'Erzähl mir von den weißen Blüten' - Seiten 001 - 030

  • Das lasse ich mir doch nicht entgehen! Gerade als erste Testleserin und Chefmäklerin finde ich es ungeheuer spannend, ob meine Einwände damals richtig waren oder nicht ...

  • So jetzt bin ich auch so weit :wave


    Zitat

    Original von harimau


    Da hätte ich doch gleich mal eine Frage an euch alle: Wie habt ihr die Einführung in die (zumindest den Meisten) fremde Welt Nepals und seiner Kultur empfunden? Hättet ihr euch eine ausführlichere Beschreibung gewünscht, oder war es so schon eher zuviel? Ist die Gratwanderung zwischen "Lokalkolorit" und langatmiger Belehrung gelungen?


    Nachdem wir drei Monate dort waren, verfüge ich natürlich noch über ein beträchtliches Reservoir an Eindrücken und Erlebnissen, die in das Buch hätten einfließen können, andererseits wollte ich Nepal nicht "zu Tode beschreiben", zumal nur dieser kurze Abschnitt des Buchs dort spielt.


    Ich hatte am Anfang ein bisschen Mühe ins Buch zu kommen, was aber glaube ich daran lag, dass ich noch in meinem letzten Buch gesteckt bin. Trotzdem hab ich das Gefühl, dass es eine gute Mischung war. Belehrt hab ich mich nie gefühlt. Insgesamt geht`s mir wie Savanna:


    Zitat

    Original von savanna


    Gut finde ich, dass Du keiner 'Beweihräucherung' der Region nachgehst, wie man es leider oft bei Romanen mit vornehmlich indischem Kontext findet. Da ist alles Sari-bunt, reich an würzigen Gerüchen und voller buddhistischer Spiritualität. Daher entsprechen die Reste der überfahrenen Ratte und die daneben hockenden Marktfrauen sicher deutlich besser dem Bild, welches Du vermitteln willst und welchem schlichtweg der Realität entspricht. Für mich genau richtig!


    Mir war Giulia nicht sooo unsympathisch. Okay, sie muss etwas wirklich Schlimmes mit sich rumgeschleppt haben und hat Paul belogen, aber er hat sich ja auch belügen lassen. Er hat es immerhin geschafft, einige Jahre mit ihr zusammen zu sein ohne das zu bemerken. Sein Kommentar: Was ist los? Geht dir das Geld aus? zeigt mir das recht deutlich. Ich bin gespannt, was wir da noch über Giulias Vergangenheit erfahren werden und in welchem Zusammen hang es für Paul wichtig ist.


    Die Szene in der Paul Giulia gemalt hat fand ich sehr eindrücklich. Wie Malen für ihn eine Art war, seine Trauer auszudrücken, ich konnte mir das Bild, das dabei entstanden ist richtig gut vorstellen.


    Zitat

    Original von Bouquineur


    Für Paul ist das ein sehr einschneidendes und prägendes Erlebnis. Giulias Verbrennung hat er so bewusst auf sich einwirken lassen, dass es schon wie Selbstgeißelung gewirkt hat und ich hab mich gefragt warum. Meiner Meinung nach gibt er sich die volle Schuld an ihrem Tod und damit er seine Schuld nie vergisst, schaut er zu, wie sie vor seinen Augen zu Asche zerfällt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich das auf künftige mögliche Beziehungen auswirkt. Vermutlich benutzt er dann dieses Bild, um niemanden zu eng an sich ranzulassen.


    Genau den Eindruck hatte ich auch.


    Danke Harmiau für die Links, schön dass ihr beide die Leserunde so engagiert begleitet :wave

  • So, endlich zu Hause.


