Neu-Erscheinung - Michael Gantenberg

  • Das Super-RTL unter den Romanen


    Die Bugwelle des Comedy-Overkills der privaten Fernsehsender schwappt schon seit einer Weile in die Belletristik. Wer fade Witze für fade Formate wie "Die dreisten drei", "Zack - Comedy nach Maß" oder Endstumpfsinn wie "Alles Atze" zu verfassen in der Lage ist, wird von Verlagen hofiert, die die nicht minder dünnsinnigen Machwerke der Autoren, zuweilen aber auch der Darsteller selbst, bereitwillig in die Buchhandlungen verklappen. Ralf Schmitz, Martina Brandl, Moritz Netenjakob, Mark Werner, Eckart von Hirschhausen, David Safier, Tommy Jaud, Ralf Husmann und wie sie noch alle heißen. "Names sell" lautet die Devise. Wer mal was für den "Fun Freitag" konzipiert hat und dieserart auf die PR-Unterstützung seiner Komikerkumpels hoffen darf, findet auch seinen Weg in die Verlagsprogramme. Qualität spielt dabei eine nur untergeordnete Rolle, wenn überhaupt. Die Rechnung geht auf, und das Unterschichtfernsehpublikum amüsiert sich auf niedrigem Niveau an den Pools und Stränden von Mallorca. Okay, diese Leute haben ja sonst auch wirklich nichts zu lachen.


    Gantenberg ist so einer. Da Formate wie "Alles Atze", für das er verantwortlich gezeichnet hat, erstaunlicherweise keine Straftatbestände erfüllen, ist der Mann auf freiem Fuß - und er hat einen "Roman" geschrieben. Wie alle Vorbilder recherchefrei, ich-erzählt, voller Kommentare, superlustiger Vergleiche und, was wenig wundert, in der Medienwelt angesiedelt. Da auch diese "Autoren" - immerhin - verstanden haben, dass man nur über Dinge schreiben sollte, von denen man etwas versteht, ergibt sich das quasi von selbst.


    Paul Elmar ist Lokalredakteur bei einem kleinen Blatt irgendwo in der westfälischen Provinz. Mehr erfährt man über diese Figur auf den großzügig gesetzten knapp 280 Seiten genaugenommen nicht. Paul schwatzt viel über nichts und führt eine irgendwie leicht versandete Ehe mit Bettina, die für einen christlichen Bildungsverein tätig ist, ansonsten hat die Hauptfigur so viel Farbe wie die Mondrückseite, tändelt zwischen Depp und postintellektuellem Frauenversteher. Er kommt auf die Idee, einen Fortsetzungsroman zu schreiben. Einen "emanzipatorischen", dessen Hauptfigur Hannah ist, die unsterbliche Schwester Jesu: "Die Messias". Die dünne, witzfreie und vollständig unoriginelle Serie, die der Romanleser auch noch zu konsumieren genötigt wird, entwickelt sich alsbald zu einem gewaltigen Erfolg. Da Paul unter einem Pseudonym schreibt, sind total lustige Verwicklungen natürlich vorprogrammiert. In die sind dann noch ein paar andere Knalltüten involviert, die sich Gantenberg ausgedacht hat.


    Von Stil darf man bei diesem Roman nicht reden, auch nicht von Spannungsbögen, Lakonik oder pfiffigem Humor. Stattdessen bekommt man "komische" Szenen aus der Mottenkiste präsentiert, etwa das Gespräch mit dem Pfarrer, währenddessen Paul Elmar glaubt, es ginge um seinen geheimen Fortsetzungsroman, während der Pfarrer aber, bruhaha!, eigentlich davon spricht, Paul Elmar als Helfer für das Pfarrfest akquirieren zu wollen. Oder Sitzungen des Bauausschusses, die Pauls Mobiltelefon laufend stört. Göttlich.


