Die große Schlacht

  • Zwei große Heere waren in diesem Kampf aufeinander getroffen.
    Wer den Krieg angefangen hatte, warum er geführt wurde, war den Männern egal.
    Daß die Männer auf der anderen Seite - genau wie sie - Mütter, Frauen, Kinder zu hause hatten,
    die sich um sie sorgten, um sie weinten, auch.
    Für sie war nur wichtig, daß die Soldaten auf der anderen Seite ihre Feinde waren, die sie töten mußten.
    Was diese Männer, die sie nicht kannten, zu ihren Feinden machte, wußten sie nicht.
    Sie waren es einfach.
    Die Schlacht tobte seit Stunden.
    Sie wurde mit Fäusten, Messern, Pistolen und Gewehren, Handgranaten geführt.
    Panzer rollten über das Schlachtfeld und zermahlten Freunde und Feinde wahllos unter ihren schweren Ketten.
    Immer mehr lichtete sich das Feld.
    Die letzten Panzer wurden gesprengt, die letzten Kugeln abgefeuert, die letzten Kehlen durchgeschnitten.
    Ein Geruch von Pulverdampf, verbranntem Fleisch und Blut hing in der Luft.
    Auf beiden Seiten bahnte sich ein Überlebender seinen Weg.
    Geschwächt, verwundet, vom eigenen und fremden Blut überströmt stolperten sie über die Leichenberge.
    Niemand wußte, wieviel Hunderttausende (Oder waren es Millionen?) auf dem Feld lagen.
    Nur diese Beiden waren noch da.
    Und plötzlich standen sie sich gegenüber, inmitten ihrer zerfetzten Kameraden.
    Erschrocken zogen sie ihre Pistolen und richteten sie jeder auf den Anderen.
    Getrieben von dem Instinkt, den Feind zu töten und dem Befehl, die Schlacht um jeden Preis zu gewinnen.
    So standen sie sich gegenüber in der Angst, der Andere könnte zuerst schießen.
    Sie sagten kein Wort, richteten nur ihre Waffen aufeinander.
    Doch dann ließen sie ihre Pistolen fallen, drehten sich um und gingen jeder für sich weg.

  • An dem Text kaue ich, seit ich ihn gelesen habe. (Ich habe 'Rotkäppchen' zu Weihnachten verschenkt und vorher drin rumgelesen)


    Warum ich kaue? Weil er so einfach und nichtssagend ist. Weil er so schwierig und vielsagend ist. Weil ich den Eindruck hatte, daß ich das schon zigmal gelesen habe. Weil ich den Eindruck habe, daß ich es auf diese Weise noch nie gelesen habe.
    Beats me.


    :gruebel



    Ich dachte, er wirkt nur im Kontext der ganzen Sammlung so widersprüchlich auf mich, weil die Zusammenstellung Dämonen-Schuld-Vergebungs-Motivik für eigenartig war. Aber losgelöst vom Büchlein komme ich auch nicht zurande damit.
    Beats me.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich muss jetzt leider mal etwas kritisch sein:


    Der Text kam mir ein bisschen wie das vor, was ein Regisseur einem Darsteller sagt, um ihn in die richtige Stimmung für die nächste Szene (Soldat auf dem Schlachtfeld) zu versetzen. Das war meine erste Assoziation.


    An sprachlichen Dingen will ich gar nichts kritteln, die sind okay, nur eben der Text an sich ist für mich mehr eine Aufzählung von Gedanken und Eindrücken als etwas, das eine Handlung wiedergibt. Ich könnte ihn mir gut in einem Brevier über das Thema "Krieg" vorstellen.
    Etwas, das nachdenklich stimmt, auch wenn es ganz offensichtliche Dinge wiederholt, um nicht zu sagen wiederkäut, und mit ganz klassichen Bildern spielt.


    Nur ist es eben für mich keine Kurzgeschichte.
    Wie gesagt, mir fehlt hier die Handlung. Aber ich muss zugeben, dass es mir dennoch wie Magali gegangen ist: der Text hat etwas ausgelöst. Ich musste einfach meinen Senf dazu abgeben. :-)

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Mir gefällt es recht gut, einzig die letzten Worte "und gingen jeder für sich weg" scheinen mir etwas isoliert und sprachlich schwächer zu sein, als der Rest... Das könnte man, denke ich, noch besser audrücken.

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Zitat

    Original von Alice Thierry
    Ich muss jetzt leider mal etwas kritisch sein:


    Der Text kam mir ein bisschen wie das vor, was ein Regisseur einem Darsteller sagt, um ihn in die richtige Stimmung für die nächste Szene (Soldat auf dem Schlachtfeld) zu versetzen. Das war meine erste Assoziation.