    Ich hab ja schon am Montag angefangen, werde aber versuchen, mich in den jeweiligen Themen nur auf die genannten Abschnitte zu beziehen.
    Sollte ich irgendwo zu viel verraten, sagt´s mir bitte :-)


    Zum Cover wurde ja nun wirklich schon alles gesagt, ich schließe mich da uneingeschränkt an. obwohl ich beim Lesen nix davon habe - das Buch muss in die Handtasche, der Schutzumschlag muss runter :grin


    Zum Foto von harimau noch was, ich glaub es hat noch keiner gesagt: sehr sympathisch! :knuddel1


    Die Beschreibung von Umgebung, Landschaft und Kultur im ersten Teil des Buches fand ich auch völlig ausreichend.
    Wäre sie ausführlicher gewesen, hätte es mich entweder genervt, oder ich hätte es nicht mitbekommen.
    Ich wollte doch nur wissen, was Giulia zu sagen hat!


    Ob sie nun sympathisch war oder nicht, darüber hab ich mir nicht viele Gedanken gemacht. Ich dachte mir des öfteren: "Meine Güte, jetzt halt den armen Paul nicht so hin und rück schon raus mit der Sprache!"
    Und bei Paul hab ich mir hin & wieder gedacht: "Booooah, Du merkst doch, dass sie was hat, jetzt lass Dich doch nicht so hinhalten!"
    Man könnte es "meine Ungeduld" nennen :chen


    Was mich etwas wundert:
    Einige Leser hier haben erwähnt, dass sie es für Selbstzerfleischung halten, wie Paul ganz alleine bis zum Schluss neben Giulias Scheiterhaufen steht.
    Dieser Gedanke ist mir beim Lesen gar nicht gekommen :wow
    Ich dachte eher, er entspricht damit einfach Giulias Wunsch, verbrannt zu werden. Sie sagte ja, für sie sei es "eine Reinigung, die einen von allen Sünden und Lügen befreit".
    Und ich denke, Paul hat in dem Moment einfach gehofft, etwas davon zu spüren, während er zuschaut, wie Giulia sich in den Flammen auflöst. Er war auf der Suche nach Erleichterung, nach einem tröstenden Gedanken, nach dem Frieden, den sie damit verbunden hat, um vielleicht selbst ein kleines Bisschen Erleichterung zu spüren.


    Obwohl dieser erste Teil des Buches nur wenige Seiten umfasst, fand ich mich sehr schnell in die Geschichte ein und war tief betroffen von Giulias Tod.
    Ich habe selten beim Lesen einen Kloß im Hals, aber mit Paul habe ich sehr mitgefühlt :-(

  • So nun möchte ich doch wenigstens zum ersten Teil auch noch etwas schreiben.


    Ich muss sagen, dass ich mich das Buch von der ersten Seite an gefesselt hat. Sprachlich finde ich es richtig schön - es fließt so dahin und man ist gleich mitten in der Handlung und kann sich alles bildlich vorstellen. Das asiatische Flair kam bei mir zumindest vollkommen an. Ich hatte absolut keine Probleme mich da einzufinden, obwohl ich noch nie in Asien war und auch nicht wirklich viel über Nepal. Mir persönlich ist es so lieber - zu ausführliche Beschreibungen führen schnell zu langatmigen Passagen. Irgendwie hast du es geschafft, dass man sich das Ganze sehr real vorstellen kann.


    Giulia fand ich übrigens sofort sympathisch und dann das :cry Der Treppensturz :cry Ich mochte sie nach den wenigen Seiten wirklich sehr!
    Das kam recht überraschend und ich war total geschockt. Bei der Verbrennungsszene hätte ich schon fast ein paar Tränchen verdrücken müssen. So schnell passiert das sonst nicht...
    Ich finde, dass es sehr eindringlich geschrieben ist und deshalb fühlte ich mich persönlich gleich angesprochen und berührt.


    Ich frage mich nur, ob jetzt noch rauskommt, was Giulia Paul eigentlich sagen wollte. Wobei ich mir eigentlich sicher bin, dass er es noch erfährt. Das möchte ich wirklich unbedingt wissen. Ein richtig spannender und interessanter Einstieg, muss ich sagen.
    Paul müsste doch jetzt eigentlich in Giulias Sachen auch den Brief haben, oder???
    Was mich auch geschockt hat, war die reaktion von Giulias Vater. Nun bin ich am Überlegen, ob das vielleicht etwas mit dem Brief bzw. dem, was Giulia Paul erzählen wollte, zu tun hat.


