Verlorene Schätze im Stadtarchiv Köln

  • Seit gestern bin ich in so einer Art Schockstarre.
    Gestern sind in Köln tausend Jahre Geschichte auf nimmer Wiedersehen im Beton verschwunden. Die älteste Urkunde stammte aus dem Jahre 922.
    Die Gründungsurkunde der Kölner Universität aus dem Jahre 1388 ist futsch, genau wie das Reichsstadtprivileg des Jahres 1475, mit dem sich Kaiser Friedrich III. für die Kölner Hilfe im Neusser Krieg bedankte.
    1800 mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften aus dem Handschriftenbestand sind ebenfalls für immer verloren, siehe hier, [URL=http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,611250,00.html]hier[/URL] und [URL=http://www.sueddeutsche.de/,tt2m1/panorama/791/460425/text/]hier.[/URL]


    Der kulturelle Verlust ist riesig, da fehlen mir einfach die Worte, zumal es genug Vorwarungen für diese Katastrophe gab, wie Wasserschäden im Stadtarchiv, Risse in den Wänden nicht zu vergessen der "schiefe Turm von Köln", denn bereits Ende September 2004 geriet ein Kirchturm durch den Tunnelbau in Schieflage.


    Wenn die keine U-Bahn bauen können, sollte das ganze Projekt besser gestoppt werden, bevor noch mehr Schaden entstehen kann. Ich bin im Moment erstmal sprachlos.

  • Öhm, sie sind nicht im Beton verschwunden, sondern liegen untern Gebäudetrümmern.


    Was genau verloren ist, wird man erst wissen, wenn die Reste geborgen sind.


    Ja, ich finde es auch schrecklich. Nein, es hätte nicht passieren dürfen.
    Ebensowenig wie Kriege, die weltweit Tonnen von Kulturgut vernichten. Wahrscheinlich grad iin diesem Moment, in dem ich das schreibe.


    So schlimm der Gebäudeeinsturz auch ist, sehe ich angesichts der Berichterstattung im Moment vor allem eine berüchtigte Tendenz: über Kulturgüter wird am liebsten geheult, wenn sie verschütt gegangen sind.


    Wer setzt sich mit soviel Herz für die Pflege ein, wenn alles normal läuft?
    Ich warte gespannt auf die Spendenaufrufe an die Öffentlichkeit. :rolleyes



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Bis jetzt ist noch nicht genau klar, was zum Einsturz des Gebäudes geführt hat. Der U-Bahnbau wird allerdings als sehr wahrscheinliche Ursache gehandelt. Ok, es ist schlimm, dass höchstwahrscheinlich ein großer Teil unwiederbringlicher Urkunden und Schriftstücke verloren ist. Schlimmer finde ich aber, dass noch immer nicht klar ist, ob noch Opfer unter den Trümmern liegen.
    Und schlimm ist auch, dass es offenbar Anzeichen für ein bevorstehendes Unglück nicht ausreichend beachtet worden sind. Aber bei allem Schreck muss man sich darüber klar sein, dass auch bei den ersten Anzeichen (ich glaube, vorgestern gab es eine sichtbare Neigung des Gebäudes) keine Rettung des Archivinhalts mehr möglich gewesen wäre. Dort lagerten 18 km Akten! Die schafft man nicht einfach über Nacht weg.

  • Ich darf nicht dran denken was passiert wäre, wenn das Gebäude letzte Woche Montag eingestürzt wäre. An dieser Stelle geht der Rosenmontagszug vorbei. Vor dem Gebäude hätten dicht gedrängt hunderte von Menschen gestanden.


    Klar ist der Verlust der historischen Dokumente unermessbar. Schlimmer finde ich im Moment aber auch die möglichen Todesopfer.
    Eine U-Bahn an dieser Stelle ist so nötig wie ein Kropf, weil dieses Verkehrsstück eh schon durch Straßenbahnen und Busse erschlossen ist. Das ist ein reines Prestigeobjekt, was nur Ärger macht und eh schon oppelt so teuer ist wie geplant.


    Unser lieber OB hat dann heute morgen in einem Interview vorgebracht, dass man vielleicht doch überlegen sollte, ob man an so einer sensiblen und stark bewohnten Stelle eine U-Bahn baut. Fällt ihm früh ein - nach fünf Jahren Bauzeit und einer geplanten Fertigstellung in 2010.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Eine U-Bahn an dieser Stelle ist so nötig wie ein Kropf, weil dieses Verkehrsstück eh schon durch Straßenbahnen und Busse erschlossen ist. Das ist ein reines Prestigeobjekt, was nur Ärger macht und eh schon oppelt so teuer ist wie geplant.


    Die Kosten für das Projekt sind von 320 Millionen Euro auf rund 950 Millionen explodiert.

  • Als der Bericht im Fernsehen kam, konnte ich es erst gar nicht glauben. Natürlich ist es schade um die ganzen historischen Dokumente, die eventuell nicht mehr gerettet werden können, aber ich finde es viel wichtiger, dass bis jetzt noch keine Todesopfer bekannt sind. Hoffentlich bleibt das auch so und die drei Vermissten tauchen andernorts wieder auf. Wenn man bedenkt, dass das Archiv zum Zeitpunkt des Einsturzes geöffnet war und dass die Nachbargebäude gleich mit eingestürzt sind, ist die Sache echt noch glimpflich ausgegangen.

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Naja, gewissermaßen sind sie schon im Beton verschwunden, da Teilbereiche zur Stabilisierung mit Betonaufgegossen wurden, um die Stabilität wieder her zustellen...


