ZitatOriginal von schnatterinchen
Vielleicht um das Hirn dann abzudecken?
Das Hirn und sämtliche anderen schwerwiegenden Verletzungen waren sicher schon abgedeckt. Da ist normalerweise immer Verlass auf das Pflegepersonal.
ZitatOriginal von schnatterinchen
Vielleicht um das Hirn dann abzudecken?
Das Hirn und sämtliche anderen schwerwiegenden Verletzungen waren sicher schon abgedeckt. Da ist normalerweise immer Verlass auf das Pflegepersonal.
schnatterinchen - Die Verletzung war ja schon abgedeckt...
Vielleicht ist es so, wie Froschi sagt, damit sie selbst abschließen kann und alle Kräfte für die Angehörigen hat...
Ein paar Worte zu dem Begriff Trauma-Zentrum: Wie in Deutschland haben auch in den USA viele Krankenhäuser - längst nicht mehr alle - eine Notaufnahme. Die ist der "Emergency Room" oder "ER". Vergleichsweise wenige Einrichtungen haben daneben ein Trauma-Zentrum, ein so genanntes "Level 1 Trauma Center", wie es in "Zeit der Freundinnen" beschrieben wird. Dort gibt es die räumlichen und technischen und medizinischen Möglichkeiten, Menschen, die in akuter Lebensgefahr schweben zu "retten", i.e., zu diagnostizieren und zu stabilisieren, damit sie anschließend effektiv chirurgisch, neurochirurgisch oder intensivmedizinisch weiterversorgt werden können.
Ein engerer Patientenkontakt kommt in diesem speziellen Arbeitsfeld kaum zustande. Das Trauma-Team "klotzt ran", und wenn sie erfolgreich sind, geben sie den Fall weiter und kümmern sich um den nächsten Patienten. Was mit ein Grund dafür ist, dass manche, die in diesem Bereich arbeiten "so gar kein Einfühlungsvermögen haben". Sie lernen das in diesem Alltag nicht, und wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, dass sie es eigentlich auch nicht brauchen. Man hat ja lieber, dass Papas Bein dran bleibt, statt mitzuerleben, dass es amputiert wird - der Arzt beim Sägen aber mehrmals seinem außerordentlichen Bedauern Ausdruck verleiht ... (schreibe ich natürlich mit einem Augenzwinkern)
Dass die Ärzte im Tauma-Team keine Emotionen an sich ran lassen, ist sehr verständlich. Ich glaube, die müssen den kaputten Körper wirklich als zu reparierendes Werkstück sehen, dass sie instand setzen müssen, anders geht das wohl gar nicht. Es bringt ja auch niemandem was, wenn ein Chirurg am OP-Tisch vor Mitleid heulend zusammenbricht.
Wichtig ist es aber, dass andere Leute für die Angehörigen da sind. Die Arbeit, die Helen da macht, kann man gar nicht genug würdigen, mir würde das extrem an die Substanz gehen.
In diesem Zusammenhang ist mir zum ersten Abschnitt noch eine Frage eingefallen:
Als Charlotte völlig verzweifelt ruft: „Ich bin es, Will! Hörst du mich?“, und Helen antwortet: „Er hört Sie nicht.“
Glaubst du wirklich, dass er sie nicht „hört“?
Ich setze das „hört“ bewusst in Anführungszeichen, weil ich damit nicht die Sinne meine, die wir allgemeinhin als solche verstehen. Ich denke dabei an die Erfahrung während Evas klinischem Tod in „Zwei Frauen“, wenn du weißt, was ich meine.
Wenn diese Frage zu persönlich sein sollte, bitte einfach ignorieren.
Man muss in diesem Job seine Emotionen gut schützen, ich merke immer wieder, dass es nur so geht, deshalb finde ich die Idee sehr gut, dass es jemanden gibt, der sich um die Angehörigen kümmert, denn hier werden sie oftmals doch allein gelassen.
Es gibt in unserer Klinik auch Bereiche, in denen nur "rangeklotzt" wird und dazu zählen unser "Traumazentrum" (hier heißt es nur Notaufnahme, aber da wir die größte Klinik in der Gegend sind, denke ich, dass man es mit einem Traumazentrum gleichsetzen kann), und z.B. die Intensivstationen auf denen die Patienten meist im künstlichen Koma sind - hier ist auch kein Raum für persönliche Ansprache. Ein guter Platz für diejenigen, die gute Arbeit leisten, aber weniger an einem Gespräch mit dem Patienten oder deren Angehörigen interessiert sind....umso wichtiger wären Betreuer, wie Helen es ist, um sich wenigstens um die Angehörigen zu kümmern.
