Hier kann zum 1. Kapitel geschrieben werden.
'Herz der Finsternis' - 1. Kapitel
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Dann mache ich mal den Anfang mit einem möglicherweise etwas schwierigen Aspekt. Bemerkenswert ist nämlich die Perspektive, aus der hier erzählt wird. Conrad hätte ja mit Leichtigkeit unmittelbar in die Figur Marlows schlüpfen und die Geschichte aus dem Blickwinkel dieser Zentralfigur heraus berichten können (entweder als unmittelbares Erleben oder nachträglichen Bericht). Das scheint für den Autor aber nur die zweitbeste Wahl gewesen zu sein. Was wir zu lesen bekommen stellt eine Art zusätzlicher „Verschachtelung“ dar: Joseph Conrads eigentlicher „Ich“-Erzähler ist eine – jedenfalls im ersten Teil – namenlose Figur an Bord der „Nellie“, zweifellos ein (ehemaliger) Seemann, Mitglied der Mission eines ebenso namenlosen Geschäftsführers, von deren Ziel oder Inhalt wir nichts erfahren und der auch Marlow, ein Buchhalter und ein Rechtsanwalt angehören. Der namenlose Ich-Erzähler lauscht nun den Worten Marlows, die ebenfalls in direkter Rede geschildert werden, so dass sich folgende „Erzählkette“ ergibt: J. Conrad – Namenloser Ich-Erzähler – Marlow (gleichfalls Ich-Erzähler).
Über die Gründe für diesen Aufbau kann ich momentan nur spekulieren: zweifellos vermittelt er aber ein gewisse Distanz zum Erzählstoff: aus der Biographie Conrads weiß ich zwar, dass er zahlreiche Details des afrikanischen Reiseberichts selbst erlebt hat – dieser Aspekt kommt jedoch im ersten Kapitel an keiner Stelle zum Tragen. Es könnte sich ebenso gut um eine komplette Fiktion oder eine auf Reiseberichten anderer beruhende Erzählung (à la „Der Schatz im Silbersee“) handeln. Der möglicherweise fiktive Charakter wird zudem noch dadurch verstärkt, dass es sich bei Marlows Bericht - nach Einschätzung des namenlosen Ich-Erzählers - um „Seemannsgarn“ handelt (dieser also vom Wahrheitsgehalt her in eine Kategorie mit Darstellungen über Meerjungfrauen, Piratenschätze und Seeungeheuer fallen könnte, Reclam Seite 9).
Man könnte daraus folgern, dass Conrad die Spuren, die er selbst auf dem afrikanischen Kontinent hinterlassen hat, verwischen und der Erzählung einen „objektiven“, von der eigenen Biographie losgelösten Charakter verleihen wollte. Vielleicht wollte Conrad nicht als „Moralapostel“ missverstanden werden. Vielleicht war es ihm nur auf diese Weise möglich, einer Art Selbstanklage aus dem Weg zu gehen (dass dem Autor solche Gedanken nicht fremd waren zeigt m. E. die hintersinnige Bemerkung des hakennasigen „first-class agent“ bei dem Gespräch, das er mit Marlow über Kurtz führt: „Die gleichen Leute, die ihn gesandt haben“ (gemeint ist Kurtz) „haben gerade auch Sie empfohlen“ (gemeint ist Marlow) – Reclam Seite 54: „The same people who sent him specially also recommended you“. Will heißen: Marlow kann so unbeteiligt tun, wie er mag, in der Wahrnehmung Dritter (z.B. auch des salutierenden schwarzen Aufpassers auf Seite 32 – 33) erscheint er unweigerlich als Teil des auf Ausbeutung und Unterdrückung ausgerichteten „Systems“ seiner Anstellungsfirma.)
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Was mich sonst noch beeindruckt hat: vor allem die Schilderung der Reise an den Sitz der Anstellungsfirma und die dort stattfindende „Heuerszene“ (Reclam Seite 17 ff.) Der ahnungslose Marlow begibt sich hier buchstäblich an die Pforten der Hölle um einen Pakt mit dem Teufel abzuschließen – und schlägt dabei offenbar alle Warnsignale und düsteren Vorahnungen in den Wind (die Ähnlichkeit des Kongo mit einer Schlange, den gräberfeldartigen Charakter der (belgischen?) Stadt, die unheimlichen Vorzimmerfrauen, die offenbar an einem Leichentuch weben) – überhaupt die immer wiederkehrenden Bezüge zum Titel der Erzählung: schon im allerersten Satz, mit dem Marlow die unter den Freunden eingetretene Stille unterbricht , wird das Thema „Finsternis“ aufgegriffen („Auch dies war einstmals einer der dunklen Orte auf dieser Welt“ - Reclam Seite und später beständig variiert: „Aber die Finsternis war bis gestern noch hier.“ (Seite 9) „Sie waren Manns genug, der Finsternis zu begegnen.” (Seite 10) Und: “It was just robbery with violence, aggravated murder on a great scale, and men going at it blind – as is very proper for those who tackle a darkness” (Seite 12). Die “Finsternis” ist hier nicht einfach Abwesenheit von Licht. Sie ist ein mächtiger Gegner, von dem Marlow sowohl angezogen als auch abgestoßen wird und dem offenbar all jene, denen er auf seiner Reise ins Innere des Kontinents begegnet, bereits erlegen sind.
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Lieber John,
nach der gestrigen Feier mit den Nordeulen musste ich etwas länger schlafen ... ich hoffe, du wähntest dich nicht allein auf weiter Flur. Nein, nein, auch ich will und werde mir Gedanken zum Herzen der Finsternis machen. Und möchte als erstes meine Gedanken zum Thema der verschachtelten Erzählweise, die du im ersten Posting erwähnt hast, zum Besten geben. Mal sehen, ob ich es einigermaßen logisch hinbekomme - es ist drei Ewigkeiten her, seit ich das letzte Mal ein Buch schriftlich auseinandergenommen habe.
Ich lese übrigens parallel die englische Penguin-Ausgabe und die deutsche Anaconda-Ausgabe.Ich glaube übrigens nicht, dass Conrad seine Spuren "verwischen" wollte, da ich annehme, dass er selbstbewusst genug war, zu seiner Rolle als "Teil des Systems" - oder, in seinen Worten, als "Geschöpf der neuen Kräfte, die am Wirken waren" (Anaconda, S. 28) – zu stehen. Im Grunde ist seine Zivilisationskritik, die ich an allen Ecken und Enden erkenne, auch nur dann haltbar.
Meiner Meinung nach benutzt Conrad die Einklammerung der eigentlichen Erzählung, um einmal Marlow zu beschreiben als jemanden, der im Gegensatz zu den normalen Seeleuten, deren Erzählungen "voller Einfalt" sind, "eine Nussschale genügt, um ihren Sinn zu fassen" (Anaconda, S. 9), als jemand dargestellt wird, der die Erzählung dazu nutzt, zum Kern durchzudringen: "(...) für ihn lag der Kern dessen, was geschah, nicht innen wie ein Kern, sondern er war die äußere Hülle der Geschichte, die nur die Folge davon war, wie Wärme einen Dunst zur Folge hat (...)" (Anaconda, S. 9).
Zum anderen relativiert die Szene auf der Themse die eigentliche Erzählung von vornherein - Conrad erlaubt es dem Leser nicht, die Ereignisse im Kongo als etwas zu konsumieren, das weit weg ist, sondern stößt ihn mit Marlows Exkurs über die zivilisierten Römer, die sich vor nun beinahe zweitausend Jahren die Themse hinaufgewagt hatten, mit der Nase darauf, dass es auch in England Zeiten gab, in denen die Finsternis herrschte. (Wobei ich es bemerkenswert finde, dass er bisher diese Finsternis, auch in Afrika, nicht wertet.) Die Themse wird austauschbar mit dem Großen Strom in Afrika - und so werden es die Ereignisse. So sagt Marlow über die Themse: "Licht ist von diesem Fluss ausgegangen, seit ... Ritter, so meint ihr? Nun ja, aber es ist wie ein flüchtiger Strahl auf eine Ebene, wie ein Blitz in den Wolken. Wir leben in diesem flackernden Strahl - mag er währen, solange die alte Erde sich dreht. Doch gestern noch herrschte hier Dunkelheit."
