Willy Vlautin - Northline

  • Ich habe "Northline" als Hörbuch gehört, bzw. versucht, es zu hören. Für das Hörbuch gibt es bisher keinen eigenen Thread, deshalb schreibe ich mal hier rein.
    Die Geschichte ist von Anfang an interessant und ich kann mir gut vorstellen, dass mich das in Buchform fesseln könnte. Leider komme ich beim Hörbuch nicht über die erste CD hinaus und habe es jetzt auch aufgegeben, weil Nicolette Krebitz so derart unerträglich nölig liest, dass ich ganz agressiv dabei werde.
    Bei Gelegenheit werde ich mir also doch die Buchausgabe zulegen und kann nur inständig hoffen, dass ich bis dahin Frau Krebitz' Gequengele soweit vergessen/verdrängt habe, dass es mir beim Lesen nicht permanent in den Ohren klingelt *grusel* :rolleyes

  • Zitat

    Original von Seestern
    Bei Gelegenheit werde ich mir also doch die Buchausgabe zulegen und kann nur inständig hoffen, dass ich bis dahin Frau Krebitz' Gequengele soweit vergessen/verdrängt habe, dass es mir beim Lesen nicht permanent in den Ohren klingelt *grusel* :rolleyes


    Mit dem Buch solltest du es wirklich noch mal versuchen. :wave Es würde mich ja echt freuen, wenn du Willy Vlautin vielleicht doch noch etwas abgewinnen würdest - nach dem dir Motel Life ja nicht ganz so gut gefallen hat.

  • Ich habe Northline noch in den letzten Tagen des alten Jahres gelesen und somit mein Jahreshighlight 2009 gefunden.
    In einem schlichten Stil erzählt Willy Vlautin die Geschichte von Allison, die in einer gewalttätigen Beziehung steckt, oft zuviel trinkt, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und generell an die falschen Leute geraten ist.
    Fesselnd und wirklich berührend liest sich ihre schwierige und hoffnungsvolle Geschichte, in der sie langsam wieder Vertrauen in andere Menschen setzen kann.
    Dennoch ist es keine Betroffenheitsliteratur, eher im Gegenteil. Vlautin kann mit wenigen Worten Gefühle beschwören und hat mich wirklich begeistert.
    Motel Life ist ganz oben auf meinem Wunschzettel. Danke an Buzz, ohne die mir das Buch nie aufgefallen wäre.


    10/10. :-)

  • Ein Buch und eine Geschichte über die amerikanische Unterschicht, auch genannt White Trash, wie man sie sich mit allen Vorurteilen vorstellt. Die Mutter eine arbeitslose und hoffnungslose Säuferin und die Tochter Allison auf dem besten Wege dazu, der Vater abgehauen und der Freund von Allison ist ein drogenkonsumierender, gewalttätiger Loser (Verlierer). Die Lage ist hoffnungslos und die Weichen sind so eingestellt das der zweiundzwanzigjährigen Allison nur eine trostlose und erbärmliche Zukunft bevorsteht. Zu allem Übel wird sie schwanger und sie sieht keinen anderen Ausweg mehr als abzuhauen. In Reno hat sie die Adresse einer Klinik und sie beschliesst ihr Kind gegen Bares (ich glaube 1500 Dollar) zur Adoption freizugeben.


    Dank diesem „Startkapital“ kann sie sich eine einfache Wohnung mieten und sie findet einen Job als Kellnerin. Sie ist froh ihr altes Leben hinter sich gelassen und sämtliche Kontakte abgebrochen zu haben. Aber leider überfallen sie immer wieder Panikattacken in denen sie sich hemmungslos dem Alkohol hingibt. In diesem Zustand wird sie immer wieder leicht Beute für heruntergekommene Männer die sie sexuell missbrauchen. In diesen Momenten, wenn sie ganz unten ist und sogar an Selbstmord denkt, hat sie immer wieder Visionen wie der Schauspieler Paul Newman zu ihr spricht und sie tröstet. Der Paul Newman den sie aus unzähligen Filmen kennt und den sie geradezu vergöttert.


    Dies alles hört sich an wie ein Roman der den Leser mit seiner Melancholie und Tristesse auch mit herunterzieht. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Schnell hat Allison meine Sympathie gewonnen und ich freute mich mit ihr über jede noch so kleine Aufmerksamkeit und Freundlichkeit die sie erfahren darf. Und sei es nur ein Mensch der sie anlächelt oder ein Tag den sie ohne Alkohol übersteht. Ja, die Freude an kleinen Dingen, ganz banale Dinge die ich nicht einmal mehr wahrnehme helfen ihr weiter und stärken ihren Glauben an sich selbst. Nur ein ganz kleines Bisschen zwar, aber immerhin besser als nichts. Schliesslich findet sie einen Menschen dem sie ein ein kleinwenig vertrauen schenken kann. Und so gibt es für Allison vielleicht doch noch Hoffnung auf den „American Dream“. Kein Reichtum oder ähnliches, aber den Traum der kleinen Leute, das Leben einigermassen in den Griff zu kriegen und ein anständiges Leben zu führen.