    Das einer fortwährenden Leserfolter gleichkommende Hauptelement des Buches aber ist jene, in fünfzehn - glücklicherweise kurzen - Folgen erzählte Geschichte um Hannah, unsterblich, ein bisschen dick und auf der Suche nach dem Mann fürs Leben. Hannah ist so schlau wie eine Herdplatte und stellt eine platte Mischung aus Bridget Jones und Daisy Duck dar. Ihre Erlebnisse aber sorgen, wie Gantenberg behauptet (Behauptungen stellen den Großteil der Erzählung dar), für eine Welle der Identifikation, lösen gar eine Art Rebellion aus. Dabei bestehen die vermeintlichen Skandälchen aus so bahnbrechenden Forderungen wie derjenigen, die Gleichberechtigung endlich auch in der katholischen Kirche durchzusetzen. Ja, ist es denn wahr! Es steht zu vermuten, dass der Autor des Buches während der vergangenen dreißig Jahre tatsächlich nur Fun-Freitage angeschaut hat. Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung muss komplett an ihm vorbeigegangen sein.


    Mir tun die armen Lektoren leid, die von ihren Vorgesetzten solchen gequirlten Mist vorgesetzt bekommen, um daraus Bücher machen zu müssen. Mir tun die fähigen Autoren ohne "Comedy-Erfahrung" leid, die mit ihren Debüts scheitern, weil sich Verlage und Medienmaschine auf diese Hirntotenbelletristik stürzen, weil sie leichter zu verkaufen ist. Mir tun die Leser leid, die als einzige Lektüre im Jahr so einen vermurksten Unlustigdreck inhalieren und glauben, es wäre Literatur.


    "Neu-Erscheinung" (schon der subtile Wortwitz des Titels ist ein Brüller) ist so originell wie "Deine Augenfarbe passt zu meiner Bettwäsche"-Anmache, so stilvoll wie Katja Kesslers BILD-Unterschriften zu den Nacktfotos auf der Titelseite, so skandalös wie ein Furz in der Wüste, so amüsant wie Psalm 23 und so literarisch wie das Telefonbuch von Mueggelheim. Wer diesen Roman geschenkt bekommt, sollte über eine Umfeldveränderung nachdenken.

  • Vielleicht las es am Hörbuch.


    Gelesen wurde das von Bastian Pastewka.


    Den ich schon mag.


    Allein wenn seine Frau ihn gerufen hat.Paul Elmarrr :chen


    Der arme Paul hat bei seiner Frau nix zu lachen :lache


    Ich denke ein Hörbuch ist noch etwas anderes.

  • Jetzt wird mir auch klar, weshalb aus der Leserunde nix wurde. Der Autor wollte ja hier eine begleiten, hat sich aber nie mehr gemeldet. Möglicherweise hatte er vor zu viel negativem Feedback Angst?



    Klasse Rezi :anbet, danke Tom! You made my day. :-)

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Tom
    Das Super-RTL unter den Romanen


    Die Bugwelle des Comedy-Overkills der privaten Fernsehsender schwappt schon seit einer Weile in die Belletristik. Wer fade Witze für fade Formate wie "Die dreisten drei", "Zack - Comedy nach Maß" oder Endstumpfsinn wie "Alles Atze" zu verfassen in der Lage ist.........



    Moin Tom,


    mein aufrichtiger Dank an dich für diesen Satz. :wave


    Ob das nun "Die dreisten drei" oder "Zack" oder auch "Atze" war - immer wenn ich mal eines dieser Formate angeschaut hatte, war ich auf der Suche nach dem hammermässig versteckten Witz in diesen Sendungen. Gefunden habe ich ihn (den Witz) leider nie. Anfangs war ich sogar der Ansicht, diese Sendungen würden mich, den eher simpel strukturierten Fernsehzuschauer, intellektuell überfordern.


    Natürlich bedanke ich mich auch beim Autor für dieses Buch. Nur weil er so ein plattes Buchdings geschrieben hatte, bin ich in den Genuß von Toms Rezi gekommen - über die ich mich köstlich amüsiert habe.


