OT: Dödenboken 1999
Dieses Buch erschien erstmals vor zehn Jahren und es wurde von Anfang an kontrovers diskutiert. Es gilt als aufklärend oder veralbernd, humorvoll oder erschreckend, gehaltvoll oder primitiv, geschmacklos oder überzeugend kindgerecht. Es geht um ein großes Thema, den Tod. Und das auf 32 Seiten.
Die Autorin und Illustratorin geht das Ganze direkt an. „Manchmal muß man an den Tod denken“, beginnt sie, und damit man das auch sehen kann, zeichnet sie unter den Satz gleich einen Kopf neben dem, wie im Comic, eine Wolke voller Totenköpfe und dicker schwarzer Kreuze schwebt. Da der Tod für alle schwer zu verstehen ist, denken ein Stück weiter im Text Kinder und Erwachsene mit. Und dann sogar ein Elefant. Denn selbst für die, die riesengroß sind, ist der Tod ein Rätsel.
Nun geht es systematisch weiter, zunächst mit dem Sterben. Alle und alles stirbt, vom winzigen Keimling bis zu Erwin. Der liegt dann auch gleich nackt und tot neben dem toten Marienkäfer und anderen im gleichen Zustand. Wie man dahin gerät, verraten die folgenden Sätze: Krankheiten, Alter, Unfälle, es kann jede treffen, gleich, ob alt oder jung, Kätzchen oder Mensch.
Nach den Todesarten wird die wohl spannendste Frage aufgeworfen. Was geschieht nach dem Tod? Die Autorin läßt keine Antwort aus, vom Engel bis zum Vampir ist alles möglich. Gruselige Lakengespenster, Skelette und Wiedergeborene bevölkern die Seiten, zusammen mit nachthemdgewandeten Flügelwesen.
Weiter geht es mit Begräbnissitten. Der Sarg, das Grab (ein beeindruckend tiefes schwarzes Loch), der Blumenschmuck. Die Kleidung beim Begräbnis, früher schwarz, heute bunt, denn inzwischen ist alles möglich. Winzige Umrißzeichnungen von Kleidungsstücken zeigen das, sie sehen aus wie die, die man früher Papierpuppen anzog. Ein wesentlicher Punkt wurde bei aller Detailtreue aber vergessen: was Tote im Sarg tragen erfährt man nicht. Laut der Abbildung sind nackt. Ob das stimmt?
Zur Beerdigung gibt es auch einige knappe Sätze und die dazu passenden Bilder über die Trauer, die man empfindet, wenn jemand gestorben ist. Eine der überzeugendesten Illustrationen ist die der Tränen, die im Magen eines der Männchen eingesperrt sind.
Schon auf der nächsten Seite werden Begräbnissitten aus früheren Zeiten gezeigt. Da fährt ein brennendes Drachenschiff auf dem blauen Meer und dort liegt Siegfried unter einem Steinhügel. Jedenfalls behauptet das der Schriftzug neben dem Pfeil. Daß die Piratenflagge auf Halbmast steht, wenn jemand begraben wird, sieht man auch.
Schließlich gibt es noch einen Blick darauf, was nach dem Tod auf Erden geschieht. Dieser Blick ist ebenso offen und unsentimental wie bei den anderen Themen auch. Unter denen, die nicht gestorben sind, kann es nämlich Streit geben. Daher wird empfohlen, ein Testament zu hinterlassen.
Am Ende nimmt man an einen Ausflug nach Mexiko teil, wo die Menschen ein lustiges Totenfest feiern, auf dem Friedhof, mit Musik und Totenköpfen aus Zucker und Schokolade zum Knabbern.
Die Zeichnungen, die die kurzen Sätze begleiten, sind nach Kindermanier gestaltet, vermeintlich unproportionierte Männchen mit Punktaugen und Haaren aus Strichen oder Drahtwolle, alles ein bißchen steif, alles ein wenig schief und wackelig. Dazu Gedankenblasen oder Hinweispfeile, damit die BetrachterInnen auch verstehen, was man ihnen zeigen will. Wie mit den oft saloppen Formulierungen werden dadurch ästhetische Grenzen bewußt überschritten. Hier wird nicht geschönt, hier ist nichts erhaben, es geht nicht um distanzierenden Respekt, sondern ums zupackende Verstehen.
Das Ganze ist auf den ersten Blick durchaus zeitgemäß und auch kindgerecht. Beim näheren Hinsehen offenbart sich aber rasch ein ernstes Manko. Das alles spielt sich nämlich ausschließlich im christlich geprägten Kosmos ab. Es ist kein bekennendes Christentum, der Umstand, daß Engel de facto Vampiren gleichgesetzt sind, spricht eine eigene Sprache. Dennoch ist der Kosmos christlich geprägt. Es gibt kein anderes Symbol für den Tod als das Kreuz, die Beerdigung findet selbstverständlich in der Kirche statt und ein Pfarrerporträt darf man auch bewundern. Für Europa seit 1999 ist das absurd, Angehörige anderer Glaubenrichtungen sind nicht unsterblich. Ein jüdisches oder muslimisches Kind z.B. kann mit diesem Buch nicht viel anfangen. Bei aller Modernität wurde hier bei weitem zu kurz gedacht.
Stalfelts Buch ist ein Aufklärungsbuch, voller gezielter Respektlosigkeiten. Es ist dazu gedacht, Barrieren abzubauen, ins Gespräch zu kommen mit Kindern über ein schwieriges Thema, indem nachdrücklich darauf verwiesen wird, daß alle Fragen erlaubt sind, daß man keine Scheu zu haben braucht. Hin und wieder kann einer der Nachdruck ein wenig zu stark vorkommen. Empfindsamere Erwachsene werden an diesem frechen Buch schon beim ersten Blättern scheitern.
Insgesamt ist die Beschäftigung mit dem Tod hier am ehesten für Kinder gedacht, die vor allem neugierig auf das Thema Tod und Stereben sind, nicht unbedingt für diejenigen, die gerade von einem Todesfall betroffen sind. Zur Trauerarbeit an sich ist es weniger geeignet, wohl aber, um Antworten auf Fragen zu finden, die man vielleicht nicht laut zu stellen wagt. z.B. ob es Elefantenengel gibt. Oder ob Fische nie die Augen zumachen, nicht mal, wenn sie tot sind.