Schreibwettbewerb März 2009 - Thema: "Glück"

  • Thema März 2009:


    "Glück"


    Vom 01. bis 20. März 2009 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb März 2009 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


    Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!

  • von Luc


    Als ich aufwachte, summte Monique im Bad. In der Nacht hatte ich gehofft, dass sie sich nach dem Sex aus dem Staub machen würde. Die Beziehung zu ihrem Ehemann schien ihr nichts mehr zu bedeuten. Gähnend ging ich in die Küche, kochte Kaffee und zündete mir eine Zigarette an - ohne Glimmstängel wurde ich nervös.


    Monique kam aus dem Badezimmer und föhnte sich die Haare. Ich fragte mich, was sie wohl essen würde. Wie viele Jahre ihre Lebens mochte sie damit zugebracht haben, Ernährungspläne und Fortsetzungsdiäten in Modezeitschriften zu studieren? Ich hatte keine Ahnung, was an diesem Tage bei ihr angesagt war. Vielleicht geschältes Obst ... Sie setzte sich mir gegenüber.


    "Gestern habe ich mit Franca gesprochen, sie fühlte sich krank. Ich übernehme ihr Seminar in Paris", erzählte Monique. Aufmerksam geworden, beobachtete ich ihr Gesicht. Kein Misstrauen in der Mimik, als der Name ihrer Geschäftspartnerin fiel. Die mochte ich auch. Vielleicht mehr als sie. Bei Franca und Monique musste ich lange nachdenken, um die Unterschiede in der Persönlichkeit herauszufiltern. Das war bei unserer Generation normal: Die Leute verfügten über eine identische Schulbildung, gleiche Lebensläufe - aufgepeppt mit einem längeren Auslandsaufenthalt - sogar die Theatralik beim Bumsen schien mir eine Kopie aus Pornofilmen zu sein. Franca hielt ich für weniger abgebrüht.


    "Ich kann mitkommen", schlug ich vor. Womöglich würde ich in Paris Begeisterung empfinden. Für Monique oder die Hauptstadt.
    "Ehrlich gesagt, das wird mir zu hektisch ... bis um sechs das Seminar und dann noch mit dir ..., ich hoffe du verstehst das nicht falsch", erklärte sie. Das tat ich selten. Ich besaß eine gute Intuition und wir redeten die gleiche Sprache. Ich würde nicht mitfahren, weil wir gemeinsam keine Anstrengungen durchstehen wollten. Wir würden uns beide etwas anderes zum Entspannen suchen müssen.


    „Ich bin schwanger von dir ... keine Angst, ich werde abtreiben lassen“, sagte sie plötzlich. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, also schwieg ich. Danach verschwand Monique aus meiner Wohnung. Missmutig las ich Mangas und fragte mich, ob Pornografie Gefühlskälte produzieren konnte. Zu meiner Überraschung kreuzte Franca auf. Von wegen krank. Wie üblich bekam ich sie rum. Wir landeten im Bett. Mehr als Sex war ja nie drin. Schließlich gönnten wir uns Zigaretten. Ihre Miene verdüsterte sich.

    „In mir ist etwas geschehen“, sagte Franca bedeutungsschwanger. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Ich erschrak.
    „Keine Angst, ich erwarte keinen Nachwuchs. Während wir miteinander geschlafen haben, ist mir durch den Kopf gegangen, wie sehr ich mich verliebt habe und wie ernst es mir ist“, sagte sie. Ich atmete auf. Irgendwie freute ich mich nach Moniques kaltschnäuzigem Auftritt über Francas Geständnis. Ich spürte Befriedigung in mir aufsteigen. Monique und Franca waren doch ziemlich verschieden. Franca lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Ich fühlte mich richtig benommen vor Glück, und Hoffnung keimte in mir auf. Tatsächlich wünschte ich mir in dem Moment Kinder mit ihr, eine gemeinsame Zukunft, all das. Wir hätten Paris, ach was, die Welt auf den Kopf stellen können.
    „Ich liebe Moniques Ehemann“, sagte sie dann.

  • von Oryx


    Kawahara-san saß immer noch auf der Stufe seines Hauseingangs und streichelte gedankenverloren einen Stein. Sein Enkel Takeshi zupfte ihn an seinem Ärmel. „Großvater, was machst Du da? Mama wartet mit dem Abendessen.“ Kawahara-san lächelte und legte den Stein in Takeshis kleine Hand. „Kami.“ „Kami?“ wiederholte der Junge und betrachte ihn ungläubig. „So wie Amaterasu-no-kami?“ „So wie die Sonnengöttin, ja. Sieh nur welche Form er hat.“ „Er sieht aus wie eine Schildkröte.“ „Er wurde von der Natur so geformt und nicht von einem Steinmetz bearbeitet. Das zeigt uns, dass er göttlichen Ursprung ist.“ Kawahara-san nahm den Stein wieder an sich.
    „Vor vielen Jahren, als dein Vater noch nicht geboren war, wurde ich zu Yamamoto-san geschickt, um die Steuern des Dorfes zu bezahlen und dem Daimyo eine Nachricht zu überbringen. Die Reise war gefährlich, denn es gab Ronin, die Wegelagerern gleich die Menschen auf der Strasse dorthin ausraubten, egal ob sie zu Fuß oder zu Pferd unterwegs waren. Ich machte nach dem ersten Tagesmarsch in einem Dorf halt und begab mich am nächsten Morgen zu dessen Schrein. Auf dem Weg dorthin stolperte ich über diesen Stein.“ Kawahara-san strich seinen Kimono glatt und verstummte.
    „Aber das ist doch nicht das Ende der Geschichte, Großvater?“ Der alte Mann lächelte milde, stand auf und strich dem Jungen über den Kopf. „Nein, das ist erst der Anfang einer Reise voller Abenteuer, Gefahren, Mut und Ehre. Aber wir sollten deine Mutter nicht warten lassen.“ „Großvater! Ich muss aber wissen wie die Geschichte endet! Heute noch!“ „Nun gut. Du siehst die Einkerbung in der Mitte der Schildkröte?“ „Ja, Großvater“ Der kleine Junge nickte heftig. „Ich steckte den Stein zunächst in meinen Ärmel, aber nachdem ich den Schrein besucht hatte, band ich ihn mir um den Hals und das war mein großes Glück und auch deines, denn sonst säßest Du heute nicht neben mir.“ Kawahara-san räusperte sich.
    „Gegen Abend, nach einem ganzen Tagesmarsch in Richtung Norden, stellte sich mir ein Bogenschütze in den Weg und verlangte all meine Habe. Er war zwar bewaffnet, aber mager und von kleiner Statur, so dass ich glaubte, meinen Bambusstock als Waffe einsetzen zu können. Ein Pfeil zischte an mir vorbei, einen anderen konnte ich mit dem Stock abwehren, aber ein dritter zielte direkt auf meine Brust, so dass ich stehen blieb und meinen Stock fallen ließ. Obwohl ich mich ergab, schoss der Räuber den Pfeil ab, der sich genau in die Mitte der kleinen Schildkröte bohrte. Ich fiel um und der Mann dachte, ich sei tot, denn er stürzte ohne seine Waffe auf mich zu.“ Er lächelte verschmitzt. „Ich konnte ihn überwältigen und ihn bewusstlos schlagen. Seinen Bogen nahm ich an mich.“ „Du hast ihn nicht erschlagen?“ „Nein, es ist nicht ehrenwert einen armen Bauern zu töten. Er war kein gleichberechtigter Gegner.“ „Großvater, ich möchte auch ein mutiger Krieger werden.“ „Ja, Takeshi, du wirst eines Tages ein großer Samurai. Die Schildkröte darfst Du schon heute behalten.“
    Vorsichtig legte er den Stein in die Kinderhand, streichelte den Kopf seines Enkels und ging ins Haus.

  • von Loewin


    Die Kette klappert,
    Der Dynamo summt
    Und spendet kaum noch Licht.
    Der Himmel grau, die Straße nass
    Und Niesel trübt die Sicht.
    Jedoch solang’ du mit mir fährst,
    Versaut das meine Laune nicht.


    Wir radeln durch den Regen.
    Das Haar tropft ins Gesicht.
    Die Jeans klebt an den Beinen,
    Doch echt: Das stört mich nicht.
    Ich mag wohl keinen Regen
    Aber dafür mag ich dich!

  • von ueberbuecher


    Er saß an seinem Küchentisch und studierte gelangweilt die Tagespost. Das Übliche: Wurfsendungen („Für Sie reserviert! Eine Reise in die Karibik! Kostenlos!“), die Krankenkassenzeitung, ein Mahnschreiben vom Stromlieferanten etc.
    Übrig blieb nur dieser unscheinbare Brief von der Lotterie. Er öffnete ihn und während des
    Lesens veränderten sich seine zu Schlitzen verengten Augen zu ungläubig staunenden Wagenrädern. Er las ihn noch einmal, dann wieder und noch ein weiteres Mal. Die Botschaft blieb gleich.


    „[..]freuen wir uns, Ihnen hiermit mitteilen zu dürfen, dass Ihr Dauerlos mit der Nummer R235611142P bei der Ziehung vom 02.08. den Hauptgewinn in Höhe von 2.000.000,- EURO (in Worten: Zwei Millionen Euro) gewonnen hat.


    Für viele Menschen kommt ein solch enormer Gewinn sehr überraschend und wird manchmal sogar als Bedrohung empfunden. Gerne bieten wir Ihnen professionelle Beratung durch einen unserer Mitarbeiter an. Er wird Ihnen Vorschläge unterbreiten, wie Sie am besten mit dieser Situation[...]


    Zwei Millionen! Alle seine Geldsorgen waren auf einen Schlag gelöst! Völlig neue Welten würden sich ihm eröffnen: goldene Strände, Traumfrauen, schicke Autos – halt alles, was man sich für Geld kaufen konnte (oder wen man mit einem dicken Bankkonto beeindrucken konnte, was die Frauen anging).
    Er konnte vor Aufregung kaum atmen. Jetzt würde er sich endgültig von Helga trennen. Helga, die ihm immer mit ihren Wehwehchen in den Ohren lag. 20 Jahre Ehehölle waren genug. Wo war sie eigentlich? Ach ja, ein Arzttermin. Natürlich, wie hatte er das nur vergessen können!
    Sein Gehirn rotierte. Sie durfte nichts davon erfahren. Zum Glück liefen seine Lotterieeinnahmen über ein separates Konto, welches nur ihm bekannt war. So hatte er bereits vor einigen Jahren, damals noch zu D-Mark-Zeiten, einen netten Gewinn in Höhe von 3.000 DM verheimlichen können. Das war schon ganz nett gewesen, aber natürlich in keinster Weise mit dem hier zu vergleichen…


    Zwei Stunden später betrat Helga still die Küche. Sie weinte. Genauer gesagt: ihr Gesicht sah wie ein Sturzbach aus. „Was hat Du?“ fragte er barscher als geplant. „Ich war bei Dr. Lengbeck. Er hat die Testresultate bekommen…“ Gottfried kramte kurz in seinem Gedächtnis, konnte diese Information jedoch nicht zuordnen und beschloss, es dabei zu belassen. „Es ist nicht …therapierbar. Er sagt, ich habe noch vier Wochen, wenn ich Glück habe, noch zwei Monate…“ Die restlichen Worte gingen in ersticktem Schluchzen unter.


    Er sagte kein Wort. Seine Arme schlossen sich um ihren Körper. Sie schmiegte ihr nasses Gesicht an seine Brust. Gottfried starrte gedankenverloren an die gegenüberliegende Wand.


    Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Schsch.“ beruhigte er sie. „Schsch“.

  • von Persephone


    Scheiße, scheiße, scheiße. Diese blöde Kuh hat es wieder einmal versaut. Alles ist nur ihre Schuld. Sie hätte einfach besser aufpassen müssen. Ich kann doch nichts dafür, dass sie’s nicht auf die Reihe kriegt. Ich hab ihr ja vorher noch gesagt, dass sie sich um alles kümmern soll. Nein, sie habe ja alles schon gemacht und ich müsse mir keine Sorgen machen. Pfff, klar, keine Sorgen machen. Und jetzt? Jetzt war alles zu spät. Ich hätte mich einfach nicht mit ihr einlassen dürfen. Ich hätte mir ja denken können, dass sie zu doof dafür ist. Ich hab ihr ja gesagt, was sie jetzt machen muss, aber davon will sie ja nichts hören. Wie sie mich angefleht hat, eben am Telefon. Nein, dass wäre doch Mord. Das kann sie doch nicht machen...
    Wieso nicht? Natürlich kann sie. Aber sie will es behalten. Blablabla. Und ich muss drunter leiden, ist ja klar. Sicher will sie auch noch Geld von mir. Das kann sie vergessen. Nichts sieht sie. Keinen einzigen Cent. Ich kann schließlich nichts dafür. Nur sie, ganz allein, sie muss die Verantwortung dafür übernehmen.
    Jetzt vibriert wieder das Handy. Was will die denn jetzt von mir?
    Achso nur eine SMS. Viel schreibt sie ja nicht, und sofort tippe ich die Antwort:
    „Da haste jetzt aber Glück gehabt!“

  • von Leserättin


    „Jetzt schiebt sich Lord Lovely nach vorn, zieht an Dreamdancer vorbei. Nein! Dreamdancer holte auf. Und auf der Außenbahn kommt Vendetta. Aber noch ist nichts entschieden. Vendetta holt ...“
    Angelika seufzte. Es war nicht nötig, dem Stadionsprecher zuzuhören; ihre Stute galoppierte über zehn Pferdelängen hinter dem Feld, gut erkennbar an ihrem fuchsroten Fell und dem leuchtenden Grün des Jockeydress.
    „Ist nicht so gut gelaufen, die anderen waren alle schneller“, sagte Paul, als er ihr mit langem Zügel entgegen ritt. „Aber das nächste Mal siegen wir, ganz bestimmt!“
    Angelika streichelte die vorgereckten Nüstern. „Ich hätte wissen müssen, dass niemand ein Vollblut für 1000 Euro verkauft.“
    Geschmeidig glitt Paul von Fortunas Rücken. „Aber sie hat ein gutes Pedigree, Sie können ja mit ihr züchten.“
    Sie wollte nicht züchten, sie wollte die Besitzerin eines erfolgreichen Galoppers sein. Sie luden Fortuna ein und fuhren nach Hause. Paul bewohnte den Dachboden, fungierte als Jockey und Trainer zugleich. Er war alles, was sie sich leisten konnte. Und das sicher nicht mehr lange, wenn Fortuna nicht bald siegte.
    Sie brachte die schöne Vollblüterin zu ihrem alten Shetty auf die Weide und sah ihnen eine Weile zu. Man hatte sie übers Ohr gehauen, so viel war klar. Kein Mensch verkaufte ein Vollblut zu so einem Spottpreis, noch dazu komplett mit Sattel und Trense. Aber in ihrer Freude über das Traumpferd hatte sie gar nicht näher darüber nachdenken wollen.
    Andererseits; auch wenn Fortuna nicht das Rennpferd war, das Angelika sich erhofft hatte, so hatte sie die Stute in den vergangenen zwei Monaten doch sehr lieb gewonnen. Sie würde sie behalten und keine Rennen mehr laufen lassen.
    Gleich morgen früh würde sie Paul entlassen, bevor auch noch ihre letzten Ersparnisse aufgebraucht waren.


    In der Nacht wachte Angelika von Geräuschen auf. War jemand im Stall? Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und rannte zum Fenster. Da! Da hatte doch gerade eine Taschenlampe aufgeblitzt.
    Angelika zögerte nicht, rief die Polizei. Gerade, als sie den Hörer auflegte, hörte sie Paul die Treppen herunterkommen. Sie wollte ihn aufhalten, doch da war er mit einem knappen „Ich muss nach den Pferden sehen“ schon an ihr vorbei.
    Vor Anspannung kaute sie sich die Fingernägel ab, doch erst, als das Polizeiauto auf den Hof fuhr, traute sie sich nach unten. Die Beamten nahmen zwei Gauner in Empfang, die Paul mit der Mistforke solange in Schach gehalten hatte.


    Die Einbrecher legten rasch ein Geständnis ab. Nicht Fortuna wollten sie stehlen, sondern ihren Sattel, hatten sie darin doch ihre Beute versteckt; Diamanten. Ihr Plan war es gewesen, sich das Diebesgut zurückzuholen, wenn ein bisschen Gras über die Sache gewachsen war. Es waren ziemlich teure Steine, denn als Angelika den Finderlohn bekam, überstieg das bei weitem die Summe, die ein Rennsieg eingebracht hätte.
    „Nun hat sie mir doch noch Glück gebracht“, sagte Angelika, streichelte ihre Stute und strahlte Paul an, der seit jener Nacht ihr ganz persönlicher Held war und vom Dachboden in ihr eigenes Schlafzimmer übergesiedelt war.

  • von Bücherelfin


    Die Wohnungstür fiel ins Schloss, gleich darauf stand ihr Mann in der Küche in einer Hand eine prall gefüllte Einkaufstüte, in der anderen die obligatorische BILD-Zeitung, auf deren heutige Ausgabe Ute und Karl besonders neugierig gewartet hatten.
    „Mensch, Kalle! Du solltest doch nur Brötchen und Zeitung kaufen! Was haste da bloß alles angeschleppt?“, rief Ute entsetzt aus.
    „Bleib locker“, erwiderte dieser grinsend und begann den Inhalt der Tüte vor Ute auf dem gedeckten Frühstückstisch aufzubauen. Marmeladen der verschiedensten Geschmacksrichtungen in edlen Gläsern, Akazien-, Sonnenblumen- und Bergblütenhonig, Wurst und Käse aus einer der besten Metzgereien des Stadtviertels, eine Ananas und eine Mango kamen zum Vorschein.
    „Um Himmels Willen! Wir haben doch alles daheim, was wir bisher immer gebraucht haben.“
    Kalle legte seiner Frau den gönnerhaften Arm um die Schulter.
    „Du sagst es: bisher. Mensch, Ute, wir können es uns doch jetzt leisten! Wir sind nicht mehr auf B-Ware aus Billigläden angewiesen! Komm, schenk mir endlich Kaffee ein und lies, was sie über uns geschrieben haben.“ Karl setzte sich neben seine Frau und blätterte auf Seite 3:


    VON DER HARTZ-IV-HÖLLE IN DEN LOTTOMILLIONEN-HIMMEL
    Dieser Traum ist wahr geworden für das arbeitslose Ehepaar Karl und Ute W. aus Berlin


    Ute las den Artikel still und betrachtete nachdenklich das Foto, das der Reporter von ihnen gemacht hatte.
    „Vom Plattenbau in die Prachtvilla“, las Karl vor, „ja, beengt wie in einem Kuhstall haben wir lange genug gelebt. Aber sag mal… was machste denn für ein Gesicht? Willste mir die Freude vermiesen?“ Karls Miene verfinsterte sich.
    „Naja… es ist nur…“
    Karl schlug mit der Hand auf den Tisch und polterte zornig los: „Hast du dein falsches Mitleid immer noch nicht abgelegt? Ich kann´s nicht fassen!“
    „Ich muss immer daran denken, dass uns das Geld eigentlich gar nicht zusteht. Und an die arme Frau!“
    Karl hob drohend die Hand. „Wie oft soll ich´s dir noch sagen? Die Alte wird ein paar blaue Flecken haben, mehr nicht! Ich hab´se ja nur ganz leicht gestoßen. Ich versteh wirklich nicht, was du willst! Erst liegste mir in den Ohren, deine Kröte braucht neue Kleidung und dann beschwerste dich!“
    „Jessica ist auch deine Tochter. Und ein Vater, der wehrlosen alten Frauen die Handtasche stiehlt, ist weiß Gott kein gutes Vorbild.“
    „Weißt du was? Wenn es dir so wichtig ist, schick ihr doch die Tasche samt Inhalt! Auf den sind wir schließlich nicht mehr angewiesen. Ihre Lottozahlen haben uns gereicht. Ich geh jetzt besser, sonst vergess ich mich noch. Nutzloses Weib… statt sich zu freuen…“


    Ute blieb still sitzen und wartete, dass die Angstwellen langsam abklingen würden. In der Aluthermoskanne vor ihr spiegelte sich ihr bläulich-grün geschwollenes Auge. Fahrig nahm sie die BILD-Zeitung wieder zur Hand und blätterte weiter, bis ihr Blick an einem Artikel hängenblieb:


    Die 79-jährige Elisa S., Opfer eines brutalen Raubüberfalls am vergangenen Freitag, ist ihren schweren Verletzungen erlegen. Der Täter entkam unerkannt mit ihrer Handtasche, nachdem er mehrmals heftig auf die am Boden liegende Frau eingetreten hatte.


