Company of Liars - Karen Maitland [Dt: Der Fluch der Gaukler - ab 05/09]

  • Gebundene Ausgabe: 528 Seiten
    Verlag: Scherz Verlag (Mai 2009)
    Sprache: Deutsch
    Originaltitel: Company of Liars



    Kurzbeschreibung
    England, 1348: Auf einem Jahrmarkt hört der Verkäufer Camelot vom Ausbruch der Pest im nicht weit entfernten London. Kurzer Hand entschließt er sich zur Reise nach Norden. Bereits nach einer kurzen Wegstrecke trifft er auf einen Mann, den er auf dem Jahrmarkt kennen gelernt hat und mit dem er dort aneinander geraten ist. Um diesen in seine Schuld zu bringen, hilft Camelot dem mit seinem Wagen in Not geratenen Zophiel. Danach ziehen die beiden gemeinsam mit dem Liebespaar Adela und Osmond weiter. Camelot spürt, dass sie alle, wie auch er, ein Geheimnis in sich tragen, welches preiszugeben, sie nicht bereit sind. Die Reise treibt sie weiter in Richtung Norden, um möglichst weit von der im Süden entstandenen Seuchengefahr entfernt zu sein. Immer neue Wanderer schließen sich Camelot durch verschiedene Umstände an, so dass sie schließlich zu acht auf der Flucht sind. Werden sie die Pest überleben? Und kann der Ausbruch des Winters die tödliche Krankheit wirklich bezwingen?



    Zur Autorin
    Karen Maitland studierte Sprachgeschichte und promovierte in Psycholinguistik. Sie ist Autorin zahlreicher Fachbücher. Ihr Arbeitsgebiet interkulturelle Kommunikation führte sie von Nigeria bis nach Israel und Nordirland. Mit einer unabhängigen Schauspieltruppe reiste sie durch entlegene Orte Englands und entwickelte dabei die Idee für ihren Roman über mittelalterliche Gaukler. Sie lebt in Lincoln.
    Quelle: http://www.fischerverlage.de/autor/Karen_Maitland/19169



    Meine Meinung
    Jede der Figuren trägt ein gut gehütetes Geheimnis über die eigene Vergangenheit mit sich. Dadurch entstehen mehrere spannende Stellen in der Erzählung: einerseits die voranschreitende, drohende Pest, andererseits diese Figuren, von denen ein jeder vorgibt etwas nicht der Wirklichkeit Entsprechendes zu sein. Der Originaltitel der englischen Ausgabe ‚Company of Liars’ (Gesellschaft der Lügner) trifft den Nagel auf den Kopf. Sie spinnen ein Netz der Lügen, das ihnen letztlich zum Verhängnis wird. Schon kurz nach der Einleitung kann man dieses Buch kaum mehr aus den Händen legen. Die wesentliche Handlung besteht aus dem Weiterziehen der Gruppe in Richtung Norden. Das mag auf den ersten Blick für über 500 Seiten dürftig und langwierig klingen. »Der Fluch der Gaukler« wird jedoch niemals langweilig. Nicht nur Hunger, der nahende Winter und die Pest sind Probleme, mit denen sich die Hauptpersonen auseinandersetzen müssen. Sie merken schnell, dass sie von etwas verfolgt werden, hören in der Nacht immer wieder das Heulen eines Wolfes.


    Als Leser ist man hin und her gerissen zwischen den Geschichten, die die einzelnen Teilnehmer der Reise über sich und ihre Vergangenheit preisgeben. Beschrieben werden diese aus der Sicht Camelots [dabei ist Camelot nur eine Bezeichnung für mittelalterliche Händler, diese Hauptfigur erhält aber keinen weiteren Namen], der selbst wenig über sich erzählt. Am Einfachsten zu erraten ist wohl noch die Geschichte von Osmond und Adela, dem Paar, das sich trotz der Schwangerschaft Adelas auf den Straßen befindet. Die übrigen Geheimnisse haben mich zum größten Teil überrascht, waren aber im Rückblick an bestimmten Punkten innerhalb der Erzählung belegbar, so dass am Ende keine der Wahrheiten an den Haaren herbeigezogen wirkt.