    Das ganze war ein Alptraum, den ich mal hatte. Und genau diese Stimmung wollte ich wiedergeben. Insofern liegst Du mit deinem Eindruck gar nicht mal falsch

  • Hallo Dichterdämon!


    Ja, das erklärt es ganz gut.


    Ich habe auch eine zeitlang Träume aufgeschrieben. Das war dann von der Struktur her ähnlich. Man hat meistens nur Bruchstücke im Kopf, Bilder, die aufleuchten und sich förmlich einbrennen. Und anders kann man sie kaum niederlegen, ohne etwas dazu zu erfinden oder sie zu verfälschen.


    Wahrscheinlich gibt eine etwas zerrissene Textstruktur am besten die Gefühle wieder, die mit einer Schlacht einhergehen.


    Die Bilder, die bei Deinem Text außerdem in mir hochkommen, sind interessanterweise schwarz-weiß und ähneln stark dem Film "Four Horsemen of the Apocalypse" (1921).
    Es muss einfach der "Great War" sein. :-)

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



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    (Danny Kaye) :flowers

  • Dichterdämon


    Der Beschenkte sagte: Woher hast Du denn dieses seltsame Buch schon wieder?
    Ich sagte: Ich bin doch in so einem Internet-Bücherforum.
    Er sagte: Ach, von denen.


    Inzwischen hörte ich, daß er die Geschichten genauso seltsam findet wie das Büchlein, daß man sie aber durchaus lesen kann. Mal etwas ganz anderes.
    Damit hatte ich gerechnet, deswegen habe ich sie ihm angeschleppt.
    Er ist Kummer gewöhnt von mir, seit sehr vielen Jahren.
    Er ist mein Bruder.
    :lache



    Der neue Schlußsatz für den Text ist bedeutend besser.
    Ich finde sowieso, daß Du grundsätzlich mehr rausholen könntest, wenn Du stilistisch stärker schleifen würdest. Aber das ist Deine Entscheidung.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Das sehe ich jetzt wirklich als Kompliment an, vielen Dank. Denn das es schwer ist, mal was "anderes" zu machen, wurde ja hier schon diskutiert
    Copy-Shop Deutschland

  • Ich nehme auch an, daß er es positiv gemeint hat.
    :-)


    Den Thread, zu dem Du den Link gesetzt hast, habe ich natürlich gesehen und gelesen. Allerdings habe ich das ganze Gewese nicht kapiert. Es geht dort um Unterhaltungsromane.


    Unterhaltung ist per se repetitiv, allein in sich selbst reproduzierend, nur innerhalb des geschlossenen Systems flexibel, nie grenzüberschreitend, daher statisch und fundamental konservativ.


    Was hat das mit Deinen Texten zu tun?
    :gruebel



    :wave


    magali

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    K. Kraus

  • @ Dichterdämon
    Also ich finde es nicht per se einen Wert an sich

    Zitat

    in Form als auch in Aussage eben anders zu sein

    . Wichtig ist für mich die Wirkungskraft eines Textes, und die ist bei diesem für mich nicht gegeben.
    Der Titel "Die große Schlacht" ist ein extrem starker und suggestiver Titel. Deine Kurzgeschichte - wenn es denn eine ist - kann meines Erachtens diesem Titel nicht gerecht werden. Nun könnte dieser Widerspruch natürlich von Dir beabsichtigt sein, wobei ich dann hilflos bin, was Du mit dem Widerspruch bezweckst. Vielleicht wäre das ganze eindrücklicher geworden, wenn Du konsequent aus der Perspektive einer der beiden Personen geschrieben hättest? So wirkt es teilweise sehr distanziert - Du beschreibst zwar das Grauen, aber irgendwie liest es sich wie in einem Sachbuch.
    Ich habe keine Ahnung von Praxis und Handwerk des fiktionalen Schreibens, ich kann Dir nur meine Erfahrung als Leser mitteilen: Wenn überhaupt mich etwas in dem Text berührt hat, dann durch Assoziationen an andere Texte zu ähnlicher Thematik, die ich bereits gelesen habe. Aber ich fürchte, dass ist nun nicht das befriedigenste Urteil für einen Schriftsteller. ;-)

  • Die "Große Schlacht" wird nur kurz angeschnitten, das stimmt. Aber das ist ja auch kein Heldenepos. Wichtiger ist ja der Moment danach. Vielleicht hätte ich wirklich einen anderen Titel wählen sollen. "Nach der Schlacht" wäre vielleicht ein Gedanke gewesen, aber das wäre auch weniger kraftvoll gewesen.


    Ich denke, wenn das Grauen aus der Sicht eines Beobachters geschildert wird, wirkt es stärker nach. Aus der Sicht eines der handelnden Personen werden ja die Gefühle der Beteiligten dem Leser mitgegeben.
    Ein Beispiel wäre Clive Barker, der in seinen "Büchern des Blutes" den Schrecken ebenso klar und sachlich in allen Details wiedergab.