Mit dieser Relativierung gelingt es Conrad, die Erzählung auf eine allgemeingültige Ebene zu heben.Auch mich hat die Beschreibung der französischen Stadt beeindruckt - die Finsternis als alles beherrschendes Thema. Denn es geht ja nur oberflächlich im die Finsternis des Ungezähmten, die Finsternis des afrikanischen (oder englischen!) Dschungels. Das Herz der Finsternis ist in uns selbst - und in diese Abgründe will Conrad uns führen. Einen ersten Hinweis darauf finde ich hier: "(...) und dann auf einem Posten im Lande drinnen das Gefühl haben, dass er (der Mann aus der Zivilisation) von der Wildnis, der äußersten Wildnis ringsum eingeschlossen ist - vom ganzen geheimnisvollen Leben der Wildnis, das sich im Wald, in den Sumpfdickichten, in den Herzen der wilden Männer regt. Und es führt kein Weg zu diesen Geheimnissen. Er muss inmitten des Unbegreiflichen leben, das er noch dazu verabscheut. Es besitzt aber auch einen Reiz, der seine Wirkung nicht verfehlt. (...)" (Anaconda, S. 11)
Wir machen uns also mit Marlow auf Reise ins Unbekannte, in den namenlosen, unbenannten Schrecken, ins Herz der Finsternis - sowohl in den greifbaren Dschungel als auch in die unausgeloteten Tiefen in uns selbst, die den Schrecken erst ermöglichen. Mir persönlich ist eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen bei der Szene, in der das Kriegsschiff vor Afrikas Küste in den dräuenden, alles verschluckenden Dschungel feuert. Dr Angriff, hat - so scheint es zumindest - keinen Effekt. Die Zivilisation, die Conrad gleich im nächsten Absatz hinterfragt, hat keinen Effekt auf die alles beherrschende Wildnis, kratzt nur an der Oberfläche. Dass sie dennoch ihre Spuren hinterlässt, wird allerdings schnell deutlich, als Marlow die Camps anläuft. Doch auch hier: heruntergekommene Hütten statt prächtiger Häuser, verrostende Wagons statt sinnvoller Bauarbeiten, Pfade statt Straßen. Alle (zivilisatorische) Anstrengung erscheint nutzlos im Angesicht des maßlosen Dschungels. Und diese äußeren Umstände bringen wiederum das schlechteste im Menschen hervor: "Ich habe den Teufel der Gewalt, den Teufel der Habsucht und den Teufel der heißen Begierde gesehen; aber - bei allen Sternen! - das waren starke, springlebendige rotäugige Teufel gewesen, die Männe - Männer sage ich euch - niedergezwungen und beherrscht hatten. Doch als ich auf diesem Hügelabhang stand, ahnte ich, dass ich unter dem blendenden Sonnenlicht dieses Landes wohl einen schlappen, anmaßenden, augenzwinkernden Teufel von unverschämter, mitleidloser Torheit kennenlernen würde. Wie heimtückisch er außerdem sein konnte, sollte ich erst Monate später und tausend Meilen weiter im Inneren erfahren (...)" (Anaconda, S. 29)
Nun, Kurtz ist nach wie vor ein Phantom, seine schwammigen Umrisse nur definiert durch kryptische Äußerungen seitens des Personals der Stationen. Aber mit diesem von Conrad heraufbeschworenen heimtückischen Teufel kann es eigentlich nur dicke kommen ... -
Ah, noch ein Nachklapper - die deutsche Übersetzung finde ich teilweise nicht gelungen, es fehlt ihr an der Wucht und Genauigkeit des Originals. Und in dem bin ich hin und weg von der Wortgewalt Conrads....
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@ SteffiB:
Ich lese hier zwar nur als Zaungast, dennoch würde mich interessieren, von welcher Übersetzung Du sprichst. Bei dem gutbekannten Onlinehändler sind mindestens vier Übersetzer zu finden. Meine Ausgabe wurde von Urs Widmer übersetzt und liegt immer noch ungelesen hier. -
Liebe Steffi,
erst einmal: ich freue mich über die vielen Gedanken, die Du Dir zum ersten Teil gemacht hast! In den nächsten Tagen schaue ich mir das in Ruhe an. Mein erster Eindruck ist, dass wir beide das Gleiche meinen: Du sagst, die Verschachtelungstechnik ziele darauf ab, die Erzählung auf eine allgemeingültige Ebene zu heben - und dieser Meinung bin ich auch. Mir hat zu denken gegeben, dass die Erzählung von Conrads eigener Biographie völlig losgelöst erscheint, obwohl es sich doch um Ereignisse handelt, die den Menschen Conrad sehr geprägt haben. Distanz, Verallgemeinerung, Objektivierung, ich glaube das ist es, worum Conrad gerungen hat. Und die „Finsternis“ ist in der Tat ein innerer, in der Seele des Menschen wurzelnder Abgrund (es ist ja, in der Sonne Afrikas, nicht dunkel, sondern im Gegenteil gleißend hell...)
Faszinierend ist die Kette von Absurditäten, mit denen Marlow auf seiner Reise konfrontiert wird: der sinnlose Tod des Vorgängers Freskeven, das Kanonenboot (auf das Du hinweist) mit seiner sterbenden Mannschaft, Gruben, die ohne jede Funktion ausgehoben werden, Maurer ohne Ziegel... da könnte ich jetzt noch viel schreiben nur leider fehlt mir für heute (bis zum nächsten Wochenende) die Zeit dafür...
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@ Salonlöwin
Die Anaconda-Ausgabe, die ich auch lese, ist von Elli Berger übersetzt.Bin jetzt mit dem ersten Kapitel durch. Am Anfang war ich auch etwas irritiert, musste mir darüber klar werden, wer was von wem erzählt. Grundsätzlich finde ich solche Verschachtelungen gut, da sie eine gewisse Distanz schaffen, ohne die Intensität einer Erzählung zu mindern. Auch besteht die Möglichkeit, die Conrad zumindest im ersten Kapitel nutzt, einfach einen Bruch einzubauen und kurz zur Rahmenhandlung zurückzukehren, um die Gefühle des Zuhörers zu schildern (Unbehagen).
Allein schon die Beschreibung der "beschwerlichen Pilgerreise zwischen schattenhaften Schreckgespenstern" entlang der Finsternis war für mich beängstigend. Hinzu kamen noch die schon von John beschriebenen Absurditäten, die viel Willkür hatten und die zeigen, dass alles möglich ist, ohne einer Logik zu folgen, also auch die größten Grausamkeiten.
Interessant auch Marlows moralische Gedanken, als er auf die "Wilden" trifft. Er bezeichnet sie als Verbrecher, relativiert dies aber:"...das gröblich verletzte Gesetz war, wie die Granaten des Kriegsschiffs, als unerklärliches Geheimnis vom Meer zu ihnen gekommen."
Auf Mr. Kurtz bin ich schon sehr gespannt, so richtig kann ich mir noch kein Bild machen. Dass der weitere Verlauf und die Begegnung mit der Finsternis Marlow beeinflussen, deutet er selbst ja schon an:"Ich merkte, dass ich wissenschaftlich interessant wurde".
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Zitat
Zitat: Original von siwa
„Auf Mr. Kurtz bin ich schon sehr gespannt, so richtig kann ich mir noch kein Bild machen.“
Mir geht das ganz genauso! Mr. Kurtz: wenn ich richtig gezählt habe, wird der geheimnisvolle Leiter des „inneren Postens“ im ersten Teil nicht weniger als achtmal erwähnt. Von ihm ist in Marlows Gesprächen mit dem Chefbuchhalter der ersten Station („Im Inland werden Sie ohne Zweifel Mr. Kurtz antreffen“, S. 39), mit dem Manager und dem jungen Handelsvertreter die Rede und ich bin mir nicht sicher, ob nicht schon einer der allerersten Sätze Marlows auf Kurtz abzielt: „Ich möchte euch nicht mit meiner persönlichen Lebensgeschichte langweilen, aber um die Bedeutung dieses Ereignisses für mich zu verstehen, müsst ihr wissen, wie ich dort hingekommen bin, was ich gesehen habe, wie ich den Fluss hinaufgefahren bin zu dem Ort, wo ich den armen Kerl („poor chap“) getroffen habe.“ (S. 13) Soviel ist sicher: Mr. Kurtz muss eine außergewöhnliche, respekteinflößende Erscheinung sein, dem sich alle Angestellten der Handelsfirma auf geheimnisvolle Weise untergeordnet bzw. unterlegen fühlen (das geht schon aus der Anrede „Mr.“ hervor, die von niemandem ausgelassen wird). Ein Anführer, von dem nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird. Vom Manager erfährt Marlow, dass Mr. Kurtz möglicherweise in Schwierigkeiten steckt und erkrankt sei (S. 48), der junge Handelsvertreter beschreibt ihn als „Abgesandten des Erbarmens („emissary of pity“), der Wissenschaft, des Fortschritts und weiß der Teufel was sonst noch“ (S. 54) - was umso wichtiger ist, als Marlow von seiner Tante als „Abgesandter des Lichts“ („emissary of light“) bezeichnet wurde. Mr. Kurtz hinter-lässt ein rätselhaftes Ölbild, ein schwer zu ergründendes Symbol von Licht und Dunkelheit, Feuer und Blindheit, und der Leser muss sich offenbar eine eigene Meinung darüber bilden, ob Marlow die Begegnung mit einem Heiligen oder dem Teufel persönlich bevorsteht.
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Nun bin ich auch dazu gekommen das erste Kapitel zu lesen. Und ich scheine die Einzige bisher zu sein, die sich mit diesem Buch etwas schwertut...
Vielleicht mag es an der Übersetzung (von Ernst W. Freissler) liegen, aber auf mich übt dieses Buch keinerlei Sogwirkung aus, es vermag mich nicht zu fesseln und ich muss mich sehr konzentrieren um überhaupt nachvollziehen zu können was mir der Erzähler mitteilen will.
Die Verschachtelungstechnik mag gefallen, mir jedoch nicht - ich fand sie gerade am Anfang sehr verwirrend...
Ich bin erstaunt was hier bereits geschrieben wurde, manche Gedanken kamen mir nicht mal ansatzweise. Kann es sein das etwas Vorkenntnis über Conrad nötig ist um dieses Buch besser zu verstehen? Oder habe ich einfach nur eine völlig andere Ansicht?
Über Marlowe kann ich immerhin sagen das er mir bisher nicht sonderlich sympathisch ist, ist so ein Gefühl das sich während des Lesens verstärkt hat. Schockiert war ich über die Art wie über die Schwarzen geschrieben wurde, aber ich denke diese Worte wurden mit Absicht gewählt um vielleicht genau diesen Effekt zu erreichen. Zum Beispiel:Zitat"Ich habe mir eines der eingeborenen Weiber von der Station abgerichtet."
Menschenverachtend meiner Meinung nach.
Furchtbar war für mich zu lesen wie sie behandelt wurden, nicht mal als Mensch zweiter Klasse (schlimm genug!) sondern wie Tiere, die man, sobald sie "ausgediehnt" haben verenden lässt.
Ich hoffe sehr dass das Buch und ich noch zueinander finden werden... -
Zitat
Original von Nofret78:
Menschenverachtend meiner Meinung nach.
Du sprichst da, Nofret, natürlich einen wichtigen Aspekt an, nämlich die Frage, mit was für einer Art von „Geschichte“ wir es hier zu tun haben. Und da ist „menschenverachtend“ m. E. ein treffender Ausdruck. Mich haben, ehrlich gesagt, manche Details an jene Scheußlichkeiten erinnert, die man sonst nur mit deutschen Konzentrationslagern in Verbindung bringt: die in Ketten gelegten, bis auf die Knochen abgemagerten Arbeiter; die Grube, in die sich dieselben offenbar zum Sterben zurückziehen; die Aufseher, die versuchen, bei all dem Leid, das sie dort anrichten, „Haltung“ zu bewahren... („Nahe beim Gebäude traf ich einen Weißen, der so unerwartet elegant gekleidet war, dass ich ihn zunächst als eine Art Vision betrachtet hatte.“ Seite 37)
Nach allem, was man heute über die Raubzüge europäischer Kolonialmächte in Afrika und anderswo weiß, über deren nimmersatte Gier nach Bodenschätzen und Einflussgebieten, dürfen die Schilderungen Marlows aber wohl getrost als Tatsachenbericht verstanden werden. Man kann davon ausgehen, dass die Wirklichkeit schlimmer war. Die Menschen Afrikas leiden heute noch daran. Darüber hinaus wurde das darin liegende Unrecht zu Conrads Zeiten noch viel weniger erkannt, als das heute der Fall ist – allerdings: Conrad steht eindeutig auf Seiten der Kritiker. Ein „Durchschnittszeitgenosse“ hätte die sterbenden Menschen wohl nicht einmal bemerkt, Marlow erstarrt vor Entsetzen (S. 37 „While I stood horror-struck, one of these creatures rose to his hands and knees and went off on allfours towards the river to drink“ Seite 37). Und der Satz, den Du zitierst (der mit dem „abgerichteten“ eingeborenen Weib), stammt ja nicht von Marlow, sondern von jener eleganten „Vision“, dem ersten Buchhalter der Handelsfirma, der die Not um ihn herum nur insofern bemerkt, als sie ihn in seiner Konzentration beeinträchtigt („Das Stöhnen des Kranken lenkt meine Aufmerksamkeit ab. Und ohne sie ist es extrem schwer, sich bei diesem Klima gegen Schreibfehler zu schützen.“ Seite 39).
Die eigentliche Frage scheint mir zu sein, wie lange es Marlow gelingt, „außerhalb“ des Systems zu bleiben und nicht von den europäischen „Pilgern“, wie er sie nennt, korrumpiert zu werden.
Ansonsten hoffe ich natürlich sehr, dass Du und das Buch noch zueinander finden werdet! Ich selbst muss mich leider ("der lieben Arbeit wegen") bis zum nächsten Wochenende wieder vom Herzen der Finsternis abmelden...
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Es tut mir leid, dass ich erst so spät einsteige.
Eigentlich hatte ich das erste Kapitel schon am 7. März gelesen und wollte dann hier meine Meinung dazu schreiben. Als ich aber eure Kommentare dazu gelesen habe, ist mir aufgegangen, daß ich wohl etwas unkonzentriert und oberflächlich gelesen habe. Daher habe ich das Kapitel noch einmal gelesen.Ich lese übrigens die SZ-Ausgabe und wenn ich es richtig verstanden habe, ist diese von Urs Widmer übersetzt worden.
Zumindest aber hat Urs Widmer ein Nachwort dazu geschrieben, das ich aber jetzt noch nicht gelesen habe.Die Verschachtelung der Erzähler ist mir schon beim ersten Lesen aufgefallen und ich hatte auch keine Schwierigkeiten damit. Allerdings hätte ich da jetzt nicht so viel hineininterpretieren können, wie John Dowland und SteffiB es taten.
Vielen Dank für diese Hilfestellung.Da hier vieles schon geschrieben wurde, möchte ich nur noch eine Stelle erwähnen, die mich außerdem noch beeindruckt hat:
"Als kleiner Junge hatte ich eine Leidenschaft für Landkarten. Ich konnte stundenlang auf Südamerika oder Afrika oder Australien schauen un mich in all den Herrlichkeiten meiner Forschungsreisen verlieren. Damals gab es noch viele weiße Flecken auf der Erde [...] In Tat und Wahrheit war er ( Anm.: der afrikanische Kontinent) längst kein weißer Fleck mehr. Er war seit meinen Kindertagen mit Flüssen und Seen und Namen angefüllt worden. Er war nun kein leerer Raum für köstliche Geheimnise mehr - ein lichtes Stück Land, über dem ein Junge von Ruhm und Ehre träumen konnte. Er war ein Ort der Finsternis geworden." (SZ-Ausgabe S. 13/14)
Leider habe ich mich nie besonders für Geographie und Geschichte interessiert. Aber diese Stelle hat mich neugierig gemacht und ich würde gern wissen, wie die Weltkarten um 1850 ausgesehen haben. Hoffentlich finde ich darüber etwas im Internet.
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@ Nofret78
Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sich die verschiedenen Übersetzungen unterscheiden.
In meinem Buch lautet der Satz folgendermaßen:
ZitatIch habe eine der eingeborenen Frauen der Station angelernt. Es war schwierig. Sie haßte die Arbeit.
Das hört sich leider sehr viel harmloser an als dein Zitat.
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Zitat
Original von nofret78
Charlotte
Es ist echt erstaunlich wie die sich unterscheiden.
So hört es sich tatsächlich "harmloser" an und hätte mich beim lesen wahrscheinlich um einiges weniger erbost als die Passage in meinem Buch. Ich bin mal gespannt, wieviele derartige Übersetzungsabweichungen noch auftauchen.Das ist wirklich erstaunlich. Und aus Neugierde habe ich noch einmal in der Penguin-Ausgabe geblättert. Dort steht – völlig harmlos: "I've been teaching one of the native women about the station. It was difficult. She had a distaste for the work."
Ehrlich gesagt, ich bin ziemlich verwirrt. Ich hätte eigentlich angenommen, dass die drastischere Übersetzung dem Original näher kommt, doch dem ist nicht so. Der Buchhalter drückt sich selbst für die heutige Zeit political correct aus. Die drastische Variante hätte ich als "Aufrüttler" für die um die Jahrhundertwende an Abscheulichkeiten gewöhnten Leser gedeutet, aber so? Die nächste Frage wäre: Warum hat sich der Übersetzer diese Freiheit genommen???? -
Zitat
Original von SteffiB
Die nächste Frage wäre: Warum hat sich der Übersetzer diese Freiheit genommen????Das frage ich mich jetzt auch! Vorallem weiss ich jetzt nicht ob es an der Übersetzung liegt dass das Buch und ich noch nicht so miteinander können wie ich es gerne hätte. Ich weiss nicht recht, ob ich es mir mit meinen bescheidenen Englischkenntnissen zutraue es im Original zu lesen...
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Liebe Nofret, auch wenn ich etwas verwirrt über diese übersetzerischen Freiheiten bin, so glaube ich trotzdem nicht, dass sie am Grundton der Erzählung etwas ändern. Sie ist vor über hundert Jahren geschrieben worden, und die Weltsicht war eine andere. Gerade in diesem Kontext finde ich es bemerkenswert, wie weit Conrad sich aus dem Fenster hängt, indem er die kolonialen "Goldgräber" und Hasardeure als Dummköpfe von niederer Moral aburteilt, obwohl sie gesellschaftlich sanktioniert waren.
Vielleicht hat der Übersetzer sich die Freiheit genommen, weil die menschenverachtende Haltung des Buchhalters so noch offensichtlicher wird. Denn eigentlich drückt er auch mit seinen glatten, korrekten Worten nichts anderes als Verachtung für die Afrikaner aus. Von einem Mann wie diesem, mit seinen geschliffenen Manieren und dem tadellosen Äußeren, erwarte ich eigentlich auch eine kultivierte Sprache. Die Verachtung liegt zwischen den Zeilen. -
Zitat
Original von SteffiB
Die Verachtung liegt zwischen den Zeilen.Das ausserdem, daher brauche ich sie nicht unbedingt noch so offensichtlich. Mir ist klar, dass die Sichtweise dieser Zeit eine andere ist als die von heute. Mich stört weniger das Conrad sie so drastisch ( für mein Empfinden) wiederspiegelt, sondern das es sie gab. Das macht mich so ungehalten... Ich reagiere auf solche Dinge eben recht emotional, daher geht mir das Buch diesbezüglich an die Nierchen und ich werde nicht recht warm mit ihm.
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Das geht mir auch so. Es ist ein unglaubliches Armutszeugnis für unsere Kultur, dass es solche Zeiten gab - andererseits haben sich die meisten Völker dieser Erde nicht gerade mit Ruhm bekleckert, wenn sie die Gelegenheit und Stärke hatten, anderen übel mitzuspielen. Ich befürchte, dass die menschliche Natur eine eher dunkle ist – und damit habe ich auch gleich den Weg zurück ins Herz der Finsternis gefunden.
edit: Mir fällt gerade noch etwas ein: Ich habe sehr weit oben auf meinem SuB, also, an erster Stelle, um genau zu sein, "Jerry der Insulaner" von Jack London liegen. In meiner Kind- und Jugendzeit war es eines meiner Lieblingsbücher, und ich habe es vor ein oder zwei Jahren mal wieder hervorgekramt, musste aber nach einigen Seiten abbrechen. Mir war als Kind natürlich nicht aufgefallen, wie rassistisch dieses Buch ist – Hunde sind für London eindeutig höher zu bewerten als "Nigger" (in diesem Falle die Bewohner der Solomonen im Pazifik). Mit den Gedanken aus dieser Leserunde im Gepäck werde ich das Buch aber trotzdem noch einmal zur Hand nehmen, auch wenn ich weiß, dass mir sicherlich eine Menge sauer aufstoßen wird. Mal schauen, ob es zur Demontage eines der Helden meiner Kindheit (Jack London) reicht ...