Dieses Buch ist eine Zusammenstellung von fünfzehn Geschichten, die bereits in anderen Sammlungen oder als Bilderbücher erschienen sind. Das ‚Märchenhafte’ erscheint in den Geschichten in unterschiedlicher Gestalt. Da gibt es Gespenster und Däumlinge, Feen und Wunderbäume, kleine Männer, die in der Dämmerung fliegen und sogar einen kleinen Drachen. Daneben finden sich Dinge, die eher in der Alltagswelt verhaftet sind, wie sprechende Puppen, ein frecher Kuckuck aus der Wanduhr und erfundene Geschwister, aber auch ein richtig edel-trauriges Ritterdrama. Die Mischung ist gut gelungen, auch, was das Alter des Zielpublikums betrifft. Es ist ein Familienbuch, es gibt Geschichten, die eher jüngere Kinder ab ca. 4 Jahren ansprechen, es gibt aber auch Geschichten, die Zehnjährige erfreuen können.
Vor allem aber erfreut das Buch wohl die Erwachsenen, hier finden sie, was sie in ihrer länger zurückliegenden Kindheit an Lindgren so liebten. Denn so schön Lindgren erzählt, so phantasievoll sie auch ausschmückt, so gescheit viele Überlegungen sind und so kindgerecht sie es auch darbietet, kann sie nicht verhindern, daß sich auf den Geschichten die leichte Patina des ‚Früher einmal’ gebildet hat. Armenhäusler und Wolkenschafe, das Leben in einem bäuerlichen Umfeld, die Tugend des Edelmuts im Aufopfern für andere wirken inzwischen eine Spur museal. ‚Früher war das so’, ist man geneigt, beim Lesen der Geschichten hinzusetzen. ‚Ganz früher. Da war nicht einmal eure Oma auf der Welt. So lange ist das her.’ Es sind die Traumwelten älterer Generationen.
Es liegt sicher auch an der Auswahl, daß hier Geschichten abgedruckt wurden, bei denen eine Puppe das höchste Glück kleiner Mädchen ist und die Einübung weiblicher Arbeiten, wie Kinderpflege, Kochen und Haushaltsführung als glücklichstes aller Spiele gepriesen wird. Die Jungenfiguren kämpfen dafür gern mit ihren Holzschwertern. Ronja Räubertochter war noch lange nicht geboren, als diese Geschichten entstanden, Pippi aber schon.
Der Opfertod eines Knappen für einen König (Junker Nils von Eka) gehört auch eher zu den etwas bejahrten romantischen Themen und zu den sentimentalen Phantasien, denen Kinder vielleicht nachhängen mögen, die pädagogisch gesehen aber weniger förderungswürdig sind.
Für erwachsene Leserinnen und Leser allerdings ist es wiederum spannend, in der Junker-Geschichte wie auch in ‚Sonnenau’ und natürlich ‚Klingt meine Linde’ eine Art Vorstudien für den Roman ‚Die Brüder Löwenherz’ zu finden. Die Sentimentalität der Geschichten ist allerdings überraschend hoch.
Das Buch ist überaus gediegen aufgemacht, es ist mit den bekannten Illustrationen von Ilon Wiklund zu den Geschichten ausgestattet, meist schwarz-weiß. Die Gespenstergeschichte von Rupp Rüpel, Bertils Abenteuer mit Nils-Karlsson Däumling und die Geschichte vom Drachen mit den roten Augen sind durchgängig farbig illustriert und es ist, wie gewohnt, eine Lust zuzusehen, wie der Drache mit den roten Augen in den glühend orangefarbenen Abendhimmel fliegt. Für Kinderhände ist das Buch mit seinen über 600g Gewicht deutlich zu schwer, es ist eher etwas, das man herausholt, um gemeinsam zu lesen, zu schauen, zu erzählen. Nicht allzu oft vielleicht, es gibt soviel zu entdecken bei den Kinderbüchern. Auch zum Träumen. Neue Phantasiewelten zu erobern.
Die Geschichten:
Rupp Rüpel, das grausigste Gespenst von Småland
Die Prinzessin, die nicht spielen wollte
Im Land der Dämmerung
Kuckuck Lustig
Die Elfe mit dem Taschentuch
Junker Nils von Eka
Die Schafe von Kapela
Im Wald sind keine Räuber
Nils Karlsson - Däumling
Sonnenau
Die Puppe Mirabell
Allerliebste Schwester
Peter und Petra
Klingt meine Linde
Der Drache mit den roten Augen