    Utes biss sich auf die Lippen und schmeckte Blut.

  • von arter


    Das Individuum links ist männlich, mittleren Alters, unauffällig gekleidet. Es verbirgt seine Augen hinter getönten Kunststoffscheiben. Das erschwert es den Mitspielern, seine emotionale Konstitution zu erfassen. Menschen haben die Fähigkeit, solche Informationen aus den Gesichtszügen ihrer Artgenossen, insbesondere aus der Stellung ihrer Sehorgane zu ermitteln. Obwohl das Spiel durch elementare Mathematik vollständig zu erfassen ist, glauben sie, sich durch Geheimhaltung der eigenen Absichten einen Vorteil verschaffen zu können.


    Das Individuum besitzt ein Paar Asse mit einer Dame als Kicker. Gewinnwahrscheinlichkeit: 54,26 Prozent.


    Das Individuum in der Mitte ist weiblich und nicht bestrebt, die eigene emotionale Befindlichkeit zu verbergen. Statt dessen versucht es, seine Gegenspieler durch Gesichtsakrobatik zu täuschen. Dabei profitiert es von Effekten, die vermutlich in Fortpflanzungsritualen dieser Spezies begründet sind.


    Das Individuum besitzt ein Paar Könige mit verschiedenen Chancen auf höherwertige Kombinationen. Gewinnwahrscheinlichkeit: 43,12%


    Das männliche Individuum rechts ähnelt in Haarpracht und Habitus einem Wesen, das der Mensch unter der Art „Orang Utan“ klassifiziert. Es handelt entgegen allen Regeln, die über dieses Spiel bekannt sind. Es tätigt seine Einsätze nach unerfindlichen Prioritäten und verzichtet komplett auf die statistische Bewertung seiner Gewinnaussichten.


    Das Individuum kann keine verwertbare Kombination vorweisen. Geringfügige Aussichten auf einen „Straight“. Gewinnwahrscheinlichkeit: 2,62%.


    Nachricht an 0X63A50DFF2 -> Aktionsbereitschaft für Download.


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    Günther trommelte mit seinen Karten auf den Spieltisch. Immer wieder fächerte er seine beiden Kartons auseinander, um vielleicht doch noch eine Kombination zu entdecken, die alles auf den Kopf stellte. Aber es blieb dabei. Da war nichts mehr.


    Er hatte alles auf den Flush gesetzt, war sich sicher, dass die Tussi kalte Füße kriegen würde und überzeugt, dass der coole Typ nichts hatte. Aber die dumme Kuh klapperte fortwährend mit den Augen und schob immer größere Summen in die Mitte, während der Andere ungerührt alle Einsätze mitging.


    Nun lag sein gesamtes Vermögen auf dem Tisch doch es war verloren, bevor die letzte Karte aufgedeckt wurde. Er hatte gespürt, heute war sein Tag. Er hatte sich eine beträchtliche Summe geliehen, um es noch ein letztes Mal zu versuchen.


    Nachdem der River offen lag, schauten ihn alle ungläubig an. Die Dealerin verkündete, dass er mit einem Straight gewonnen hätte und schob einen Berg von Chips in seine Richtung.


    Straight? Wieso Straight? Hatte er diese Möglichkeit übersehen? Egal! Er hatte gewonnen! Das Gefühl des Triumphes, verbreitete sich wie heiße Lava in seinem Bauch, seiner Brust, in seinem Hirn.


    Dann spürte er wie etwas in seinem Kopf „Klick“ machte, als hätte man eine Erdnuss geknackt. Milliarden spitze Nadeln pieksten in jede einzelne Nervenzelle seines Gehirns. Sein Körper krümmte sich und fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen.


    Ärzte diagnostizierten später den Tod durch ein geplatztes Gefäß.


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    0X63A50DFF2 an 0x4888333DE:


    Download completed.


    Das Experiment nimmt einen erfolgreichen Verlauf. Wir konnten die zu untersuchende Wellenfunktion im fraglichen Zustand extrahieren und konservieren. Die Analyse wird uns bald in die Lage versetzen, die unbekannte Naturkraft zu begreifen, welche den Menschen antreibt.


    -


    Wolfgangs Sinne überschlugen sich. Jubilierend, frohlockend in einer Endlosschleife ewiger Glückseligkeit.

  • von Elisa


    Nervös knetete der Mann seine Hände. Sie waren nass und eiskalt. Unruhig tigerte er hin und her und murmelte die Worte immer wieder.
    Nur ab und zu hob er den Blick und beobachtete die jungen Menschen, die die Bühnen betraten und wieder verließen. Sie alle trugen schicke Abendkleider und Anzüge und hielten teure Instrumente in den Händen. Ihm wurde wieder bewusst, wie schäbig er zwischen ihnen aussah.
    “Ruhig….” Flüsterte er und versucht zu verdrängen, dass unter den Gästen die wichtigsten Politiker der Stadt, sowie der Ministerpräsident saßen.
    Der Mann blieb stehen und lauschte einen Moment. Die Musik eines Klavierstückes klang gerade aus und die zwei Moderatoren - ein Junge und ein Mädchen - hielten ihre vorletzte Moderation. Insgesamt waren es sieben. Er hatte jede aufmerksam verfolgt, um nicht seinen Auftritt während der letzten Moderation zu verpassen.
    Erneut begann der Mann umher zu laufen und seine kurze Rede zu wiederholen. Er konnte jedes Wort auswendig, wusste genau, dass er erst den Präsidenten, dann die Politiker, schließlich die Schulleitung und zum Schluss die Gäste begrüßen musste, dass er sich dankbar zeigen musste, für die rund 2000 Euro, die an die Stiftung gehen würden.
    Alles war genau eingeplant. Die Rede war weder ehrlich, noch herzlich. Aber schließlich hatte er Wichtigeres zu tun, als diesen reichen Menschen Glück vorzugaukeln. Denn das wollten sie sehen. Sie wollten, dass er auf die Bühne kam und der Schule, die nur für die Kinder angesehen Ärzte, Anwälte und Unternehmer der Stadt vorbehalten war, unendlich dankbar war. Denn sie hatten ein Konzert organisierten, um der Stiftung für Obdachlose zu helfen.
    Für den Mann war dies alles nur Schein. Diese Menschen hielten sich fern von ihm, weil er keine teuren Kleider trug und ungepflegt aussah. Doch sie kannten nicht, wie es war nachts auf einer Parkbank zu schlafen oder Hunger zu leiden. Sie lebten in ihren warmen Häusern, fuhren drei Autos und ließen sich für einen Abend herab und sahen ihren talentierten Kindern bei einem Konzert zu.
    Plötzlich wurde der Mann aus den Gedanken gerissen. Er musste auf die Bühne. Leicht gebeugt ging der Mann die letzten Stufen hinauf. Vor ihm saßen 500 Menschen, die ihn mit gerümpften Nasen musterten. Er fühlte sich plötzlich wie ein Tier im Zoo.
    Mit trockenem Mund nahm der Mann das Mikrofon entgegen.
    Die Schulleiterin sprach noch, doch er nahm es nicht wahr und hoffte, dass es bald vorbei sein würde. Dann drehten sie langsam den Check um und sichtbar wurde eine weit höhere Summe, als versprochen war - 4275 Euro!
    Tausende Gedanken schossen dem Mann durch den Kopf. Mit dieser Summe konnte tatsächlich etwas für die Stiftung getan werden, egal ob diese Menschen aus Mitleid handelten. Es würde reichen, um mehr Betten aufzustellen, damit weniger Menschen auf der Straße leben mussten. Und vielleicht konnte man sogar eine kleine Küche einrichten. Nun war es an der Zeit die Rede zu halten. Kurz entschlossen verwarf der Mann die ursprünglichen Worte und verlieh seinen Gefühlen mit ehrlichen Worten Ausdruck. Dabei spürte er gar nicht, dass er weinte.