    Ich muß wohl auch noch dazu sagen, daß ich diesen Text vor über zehn Jahren geschrieben habe

  • Zitat

    Original von magali


    Unterhaltung ist per se repetitiv, allein in sich selbst reproduzierend, nur innerhalb des geschlossenen Systems flexibel, nie grenzüberschreitend, daher statisch und fundamental konservativ.


    Puh, da hast Du Adornos/Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" aber gut gelesen. :lache Für mich ein grenzenlos überschätztes Werk.


    Wenn man schon so theoretisch wird, ziehe ich dem aber Niklas Luhmanns Unterhaltungsbegriff in der "Realität der Massenmedien" vor. :wave

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Ich dachte, die 'Große Schlacht' ist die, die die zwei namenlosen Protagonisten kämpfen, mit sich und gegen die ihnen bekannten Muster, und die zum Ergebnis hat, daß sie nicht mehr schießen.
    :gruebel




    Und ja, im Vergleich zu anderen Texten von Dir wirken die in dieser Sammlung noch ein bißchen ungefestigt. Aber was soll's, Schreiben ist ein Prozeß.



    :wave


    magali

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    K. Kraus

  • @ Dichterdämon
    Vielleicht ist die Länge einfach zu kurz (oder zu lang?), wenn man sowohl die Schlacht, als auch die Situation nach dem Kampf beschreiben will. Ich glaube, es ist die Unklarheit der Perspektive, die mich hier etwas stört.
    Ansonsten - nimm meinen Kommentar nicht zu ernst. Ich habe vielleicht auch zuviel über Kriegsgeschichte und -theorie gelesen, um da noch einen unverstellten und offenen Blick zu haben.
    Hast Du eigentlich mal die Monologe in Tolstois "Krieg und Frieden" gelesen, in denen Andrei und Nikolai ihre Gedanken anlässlich der bevorstehenden Schlacht ausführen? Das könnte vielleicht ganz interessant für Dich sein. Ich fand sie zumindest in ihrer Gegenüberstellung exzellent.

  • Zitat

    Original von magali
    Und ja, im Vergleich zu anderen Texten von Dir wirken die in dieser Sammlung noch ein bißchen ungefestigt. Aber was soll's, Schreiben ist ein Prozeß.
    :wave


    Ich habe dieses Buch nicht als geschlossenes Ganzes geschrieben, sondern Texte aus mehreren Jahren zusammen gesammelt. Deshalb sind da sowohl ältere als auch einge, die ich dafür neu geschrieben hatte, enthalten. Da ich immer experimentiere und neues ausprobiere sind da Unterschiede unvermeidlich. Das ist aber bei den meisten meiner Büchern der Fall. Denn ich schreibe die Geschichten meist für sich und ohne ein Ziel (wie eben Veröffentlichungen). Wenn ich dann einen Stapel gesammelt habe, wähle ich aus, was in ein Buch passen könnte.

  • Zitat

    Original von Siorac


    Puh, da hast Du Adornos/Horkheimers "Dialektik der Aufklärung" aber gut gelesen. :lache Für mich ein grenzenlos überschätztes Werk.


    Wenn man schon so theoretisch wird, ziehe ich dem aber Niklas Luhmanns Unterhaltungsbegriff in der "Realität der Massenmedien" vor. :wave



    Ich habe nicht Adorno gelesen, ich habe Unterhaltungsliteratur gelesen. Bergeweise. Jahrelang. Ich lese bis heute welche.
    Dazu addiere ich mein (inzwischen mangels TV beschränktes Wissen) über die Fernsehwelt sowie den Einfluß der gedruckten Massenmedien, der eigentlich jede zum Nachdenken bringen muß, die unsere heutige Gesellschaft ein wenig aufmerksamer betrachtet.
    Obige Aussage ist einfach mein Schluß aus der Situation. Mein Fazit, stracks aus der Praxis.


    Ob und inwieweit Adorno und Horkheimer 'grenzenlos überschätzte' Analysen veröffentlicht haben, kann ich nicht beurteilen. Der Untertitel des Buchs, das Du nennst, lautet allerdings 'Philosophische Fragmente'. Wenn sich also jemand darüber im Klaren wie, daß das Ganze eher Beiträge zu einer Diskussion, aber kein Evangelium sein soll, dann wohl die Herren Autoren?


    Überdies stammt das Buch, wenn ich recht weiß, noch aus den 1940er Jahren. Eine gewisse historische Bedingtheit muß man demnach dazu rechnen. Daß sich da einige Überlegungen nach 60 Jahren als nicht haltbar erweisen, ist ja wohl der Lauf der Dinge?


    Ich gehe davon aus, daß auch Luhmann demnächst 'überholt' sein wird.
    Man denkt ja immer weiter.
    Hoffe ich.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus