Ausgerechnet du - Karen-Susan Fessel (ab ca. 14 J.)

  • Eine Gruppe Jugendlicher, Mädchen und Jungen, in der Einöde des Emslands. Landwirtschaft, winzige Dörfer, Neubau-Gebiete, die Schule und das Freibad im nächstgelegenen größeren Ort, sehr viel mehr gibt es nicht für sie. Die älteren fahren hin und wieder über die nahe holländische Grenze und kommen mit Zigaretten und ein bißchen ‚Stoff’ zurück. Das ist das Leben.
    Genau das will Katja nicht. Sie ist kurz davor, vor Ödigkeit zu sterben. Dabei ist sie eine der wenigen, die schon einen festen Freund hat. Aber auch Nando kommt ihr auf einmal nur noch langweilig vor. Immer das Gleiche, die ‚Tüte’, die Knutscherei, Katja hat genug. Genug hat sie allerdings auch von ihrem ewig geschäftsreisenden Vater und ihrer sorgfältigst aufgemachten Mutter, die zwar körperlich, aber nicht emotional anwesend ist. In Katja wächst die Wut.
    Die Freundinnen, selbst in der Phase des Suchens und der Neu-Orientierung, reagieren ausweichend oder gleich abweisend. Aber da ist noch Michel, der auch in Katjas Dorf wohnt. Ihn kann Katja nicht leiden. Wie leicht man den ärgern kann! Hinterher drückt die Wut auch nicht mehr so auf den Magen. Michel zu piesacken bringt so richtig Farbe in den Alltag. Genau das braucht Katja.


    Michel steht ebenso unter Druck wie Katja, seine Probleme sind aber ganz anders gelagert. Nicht nur leidet er unter einem strengen und gelegentlich gewalttätigen Vater, er muß sich auch mit der Erkenntnis auseinandersetzen, daß er schwul ist. Katja ist zunächst nur einer der vielen Steine auf seinem Weg, bald wird sie eine seiner vielen Ängste. Katja aber drängt sich immer mehr in seinen Alltag und schließlich kommt es am löchrigen Zaun über dem Bahndamm zu einer dramatischen Begegnung.


    Dieses Doppelporträt zweier Jugendlicher in einer schwierigen Entwicklungsphase kommt nur langsam in Schwung. Erzählt wird abwechselnd über Katja und Michel, ein wenig sprunghaft, dazwischen entfalten sich die Geschichten weiterer Jugendlicher, vor allem von Katjas Freundin Gesa. Trotz ihrer Wut, der sehr waghalsigen Unternehmungen und ihrer traurigen Familiengeschichte, bleibt die Figur der Katja ein wenig blaß. Die Geschichte der besten Freundin und die immer wieder eingeflochtenen Kurzschilderungen von einem halben Dutzend weiterer Gleichaltriger lassen ihre Konturen verschwimmen. In ihrem Bild sind immer zu viele Personen.


    Michel hat dagegen regelrechtes Übergewicht, und so ist der Roman eigentlich Michels Geschichte. Sie hat mit bei aller Lebendigkeit und Überzeugungskraft in der Schilderung gelegentliches Stirnrunzeln beschert. Dazu gehört in erster Linie die Darstellung von Michels homosexuellen Bedürfnissen und seine daraus folgenden Handlungen. So läßt er sich auf Begegnungen mit einem Fremden im Toilettenhäuschen des Freibads ein, etwas, das nicht recht zu seinem sonst überängstlichen Charakter paßt. Daß er noch dazu minderjährig ist - er belügt den Fremden, der nachfragt - macht die Sache nur schlimmer, gleich, wie man sie betrachtet. Mißfallen hat mir auch die Selbstverständlichkeit, mit der ein erstes Verlangen nach sexueller Erfüllung eines Jugendlichen mit einer Szene in einer öffentlichen Toilette beantwortet wird. Abgesehen vom Problem des Altersunterschieds ist an keiner Stelle von den üblichen Schutzmaßnahmen die Rede, sieht man von der Frage des Fremden nach Michels Alter ab.
    Dieses Szenario stammt immerhin aus dem Jahr 2003.


    Auch der Schluß zeichnet sich eher durch den Griff nach den versöhnlichen und glättenden Tönen aus. Michels Ängste sind wie fortgeblasen, die Geschichte mit dem Fremden wird atembaraubend sentimental gelöst, Katjas Aggressivität wird sehr nachsichtig abgetan, ebenso die Probleme von Michels Vater. Die Hauptschwierigkeit ist noch lange nicht gelöst, selbst wenn er für einmal fähig ist, ein Anzeichen echter Sorge um seinen Ältesten zu zeigen. Homophob ist er immer noch und ahnungslos, was Michel betrifft.


    Ein nicht recht gelungener Roman, mit zu vielen Einfällen, die in der Gesamtschau eher unausgegoren wirken. Uneingeschränktes Lob allerdings für den Titel, er fängt die Grundstimmung der Jugendlichen im Positiven wie im Negativen präzise ein.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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