Schiffsmeldungen - Annie Proulx

  • Kurzbeschreibung (von Amazon)
    Eine unvergessliche, tragikomische Geschichte, erzählt von der mehrfach preisgekrönten Autorin Annie Proulx, in deren herb-poetischer Sprache jene fremde Gegend zum Sehnsuchtsland wird.
    "Schiffsmeldungen" fürs Lokalblatt soll Quoyle jetzt schreiben. Quoyle, der ewige Versager und Pechvogel, den es aus dem Staat New York auf die Felseninsel Neufundland im Osten Kanadas verschlagen hat. Quoyle, der immer schon panische Angst vor dem Wasser hatte. Und doch findet er hier in dieser kargen Landschaft, wo seine Vorfahren siedelten, so etwas wie Glück und für sich und seine beiden Töchter so etwas wie ein Zuhause ...
    Der Roman, der Annie Proulx berühmt machte!


    OT: "The Shipping News"


    Angaben über den Autor
    Annie Proulx wurde 1935 in Connecticut geboren und arbeitete u.a. als Journalistin, bis sie 1988 ihr erstes Buch veröffentlichte, den Erzählband Herzenslieder. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, u.a. dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzerpreis, dem National Book Award sowie dem Irish Times International Fiction Prize. Ihr zweiter Roman Schiffsmeldungen war ein internationaler Erfolg und wurde mit Julianne Moore und Kevin Spacey verfilmt.


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    Meine Rezension
    Quoyle hatte keine schöne Kindheit, denn er war unfähig. Unfähig schwimmen zu lernen, deutlich zu sprechen, sich durchzusetzen, Ehrgeiz und Talent zu entwickeln und vor allem unfähig, normal auszusehen: ein massiger, unförmiger Körper, bleiche Haut, rötliches Haar, alles an ihm war weich. Und so ist er immer noch, als die eigentliche Geschichte anfängt. Er ist Mitte Dreißig, schlägt sich mit irgendwelchen Jobs durchs Leben und lässt sich treiben, überzeugt davon, dass er es niemals zu irgendwas bringen würde. Schließlich landet er durch die Vermittlung seines einzigen Freundes als Reporter bei einer drittklassigen Zeitung und eines Tages, o Wunder, lernt er eine hübsche Frau kennen, die ihn sogar heiratet, weil er – rein körperlich gesehen – mit männlichen Attributen sehr gut ausgestattet ist. Aus der „Beziehung“, die keine ist, denn Petal verachtet und hasst ihn nach kurzer Zeit, entstehen zwei Töchter. Quoyle muss sich allein um sie kümmern. Seine Frau betrügt ihn ständig, er erträgt es und ist tieftraurig, als sie bei einem Autounfall ums Leben kommt.


    Zu dieser Zeit tritt seine Tante auf den Plan, denn Quoyles Eltern haben sich aus dem Leben gestohlen und der Nachlass ist zu regeln. Quoyles Familie stammt aus Neufundland – dorthin will die Tante um jeden Preis zurückkehren und überredet Quoyle, mit seinen Töchtern mitzukommen.


    So kommt Quoyle nach Neufundland, in eine äußerst unwirtliche, menschenfeindliche Gegend. Menschenfeindlich ist die Natur; sie verlangt den Bewohnern Neufundlands das Äußerste ab. Es ist kalt, nass und windig. Die See und die felsige Küste fordern ihre Opfer; es wird viel gestorben in Neufundland. Die Menschen sind zwar derb und hart im Nehmen, aber herzlich, hilfsbereit und ehrlich. Idealisiert werden sie nicht. Sie haben ihre Schwächen, es gibt Streitereien und Ehebruch, Inzest, Gewalt und verlassene Alte. Und eine Zeitung, die dies alles ausschlachtet. Hier arbeitet Quoyle als Reporter und setzt sich mit seinen Artikeln gegen das Altewährte durch. Er passt hierher auf die Felseninsel, obwohl er anfangs große Schwierigkeiten hat, obwohl er nicht schwimmen kann, obwohl er sich ein Boot andrehen lässt, das bei der ersten Bewährungsprobe sinkt und ihn um ein Haar ertrinken lässt. Quoyle und seine Töchter schließen Freundschaften und kommen im Leben an. Nur das alte grüne Haus seiner Ahnen bleibt fremd für Quoyle. Nachdem es eines Tages vom Sturm ins Meer gerissen wird, ist der Zeitpunkt für einen Neuanfang endgültig gekommen.


    Die spröde Sprache des Buches passt zur Landschaft Neufundlands und erzeugt in mir ein graublau-kühl-windiges Gefühl und atemberaubende Bilder. Zu keinem Zeitpunkt habe ich Quoyle wirklich ins Herz geschlossen – aber immerhin kann ich ihn mögen und muss ihn im Laufe der Geschichte nicht mehr bemitleiden.


    Wer Wind und Kälte spüren, das tobende Meer sehen und hören und das Salz schmecken will, sollte dieses Buch unbedingt lesen!

  • Waas, dieses tolle Buch war noch nicht rezensiert?!
    Dieses Buch ist aber auch wirklich schwer zu beschreiben, da sich die Sogwirkung erst ganz allmählich einstellt. Wie Ida schon gesagt hat ist der Hauptcharakter Qouyle kein mitreißender Charakter - ich dachte immer, dieser Name hat auch etwas zu sagen - so etwas wie quer liegen oder kompliziert sein. Irgendwie ist er nicht übermäßig dynamisch, lässt einfach Alles auf sich zukommen und nimmt Alles hin.
    Aber Neufundland und vor allem die einfühlsam gezeichneten Personen um ihn herum bringen nicht nur Farbe in sein Leben, sondern verändern auch ihn selber. Als erwache er aus seinem bisherigen Leben in ein Neues. Annie Proulx versteht es, Emotionen und Landschaften mit wenigen Worten scharf und klar zu beschreiben. Und manche Dinge wie das "angebundene" Haus und die "Widerauferstehung" haben sich mir positiv und nachhaltig ins Gedächtnis gebrannt. (Ist schon ein paar Jahre her, dass ich es gelesen habe - hey, habe sofort Lust es nochmal zu tun.)


    Als kleines Zuckerl kann ich raten, danach den Film mit Kevin Spacey und Julian Moore anzuschauen. Das rundet das Erlebnis dieses Buches ab.
    Im Gegensatz zu einigen anderen von A. Proulx ist dieses auch für einen Nichtamerikaner und Durchschnittsleser gut erlesbar.
    Die Kurzgeschichten mit "Brokeback Mountain" fand ich auch sehr gut.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • :wow Ich war auch ganz erstaunt, dass es zu diesem Buch noch keine Rezi gab. Ich habe es schon vor Jahren gelesen und war begeistert und habe mich eine ganze Zeit gefragt, warum eigentlich, da doch der Protagonist ein echter looser ist - irgendwann kam ich dann drauf: Er wurde dort in der neuen Umgebung genauso akzeptiert, wie er war, man hat ihn einfach so angenommen und genau das hat eine Änderung in ihm bewirkt - das hat mir so gut gefallen...

  • Ich habe das Buch gerade fertig gelesen und bin ganz angetan davon. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, woran das liegt. Es passt eigentlich nicht so recht in mein übliches Beuteschema, und so hatte ich die ersten 60-80 Seiten ein bisschen Mühe reinzukommen.
    Ich fand es zuerst relativ langweilig. Doch nach und nach hat sich ein Sog aufgebaut, der mich nicht mehr los ließ.


    Der Hauptcharakter Quoyle ist mir nicht wirklich sympathisch, einige Nebencharaktere wie Wayne, Beety, Agnis und Bunny dagegen umso mehr.


    E. Annie Proulx versteht es wirklich meisterhaftl, dem Leser die rauhe Landschaft Neufundlands, die Wildheit des Meeres und die unkomplizierte Gemeinschaft der Dorfbewohner nahe zu bringen.