    Klasse Rezi! Hat Spass gemacht sie zu lesen..... :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Voltaire und Lumos: Danke! :wave


    Emotionen sind die Quelle, aus der Literatur sprudelt. Dieses Buch hat mich wirklich sehr, sehr verärgert. Und Ärger ist ja auch eine Emotion. ;-)


    Natürlich mag es bitter sein, solche Verrisse als Buchautor lesen zu müssen. Nein, es mag nicht bitter sein - es ist bitter, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber Dickfelligkeit gehört dazu, wenn man mit Texten an die Öffentlichkeit geht. Und Herr Gantenberg dürfte aufgrund seiner Medienerfahrungen mit derlei umgehen können. Vielleicht juckt ihn sowas überhaupt nicht - schließlich sind andere Leser begeistert, wie sich hier und bei Amazon zeigt. Möglicherweise liege ich falsch. Und werde dieser Tage mit der Nachricht überrascht, dass "Neu-Erscheinung" auf der Longlist für den Deutschen Bücherpreis steht.

  • :-)


    Jetzt muss ich auch meinen Kommentar dazu loswerden. Ich gehöre ja zu denen, die hier positiv über das Buch geurteilt haben.
    Nein, Tom, ich denke nicht, dass Du mit Deiner Rezi für Dich falsch liegst. Ich denke eher, es kommt auf die Erwartungshaltung an, mit der man an ein solches Buch herangeht. Ich habe mir kurzweilige, amüsante Lektüre versprochen und sie bekommen. Hätte ich intelligente, anspruchsvolle Lektüre erwartet, dann hätte ich ein anderes Buch gelesen. Manchmal muss es seicht sein und dann ist es in dem Moment auch witzig.
    So ist es auch mit der Stimmung, in der man an ein solches Buch heran geht. An einem anderen Tag hätte ich es vielleicht auch zur Seite gelegt und eben nicht viel Freude daran gehabt. Zu der Zeit, als ich es gelesen habe, war es genau richtig.


    Und ich gehöre übrigens nicht zu den Freitag-Abend-Fernseh-Schauern ;-) ich schaue nämlich so gut wie nie, lieber lese ich.


    Dennoch, Deine Rezi zu lesen, war einfach klasse, sie hat mir sehr gut gefallen. Auch wenn sie nicht meine Meinung wiedergespiegelt hat.


    So ist das mit den Büchern - deswegen gibt es so viele davon :grin

    Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.
    (Hermann Hesse)

  • Zitat

    Original von Lumos
    Ich glaub, ich muss unbedingt mal ein Buch von dir lesen!


    Der Gedanke ist mir auf Grund dieser Rezi sowie früheren Posts von Tom auch schon gekommen. Obwohl seine Bücher thematisch so überhaupt nicht in mein „Beuteschema“ passen.



    Jedenfalls weiß ich, daß ich das Buch überhaupt nicht verstehen könnte. Denn all die angesprochenen Sendungen kenne ich nicht bzw. habe ich nie gesehen. Eckart von Hirschhausen ist mir schon ein Begriff; ich habe ihn mal live erlebt. Von David Safier habe ich „Mieses Karma“ gelesen und ärgere mich immer noch, daß ich meine Punktewertung nicht nach unten verändern kann.


    Und das:

    Zitat

    Original von Tom
    Und werde dieser Tage mit der Nachricht überrascht, dass "Neu-Erscheinung" auf der Longlist für den Deutschen Bücherpreis steht.


    würde mich auch nicht mehr groß wundern. Denn ich habe schon lange aufgehört zu versuchen, die heutige Zeit bzw. deren Erscheinungen und Auswüchse verstehen zu wollen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • @ Sara1 - Ich teile deine Ansichten und kann deinen Kommentar nur unterstreichen!


    Da ich ebenfalls kein Fernsehen schaue kenne ich Herrn Gantenberg nicht, sein Buch wollte ich als Wanderbuch lesen, es blieb allerdings bei Fabulanta "auf der Strecke" und schaffte es nicht bis zu mir.


    Wenn man es vom Stil her mit "Jesus liebt mich" vergleichen kann, (welches auch so garnicht meine Art von Humor war), ist es wohl eine Fügung des Schicksals gewesen :grin.


    Trotzdem werde ich mich jetzt mal ernsthaft auf die Suche nach einem Buch von Tom begeben ;-).

  • Hallo, Sara1.


