ausgetragen, Probleme nicht angesprochen und es findet kein Austausch über emotionale Verletzungen statt, kann das auch zum Bruch führen. Die Reaktion auf bestehende Probleme (in der 5.Stufe - „Chaos“) kann unterschiedlich sein. Affären, wiederholt ausgetragene Konflikte, der Rückzug und die Verweigerung jeder emotionalen Zuwendung sind mögliche Optionen, genauso wie die Möglichkeit der konstruktiven Nutzung in Gesprächen an die bestehenden Emotionen, die zu einer Verbindung geführt haben, zu appellieren. Kingsma nennt das eine „Einladung der Seele an die spirituelle Ebene der Liebe“[4]. Kompromisse zu schließen, auf Ansichten zu verzichten bzw. diese neu auszuhandeln, sich über Ziele und Wünsche einigen und objektiv zu diskutieren sei das Ziel in der 6.Stufe, Kingsma nennt sie ‘das Erwachen’. In der letzten Stufe - „transformation“ - erreichen wir als Paar den Status die Verbindung nicht festhalten zu müssen, der Wunsch bestimmte Erwartungen zu erfüllen, bestimmte Wünsche erfüllt zu wissen ist nach konsequenter Arbeit an uns als Person nicht mehr gegeben. Wir erkennen den „höheren Zweck“[5] dieser Verbindung an; die Akzeptanz dieses Vorgangs führt zu „ein[em] Moment großer emotionaler Lösung und spiritueller Erfüllung“[6]. Nach Kingsma inkludiert also jede Partnerschaft Konflikte, die Aushandlung von Werten und Vorstellungen und das gemeinsame, auch persönliche Wachsen an diesen Problemen.
Die Frage ist dementsprechend nicht, ob Konflikte zwischen Benjamin und Béatrice stattfinden, es ist die Frage nach der Lösung ihrer Konflikte und wie sie insgesamt in ihrem Beziehungsleben miteinander umgehen. Zudem bleibt die Frage, ob die Autorin Minière nicht dem Wunsch mit ihrem Roman ein anderes Bild auf das Thema Paarkommunikation und die Wünsche moderner, emanzipierter Frauen zu werfen, eine Problematik aufgegriffen hat, die sie zu banal, zu trivial, zu eindimensional behandelt und bearbeitet hat.
Der Charakter und Ich-Erzähler Benjamin bleibt immer das „Opfer“ in der Beziehung zu seiner Ehefrau; er sieht sich außer Stande sich dieser Lage zu befreien, reagiert seltsam passiv, hat mehr Mitleid mit sich selbst und sucht nicht die Möglichkeit sich mit seiner Frau darüber auszutauschen. Béatrice dagegen ist eine emanzipierte, herrische, berechnende Figur – Dauerhaft unterstellt ihr die Autorin die eigenen Emotionen als Mittel zur Erpressung zu verwenden. Klischees werden herauf beschworen: Sie ist keine gute Mutter, tauscht mit ihrer Tochter keine emotionalen Gefühle aus, sondern „benutzt“, eher verwendet sie als Testobjekt für ihre Kinderbücher. Der eigene Erfolg, der Wunsch eines hohen Ranges innerhalb der Gesellschaft lässt sie gedankenlos über die Wünsche ihres Mannes hinweg Entscheidungen für sich treffen. Kritikfähigkeit und Selbstreflexion sind keine ihrer Charaktereigenschaften. Auch ein hohes Maß an Sensibilität und Zärtlichkeit – auf allen Ebenen des Ehelebens – spricht man ihr ab. Benjamin, auch in der sexuellen Beziehung ein Opfer, fühlt sich von ihr während des Geschlechtsaktes benutzt, ist nicht bereit mit ihr über seine sexuellen Wünschen zu sprechen und zieht sich – von der „plumpen Sexualität“ seiner Frau abgestoßen – immer mehr von ihr zurück.
Minière beweist bei der Beurteilung ihrer eigenen Charaktere sehr viel Ironie durch sehr viel Introspektive. Benjamin ist sich seiner Position in der Ehegemeinschaft bewusst, er bewertet sein Verhalten auch selbst als vollkommen abnormal, als nicht akzeptabel:
Zitat„Ich bin unglücklich. Ich habe zwei Arme, zwei Beine, bin bei bester Gesundheit und doch unglücklich. Ich habe ein quicklebendiges Kind, das wohlauf ist, ein wunderbares Kind, und doch bin ich unglücklich. Ich habe einen interessanten Beruf, verdiene nicht schlecht, habe eine schöne Wohnung und bin doch unglücklich. Meine Frau ist schön, intelligent, und ich bin unglücklich. Viele Menschen wären gern an meiner Stelle, im Leben, im Bett, und ich bin unglücklich. Ich bin privilegiert und unglücklich. Und das schlimmste ist, ich schäme mich nicht einmal dafür.“[7]
Die Autorin hat sehr viel Mitleid mit Benjamin. Sie stellt ihn dar als einziges Opfer der Verbindung und Béatrice als diejenige, die durch ihre Emanzipation sämtliche Emotionen innerhalb der Beziehung zerstört hat. Das war nicht ihre Idee, nicht ihre Botschaft, und doch erreicht sie durch ihre Charakterdarstellung, die „holzschnittartig“[8], eindimensional und klischeehaft ist, nicht das Publikum. Die stilistische Gestaltung der Figuren lässt sie kindlich, unreif, einfach nicht erwachsen im Umgang mit ihren Problemen wirken. Szene reiht sich an Szene, Konflikte haben denselben Ablauf, bieten dieselben Antwortmöglichkeiten, die selben eher tumb wirkenden Reaktionen von Benjamin, die selben emotionalen Ausfälle (obwohl der Figur jede Emotionalität abgesprochen wird) von Béatrice.
Der Emanzipationsversuch von Benjamin – erreicht durch die Lektüre von Plutarch – wirkt als Folge von zu vielen Auseinandersetzungen zu passiv, zu konstruiert. Eine wirkliche Befreiung hat nicht statt gefunden und so erscheinen viele Aussagen der Autorin naiv, unausgegoren: „Ich bin nicht überzeugt. Es gibt keine normalen Paare, höchstens glückliche, und die werden nicht von derlei Nöten geplagt.“ [9]
Die Figuren wachsen nicht, sie entwickeln sich nicht, was die Lektüre langatmig, geradezu langweilig erscheinen lässt. Die Beziehung ist am Ende von rund 200 Seiten genauso desaströs, zerstört und emotional unterentwickelt wie am Anfang. Ein schlechtes Fazit.
Fazit:
Schlechte, zu klischeehaft konstruierte Charaktere, die sich nicht entwickeln, weder zusammen wachsen noch auseinander driften, in einer langatmigen, stilistisch geradezu trivialen Aufbereitung. Der Ich-Erzähler wirkt in seinen Darstellung mitleiderregend, holzschnittartig, unreif und einseitig, ist kaum zur Selbstreflexion fähig und ist von der Autorin ohne Identifikationspotential angelegt. Die Bearbeitung eines aktuellen Themas bzw. aktueller Fragestellungen – Wie verändern sich Rollenbilder durch die Emanzipation des weiblichen Geschlechtes? - wirkt banal, eindimensional und langatmig. Nichts Positives kann ich diesem Roman abgewinnen.
~*~
[1] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 12
[2] „… is a poet, psychoanalyst and writer who specializes in books on love and relationships. She wrote the forward for the Random Acts of Kindness book. She has appeared on many radio and television shows, sharing her knowledge about marriage, love, and relationships with everyone.“ (MotivationalQuotes.com)
[3] zitiert nach: Psychotherapie-Blog - …Fund-Stücke eines Wiener Psychotherapeuten, aus: Daphne Rose Kingma, The Future of Love, Doubleday, New York, 1998
[4] zitiert nach: Psychotherapie-Blog - …Fund-Stücke eines Wiener Psychotherapeuten
[5] ebenda
[6] ebenda
[7] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 161
[8] zitiert nach:Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension vom 27.06.2007, aus: Martin Krumbholz, Erbarmen mit den Männern, Neue Zürcher Zeitung, 27.06.2007
[9] Isabelle Minière, Ein ganz normales Paar, Diogenes, 2008, S. 192