Klappentext:
Als Simone Dreyer die Sicherheitskontrolle am Düsseldorfer Flughafen passieren will, bricht direkt neben ihr ein Mann tot zusammen ... Was als ein scheinbar zufälliges Zusammentreffen beginnt, entwickelt sich für die junge Frau zu einer Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit. Denn der Tote war vor 13 Jahren der Patentanwalt ihres Vaters - der bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Während der Düsseldorfer Hauptkommissar Zeitz im Umfeld des Toten ermittelt, versucht Simone herauszufinden, was damals wirklich zwischen ihrem Vater und seinem Anwalt geschah.
Über die Autorin:
Manchmal ist der Mörder näher als man denkt ...
Manchmal ist er der Nachbar ...
Der Frühling bringt Hochspannung!
Drostes neue Krimireihe - weiß - nicht unschuldig!
So bewirbt der Droste Verlag seine neue Krimireihe. "Patentlösung" von Carla Rot ist einer der ersten vier Titel. Carla Rot wuchs im Sauerland auf und studierte an der Ruhr-Universität Bochum Biologie. Nach einem Forschungsjahr in England zog sie nach Berlin, wo sie heute als freie Übersetzerin und Autorin lebt. Sie schreibt Sachbücher, Erzählungen und Romane, häufig mit fantastischem Einschlag. Patentlösung ist ihr erster Kriminalroman.
Meine Meinung:
Mit Carla Rot betritt eine neue Autorin das Parkett des Regionalkrimis. Ihr Debüt "Patentlösung", das in Düsseldorf spielt, hat mir von der ersten Seite an sehr gut gefallen. Passend dazu beginnt der Krimi so:
Wow. Er hatte wirklich Wow gesagt.
Rot eröffnet ihren Krimi nicht wie die meisten Krimis mit einer Leiche, einem Mord oder sonstigen „Paukenschlägen“. Sie lässt sich und dem Leser einen Moment Zeit, Simone Dreyer, die Hauptfigur kennenzulernen. Und da es sich bei der jungen, arbeitslosen Schauspielerin um eine originelle Figur mit spannender Backstory handelt, erzeugte die Autorin bei mir sofort Neugier. Gleichzeitig habe ich mich beim Lesen der ersten Seiten aber auch gefragt, wer denn das Mordopfer sein wird – denn das verspricht ja der Kappentext – und habe daher die Männer, denen Simone im Flughafencafé begegnet, genau beobachtet. Durch den atmosphärischen Einstieg entwickelt sich für mich die spätere Krimi-Geschichte sehr glaubwürdig, vor allem aus Sicht der ahnungslosen Simone heraus. Ab dem Tod des Patentanwaltes – kurz nachdem Simone das Café verlassen hat – wird die Handlung temporeich und spannend. In diesem Sinne könnte man Rots Einstieg zum Beispiel mit den Einstiegen der beiden Fred Vargas Krimis „Fliehe weit und schnell“ und „Das Orakel von Port-Nicolas“ vergleichen, in denen auf den ersten Seiten auch zuerst die originellen Figuren und ihre Beziehungen untereinander eingeführt werden, ehe sich ein Kriminalfall entwickelt bzw. "langsam" herauskristalisiert.
In ihrem Debüt arbeitet Rot geschickt mit falschen Spuren, die sie glaubhaft auflöst und dabei wieder neue Fragen aufwirft. Ihre lebendigen Figuren, die mich immer wieder überrascht haben, tragen dazu bei, dass ich mir nie sicher war, wer von ihnen der Mörder sein könnte. Ganz besonders gut haben mir die originellen „Schrullen“ der Figuren gefallen. So zum Beispiel der Waschzwang von Thoms, einer der Anwälte, den Schmutz regelrecht in Panik versetzt. Toll fand ich auch, wie Rot das Schauspielen von Simone im Showdown einsetzt und so konsequent „zu Ende“ erzählt.
Aufgefallen ist mir bei diesem Krimi auch, dass Rot die Beschreibung der Schauplätze oft mit der Handlung verbindet und dabei mit unterschiedlichen Tempi arbeitet. Ein Beispiel: In einer Szene wird einem die Örtlichkeit des Hafens aus der Sicht von Simone beschrieben, die dort entlang rennt, um ihren Gedanken zu entfliehen, die um den tödlichen Autounfall ihres Vaters kreisen. Das Tempo der Beschreibungen ist rasant und beschränkt sich auf die wichtigsten „Bildsplitter“, also dem, was für die Figur beim Rennen entscheidend ist. Kurz darauf setzt sich das Bild des Hafens dann langsam und ruhig zusammen, werden Lokalitäten, die der Leser bereits kennen gelernt hat, wie zum Beispiel das Studio von D-Games, im Medienhafen verortet - während sich die erschöpfte Simone auf einer Stufe ausruht. Klug gewählt ist auch, dass es sich bei Simone um eine Ortsunkundige handelt, die Düsseldorf mit einem ganz anderen Blick begegnet und die genauen Beschreibungen figurenperspektivisch motiviert.
Die Handlung selbst wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was dazu führt, dass der Leser stellenweise mehr über eine Figur weiß als zum Beispiel Simone oder Kommissar Zeitz. Auch das führt zum sprunghaften Anstieg der Spannung, besonders gegen Ende hin. Ebenfalls spannend ist, wie sich Simone durch ihre impulsive Art selbst zur Hauptverdächtigen macht. Vor allem für den jungen Kommissar Flessner. Zwischen diesem und dem alten, erfahrenen Kommissar Zeitz kommt es auch immer wieder zu Konflikten, die oft die lustigsten Stellen des Krimis enthalten. Herrlich:
Als sie wieder nach vorn kamen und die Treppe hinaufstiegen, warf er (Zeitz) selbst einen Blick ins Wohnzimmer. Der Parkettboden war mit Scherben übersät. Wo einmal eine zimmerhohe Fensterfront gewesen war, wehte Nieselregen herein. Flessner hatte sich für seinen Einbruch die größte und teuerste Glasscheibe im Haus ausgesucht.
Rot schreibt ihren Krimi mit einer schönen, klaren Sprache, deren Rhythmus wunderbar fließend ist. Gerade in den ersten Absätzen fällt auf, dass wir es mit einem Krimi zu tun haben, der sich sprachlich sehr deutlich vom Krimidurchschnittsniveau abhebt:
Wow. Er hatte wirklich Wow gesagt.
Simone Dreyer legte Notizbuch und Stift auf den Tisch, zog den Haarreif aus den Haaren, schüttelte sie aus und lehnte sich im Sessel zurück. Sie saß im vorderen Bereich des balkonartigen Starbucks-Cafés, gleich an dem gläsernen Geländer. Vor ihr öffnete sich die weite, lichte Halle des Düsseldorfer Flughafens. Läden, Ein- und Ausgänge, Abfertigungsschalter und Wechselstuben lagen ihr praktisch zu Füßen, Rolltreppen und schimmernde Säulen hoben sich aus dem Gewimmel, und direkt gegenüber schwebten die Züge des SkyTrain vorbei, der automatischen Schwebebahn, die Simone bei der Ankunft in Düsseldorf so fasziniert hatte.
Aber Simone hatte keinen Blick dafür übrig. Statt der Menschen, die zwei Stockwerke tiefer zu Flugsteigen hasteten, Gepäck auf Rollwagen wuchteten oder ungeduldig auf Anzeigetafeln starrten, sah sie Bobby Blombergs Gesicht vor sich. Rund, bleich, verschwitzt, von schütterem Haar eingerahmt – überhaupt nicht ihr Typ –, aber die hellen Augen strahlten sie an, die dünnen Lippen öffneten sich, und durch die Lautsprecheransagen, das Geklapper von Tabletts, das Zischen der Kaffeemaschine und das Geschwätz der Menschen hindurch hörte sie deutlich seine Stimme.
Wow.
Neben der Sprache besticht die Autorin für mich auch durch ihre präzisen Beobachtungen, die stellenweise eine eigene Poesie entwickeln. Wegen Spoilergefahr hier nur Stichwort „Nasse Espandrillen“ oder „Das Wasser, das aus den Handschuhen rinnt“.
Ein absolutes Highlight ist für mich aber Kommissar Zeitz, der eigentlich schon so gut wie in Pension ist und auf sein angeschlagenes Herz aufpassen muss. Dieser originellen Kommissarsfigur, diesem liebenswürdigen und lebensklugen Kauz möchte ich unbedingt wiederbegegnen.
Für mich ein sehr gelungenes, spannendes Krimi-Debüt!
Liebe Grüße
Lille
PS: Sollte eine Leserunde zu diesem Regional-Krimi zustande kommen, wäre ich sehr gerne dabei!
Leseprobe: http://www.droste-buchverlag.d…9/978-3-7700-1321-0_L.pdf