Märchen - Astrid Lindgren (ab ca. 6 J.)

  • Dieses Buch ist eine Zusammenstellung von fünfzehn Geschichten, die bereits in anderen Sammlungen oder als Bilderbücher erschienen sind. Das ‚Märchenhafte’ erscheint in den Geschichten in unterschiedlicher Gestalt. Da gibt es Gespenster und Däumlinge, Feen und Wunderbäume, kleine Männer, die in der Dämmerung fliegen und sogar einen kleinen Drachen. Daneben finden sich Dinge, die eher in der Alltagswelt verhaftet sind, wie sprechende Puppen, ein frecher Kuckuck aus der Wanduhr und erfundene Geschwister, aber auch ein richtig edel-trauriges Ritterdrama. Die Mischung ist gut gelungen, auch, was das Alter des Zielpublikums betrifft. Es ist ein Familienbuch, es gibt Geschichten, die eher jüngere Kinder ab ca. 4 Jahren ansprechen, es gibt aber auch Geschichten, die Zehnjährige erfreuen können.


    Vor allem aber erfreut das Buch wohl die Erwachsenen, hier finden sie, was sie in ihrer länger zurückliegenden Kindheit an Lindgren so liebten. Denn so schön Lindgren erzählt, so phantasievoll sie auch ausschmückt, so gescheit viele Überlegungen sind und so kindgerecht sie es auch darbietet, kann sie nicht verhindern, daß sich auf den Geschichten die leichte Patina des ‚Früher einmal’ gebildet hat. Armenhäusler und Wolkenschafe, das Leben in einem bäuerlichen Umfeld, die Tugend des Edelmuts im Aufopfern für andere wirken inzwischen eine Spur museal. ‚Früher war das so’, ist man geneigt, beim Lesen der Geschichten hinzusetzen. ‚Ganz früher. Da war nicht einmal eure Oma auf der Welt. So lange ist das her.’ Es sind die Traumwelten älterer Generationen.


    Es liegt sicher auch an der Auswahl, daß hier Geschichten abgedruckt wurden, bei denen eine Puppe das höchste Glück kleiner Mädchen ist und die Einübung weiblicher Arbeiten, wie Kinderpflege, Kochen und Haushaltsführung als glücklichstes aller Spiele gepriesen wird. Die Jungenfiguren kämpfen dafür gern mit ihren Holzschwertern. Ronja Räubertochter war noch lange nicht geboren, als diese Geschichten entstanden, Pippi aber schon.
    Der Opfertod eines Knappen für einen König (Junker Nils von Eka) gehört auch eher zu den etwas bejahrten romantischen Themen und zu den sentimentalen Phantasien, denen Kinder vielleicht nachhängen mögen, die pädagogisch gesehen aber weniger förderungswürdig sind.
    Für erwachsene Leserinnen und Leser allerdings ist es wiederum spannend, in der Junker-Geschichte wie auch in ‚Sonnenau’ und natürlich ‚Klingt meine Linde’ eine Art Vorstudien für den Roman ‚Die Brüder Löwenherz’ zu finden. Die Sentimentalität der Geschichten ist allerdings überraschend hoch.


    Das Buch ist überaus gediegen aufgemacht, es ist mit den bekannten Illustrationen von Ilon Wiklund zu den Geschichten ausgestattet, meist schwarz-weiß. Die Gespenstergeschichte von Rupp Rüpel, Bertils Abenteuer mit Nils-Karlsson Däumling und die Geschichte vom Drachen mit den roten Augen sind durchgängig farbig illustriert und es ist, wie gewohnt, eine Lust zuzusehen, wie der Drache mit den roten Augen in den glühend orangefarbenen Abendhimmel fliegt. Für Kinderhände ist das Buch mit seinen über 600g Gewicht deutlich zu schwer, es ist eher etwas, das man herausholt, um gemeinsam zu lesen, zu schauen, zu erzählen. Nicht allzu oft vielleicht, es gibt soviel zu entdecken bei den Kinderbüchern. Auch zum Träumen. Neue Phantasiewelten zu erobern.


    Die Geschichten:


    Rupp Rüpel, das grausigste Gespenst von Småland
    Die Prinzessin, die nicht spielen wollte
    Im Land der Dämmerung
    Kuckuck Lustig
    Die Elfe mit dem Taschentuch
    Junker Nils von Eka
    Die Schafe von Kapela
    Im Wald sind keine Räuber
    Nils Karlsson - Däumling
    Sonnenau
    Die Puppe Mirabell
    Allerliebste Schwester
    Peter und Petra
    Klingt meine Linde
    Der Drache mit den roten Augen

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von magali ()

  • Wunderschöne Erzählungen, danke für die Erinnerung magali. Eine meiner liebsten: Im Wald sind keine Räuber.


    Heutzutage, wo die meisten Kinder vor dem Fernseher geparkt werden eine Seltenheit: Vorlesen und doch bei diesem Buch unerlässlich, da sich die Geschichten oft erst im Gespräch erschließen.

  • :grin


    Ich sag's ja, es geht um Erinnerungen. Derjenigen, die heute erwachsen sind.
    ;-)


    Meine Lieblings- Lieblingsgeschichte ist übrigens auch 'Im Wald sind keine Räuber'. Aber ich glaube nicht, daß ich sie heutzutage einem Kind empfehlen würde. Sie ist so niedlich - von gestern?
    :gruebel




    :wave



    magali

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    K. Kraus


  • Naja, jedem Kind würde ich sie auch nicht empfehlen. Es ist ja auch nicht jedes Buch für jeden Erwachsenen was. Aber irgendwie fehlt uns doch gerade das gestern - dieses ewige Suchen nach Neuem? Ich weiß nicht ob es das ist.
    Auch Kinder spüren das - zumindest, wenn sie noch nicht durch zuviel Fernsehn verdorben sind. :wave

  • Findus


    ich meinte nicht die dauernde Suche nach Neuem, nur um der Neuheit willen. Sicher soll man ältere Kinderbücher nicht einfach verwerfen, weil sie älter sind und von Lebenswelten erzählen, die Kindern heutzutage doch sehr fern sind. Nur sollte man dosieren, finde ich.
    Die Auswahl der Geschichten in dem obigen Buch kam mir sehr, nun, behäbig? vor. Bei der Mischung verstärken sich die altmodischen und weniger modernen Ansätze in Lindgrens Denken gegenseitig.


    Man sollte die neueren Kinderbücher und ihre Autorinnen und Autoren darüber nicht vergessen. Gemessen an diesem einen Buch hier sind sie weit wichtiger.
    Wobei es auch von Lindgren selbst Bücher gibt, die mehr Bedeutung haben als gerade dieser Sammelband.


    Ob man Lindgren dem Fernsehen entgegensetzen kann, kann ich nicht beurteilen. Andererseits: werden nicht oft Verfilmungen ihrer Geschichten gezeigt? Ist Fernsehen und Buch tatsächlich ein solcher Gegensatz?


    Möglicherweise fehlt uns 'das Gestern', ich weiß es nicht. Wenn es so wäre, müßte man aber gleich fragen: welches Gestern? Und was davon 'brauchen' wir tatsächlich?



    :wave



    magali

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