Hallo, Claudia.
Die Publikation im Selbstverlag oder per BoD mit derjenigen in einem Publikumsverlag zu vergleichen, das kommt dem Vergleich von Badewannengesang mit einem großen Konzert sehr nahe. Damit beziehe ich mich nicht auf qualitative Aspekte! Es mag Leute geben, die in der Badewanne fantastisch singen, und andere treten vor zehntausend Menschen auf, ohne etwas Nennenswertes abzuliefern.
Ich will auf etwas anderes hinaus. Ein Text ist kein Buch, auch wenn er sehr lang ist, sogar lang genug, um ein Buch zu füllen. Badewannenträllerei ist tatsächlich eine Gesangsdarbietung, aber kein Konzert. Um ein Konzert zu veranstalten, sind sehr viel mehr Vorarbeiten nötig, ein enormer Aufwand abseits der eigentlichen Singerei, die zwar am Ende im Mittelpunkt des ganzen steht, aber "nur" das Ergebnis von viel Planung, Marketing und anderen Überlegungen ist. Zu diesen gehört auch: Was wird der Künstler singen? Während in der Badewanne die gute Laune regiert und der Sänger singt, worauf er gerade Bock hat, wird ein Konzertpublikum bestimmte Songs erwarten. Drei vom neuen Album, fünf vom vorangegangenen, und dann die Hits von früher, sowas. Dramaturgisch - bezogen auf den Ablauf - so aufbereitet, dass es funktioniert, dass keine Langeweile aufkommt, dass sich das Publikum auch mit noch Unbekanntem zufriedengibt, weil das Bekannte unmittelbar folgt. Träfe der Künstler all diese Entscheidungen alleine und ohne Berücksichtigung dieser Aspekte, würde er wahrscheinlich das neue Album runterträllern und dann von der Bühne marschieren. Seine eigenen älteren Hits mag er sowieso längst nicht mehr. Von der Organisation drumherum ganz zu schweigen.
Was ich mit diesem - naturgemäß leicht hinkenden - Vergleich sagen will: Wenn man nur tut - oder schreibt und veröffentlicht -, was einem am Herzen liegt, befriedigt man sich selbst, aber im schlimmsten Fall (der dann sehr wahrscheinlich ist) kein Publikum, weil das Publikum ganz andere Erwartungen hat als man selbst, eine ganz andere Sichtweise, ein völlig anderes Verhältnis zu dieser Kunst. Natürlich entsteht auf diese Art - fraglos - ein möglicherweise ganz wunderbares, auf jeden Fall sehr ... eigenwilliges Werk, aber es ist meistens so sehr belletristischer Roman (aus Sicht des Publikums!) wie Badewannengejaule ein Popkonzert. Und genau diese Brücke schlägt der Publikumsverlag mit seinen Leistungen, wozu auch und zuvorderst das gehört, was ein Lektor - in Zusammenarbeit mit dem Autor, selbstverständlich - tut, dessen Aufgabe darin besteht, die Kunst des Autors publikumsfähig zu machen, und zwar im Idealfall, ohne sie zu verschandeln. Von allem (siehe Konzertvergleich), was ein Verlag ansonsten noch so auffährt, um ein Buch zu produzieren und zu vermarkten, mal abgesehen. Die meisten Autoren sind betriebsblind. Das ist auch in Ordnung. Aber sie eigenen sich in fast allen Fällen so sehr als (Selbst-)Vermarkter wie Badewannensänger als Konzertveranstalter. Die immer wieder kolportierte "Freiheit" der Selbstverleger (ein Argument, das meines Erachtens ohnehin nur aus Gründen der Selbstbetrügerei benutzt wird) ist eine "Freiheit von".