    Außerdem mag ich den ab und zu aufblitzenden Humor à la "monumentaler Kuhfladen" :lache


    Paul kann ich _noch_ nicht so gut einschätzen. Doch das kommt sicher bald.


    Richtig gut finde ich, dass es in recht regelmäßigen Abständen Absätze gibt, denn so kann ich das Buch auch unterwegs lesen und zur Not finde ich immer schnell wieder den Einstieg.

  • Zitat

    Original von Daniliesing


    Paul müsste doch jetzt eigentlich in Giulias Sachen auch den Brief haben, oder???


    Leider nicht! Giulia hat den Brief während ihres nächtlichen Spaziergangs mit Paul in einen Briefkasten geworfen (Seite 19)!



    _________________

  • Ich frage mich die ganze Zeit, warum Paul wohl nicht nach Italien zurück kann! :gruebel Mag vielleicht jemand eine winzige Andeutung machen, ob sich das noch aufklärt?


    Auch über die Szene, wo Paul den alten Nepali auf dem Weg zur Leichenhalle umarmt, beschäftigt mich:


    harimau


    Ich könnte mir nie vorstellen, in Deutschland einem wildfremden Menschen um den Hals zu fallen. Die Reaktion darauf wäre wohl totales Unverständnis. Ist die Situation, die du beschreibst, auch für nepalesische Verhältnisse ungewöhnlich, oder gehen die Menschen dort anders mit der Bewältigung von Trauer um? Werden in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen Einheimischen und Ausländern gemacht? Ich hatte nicht das Gefühl, jedenfalls nicht im negativen Sinne!



    ___________________


  • Ja, es wird später geklärt, warum Paul nicht nach Italien kann. :-)


    Pauls Umarmung muss einem Asiaten noch ungewöhnlicher erscheinen als einem Europäer. Der Alte wird mit Sicherheit sehr überrascht gewesen sein, aber altersweise genug, um Paul nicht zurückzustoßen, sondern Trost anzubieten. Für den kurz vor dem Kollaps stehenden Paul war es keine bewusste Entscheidung, sich an den Mann zu klammern, sondern der einzige sich bietende Halt in seiner Verlorenheit, den er intuitiv ergreift. In seiner Verfassung wird er sich keine Gedanken über Verstöße gegen Konventionen machen, denke ich.


  • Das ist echt schade - wenn ich müde bin und lese, dann bekomme ich immer nicht alles mit.
    Aber ab morgen geht es wieder mit dem Stress.
    Vielen Dank!
    Dann frage ich mich jetzt erst Recht, was dabei wohl herauskommt.


    edit: Ich habe vorhin dann nochmal ganz von vorn gelesen und nun einen besseren Überblick. Blöde Vorlesungen aber auch, rauben einem den Schlaf und dann kann man nicht vernünftig lesen :help

  • :-) Heute habe ich endlich ein paar Minuten Zeit gehabt, um mir das Buch zu nehmen und zu beginnen. Als ich dann eben lustig hier drauf los schreiben wollte, dachte ich, ich lese erst einmal diesen Thread durch, damit ich nicht alles zum drölften Male wiederhole und irgendwie steht da schon fast alles, was ich auch geschrieben hätte, da bleibt ja gar nicht so viel übrig:


    Also, das Cover wurde viel gelobt, ist mir persönlich allerdings ein klein wenig zu süß (die Farben sind schuld), aber das ist ja wirklich Geschmackssache... :keks


    Welches Geheimnis Giulia wohl hatte und was sie Paul auf ihrem letzten Spaziergang sagen wollte, interessiert mich brennend und ich bleibe dran, um es zu erfahren.
    Dass Paul seiner Giulia den Wunsch erfüllt, verbrannt zu werden, diese Aufgabe sogar selbst übernimmt, zeigt, dass er sie sehr geliebt haben muss. Wie BJ schon sagte, ist der Geruch wirklich schlimm und der Anblick, wie ein Körper (noch dazu der Körper des Menschen, den man geliebt hat) von Flammen verzehrt und bewegt wird, traumatisch.


