Oben ist es still-Gerbrand Bakker

  • Kurzbeschreibung (Klappentext):


    Helmer van Wonderen, Bauer wider Willen, macht klar Schiff. Er verfrachtet seinen bettlägerigen
    Vater in´s Obergeschoss, entrümpelt Wohn- und Elternschlafzimmer, streicht Dielen, Fenster,
    Türen und Wände und schafft neue Möbel an. Das Gemälde mit den schwarzen Schafen, die Fotografien
    von Mutter und die alte Standuhr kommen nach oben, alle Pflanzen, die blühen können, auf den
    Misthaufen.
    Da Vater ihm nicht den Gefallen tut, einfach zu verschwinden oder wenigstens zu sterben,
    richtet Helmer sein Leben unten neu ein. Sein ungelebtes Leben und seine Träume kann er
    jedoch nicht so leicht entsorgen.
    Als er jedoch eines Tages unerwartet Post erhält, brechen sich Erinnerungen Bahn.
    "Henk hätte hier wohnen sollen. Mit Riet und mit Kindern."
    Henk der Zwillingsbruder ist lange tot. Riet aber lebt und sie hat einen Sohn.


    Der Autor


    Gerbrand Bakker, 1962 geboren, studierte niederländische Sprach- und Literaturwissenschaft
    in Amsterdam, arbeitete als Übersetzer von Untertiteln für Naturfilme und hat ein Diplom als Gärtner.
    "Oben ist es still" ist sein Romandebüt.


    Meine Meinung:


    Ich bin schon eine Weile um dieses Buch herumgeschlichen, nachdem ich es in der Buchhandlung
    bei den Neuheiten entdeckt hatte. Am Freitag habe ich mein vorbestelltes Exemplar in der
    Bücherei abgeholt und mich über die Einteilung in die Kategorie "Männer" gewundert.
    (Ich wusste bis dato noch nicht mal, dass es so eine Kategorie gibt.)


    Als ich angefangen habe zu lesen, wusste ich warum. Der Autor schreibt in meist kurzen und immer
    absolut schnörkellosen Sätzen, die perfekt zu der erzählten Geschichte passen. Genauso
    stelle ich mir die Gedankengänge eines fast sechzig Jahre alten Bauern auf dem platten Land vor.
    Auch die Dialoge sind so geschrieben, wie man sich Dialoge unter Männern vorstellt.


    Hier als Vorgeschmack mal ein paar Gedankengänge des Hauptprotagonisten:
    " Ich fahre nach Monnickendamm. Dort gehe ich nacheinander in den Fahrradladen,
    in ein Lampen- und in ein Elektronikfachgeschäft. Ich bezahle das Schutzblech,
    die Leselampe und den Fernseher bar. Ob ich eine Parabolantenne mit Decoder bräuchte,
    möchte der Elektronikverkäufer wissen."Eine was?" frage ich.Oder ob ich einen Kabelanschluss hätte?
    Ich denke nach und sehe Arbeiter von der Gemeinde Gräben ausheben, vor den Straßenlampen;
    ich sehe bunte Kabel; dann sehe ich auch jemanden in der Ecke des Wohnzimmers knien,
    einen dicken jungen Mann, dessen Gesäßspalte ein Stück aus dem Hosenbund herausschaut
    und der ein kleines Kästchen, eigentlich eher eine Art Doppelsteckdose, an der Wand befestigt,
    nachdem er ein Loch in die Außenwand gebohrt hat........"


    Der Bauer Helmer versucht sich in seinem Leben neu einzurichten.
    Der greise, diktatorische Vater wird in den ersten Stock in´s "Kinderzimmer" verlegt.
    Auch das restliche "Gerümpel" kommt nach oben.
    Unten wird alles neu gestrichen und eingerichtet und Helmer wird nach fast vierzig Jahren endlich
    der Herr im Hause.
    Doch dann bringt ein Brief alles durcheinander....


    Das Buch beschreibt wunderbar, wie sich das Leben vom einen auf den anderen Tag plötzlich
    drehen kann und gerade der knappe Stil diese Buches hat es für mich sehr lesenswert gemacht.
    Ich musste oft über Helmer schmunzeln, hatte aber auch mit dem ewigen Junggesellen wider
    Willen (so scheint es zumindest) und dem zurückgebliebenen Zwilling so manches mal Mitleid.