  • Ein Buch vom Verpflanztwerden in eine scheinbar eingeschworene Gemeinschaft Fremder, vom Neustart eines Gescheiterten unter widrigen Bedingungen, ein großartiges Buch, prall voll Leben.
    Keine weichgespülten Menschen, sondern Typen. Ein ungelenker Protagonist, dem man ständig in den Arsch treten möchte und dessen Schicksal den Leser dennoch berührt. Echte, ungeschönte Charaktere in einer wilden Landschaft. Man riecht das Meer und die feuchten Klippen, man hört die Stürme.
    Grandios erzählt, kein Adjektiv zu viel, kein Schwulst, keine stilistische Anbiederung an Landschaft und Akteure. Und gerade deshalb so fesselnd.
    Große Unterhaltungsliteratur! :anbet

  • Ich habe den Film mit Kevin Spacey gesehen. Ein wirklich beeindruckender, guter Film, bei dem offenbar eine nicht minder gute literarische Vorlage mal ausnahmsweise nicht in den Sand gesetzt wurde. Es ist offenbar auf jeden Fall einmal Wert, sich auch mit dem Buch zu beschäftigen. :wave

  • Zitat

    Original von arter
    Ich habe den Film mit Kevin Spacey gesehen. Ein wirklich beeindruckender, guter Film, bei dem offenbar eine nicht minder gute literarische Vorlage mal ausnahmsweise nicht in den Sand gesetzt wurde. Es ist offenbar auf jeden Fall einmal Wert, sich auch mit dem Buch zu beschäftigen. :wave


    Unbedingt, arter! Dicke Empfehlung! :wave

  • Zitat

    Original von Dieter Neumann


    Unbedingt, arter! Dicke Empfehlung! :wave


    Mir hat das Buch ja auch ganz gut gefallen, aber der Film war doch so ein typischer, kitschiger Amischeiß :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Mir hat das Buch ja auch ganz gut gefallen, aber der Film war doch so ein typischer, kitschiger Amischeiß :gruebel


    Ich sehe sehr selten Filme, diesen auch nicht, daher kann ich das nicht beurteilen. Grundsätzlich verweigere ich mich inzwischen sowieso Verfilmungen von Büchern, die mir besonders gefallen haben, wie zum Beispiel dieses. Nach meiner Erfahrung zerstören sie regelmäßig die Bilder, die das Buch in mir hat entstehen lassen. Und das empfinde ich geradezu als Schandtat gegenüber dem Autor / der Autorin des Buches. Aber ich hab natürlich auch ´ne Macke, was das betrifft ... :grin

  • Zitat

    Original von DraperDoyle


    Mir hat das Buch ja auch ganz gut gefallen, aber der Film war doch so ein typischer, kitschiger Amischeiß :gruebel


    Was ist denn "typischer, kitschiger Amischeiß"?
    Der Film war großartig. Kann natürlich auch sein, dass du ihn nicht verstanden hast. Kevin Spacey mit einer grandiosen schauspielerischen Leistung.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich kenne leider das Buch noch nicht, dafür aber den Film, den ich sehr sehenswert finde. Kevin Spacey spielte sein Rolle überzeugend, genau wie Judi Dench, die ich schätze. Und die Geschichte, die überwiegend in Neufundland spielt, mit all den Schicksalsschlägen und dem rauen Wetter, kam für mich sehr stimmig herüber.


    DraperDoyle : Was meinst Du bei diesem Film mit Amischeiß? :gruebel

  • Was soll es denn an diesem Film nicht zu verstehen geben :gruebel


    Ich habe das Buch vor zehn Jahren gelesen, kann mich also nicht mehr an Details erinnern.
    Ich weiß noch, dass da der Held sehr ambivalent war, ein Arsch mit positiven Seiten. Im Film wurde daraus dann ein netter Kerl mit Macken, einer, mit dem man sich identifizieren kann. Glatt gebügelt eben.


    Außerdem wurde im Film ein meines Erachtens wichtiger Handlungsstrang weggelassen, weil der nicht in so eine Happy-Hollywood-Produktion gepasst hätte. Um das jetzt aber im Detail zu diskutieren, müsste ich das Buch nochmal lesen :rolleyes

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Draper Doyle: Leider kenne ich das Buch noch nicht, werde es aber nachholen. ;-) Die meisten Buchverfilmungen sind leider nicht so, wie man sich das vorstellt und werden auch so gut wie nie 1:1 übernommen.


    Trotzdem empfinde ich den Film an sich nicht als gängigen Hollywoodfilm. Allein schon das intensive Spiel von Kevin Spacey, die Geschichte, die erzählt wird und die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen von Neufundland nehmen für mich den Streifen aus dem gängigen Einerlei, den man sonst oft sieht.