    Ich habe einmal in einer Doku über Indien gesehen, wie die ganze Familie dabei stand, und fröhlich feierte, weil die Mutter, die dort gerade verbrannte, nun in eine andere Stufe des Seins übergehen würde - Ich denke, dass zu verstehen, fällt uns Europäern schwer - dazu fehlen uns Erziehung und Religion... :gruebel

  • Hier nun meine Meinung zum ersten Abschnitt:


    Das Cover (bevor ich es vergesse!) hat mir übrigens gut gefallen, sowohl von der Farbgebung als auch vom Motiv.


    Ich hatte zu Beginn, ich gebe es zu, so meine Probleme mit der Geschichte. Paul wird ein wenig wie ein Schluffi dargestellt, ein nicht sehr durchsetzungsstarker Künstlertyp.


    Aber dennoch war ich gespannt: warum sind die beiden aus Italien weg, warum kann Paul nicht zurück (dass es dazu später irgendwann eine Auflösung geben wird, war mir beinahe klar! *ggg*)? Ein raffinierter Kniff, Giulia den Brief einwerfen zu lassen und uns Leser allesamt am Haken baumeln zu lassen, was denn nun in diesem Brief stand. :schlaeger


    Es muß etwas Bedeutendes gewesen sein, schließlich schien Giulia wieder zurückzuwollen.


    Der Unfall, der Giulias Leben kostet, konnte mich allerdings in seinem Verlauf nicht vollends überzeugen. Hier erschien mir der Ablauf ein wenig zu sehr konstruiert (mit der Absicht, Pauls spätere Schuldgefühle logisch zu erklären), um auf mich authentisch zu wirken.


    Richie schrieb über die Art der Verbrennung:
    Was ich interessant fand, er hat die "asiatische" Art der Verbrennung gewählt, aber dann nicht wie dort üblich die Asche im Fluß verstreut, sondern sie "europäisch" in eine Urne gefüllt…


    Dieser Punkt ist mir ebenfalls aufgefallen.


    Erschreckend kalt und herzlos fand ich die Reaktion von Giulias Vater auf die Nachricht vom Tod seiner Tochter. Aber ich bin mir sicher, wir werden den Grund für diese krasse Reaktion irgendwann im weiteren Verlauf des Buches noch erfahren...

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Paul wird ein wenig wie ein Schluffi dargestellt, ein nicht sehr durchsetzungsstarker Künstlertyp.


    Das trifft meiner Meinung nach ziemlich genau den Punkt. Ich empfinde ihn zu diesem Zeitpunkt als sympathischen, eher verträumten Menschen, der noch lange nicht mit beiden Beinen im Leben steht und mehr von seinem Schicksal bestimmt wird als umgekehrt.

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Das war auch mein Eindruck nach den ersten Seiten.


    Ich finde es sehr interessant, wie unterschiedlich Giulia von euch wahrgenommen wird - von sehr sympathisch bis fast froh, dass sie sich das Genick gebrochen hat. Die von Herrn Palomar benannte Selbstbezogenheit ist auch für mich klar ersichtlich, zumindest situativ durch ihren Kampf um eine schwierige Entscheidung erklärbar, vielleicht aber auch ein Charakterzug? Ihre Arroganz würde ich eher als jugendliche Überheblichkeit oder sogar Selbstgerechtigkeit bezeichnen, aber nicht abstreiten. Da im Laufe des Buchs noch einiges über sie und ihre Vergangenheit zu erfahren sein wird, halte ich mich mit meiner persönlichen Einschätzung an dieser Stelle noch zurück.
    Als Autor war es mir im ersten Kapitel nicht wichtig, Giulia den LeserInnen als sympathisch oder unsympathisch zu suggerieren, solange Pauls Liebe für sie und seine nach dem tragischen Tod beginnende Idealisierung ihrer Person verständlich werden.
    Ich bin gespannt, wie sich die Beurteilung Giulias im Laufe der Geschichte verändern wird, egal ob positiv oder negativ. :gruebel

  • Ich habe mir hier auch noch mal Giulia und meine Haltung zu ihr durch den Kopf gehen lassen, nachdem ich die Postings zu diesem Abschnitt noch einmal eingehender gelesen habe.