  • von Ushuaia


    „Na, du Glückskäfer, freust du dich?“
    Vivian wandte sich strahlend um. Ihre beste Freundin Jessica stand vor ihr, atemlos von dem wilden Tanz, den sie gerade beendet hatte.
    Diesmal hatte sie wirklich das große Los gezogen, endlich. Nach den zwei Enttäuschungen der letzten drei Jahre hatte sie endlich den Richtigen gefunden und nun tanzte sie endlich auf ihrer eigenen Hochzeit. Vivian ließ den Blick über die große Hochzeitsgesellschaft schweifen, ihre Freunde, Verwandten, Bekannten lachten, amüsierten sich, tanzen, tranken. Und der Mittelpunkt war Jonathan, ihre große Liebe, der Mann, in den sie sich während ihrer Urlaubsreise vor vier Monaten verliebt hatte, Kreta würde immer ihre Trauminsel bleiben, denn dort hatte sie ihn an Land gezogen – Jonathan, den Schwarm aller Frauen.
    „Ja“, Vivian zog ihre Freundin in ihre Arme. „Du glaubst nicht wie glücklich ich bin.“
    Ja, sie freute sich. Sie war glücklich. Und jetzt wartete sie auf die Hochzeitsnacht. Nach dem langen Tag schmerzten ihre Füße in den hochhackigen engen Schuhen, und sie ersehnte die Minute, in der sie die Tür hinter sich zufallen ließen und zusammen aufs Bett sinken würden. Schade, dass Jonathan keine Verwandtschaft mehr hatte und seine Freunde alle so weit wegwohnten, dass sie nicht an diesem großartigen Fest teilnehmen konnten. Aber dafür hatte ihre eigene Familie und Freunde sie nicht enttäuscht, alle waren gekommen, alle wünschten ihr Glück. Und sie konnte sehen, dass sie sich alle für sie freuten. Nach dem tragischen Tod ihrer Eltern vor drei Jahren war es vielleicht beruhigend für ihre Familie, dass sie nun nicht mehr alleine war.
    Vivian ließ sich auf den Stuhl sinken und nippte an ihrem Wasser. Sie hatte inzwischen schon ein paar Gläser Wein getrunken und ihr Kopf schwirrte.
    Die Gruppe von vier Männern, die den Saal betraten, beachtete sie zunächst gar nicht. Zwei uniformierte Polizisten, wahrscheinlich war das einer der geplanten Überraschungsauftritte. Erst war ein bekannter Komiker aufgetreten, und nun, als es auf Mitternacht zuging, trat offenbar eine Schauspielertruppe auf.
    Sie wurde erst aufmerksam, als die Männer sich um den Bräutigam geschart hatten, sah etwas metallisch blinken, hörte die erstaunten oder entsetzten Ausrufe.
    Schließlich sprang sie auf, knickte um, ließ sich wieder auf den Stuhl sinken, erstarrt und wie betäubt betrachtete sie die Szenerie.
    Einer der uniformierten Polizisten trat auf sie zu.
    „Frau Winter?“
    „Nein“, stammelte sie, „ich heiße … seit heute heiße ich Bergmann, Vivian Bergmann.“
    „Es tut mir leid, ich muss Sie informieren, dass Ihr frisch angetrauter Ehemann, Jonathan Bergmann, alias Peter Fischer, alias Henry Mann tatsächlich Siegfried Frisch heißt. Er ist ein gesuchter Heiratsschwindler, der bereits mehrere reiche Frauen geheiratet hat, die alle auf mysteriöse Weise wenige Wochen oder Monate nach der Heirat starben.“
    „Heiratsschwindler?“, flüsterte sie. Das Wort blieb ihr fast im Hals stecken.
    „Ja, ein Heiratsschwindler. Und Sie haben Glück, dass wir ihn rechtzeitig verhaftet haben. Bevor Sie auch noch einen unglücklichen Unfall erleiden. Da Sie die Alleinerbin der Richard Winter GmbH sind, hätte sich das für ihn ja bestimmt gelohnt.“

  • von Quetzalcoatlus


    Der Autor verpasste seiner kleinen Geschichte sorgfältig noch den letzten Schliff, und schickte sie mit allen guten Ratschlägen, die ihm bekannt waren, hinaus in die Welt, wo sie ihr Glück machen sollte.


    Die kleine Geschichte war voller Elan. Ihr Autor hatte ihr versichert, dass sie ein hervorragendes Stück Literatur darstelle. In einem besonders fröhlichen Moment hatte er sie sogar sein „Meisterwerk“ genannt, wie sie sich stolz erinnerte. Und nun war endlich der Augenblick gekommen, der ganzen Welt ihre Überlegenheit vorzuführen.
    Alle Menschen, denen sie begegnete, würden in Freude ausbrechen und all die anderen Geschichten, die – wie ihr Autor wiederholt beteuert hatte - vor Minderwertigkeit nur so strotzten, würden vor Neid erblassen, was freilich nur bei jenen sichtbar zu Tage treten würde, die auf dunklem Recyclingpapier gedruckt waren.


    Aber die wirkliche Welt war so gänzlich anders als die Fantasie, die die kleine Geschichte sich ausgemalt hatte. Wie sie bald ernüchtert feststellte, wollten viele Menschen sie nicht lesen, sondern wiesen sie mit barschen Worten ab. Sie hätten besseres zu tun, sagten sie.
    Traurig zog die kleine Geschichte von dannen. Sie konnte nicht verstehen, was all die Menschen davon abhalten mochte, eine solch hervorragende Geschichte wie sie zu lesen.


    In ihrer Not ließ sie sich dazu herab, andere Geschichten um Rat zu fragen. Sie wusste zwar, dass deren Qualität nicht an ihre eigene heranreichte, aber wenn diese unvollkommenen Werke einen Leser gefunden hatten, müsste besagter Mensch über eine wohltuende Abwechslung doch geradezu begeistert sein.
    Schließlich fand die kleine Geschichte einen alten Groschenroman, der ihr von einem Mann berichtete, welcher beruflich das Lesen von Literatur praktizierte.
    Die kleine Geschichte war begeistert. Dieser Mann musste die richtige Adresse für sie sein. Sie suchte ihn sogleich auf und ließ sich auf seinem Schreibtisch nieder. Als der Mann dies bemerkte, nahm er sie auf und begann neugierig, sie zu lesen.


    Die kleine Geschichte freute sich sehr, dass sie endlich gelesen wurde. Nun hatte sie einen Menschen mit Verstand gefunden. Mit Sicherheit würde er der übrigen Welt von ihrer Bedeutsamkeit berichten.
    Doch als der Mann seine Lektüre beendet hatte, erlebte die kleine Geschichte eine böse Überraschung. Anstatt ihre Brillanz zu loben, begann er sie zu beschimpfen. Er nannte sie banalen Nonsens und das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt war.