Hier war die Frage, die ich vergessen hatte! "Er hört Sie nicht!" sagt Helen im Traumaraum zu Charlotte.
Nein, ich glaube wirklich nicht, dass diese Patienten irgend etwas sehen, hören, spüren. Diese Patienten, damit meine ich hirntote Patienten. Ihre Körper sind leer, das Wunder der Transformation vom Leben in den Tod hat bereits statt gefunden, doch ermöglichen uns modernste Technik, die Hülle eine Weile am Leben zu erhalten, um einzelne Bestandteile der Hülle gegebenenfalls weiter zu verwerten.
Angehörige fragen mich das natürlich oft. Manche spüren eine gewisse Präsenz des Verstorbenen, doch würden sie die in solchen Fällen auch spüren, wenn sie nicht neben seinem Körper säßen. Ich selbst habe zuweilen auch das Gefühl, wenn ich mit den Patienten allein im Raum bin, als sei noch jemand dort. Aber nicht IN dem Körper. Eher daneben, hinter mir. Das ist längst nicht immer so, aber es kommt vor. Und laut dem menschlichen Gegenstück zur Romanfigur Doktor Kidder ist es nix als Einbildung.
Aber wie gesagt beziehe ich diese Empfindungen auf hirntote Patienten. In Gegenwart von komatösen oder sterbenden Patienten sollte man jedes seiner Worte sorgsam abwägen und möglichst sogar aufpassen, worüber man nachdenkt. Wer neben dem Bett eines Sterbenden sitzt und sich überlegt, was er noch einkaufen muss fürs Wochenende, darf sich nicht wundern, wenn der Patient plötzlich unruhig wird.
Du meinst, sie sind in diesem Moment, wo die Angehörigen kommen, schon weg?
Ja, das leuchtet mir ein, dann verstehe ich, warum Helen das sagt.
Ich hatte in diesem Zusammenhang ein Erlebnis, das vielleicht bezeichnend ist. Ich hatte vor Jahren mit einer Frau zu tun, die mitten in der Nacht aufwachte, weil sie ihren dreißigjährigen Sohn "Mama!" hatte rufen hören - nicht panisch, nicht verzweifelt, aber fordernd und irgendwie "unwirklich". Das war eine sehr sensitive Frau, und sie stand danach auf und setzte sich in den Korridor neben das Telefon, denn sie ahnte, dass es klingeln würde. Das tat es auch tatsächlich, denn ihr Sohn war bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen.
Sie stand damals neben mir vor dem Körper ihres einzigen Kindes und stellte ganz lapidar fest, das sei er nicht mehr. Und dann meinte sie, das könne er ja auch gar nicht mehr sein, denn er habe sie ja gerufen, als er ging.
Ganz simpel formuliert und nach meinem persönlichen Empfinden völlig richtig auf den Punkt gebracht.
Zu diesem Thema hab ich viel bei Dr. Raymond Moody, Elisabeth Kübler-Ross und Ian Stevenson gelesen.
Ich selbst habe eine sehr sensitive Kollegin, die in der Leichensachbearbeitung tätig war (so heißt das leider wirklich bei der Kripo :rolleyes) und bei unklaren bzw. nichtnatürlichen Todesfällen gemeinsam mit dem Arzt die erste Leichenschau gemacht hat. Sie hat dabei fast immer gespürt, ob der Verstorbene noch 'anwesend' war oder schon abgeholt wurde und hat mitunter auch Botschaften von ihm empfangen. Da es aber sehr oft Gewaltopfer aus recht unangenehmen Milieus waren, mit denen sie zu tun hatte, hat ihr das so sehr zugesetzt, dass sie sich schließlich versetzen lassen hat. Bezeichnenderweise weiß in unserem Dezernat niemand außer mir von ihrem Problem, man wird ja doch sehr schnell für balla-balla gehalten, wenn man so was öffentlich äußert.
Arbeiten die Krankenhäuser bei uns eigentlich auch mit dem Kriseninterventionsteam zusammen? Wir nehmen ihre Hilfe oft in Anspruch, wenn die Kripobeamten mit der Betreuung der Angehörigen überfordert sind. So was wie Notfallseelsorge haben wir ja auch noch. Wir greifen häufig auf solche Leute zurück, ich weiß aber nicht, wie das in den Notaufnahmen der Kliniken ist.
Wir haben Krankenhaus-Seelsorger und auch einen sozialen Dienst, aber ob die immer im Hause sind, bezweifele ich. Ich frage mal in der Notaufnahme nach, wenn ich nächste Woche wieder arbeiten muss.
Als mein Vater starb war am Abend noch nicht klar wie lange sein Leiden dauern würde, also durchaus nicht sicher, dass er innerhalb der nächsten Stunden oder Tage gehen müsste. Aber ich hielt Nachtwache und in das für mich gebuchte Hotelzimmer brachten wir meine Mutter unter, als meine Schwester sie am nächsten Morgen wecken wollte saß sie neben dem Bett und begrüßte meine Schwester mit der Zeitangabe des Todes meines Vaters als Frage, sie hatte geschlafen und "er kam um sich zu verabschieden" und da wurde sie wach und hat auf die Uhr geschaut- stimmte auf fünf Minuten mit dem letzten Atemzug, den ich gehört hatte überein. Meine Mutter ist eine erfolgreiche, mancher würde sagen harte Geschäftsfrau gewesen und keine Spinnerin.
Ich kenne viele solcher Geschichten und halte keinen einzigen Menschen, der etwas in der Art erlebt hat, für einen Spinner - denn dann wäre ich selbst die größte Spinnerin von allen! Ich war 13, als meine Großmutter starb. Ich wußte seit Tagen, dass sie sehr krank war, und war mit meiner Klasse im Schullandheim. Es war der 22. August, 12.40 Uhr, und es war glühheiß, als ich einen Hügel hinaufkletterte und plötzlich das Weihnachtslied "Tochter Zion, freue Dich!" singen MUSSTE. Es war das Lieblingslied meiner Oma, und ich bin ganz ergriffen stehengeblieben, habe leise vor mich hingesungen und gewußt, dass sie gestorben war. Hinterher stellte sich heraus, dass sie genau um 12.40 Uhr gestorben war.
In der Nacht in der mein Opa starb, träumte ich, dass er in mein Zimmer kam und sich von mir verabschiedete, am nächsten Morgen kam der Anruf...bei seiner Beerdigung erzählte ich das und zwei meiner Cousinen berichteten, dass sie in der Nacht einen ähnlichen Traum hatten...
Erstaunlich, wie viele solcher Geschichten zusammenkommen, wenn man erst mal anfängt, darüber zu reden, nicht wahr?
Ich denke, dass so was häufiger vorkommt, als wir vielleicht glauben. Nur ist es eben verständlicherweise so, dass sich nicht jeder traut, davon zu erzählen, aus Angst, für verrückt gehalten zu werden.
Ja, über solche Dinge redet man besser nicht, aber ich habe durch meinen Job, und auch in der Familie schon einige solcher Geschichten gehört und erlebt.
ZitatOriginal von Eskalina
Ja, über solche Dinge redet man besser nicht...
*michaufmeinefingersetz*
Ich gestehe, dass ich zu den Menschen gehöre, die sich nicht getrauen, sowas öffentlich zu erzählen. Aber ich bewundere eure Offenheit!
ZitatOriginal von Britt
Eine solche Mutter ist ein Fluch, und ich kann - wenn auch nicht alles an Charlotte leicht zu verstehen ist - ihr in der Hinsicht zumindest voll und ganz nachfühlen, dass sie ihre Mutter unmittelbar nach dem Unfall nicht sehen will.
Diese Frage hier hatte ich zunächst auch nicht wiederfinden können. Bei Patienten, die als Organspender in Frage kommen, kann es für die Angehörigen sehr schwierig werden, den "Tod zu erkennen". Der Patient liegt da und atmet, und obwohl er das gar nicht selbst tut, es vielmehr eine Maschine für ihn macht, sieht es aus, als würde er atmen, wie auch das Herz schlägt.
Die schweren Verletzungen werden bei uns ebenso mit Tüchern abgedeckt wie etwaige Eingriffsfelder, falls zum Beispiel der Brustkorb des Patienten eröffnet wurde, um das offene Herz zu schocken und/oder eine Blutung zu stillen. Den Angehörigen wird zwar geraten, sich nicht anzusehen, was unter den Tüchern ist, doch liegt es immer am jeweiligen Menschen, ob der den Rat annimmt.