    Bisher hatte ich mir darüber keine allzugroßen Gedanken gemacht: Giulia hat in persona nur einen kurzen Auftritt, sie stirbt bei einem unglücklichen Vorfall, für den Paul sich sei Leben lang Vorwürfe macht und (vielleicht nicht zuletzt wegen der tragischen Umstände) glorifiziert sie anschließend so sehr, daß eigentlich keine andere Frau den Hauch einer Chance "gegen" die Über-Giulia hat.


    Eine sehr kritikfreie Liebe zu einer Toten, die Paul sein Leben lang lebt, möchte man sagen. Und doch auch bequem, denn man muß sich nicht mit echten Menschen auseinandersetzen. Aber lebt/liebt man so wirklich? Na, wir werden ja hierauf sicher noch im Laufe der nächsten paar Hundert Seiten eine Antwort bekommen. :-]


    Ich teile hier aber bezüglich Giulia Janes und Herrn Palomars Ansichten weitestgehend: Giulia erscheint geheimniskrämerisch (warum will sie sich ihrem Partner nicht anvertrauen?) und sehr ichbezogen. Das Bild, das auf wenigen Seiten gezeichnet wird, erscheint mir nicht besonders sympathisch und hat mich zu der Frage geführt: WARUM trauert er so um diese Frau? Aber gut, wenn man das Bild so sehen will: Er lebte ja bereits eine Weile mit ihr zusammen und weiß um ihre Vorzüge - wir lernten sie nur auf ein paar Seiten kennen. ;-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich habe bisher noch nicht viele Liebesromane gelesen und auch noch nicht viele Bücher, die in Asien spielen. Also für mich ist das hier ein totaler Genreexkurs. :grin


    Ein Lesebändchen hätte ich auch klasse gefunden, es hätte irgendwie zu der Gestaltung des Buches sehr gut gepasst.


    Der Stil gefällt mir sehr gut, es liest sich recht schnell und trotz der vielen asiatischen Namen habe ich kein Problem diese Personen zu unterscheiden.


    Ich bin mal gespannt, ob sich in dem Buch noch aufklären wird, was Giulia Paul kurz vor dem Unfall sagen wollte. Die Szene mit der Einäscherung fand ich auch extrem ergreifend, ist das so wirklich in Asien üblich? :gruebel


    Ich freue mich schon auf das restliche Buch! Und werde gleich mal weiter lesen... :lesend

  • Zitat

    Original von Mrs Bean
    Ich könnte mir nie vorstellen, in Deutschland einem wildfremden Menschen um den Hals zu fallen. Die Reaktion darauf wäre wohl totales Unverständnis. Ist die Situation, die du beschreibst, auch für nepalesische Verhältnisse ungewöhnlich, oder gehen die Menschen dort anders mit der Bewältigung von Trauer um? Werden in dieser Hinsicht Unterschiede zwischen Einheimischen und Ausländern gemacht? Ich hatte nicht das Gefühl, jedenfalls nicht im negativen Sinne!


    So, jetzt habe ich mich unter dem Berg von Putzlumpen hervorgearbeitet, die Wohnung blinkt und blitzt (mal sehen, wie lange :lache), und habe endlich wieder Zeit, hier ein wenig herumzustöbern ...