    Für mich war es ein tolles Buch auch für Frauen und bekommt 9 von 10 Punkten.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Danke für die schöne Rezension, Piefi! :wave "Oben ist es still" ist seit es bei Elke Heidenreich vorgestellt wurde, auf meiner Wunschliste und dieser Wunsch wurde durch deine Rezi jetzt nur noch mal verstärkt. :-)


    Es ist seit Elke Heidenreich nicht nur auf meiner Wunschliste, sondern auf meinem SUB. :zwinker Ich sollte es aber wirklich jetzt mal langsam lesen... Danke für die schöne Rezi.

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Was, das Buch befindet sich schon in deinem SUB und du hast es noch nicht gelesen? :wow Das solltest du jetzt aber dringend tun - vor allem, damit ich auch noch eine Zweitmeinung zu dem Buch habe :grin


    Guck mal da unten, genau, da, meine Signatur. Die Nummer... das ist mein SUB. Da ist auch Herr Bakker mit dabei... soviele Bücher, so wenig Zeit. ;-(


    :zwinker Ich bemühe mich ja schon um SUB-Abbau!!

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    :lache
    Ihr dürft eure SUBs einfach nicht so anwachsen lassen. ;-) Aber ich freue mich schon, auf eure baldigen Rezis zu diesem Buch.


    Baldig? :gruebel Oh je, kein Druck bitte.


    Und wie hoch ist denn Dein SUB? :zwinker

  • Danke für die schöne Rezi :-)
    Ich habe das Buch in diesem Monat gelesen und es hat mir auch recht gut gefallen.


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Zitat

    Zitat buzzaldrin:
    Hach, du bist ja noch schlimmer als uert und Sigrid zusammen! Du hattest das Buch nicht nur im SUB, sondern du hast es auch schon gelesen und uns nix darüber erzählt. :hau :grin



    autsch :grin
    Ich habe das Buch vorgezogen, weil ich es an eine liebe Tauschpartnerein weitergeben wollte, um ihr eine Freude zu machen. ;-)


    Es ist ein ruhiger und melancholischer Roman in einer angenehmen Sprache.
    Dass Helmer 30 Jahre gebraucht hat, um aus dem fremdbestimmten Leben auszubrechen, ist etwas schwer vorstellbar - aber vielleicht kommt sowas ja auch wirklich vor.
    Ich fand es irgendwie schade, dass Helmer sein Studium nicht fortgesetzt hat und an die Stelle des toten Bruders Henk getreten ist. Das Gefühl, dass er seinen Studienplatz kampflos und zu schnell aufgegeben hat, stellte sich bei mir ein.
    Hat er nicht ein klein wenig gekämpft? War er so schwach?
    Insgesamt durchaus lesenswert.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Vor wenigen Minuten habe ich das Buch zu Ende gelesen und bin begeistert. Großartig!


    Mir hat besonders der unaufgeregte Stil gefallen mit dem der Autor den wortkargen und stillen Helmer beschreibt.
    Helmer, der den Vater nach oben verfrachtet, das Untergeschoß renoviert und dann aus seiner Lethargie gerissen wird als der Brief von Riet eintrifft.
    Riet, die seinen Bruder hätte heiraten wollen, wäre dieser nicht tödlich verunglückt. Und ausgerechnet Riet ist schuld an diesem Unfall.


    Der Vater macht dem 19jährigen unmissverständlich klar, dass es mit dem "Studieren der Wörter - dort drunten in Amsterdam" vorbei ist. Und Helmer muss auf dem Hof bleiben. Und da bleibt er zwischen all den Kühen, Schafen und mittlerweile zwei Eseln.
    Wie rührend die Szene "...und mich auf alle Stühle gesetzt hatte, als ob ich versuchen würde, zu viert zu sein, um nicht alleine essen zu müssen"


    Im Laufe der Geschichte erfahren wir auch, warum er den Vater nach oben bringt; warum er den Arzt nicht ruft; warum er anderen gegenüber behauptet der Vater sei senil geworden. Und dieser ihm noch nicht einmal den Gefallen tut zu sterben.


    Eine ganz einfach erzählte Geschichte, eine großartige Geschichte, die einmal mehr zeigt, wie schnell unsere Lebensplanung einen anderen Weg einschlagen kann und wir nicht so werden, wir wir gehofft hatten.

    Herzlichst, FrauWilli
    ___________________________________________________
    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Ich besitze das Buch schon eine ganze Weile, allerdings dümpelt es ziemlich weit unten im Sub.
    Aufgrund der Rezension bugsiere ich das gute Stück etwas weiter nach oben. :grin



    gespannte Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson