Bisse und Küsse 5. Sexgeschichten - Corinna Waffender (Hg.in)

  • Um Sex geht es, um Lust, im Lesen und im Schreiben. Im Mit-Fühlen. Sexy Geschichten erwarten eine, verspricht die Herausgeberin.
    Ist es wirklich so? Ja, und zugleich nein. Ein ziemlich emphatisches ‚Nein’.
    Wer bei diesem Buch vor allem Nachttisch-Lektüre erwartet, prickelnde, süße Verlockung wird enttäuscht sein. Die Lust kommt nicht auf leichten Füßen herangetanzt in diesen sechzehn Geschichten, obwohl sie unstreitig Protagonistin ist. Sie ist jedoch eine unsichere Protagonistin, seltsam zögernd und verhalten noch im höchsten Höhepunkt, keine selbstbewußte Herrscherin mehr. Was hat sie unsicher gemacht? Ihre beste Freundin und schlimmste Feindin zugleich, die Liebe. Sie ist es, die sich in den Kosmos der Frauen geschlichen hat, von denen diese Geschichten erzählen, sie ist der heimliche Maßstab, das eigentliche Ziel der Sehnsucht. Gleich, wie hoch die Wogen der puren Lust schlagen in den Texten, unterliegen den Gefühlen Zweifel, flechten sich fein wie Spinnweben ins Denken und Fühlen. Wie nahe kann ich der anderen kommen, fragen sich die Heldinnen heimlich, und wie nahe kommt sie mir? Wie nahe bin ich mir? Die Antworten darauf klingen eher melancholisch.


    Es geht um unvermutete Begegnungen in diesen Geschichten. Die Begegnungen wirken allesamt verändernd, und das grundsätzlich, auf Einstellungen, Wahrnehmungen, das Lebenskonzept. Regina Nösslers Geschichte von Ruth und Katrin, dem langjährigen Ehepaar in Sollten. Könnten. Müssten muß sich der Frage stellen, was Lust noch wert ist in ihrer Beziehung, Lene muß endgültig entscheiden, welche Rolle Olga zukünftig für sie spielen soll (Stadtflucht von Ana Konda), Maria, die Skilehrerin, wirft Dorotheas Vorstellungen über den Haufen und verletzt sich dabei überdies noch selbst (Die Frau, die störte, Anais Morten), Anna ist für alle Zeiten an Rebecca gebunden, obwohl sie sie nicht erreichen kann (Der geschuldete Orgasmus, Ulrike Voss). Tiefe Zweifel daran, der anderen wirklich nahe zu kommen, finden sich in Corinnas Waffenders Reflexion ‚Weite zwischen Haut und Fleisch. Das fatale Verhältnis von Distanz und Nähe prägt den Sommernachtstraum, den Constanze Lux ihre Heldin durchleben läßt.


    Die wahrscheinlich grausamste Geschichte über die Distanz zwischen zwei Frauen, die sich nach Berührung sehnen, sich aber vehement voreinander abschließen, ist die mit dem sperrigen Titel Kairo oder die Brothaarige und das fischförmige Säugetier von Andrea Karimé. In diesem Text thront die Lust interessanterweise gleichberechtigt neben der Sehnsucht, die Fremdheit ist gleichermaßen Schutzschild und Offenbaren. Ähnlich ergeht es der Ich-Erzählerin mit Tara in Tanja Dückers’ gleichnamiger New-York-Erzählung. Pure Sehnsucht und schmerzliche Erkenntnis der Unerreichbarkeit sind Thema des kurzen Texts von Marie Anstatt Wiederkommen. Die Hoffnung im Titelwort ist unerfüllbar.


    In eine fremde Welt gestürzt wird Klara auf der Fahrt in Litt Leweirs Nachtzug nach München. Der 1. April verändert ihr Leben, für immer. Der Grund ist ein Täuschung. Getäuscht wird gleichfalls Silvy Pommerenkes Heldin in Ein Duft ist ein Duft ist ein Duft durch eben diesen, der sich in der Version von Bergamotte und Sandelholz während einer Fahrt im Aufzug ausbreitet. Er ist Anlaß zu einer ausgebreiteten erotischen Phantasie. die Wirklichkeit bringt dann für einen kurzen Augenblick ihre Überzeugungen ins Rutschen. Von dieser Täuschung geht aber noch keine Gefahr aus, tatsächlich ist diese Geschichte die humorvollste. Die Warnsignale blinken rosarot-freundlich.


    Erotik steht auch im Vordergrund der Erzählung‚ La Tanguera von Marion Steinfellner. Die Tanguera ist eine junge Frau in Buenos Aires, auf dem Weg zum Tangotanzen. Sie findet eine Partnerin, der Tango wird wunderbar, ein erotisches Spiel par excellence. Der Abschied enthält ein Versprechen für ein Morgen. Eine Geschichte der Lust, die Liebe jedoch lächelt schon wissend. Es geht schließlich um Tango, nur ein anderes Wort für den Schmerz am unausweichlichen Ende.
    Schmerz bildet im Mittelpunkt von Reena Dragodis Erzählung Das alte Trauerspiel. Hier werden die ‚Bisse’ im Titel der Anthologie wörtlich genommen und vorgeführt. Der Schmerz aber ist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch fühlbar. Am Ende stehen Sehnsucht und Zweifel. Der Schlußsatz bringt es gekonnt auf den zum scherzhaften Höhepunkt.
    Einen anderer Zugang zum gleichen Thema bietet die Geschichte von Inge Lütt, Sag mir, wie du es magst. Schmerzengeschichte? Liebesgeschichte? Es geht um die Überwindung der Distanz, die Bereitschaft, sich fallenzulassen, blind. Gegen jede Vernunft, trotz untergründiger Ängste und Scham. Letzteres übrigens ein Motiv, das auch in anderen Geschichten immer wieder einmal aufblitzt, und die Gier nach hemmungsloser Lust unversehens konterkariert.


    Schamlos gebärdet sich die Gartenbesitzerin in dem schrägen Text von Jule Blum und Elke Heinicke Blümchensex. Nicht nur der Sex, auch die ‚Blümchen’ werden hier hemmungslos zelebriert. Das blinde Vertrauen, das die Fremde, die unvermutet in den Kompost purzelte, der Gartenbesitzerin schenkt, lassen das Ganze aber eher zu einer höchst phantasievollen Komposition eines Traums werden. Nur so geschehen solche Wunder. Nur der Traum erlaubt eine solche schwerelose Hingabe.
    Vergleichbar überraschend und originell in der Motivik ist schließlich Annika Perssons Auto-Geschichte P 1800. Sportwagen und Motoren sind die Mittel, mit denen die Ich-Erzählerin auf Jagd geht, nur um sich bei einer Beute auf ewig zu verfangen. Hier blitzt trotz der gewagten Konstruktion die Realität auf. Auch die beste Jägerin kann sich im eigenen Netz verheddern.


    Die Texte sind kunstvoll ausgedacht, gebaut und geschrieben. Das Lesen bringt schon poetisch-ästhetisch Lust. Zuweilen sind ist die Konstruktion ein wenig zu gewagt, im Nachtzug (Litt Leweir) wie in den Bergen beim Skifahren (Anais Morten) gibt es Sprünge, die ein wenig zu gewaltsam geraten sind, Dückers Geschichte über Tara ist Teil eines längeren Texts und als Einzel-Erzählung nicht ganz ausgewogen. Die Aufzug-Geschichte ist eigentlich vorhersehbar und auch das Paar beim Tango ist nicht neu. Das stört den Genuß aber nicht, es fällt vor allem deswegen auf, weil sich einige nahezu perfekte Texte in nächster Nachbarschaft befinden.


    Dazu gehören z.B. Waffenders siegreiches Ringen um Worte in der Beschreibung von Distanz und Nähe, die Egozentrik, die im Kairoer Fünfsterne-Hotel bei Andrea Karimé scharf heraufschimmert oder die Geschichte von Inge Lütt, die eine echte Studie darüber ist, wie genau der Verlauf von Maschen und Mustern beobachtet werden muß und wie sorgfältig die Fäden verwahrt. Eben die Sorgfalt in der Motivik rettet letztlich auch La Tanguera und die Frau im Aufzug. Man kann beim Lesen bereits sehr hohe Ansprüche stellen.


    Eine eher ungewöhnliche Zusammenstellung erotischer Geschichten. Die Heldinnen sind nicht müde, das gewiß nicht, aber ein wenig skeptischer. Es geht nicht mehr um die flüchtige Begegnung, der Blick hält nach dem Verläßlicheren Ausschau. Doch auch das entzieht sich. Mehr Biß als Kuß und zwar eher vom Leben, als von der Leidenschaft.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus