Proleterka – Fleur Jaeggy

  • Aus dem Italienischen von Barbara Schaden.
    Berlin Verlag, Berlin 2002
    Gebunden, 119 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Proleterka ist der Name eines Schiffes. Groß, stahlgrau und meereserprobt, auf dem Schornstein einen verwitterten roten Stern, liegt es vor Venedig und wartet darauf, eine kleine Gruppe deutschsprachiger Touristen an Bord zu nehmen. Die Reise geht nach Griechenland. Ein älterer, leicht hinkender Mann und seine noch nicht ganz sechzehnjährige Tochter steigen als Letzte an Bord. Zwischen Vater und Tochter herrschen vollständige Fremdheit und zugleich eine unheimliche Verbundenheit, deren Ursprung in eine Zeit weit vor ihrer beider Existenzen zurückzureichen scheint. Vierzehn Tage lang hat die Tochter Zeit, diesen Fremden mit den eisblauen Augen, ihren Vater, kennen zu lernen. Vierzehn Tage lang hat sie Zeit, außerhalb der sterilen Welt des Mädchenpensionats und unerreichbar für die unerbittlichen Befehle einer ihr ebenfalls fremden Mutter, Erfahrungen zu machen, zu leben. Die klaustrophobische Abgeschlossenheit des Schiffes mit seinen engen Kajüten wird zum Ort einer gierigen, wütenden Entdeckungslust auf das, was man Leben nennt. Während die Initiation Meile um Meile fortschreitet, reist die Erinnerung in die gegenläufige Richtung und fördert die stummen, abgedunkelten Räume jener einsamen Kindheit zu Tage, die der Leser bereits aus Jaeggys Seligen Jahren der Züchtigung kennt. Mit der ihr eigenen maßvollen Unbarmherzigkeit verdichtet Fleur Jaeggy diese Schiffsreise zu einem beklemmenden Familienroman, geschrieben in einer Sprache, die nichts von ihrer Schärfe eingebüßt, aber eine unergründliche Zartheit hinzugewonnen hat.


    Über die Autorin:
    Fleur Jaeggy ist in Zürich geboren, sie lebt seit 1968 in Mailand und schreibt Italienisch. Für ihr literarisches Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.


    Meine Meinung:
    Ein rätselhafter Text, kühl und knapp geschrieben. Das ist auch der Grund, warum sich mir der Roman erst beim Reread nach ca. 5 Jahren richtig verinnerlichte.


    Die Erzählerin erinnert sich nach dem Tod des Vaters, der ihr ein Leben lang fremd blieb, an eine gemeinsame Schiffsreise mit der Proleterka nach Griechenland (offenbar kurz nach dem Krieg) als sie 15 Jahre und der Vater fast 70 Jahre alt war. Ab und zu gibt es auch (ziemlich bittere) Erinnerungen, die noch tiefer in die Vergangenheit reichen. Sie zitiert manche Aufzeichnung des Vaters und reflektiert diese, doch die Distanz zwischen ihnen ist groß. So groß, dass sie den Vater nur beim Vornamen Johannes nennt und von sich selbst nur als die Tochter oder das Mädchen spricht.


    Die Isoliertheit bestimmte das Leben des Mädchens, deshalb erhofft sie, dass mit der Schifffahrt endlich ihr Leben beginnt. Doch die Distanz bleibt, sogar als sie sich auf der Suche nach Nähe mit Männern an Bord einlässt, befreit sie das nicht.


    Sie beobachtet mit Detailgenauigkeit das Schiff, die Orte und die Menschen. Das verdichtet den Text zusätzlich. Eine einfache Lösung bietet Fleur Jaeggy nicht, sie schreibt kühl, aber unter der Oberfläche brodelt es. Das erinnert an die ebenfalls sehr kurzen, verdichteten Romane von Agota Kristof.
    Der Roman entfaltet eine große Wirkung, es bleibt dem Mädchen nur: Die Erkenntnis ist die einzige Vergebung die man erreichen kann. (Seite 26).


    Ein Roman von bemerkenswerter Intensität, die unter der kühlen Oberfläche versteckt ist.