    Die kleine Geschichte versuchte tapfer, sich zu verteidigen. Aber ach, sie war so hoffnungslos unerfahren gegenüber den wortreichen Anschuldigungen des Kritikers. Ihr Autor musste vergessen haben, ihr etwas mit auf den Weg zu geben, womit sie sich gegen solch ignorante Menschen zu wehren vermochte.
    Hilflos musste sich die kleine Geschichte zerknüllen und in den Papierkorb werfen lassen.
    Sie konnte nicht verstehen, dass ihr Weg hier enden sollte. Hier, zwischen all dem ungeliebten, fortgeworfenen Müll des geschriebenen Wortes.
    Die anderen Geschichten im Papierkorb waren übellaunisch und überhäuften sich oft mit gegenseitigen Hasstiraden. So brachen sie endgültig den Elan der kleinen Geschichte.


    Als sie Wochen später ihre Reise in die Schreddergefilde antrat, war das Bedürfnis nach Glück in ihrem Herzen erloschen. Obszön johlend tanzte sie geradewegs in den Reißwolf.

  • von Bildersturm


    Floyd Matheson hatte sich noch nie in seinem Leben so gedemütigt gefühlt.

    Schlimm genug, dass Alice die Hotelrechnung aufgestöbert hatte und ihm seine kleine Affäre auf den Kopf zusagte, aber musste sie sich danach ausgerechnet bei Emily ausheulen? Emily White. Die Jungs im Büro nannten sie die Eiskönigin, wenn sie in einer Wolke schweren Parfüms vorbeirauschte und niemanden eines Blickes würdigte. Nur leider war die Eiskönigin verheiratet mit dem Stinktier - und das Stinktier hieß Harry White, seines Zeichens passionierter Golfspieler und Herr über die Personalabteilung der Allied Insurances Inc., des wohl familienfreundlichsten Unternehmens in den Vereinigten Scheißstaaten von Amerika. Nur eine Stunde nach Alices fatalem Fund stand Floyd auf der Straße.


    Die zu Hause folgende Auseinandersetzung war unschön, aber Floyd erinnerte sich nicht mehr an die Details. Als er das erste Mal wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, lag Alice am Fuß der Treppe, das rechte Bein grotesk verdreht, ihr Kopf in einer Blutlache und die Augen weit aufgerissen. Vorwurfsvoll, dachte Floyd und begann hysterisch zu kichern. Die Panik kam erst sehr viel später.


    Und nun stand er hier am Straßenrand. Verdammt. Er hatte die zerbrochene Flasche erst bemerkt, als sich ihre Überreste in den Reifen bohrten und der Chevy wie ein bockiges Pferd nach rechts ausbrach. Floyd war panisch auf die Bremsen gestiegen, und der Wagen schlingerte gefährlich, bevor er zum Stehen kam. Deutlich konnte Floyd hören, wie Alice im Kofferraum herumflog. Entschuldige, Schatz. Seine Beine fühlten sich wie Pudding an.


    Die Luft flirrte in der Mittagshitze. Schweißtropfen bildeten sich auf Floyds Stirn, und ächzend legte er das Wagenkreuz beiseite, um sie wegzuwischen. Dann griff er nach seiner Baseballkappe (Scheißsaison für die Dodgers dieses Jahr) und zog den Schirm tiefer, bevor er sich wieder an die Arbeit machte. Sorgsam zog er die letzten Schrauben an, dann ließ er den Chevy herunter und verstaute den Wagenheber unter dem Beifahrersitz. Den kaputten Reifen rollte er in den Straßengraben. Keine zehn Pferde würden ihn dazu bringen, den Kofferraum ein weiteres Mal zu öffnen, bevor er an der alten Kiesgrube angelangt war. Tut mir leid, Alice. Du hast auch schon mal besser gerochen. Ein laut vernehmliches Räuspern ließ ihn herumfahren.


    Floyd wusste nicht, wie lange der Polizist schon hinter ihm gestanden hatte. Ich bin erledigt. Der Gesetzeshüter musterte ihn mit undurchdringlicher Miene, dann deutete er auf den Reifen im Graben. „Ihrer?“ Floyd setzte ein betroffenes Gesicht auf. „Ja, Sir. Wollte ihn gerade verstauen.“ Der Polizist nickte skeptisch. „Aha.“ Er setzte zu einer Runde um den Wagen an, während Floyd das Rad eilig aus dem Gras hievte. Es gelang ihm, den Kofferraum einen Spalt zu öffnen und den Reifen ins Innere zu schieben, bevor der Cop seine Runde beendet hatte. Eine Spur zu schnell schlug er den Deckel wieder zu. Beruhige dich. Der maulfaule Polizist warf ihm einen argwöhnischen Blick zu, und wandte sich zum Gehen. „Schönen Tag noch.“ Floyd atmete auf. Glück gehabt. Er trat auf die Straße. Den heranrasenden Truck nahm er nicht einmal wahr.


    Floyd Matheson starb noch am Unfallort.