    Das Buch ist mit seinen knapp zweihundert Seiten recht kurz. Die Sprache würde ich auch als knapp und recht einfach aber trotzdem glasklar beschreiben. Der Autor beschränkt sich darauf nur das Wichtige zu erzählen. Keine Nebenhandlungen sondern nur der kleine Ausschnitt aus Allisons Leben ist von Bedeutung. Und der Autor hatte mich schon bald genau da wo er mich haben wollte, ich fühlte, bangte, freute und litt mit der Hauptprotagonistin mit. Wie hat er das bloss geschafft? Faszinierend! Spielt da vielleicht sogar die beiliegende CD eine Rolle? Die Musik passt genau zur Stimmung des Romans und sie verstärkt die Wirkung auf den Leser. Tolle Idee!


    Um hier mal ganz moralisch zu werden: Es gibt sie, diese Leute die alle Hoffnung auf ein besseres Leben begraben haben. Sie leben mitten unter uns, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Meistens nehmen wir sie gar nicht wahr. Wer hat noch nie an der Kasse eines Supermarktes oder einer Tankstelle hinter einer Person gestanden die billigen Schnaps eingekauft hat? Der leere Blick, das ungepflegte Äussere, nur den Wunsch so schnell wie möglich in ihr einsames Zuhause zu kommen, die Schnapsflasche zu öffnen um dann die Realität mit Alkohol zu betäuben. Nein, wir wollen sie gar nicht wahrnehmen diese Menschen. Ich behaupte Mal, dass keine Eule zu diesen Randständigen gehört und wahrscheinlich kennen wir auch niemanden persönlich dem ein solche Schicksal beschieden ist. Ja genau das ist das Wort das uns in den Sinn kommt, Schicksal, an dieses Wort denken wir wenn wir eine solche Person sehen, Schicksal und „hat wohl Pech gehabt“ und dann lenken wir unsere Gedanken sofort auf andere Dinge, angenehme Dinge. War hätte gedacht das eine Person aus diesem Milieu zur Romanheldin taugt? Vielleicht gerade deshalb ist dieser Roman so lesenswert.

  • Nachdem mich "Motel Life" sehr begeistert hat, konnte mich auch "Northline" überzeugen, die beiden Bücher stehen auf derselben (hohen) Stufe.
    Wer hätte gedacht, daß eine junge, problembelastete Frau wie Allison eine solch differenzierte, interessante und eindrucksvolle Romanheldin abgeben könnte. Vlautin schafft es mit seiner simplen, aber prägnanten Schreibweise unglaublich gut, die Inhalte eindrucksvoll und eindringlich zu transportieren, ohne viele Worte verlieren zu müssen und ohne in Schwarz-Weiß-Zeichnen der Figuren zu verfallen.


    Ein ganz bemerkenswerter Roman, der aus der Masse an Veröffentlichungen heraussticht und wohl einige Zeit nachhallen wird. Ich freue mich schon auf seinen dritten Roman "Lean on Pete", der bereits bereitliegt, aber noch ein wenig aufgespart wird.

  • Meine Meinung:


    Mir hat "Northline" auch gut gefallen.
    Es ist ein direktes Buch, in dem nichts verschwiegen oder zurecht geredet wird. Im Mittelpunkt stehen die Verlierer des amerikanischen Traumes, die weiße Unterschicht Amerikas. Die Personen sind nicht einseitig geschildert, sondern man lernt sie mit ihren Widersprüchen und Brüchen in der Biografie kennen. So kann man als Leser manche Handlung und Reaktion der Hauptfiguren verstehen. Der Autor belässt es bei der reinen Schilderung der Ereignisse, er wertet und moralisiert nicht – meiner Meinung nach ist dies die eigentliche Stärke des Buches.


    Der Inhalt, die Handlung des Romans sind meist trostlos und werden realistisch und drastisch beschrieben. Dabei wird nichts ausgelassen: Alkohol- und Drogenkonsum, Gewalt, Rassismus … Die Sprache hierzu ist sehr einfach gehalten, fast banal.


    Richtig gut gefallen haben mir die Passagen, in denen Paul Newman sich zu Allison setzt, ihr zuhört, sie tröstet und ermutigt. Das las sich auch immer recht witzig und beschwingt, bspw. wie Paul Newman es sich auf dem Stuhl bequem macht, die Beine auf dem Tisch, eine Dose Bier öffnet und sie dann mit "Hey Kleines" anspricht … Hätte es diese Passagen in dem Buch nicht gegeben, wäre mir der Roman zu traurig und trist geworden – ein genialer Kniff ist dem Autor mit diesen Fantasie-Szenen da geglückt, finde ich.


    Auch die CD, die dem Buch beilag, gefiel mir sehr gut. Bei einem Roman kannte ich so etwas noch nicht, schöne Idee, ich hab den Soundtrack zum Buch gerne gehört.


    Zufrieden war ich auch mit dem Ende der Geschichte, weil es einen Hoffnungsschimmer zugelassen hat.


    Einige kleinere Kritikpunkte habe ich allerdings trotzdem:
    Die Sprache war mir insgesamt doch zu einfach, zu reduziert und zu belanglos. Bei den Dialogen musste ich manchmal überlegen, wer nun gerade spricht, ab und zu ein "sagte er" oder "sagte sie" mehr wäre hilfreich gewesen. Und die kurzen Kapitel standen mitunter ein wenig zu beziehungslos nebeneinander.


    So ganz ist der Funke daher nicht auf mich übergesprungen, aber 8 Punkte sind ja auch okay. :-)


    Leseprobe:


    Von den ersten drei Kapiteln hat der Berlin Verlag eine Leseprobe spendiert: <klick>