Für viele, die sich dafür entscheiden zu gucken, ist es im Nachhinein hilfreich, das getan zu haben. Es macht gnadenlos deutlich, dass ein Weiterleben DAMIT nicht möglich war, und überdies zeigt es auch, dass seitens der Mediziner alles versucht wurde, den Menschen am Leben zu erhalten.
ZitatOriginal von Britt
Eine solche Mutter ist ein Fluch, und ich kann - wenn auch nicht alles an Charlotte leicht zu verstehen ist - ihr in der Hinsicht zumindest voll und ganz nachfühlen, dass sie ihre Mutter unmittelbar nach dem Unfall nicht sehen will.
Ich konnte das Charlotte in diesem Moment auch zutiefst nachfühlen. Es hat mich sehr an eine eigene Lebenserfahrung erinnert, als meine Oma damals von uns ging, die für mich der liebste und wichtigste Mensch in meiner Kindheit war. Ich konnte und wollte damals meinen Schmerz auch nicht mit meiner Mutter und meiner Familie teilen, sondern brauchte es, ganz für mich allein Abschied von ihr zu nehmen.
Mich hat die Szene sehr berührt, als Charlotte sich endlich traute, die Hand ihres Mannes zu nehmen. Ich hätte das gar nicht so lange aushalten können ...
ZitatOriginal von Britt
Jeder Mensch hat natürlich ein Recht auf seine Weltanschauung, und nicht jeder kann den toten Körper eines geliebten Menschen als abgelegtes Kleidungsstück sehen, das die Seele nun nicht mehr braucht, und das nun – ähnlich einer Altkleider-Spende – an den nächsten Bedürftigen weitergereicht werden kann. So etwas durch Gesetze zu regeln finde ich daher kritisch, aber auch wiederum verständlich, wenn man die Möglichkeiten sieht, Leben zu retten. Zumal der wirklich Betroffene – das Opfer – sein Einverständnis durch seinen Organspenderausweis ja schon gegeben hat.
Es ist also auch eine Frage des Besitzdenkens der nächsten Angehörigen. Dieses neue Gesetz macht deutlich, dass jeder Mensch sich selbst gehört, niemandem anders, auch nicht dem Partner. Und dass somit auch jeder über sich und seinen Körper entscheiden kann – vor und nach dem Tod.
Aber wie auch immer; Helens Job möchte ich ums Verrecken nicht machen, und wenn er noch so gut bezahlt wäre!
Ich finde, es ist so überaus wichtig, dass jeder Mensch sein Einverständnis zu Lebzeiten gibt, ob er einer Organspende zustimmt oder nicht, denn für die nächsten Angehörigen ist dies gerade im Moment des tiefsten Schmerzes, der Trauer und der Ohnmacht über den Verlust völlig unmöglich zu entscheiden. Dann allerdings sollte ein solch mit sich geführter Organspendeausweis auch schwerer wiegen als das Besitzdenken aller Angehörigen.
Für mich war bei diesem hochsensiblen Thema bisher immer die schlimmste Befürchtung, dass die Ärzte hoffentlich nicht aufgrund dessen, dass man einen Organspendeausweis bei sich trägt, einen für zu früh als hirntot erklären, obwohl man ja vielleicht noch lebt und wieder aufwachen könnte. Insofern hätte auch ich mich in Charlottes Situation 100%ig davon überzeugen mögen, ob mein Mann tatsächlich unwiederbringlich tot ist, wo er doch noch atmet. Die Schocktherapie Dr. Kidders war dann zwar äußerst brutal, aber einleuchtend ...
Da ich als 5-jähriges Kind einmal 8 Tage lang aufgrund einer Mandel-OP im Krankenhaus war und während dieser Zeit weder besucht noch am Ende zum vereinbarten Termin rechtzeitig abgeholt wurde, habe ich ein wirklich traumatisches Verhältnis zu Ärzten und Krankenhäusern im Allgemeinen und bin Ihnen, liebe Frau Hellmann, von Herzen dankbar, dass ich jetzt den Unterschied zwischen Tod, Hirntod und Koma genau verstehe und mich dem Thema Organspende völlig neu öffnen kann.
Um abschließend auf den letzten Satz von Britt zu kommen: Auch wenn ich weiß, es muss unvorstellbar hart sein, ich würde diesen Job wirklich gern machen, weil es mich über alle Maßen befriedigen würde, abends nach Haus zu kehren mit dem Wissen, etwas wunderschönes Menschliches und Hilfreiches getan zu haben ...