    Ich seh das ähnlich wie Bouquineur, was da eine Ubahn soll, weiß kein Mensch... muß man aber auch nicht wissen... auf jeden Fall wird jetzt vielleicht endlich das alte Polizeipräsidium abgerissen, das auch schon vorher nicht mehr wirklich den baulichen Standards entsprach....

  • Nachdem sich ein Kirchturm gesenkt hat, in etlichen Häusern entlang der UBahnstrecke Risse auftauchten, war es doch fast eine Katastrophe auf Ansage.
    Ich hoffe wirklich, dass der Oberbürgermeister seine Worte, die er heute morgen sicher in Rage gesagt hat, in Erinnerung behält: nämlich das der Bau einer unterirdischen Anlage in einer belebten Altstadt unverantwortlich ist.
    Ich hoffe wirklich, dass der Wahnsinn gestoppt wird - auch wenns jetzt schon Millionen verschlungen hat: lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende.


    Der kulturelle Verlust für Köln wird sicher immens sein. Allerdings finde ich es tragischer, dass vermutlich Menschen dabei zu Tode gekommen sind.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

  • Zitat

    Original von janda
    Ich hoffe wirklich, dass der Oberbürgermeister seine Worte, die er heute morgen sicher in Rage gesagt hat, in Erinnerung behält: nämlich das der Bau einer unterirdischen Anlage in einer belebten Altstadt unverantwortlich ist.


    Ich meine mich zu entsinnen, genau dieses gestern Abend aus seinem Munde in den Fernsehnachrichten gesehen (bzw. gehört) gehört zu haben. Jetzt frage ich mich die ganze Zeit: es wurde doch ein Bauauftrag vergeben. Für den ist jemand verantwortlich. Wird der (bzw. die) jetzt eigentlich zur Verantwortung gezogen, wenn ein anscheinend unverantwortliches Bauwerk zu solchen Folgen führt?


    Was ist mit den anderen Geschädigten? Stehen die jetzt "im Regen" und dürfen sehen, wie sie zurecht kommen?

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • wenn ich richtig gehört habe, hat der OB das inzwischen etwas relativiert.


    was die Dokumente betrifft hoffe ich doch sehr, das so Uralte Urkunden nicht in einfachen Schränken gelagert wurden. Ich weiß von einigen Archiven das die für spezielle Dokumente einen Tresor haben.
    Ich weiß aber auch, das wegen Geldmangel vieles vernachlässigt wird.


    Schlimm genug ist das Opfer zu beklagen sind, aber ich gestehe das mein 1. Gedanke auch den Schriften galt.


    Der U-Bahnbau wird aber wohl auch einiges an Archologischen Sensationen zerstören ohne das irgendeiner davon etwas mitbekommt. Die werden wegen dem Geld und möglichen Baustops nichts gesagt haben. Schließlich ist Köln uralt und an einigen Stellen gibt es ja Bauwerke unter der Stadt.


    Insgesamt ist es eine ziemliche Tragödie für die Anwohner, die jetzt mehr oder wenig vor dem Nichts stehen.


    bno

  • Sind die verschwundenen leute wieder aufgetaucht? Ich hoff doch sehr, die stadt zahlt für die unterbringung derer, die nicht mehr heim können...


    Ich frag mich jedes mal wieder, was sich leute denken, die fünf- sechs stockwerke tiefe gruben mitten in der - bewohnten und begangenen - altstadt machen, oder tiefgaragen oder u-bahnen drunter bohren... In IBK ist grad auch so ein riesenloch, und die nachbarhäuser haben alle risse; auf archäologie und stadtgeschichte schaut sowieso keiner... die haben schon beim 'friedhofs-umbettungs-prjekt vor der nase der archäologen alles weggebaggert, was wirklich relevant war, wegen zeitdruck...


    Papier ist härter im nehmen als man denkt, pergament sowieso, wenn tatsächlich beton zur absicherung draufgespritzt wurde, sind die deckblätter hien, der rest vermutlich auf ewig konserviert - bloss nicht zugänglich


    Hat's draufgeregnet? In IBK hat es vor etlichen jahren mal das Landesarchiv überschwemmt - vor allem die kellerräume, und die darin gelagerten klösterherbarien, die man wegen zerbrechlichkeit nicht ausheben durfte, waren fast alle futsch, und wurden mit schaufeln und rechen aus dem wasser gefischt, aber ein grossteil der texte konnte trotzdem gerettet werden...


    Leute, und ich kann allen archiven nur eine rute ins fenster stellen: einscannen und online stellen, denn wenn eine virtuelle kopie existiert, und jederzeit von allen seiten her runterladbar und auf jeden computer kopierbar ist, kann man raritäten besser verbreiten... etwa auf allen uni's DVD's damit brennen und der schaden bei einem verlust der originaldokumente ist nicht mehr so hoch und so bitter, man kann sich den scan ja jederzeit wieder ausdrucken, wenn es einem nach papier gelüstet...


    und nochwas, was ich mir bei jedem besuch des hiesigen archivs denke: es ist eine schande, dass etwa die tschechen, die angeblich so arm und schlecht ausgerüstet sind, beim einscannen ihrer nationalschätze schneller sind, als wir... wenn ich es richtig sah, gibts im Archiv Trebon und auch in Krumau einen eigenen scan-beamten, momentan sind schon kirchenbücher und steuerkataster online gratis einsehbar, sie arbeiten zwar langsam aber stetig... bei uns haben die meissten archive sowas gar nicht, bzw es ist gar nicht geplant... :rolleyes


    immerhin hat die suche nach kopien und scans schon begonnen, besser spät als nie:
    http://www.historischesarchivkoeln.de/

    DC :lesend


    Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens I


    ...Darum Wandrer zieh doch weiter, denn Verwesung stimmt nicht heiter.
    (Grabinschrift F. Sauter )

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