    Karen Maitlands Schreibstil glänzt mit kleinen Details und einer angenehmen Erzählweise. Die Sprache ist mit alten Satzbauelementen und Wörtern angereichter, was maßgeblich zur aufkommenden Atmosphäre des Textes beiträgt. Man merkt nach wenigen Sätzen, dass die Geschichte nicht in der Gegenwart spielt. Anhand einer Karte kann man den Weg der Gaukler verfolgen und ein Glossar erweist sich als hilfreich bei heute nicht mehr verwendeten Bezeichnungen und nötigen Hintergrundinformationen aus der Geschichte. Kurze Anmerkungen der Autorin zur historischen Belegbarkeit des Romans runden das Gesamtbild ab.


    Figuren gibt es in »Der Fluch der Gaukler« einige. Die wichtigsten reisen gemeinsam gen Norden und trotz der Vielzahl werden sie mit einer Ausnahme zu lebendigen Personen hinter dem inneren Auge. Osmond und Adela, das verliebte Paar auf der Flucht. Narigorm, ein Mädchen mit schlohweißen Haaren, das in Runen die Zukunft lesen kann. Mit ihr Pleasance, eine Hebamme, die damit beauftragt wurde, auf Narigorm zu achten. Zophiel, der zwielichtige Händler, der mit einer toten Meerjungfrau auf den Märkten für Aufsehen sorgt. Rodrigo und Jofre, zwei Italiener in England, die sich als Musiker durchschlagen. Und schließlich Camelot, der seinen Verdienst mit gefälschten Reliquien bestreitet.
    Einzig Pleasance bleibt in dieser Riege blass und flach. Die übrigen Charaktere sind bis ins Detail ausgearbeitet und wissen sowohl ihre Mitmenschen als auch den Leser zu täuschen.


    Einzig negativ ins Auge fallen die Wechsel zwischen den Kapiteln. Hier liegen oft große zeitliche Einschnitte vor, die weniger interessanten Geschehnisse werden jedoch nicht in kurzen Sätzen umrissen, sondern oft schlichtweg ausgelassen. Als Leser muss man sich deshalb mit jedem beginnenden Kapitel neu auf die Suche begeben und sich die fehlenden Zwischeninformationen zusammenreimen. Das zeigt sich für die Geschichte nicht immer förderlich und stört den Lesefluss.



    Fazit
    Ein faszinierendes Buch, fesselnd und detailreich erzählt. Der Leser wird eingesponnen in ein Lügennetz, das zu durchschauen keinesfalls einfach ist. Ein Spiel zwischen Lüge und Wahrheit, den letzten Endes sind die Reisenden nur eines: Lügner.



    Bewertung
    9/10 Punkten

  • Ich habe diese englische Taschenbuchausgabe gelesen, die mir zu allererst durch ein sehr interessantes Design ins Auge gefallen ist. Sonst hätte ich mich wohl kaum für das Buch interessiert, da bisher historische Romane wirklich nicht Teil meines Interessengebietes waren. Der Text als solcher ist anspruchsvoll, durch das Glossar aber auf jeden Fall zu bewältigen. Für Neulinge mit englischen Texten würde ich ihn dennoch nicht empfehlen, da – wie schon in der Rezi erwähnt – immer wieder auf alte Satzstrukturen zurückgegriffen wird. Die Gestaltung des Buches gefällt mir noch immer sehr und passt sogar zum Text!

  • Das Buch lese ich auch gerade. Da ich länger kaum ein englischsprachiges Buch angerührt habe, ist es wenig verwunderlich, dass ich eher schleppend vorankomme. Dabei finde ich es nicht mal schwer zu lesen, sondern ich genieße eher jedes Wort und jeden Satz.


    Eigentllich wollte ich Deine Rezi erst nicht lesen, bevor ich die Lektüre selbst beendet habe. Nun bin ich froh, dass ich es getan habe, denn das spornt mich an.


    Übrigens ging es mir mit diesem Buch ähnlich wie Dir. Ich hatte auch länger keinen richtigen historischen Roman gelesen und musste dann diesen unbedingt haben. Meine Buchhändlerin wartet auf eine Einschätzung von mir. Sie kommt selbst nicht dazu, es zeitnah zu lesen, meint aber, dass es sich mal wieder um einen wirklich lohnenden historischen Roman handeln könnte. Weitab von all den starken Frauen und den Liebe-Triebe-Geschichten. Und bis jetzt ist das ganz mein Eindruck.

  • Pelican : Oh ja, schubs' es auf einem eventuellen SUB nach oben. Ich kann mir schwer vorstellen, dass du es bereuen wirst.




    Zitat

    Original von Fandorina
    Das Buch lese ich auch gerade.


    Bei dir in der Buchvorstellung hatte ich es zuerst entdeckt, dann im Laden. Danach begann die Recherche nach dem Titel :lache.



    Zitat

    Original von Fandorina
    Eigentllich wollte ich Deine Rezi erst nicht lesen, bevor ich die Lektüre selbst beendet habe. Nun bin ich froh, dass ich es getan habe, denn das spornt mich an.


    Es ist gar nicht so einfach eine spoilerfreie Rezi zu diesem Buch zu schreiben. Es lebt von den Geheimnissen und davon möchte ich für interessierte Leser natürlich nichts preisgeben. Da muss schon jeder selbst auf die Suche im Buch gehen!


    Zitat

    Original von Fandorina
    Weitab von all den starken Frauen und den Liebe-Triebe-Geschichten. Und bis jetzt ist das ganz mein Eindruck.


    Ein ganz wichtiger Grund, warum ich mir diesen Roman gekauft habe! Es geht nicht um die starke Frau von damals, die sich in der Männerdomäne ja so toll durchbeißt. Im Mittelpunkt steht wirklich die Gruppe und das Lügengeflecht, in das sie sich verstricken. Frauen sind da natürlich durch Adela und Pleasance auch vertreten und sie bringen interessante Geschichten mit sich, aber im Mittelpunkt stehen sie nicht.

  • Zitat

    Original von Steena


    Bei dir in der Buchvorstellung hatte ich es zuerst entdeckt, dann im Laden. Danach begann die Recherche nach dem Titel :lache.


    Lang ist's her... Ich musste ja dummerweise auch noch 2 Bücher dazwischenschieben. Aber jetzt bleibe ich dran!

  • Das klingt ja interessant. Danke, Steena.


    Aber vielleicht sollte ich mal abwarten, bis es jemand auf Deutsch gelesen hat, denn die Sprache scheint ja auch ein wichtiger Punkt zu sein :gruebel.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Inzwischen bin ich schon um einiges weiter und so langsam bekomme ich eine Ahnung von den Wahrheiten hinter den Lügen.


    Auf jeden Fall werde ich meine Nase auch mal in die deutsche Ausgabe stecken, weil mich die Umsetzung interessiert.

  • Zitat

    Original von €nigma
    Ich lese "Company of liars" gerade und bin absolut begeistert. Diese Autorin ist eine echte Neuentdeckung für mich, ihr nächstes Buch ("Owl killers") werde ich mir auch anschaffen.


    Dann musst du unbedingt berichten! Ich habe es auch begeistert auf meine Wunschliste gesetzt und warte nun nur noch auf den richtigen Moment, um es auch wirklich zu kaufen :grin.

  • Bin immer noch nicht weitergekommen. Was aber keineswegs am Buch liegt.


    €nigma : Freut mich besonders, dass es Dir gut gefällt! :wave

  • Zitat

    Original von Steena


    Dann musst du unbedingt berichten! Ich habe es auch begeistert auf meine Wunschliste gesetzt und warte nun nur noch auf den richtigen Moment, um es auch wirklich zu kaufen :grin.


    Ich habe in letzter Zeit wieder einen Haufen Bücher (für viel Geld :wow ) bestellt, deshalb möchte ich noch warten, bis die "Owl killers" als normales TB erscheinen.
    Sollte ich die Erste sein, die es in diesem Forum liest, stelle ich es selbstverständlich vor.


    @ Fandorina
    Wenn Du noch nicht weitergekommen bist, muss es wirklich an Dir (oder am Englischen?) liegen. Ich kann dieses Buch kaum aus der Hand legen und bin immer aggressiv, wenn ich die Lektüre unterbrechen muss. Spätestens am Wochenende bin ich aber damit fertig... ;-)

  • Zitat

    Original von €nigma
    @ Fandorina
    Wenn Du noch nicht weitergekommen bist, muss es wirklich an Dir (oder am Englischen?) liegen. Ich kann dieses Buch kaum aus der Hand legen und bin immer aggressiv, wenn ich die Lektüre unterbrechen muss. Spätestens am Wochenende bin ich aber damit fertig... ;-)


    Es liegt eindeutig an mir und der Menge an Ablenkung um mich herum. Ich kann mich aktuell generell schwer auf Bücher konzentrieren und möchte "Company of Liars" lieber dann weiterlesen, wenn ich es richtig genießen kann.

  • Ich bin jetzt mit diesem Roman fertig:


    Meine Meinung


    1348 hört der reisende Händler Camelot ("camelot" ist kein Eigenname, sondern war eine im Mittelalter gebräuchliche Bezeichnung für solche Händler) auf einem Jahrmarkt vom Ausbruch der Pest im südlichen England. Er beschließt, in den Norden zu fliehen, um der Seuche zu entgehen. In den folgenden Tagen schließen sich ihm verschiedene Leute an, da es sicherer ist, gemeinsam zu reisen: Zophiel, ein griesgrämiger Schausteller, der mit Zaubertricks auf Jahrmärkten das Publikum unterhält und hereinlegt, Rodrigo, ein Musiker mit seinem Schüler Jofre, Cygnus, der als storyteller seinen Lebensunterhalt verdient, Osmond und seine schwangere Frau Adela sowie schließlich die Hebamme Pleasance und das Mädchen Narigorm, das sich als Runenleserin betätigt. Der Leser erlebt die Odyssee dieser neun Menschen durch die südliche Hälfte Englands. Immer wieder müssen die Reisenden in verlassenen Hütten, Felshöhlen oder sogar unter freiem Himmel nächtigen, da der Gestank von brennendem Schwefel bei der Annäherung an die Dörfer bereits vom Wüten der Pest zeugt. Die Reisegruppe ist jedoch nicht nur durch die Pest bedroht, auch unter den Reisenden kommen zunehmend Spannungen auf. Es wird immer offensichtlicher, dass jeder etwas zu verbergen hat... Nachts hören sie immer wieder das schreckliche Heulen eines Wolfes, der ihnen zu folgen scheint. Schließlich kommt es zu Todesfällen, durch die die Gruppe dezimiert wird. Da in den Nächten wegen des unheimlichen Wolfsgeheuls oft nicht an Schlaf zu denken ist, vertreiben die Reisenden sich die Zeit mit Erzählungen, die neben Übersinnlichem, bzw, Märchenhaftem einen wahren Kern enthalten, so dass die Reisegefährten versuchen, den Geheimnissen der Anderen auf die Spur zu kommen...
    Dieses Buch ist trotz des stattlichen Umfangs und der komplexen Handlung sehr zügig und kurzweilig zu lesen. Durch die alternierenden Bedrohungen von außen (Pest) und von innen (das "Böse" unter ihnen) sowie die eingebauten Erzählungen der verschiedenen Figuren, die an die Canterbury tales erinnern, ist dafür gesorgt, das Interesse des Lesers wachzuhalten. Zusätzlich erfährt man Wissenswertes über die damaligen Theorien über die Pest und die Versuche, sie auszurotten. Interessant ist auch die Einstellung der mittelalterlichen Menschen zu Glauben und Aberglauben (Reliquienhandel).
    Ein farbenprächtiges Gemälde des Lebens der einfachen Menschen in einer krisengebeutelten Epoche, in einer fesselnden Erzählweise dargeboten. Für Liebhaber anspruchsvoller historischer Romane unbedingt empfehlenswert!