    Zu Mrs. Beans Frage ist mir noch etwas eingefallen: Körperlicher Kontakt, also sich an den Händen zu halten, sich zu umarmen oder einfach nur mal die Hand auf den Arm seines Gesprächspartners zu legen, ist im gesamten asiatischen Raum bei gleichem Geschlecht sehr ausgeprägt. Mir ist es immer wieder passiert, dass wildfremde Frauen mich in den Arm nahmen, nachdem wir nur ein paar Worte gewechselt hatten, und eine uighurische Händlerin hat mir mal ganz ungeniert an die Brust gefasst, um zu fragen, ob ich denn Kinder hätte (außer Zeichensprache hatten wir keine gemeinsame Sprache). Dies wurde von den umstehenden Marktfrauen mit viel wohlwollendem Gelächter quittiert (und meine verneinende Antwort mit ungläubigem Kopfschütteln).
    Trauer wird, neben der ritualisierten Trauer, eher hinter verschlossenen Türen ausgelebt. Weinen in der Öffentlichkeit wirkt auf Asiaten befremdlich. Trotzdem würde ein Asiat auch einem Fremden, egal ob gleichen oder anderen Geschlechts, sein Mitgefühl nicht verwehren, wenn es denn "eingefordert" wird. Insofern halte ich die Reaktion des alten Mannes durchaus für plausibel.

  • Zitat

    Original von Eskalina
    Ich habe einmal in einer Doku über Indien gesehen, wie die ganze Familie dabei stand, und fröhlich feierte, weil die Mutter, die dort gerade verbrannte, nun in eine andere Stufe des Seins übergehen würde - Ich denke, dass zu verstehen, fällt uns Europäern schwer - dazu fehlen uns Erziehung und Religion... :gruebel


    Gulia erwähnt im Buch die Stadt Varanasi (alter Name: Benares), die heiligste der heiligen Städte am Ganges. harimau und ich verbrachten dort etwas über eine Woche und sind in dieser Zeit mit dem Tod in vielen Facetten konfrontiert worden. Es zieht viele Kranke und Sieche in diese Stadt, denn wenn man es schafft, dort verbrannt zu werden, ist der ewige Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt durchbrochen und man geht direkt ins Nirwana ein – das Ziel aller Hindus. Das heißt nicht, dass sie dem Leben als solches negativ gegenüberstehen würden, doch das Nirwana ist das ultimative Ziel.
    Dem Tod, oder besser, dem Zustand nach dem Tod haftet also überhaupt nichts schreckliches an (trotzdem klammern sich natürlich auch Hindus mit Zähnen und Klauen ans Leben!). Es liegt eine seltsame Grundstimmung über dieser Stadt, für die Gulia sehr empfänglich war. Ich muss gestehen, dass auch ich nicht sonderlich schockiert über die allüberall brennenden Scheiterhaufen war. Sie haben mich eher einen neuen Blickwinkel auf den Tod gelehrt, den ich nicht missen möchte.

  • Zitat

    Original von Batcat
    Bisher hatte ich mir darüber keine allzugroßen Gedanken gemacht: Giulia hat in persona nur einen kurzen Auftritt, sie stirbt bei einem unglücklichen Vorfall, für den Paul sich sei Leben lang Vorwürfe macht und (vielleicht nicht zuletzt wegen der tragischen Umstände) glorifiziert sie anschließend so sehr, daß eigentlich keine andere Frau den Hauch einer Chance "gegen" die Über-Giulia hat.


    Eine sehr kritikfreie Liebe zu einer Toten, die Paul sein Leben lang lebt, möchte man sagen. Und doch auch bequem, denn man muß sich nicht mit echten Menschen auseinandersetzen. Aber lebt/liebt man so wirklich?


    Liebe Batcat, ich finde den Begriff "Über-Gulia" sehr treffend. Es liegt in der Natur der Menschen, die geliebten Toten in bester Erinnerung zu behalten – schlechte Erinnerungen, auch die ans Sterben, verblassen gnädigerweise irgendwann, bei manchem früher, bei manchem später. Und das ist auch gut so, denn sonst wird das Leben zur Qual. Paul wiederum lässt auf eine fast krankhafte Art nicht zu, die schlimme Erinnerung an Gulias Tod (und an seine Schuld) dem Vergessen anheimfallen zu lassen, andererseits überhöht er die Zeit, die er mit Gulia hatte, stellt sie auf einen Sockel. Das ist schmerzhaft, aber er mag diesen Schmerz auf masochistische Weise. Und ja, bequem ist es auch: Diese eine Verantwortung, die er übernimmt, erlaubt es ihm, keine andere zu übernehmen.