    Mmh. Meiner Meinung nach geht beides - man kann leicht, flockig, witzig und ohne Anspruch auf Weltverbesserung (außer für die vier Stunden, die die Lektüre dauert) schreiben, ohne gleichzeitig den dümmstmöglichen Leser als Zielgruppe annehmen zu müssen. Es gibt gute Bücher, die solchen "Ansprüchen" genügen. Unterhaltungsliteratur, die zum Lachen und Weinen bringt, die verliebt macht oder verwirrt oder verängstigt, um dann schließlich alles zum Guten zu wenden. Viele Autoren schreiben solche Bücher. Nicht viele dieser Autoren gehör(t)en zur Witzeschreiberarmee von RTL und Sat.1. Wobei es Ausnahmen gibt - Michel Birbaek ist so eine Ausnahme. Der schreibt nämlich richtig gute Bücher. Nicht nur vergleichsweise. (Ich lese gerade "Nele & Paul".)


    Es gibt diesen Spruch: "Lieber eine Freundschaft risikieren als eine Pointe verschenken." Gantenbergs Buch folgt genau diesem Prinzip. Er tut alles für die paar faden Lacher, die es möglicherweise gibt. Hauptsache Schenkelklopfer. Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit, Handlung, Figurenzeichnung - das ist doch Pillepalle. Das Alles-Atze-Muster als "Literatur". Mit Verlaub, gerade Frauen müssten sich über diesen Murks aufregen. Diese "Identifkationsfigur", die Gantenberg da verkauft - was für eine gruselige Vorstellung, dass sich moderne Frauen tatsächlich mit dieser Dumpfbeule identifizieren, die alles andere als weltbewegende Neuigkeiten von sich gibt. Der ganze Plot ist haarig. Da stimmt einfach überhaupt nichts. Keine Idee ist vorbereitet oder zuende gedacht. Das Personal besteht aus Pappkameraden. Und das ganze ist so realistisch (sogar die Kernidee außer Acht lassend) wie ein Formel-1-Sieg mit einem Trabant 600.


    Ich habe nichts gegen leichte Unterhaltung - aus genau diesem Grund ist dieses Buch ja von mir gekauft worden. Matt Beaumont, Johnathan Tropper, Anne Hertz und meinetwegen sogar Kerstin Gier (um geschlechterneutral zu bleiben) - Leute, die gute, unterhaltsame Romane schreiben, derentwegen man nicht sein Leben ändert, weil man das ja auch nicht will. Aber so hanebüchener Quatsch wie "Neu-Erscheinung" dürfte nicht im gleichen Atemzug, eigentlich aber sogar nicht einmal im gleichen Leben wie diese Bücher genannt werden. :fetch

  • Lumos :


    Zitat

    Trotzdem werde ich mich jetzt mal ernsthaft auf die Suche nach einem Buch von Tom begeben


    Ich schreibe Rezensionen eigentlich nicht, um Bücher zu verkaufen. Aber wenn Du was (auch) "Lustiges" im Stil dieser Rezension lesen willst, solltest Du auf mein nächstes warten. ;-)

  • Tom, alle Deine Argumente und Überlegungen kann ich nachvollziehen und verstehen. Dennoch - und dabei bleibe ich, das ist meine Ansicht - kommt es bei mir auf die Stimmung und Erwartungshaltung an, mit der ich an solch ein Buch heran gehe.


    Natürlich geht beides, gut und witzig schreiben, aber das kann nun mal leider nicht jeder Autor. Oder zum Glück? Sonst gäbe es noch viel mehr lesenswerte Bücher, als es sowieso schon gibt.


    Alleine schon die Tatsache, wie lange und intensiv hier an diesem Buch diskutiert wird, finde ich enorm. Ja, es ist ein Buch, an dem sich die Geister scheiden. Daran werden wir nichts ändern können.

    Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.
    (Hermann Hesse)

  • Sara1 : Wir müssen nicht über Geschmack streiten. Wenn Dir das Buch gefallen hat - warum nicht? (Obwohl mir dafür gute Gründe einfallen würden. :grin) Ich fand es ärgerlich, vorsichtig ausgedrückt, und das ist auch schon alles. Dass es zudem auch noch Bestandteil einer Marktentwicklung ist, die ich als unangenehm empfinde, ist eine andere Sache.

  • Zitat

    Original von Tom


    Mensch. Danke für den Hinweis. Stimmt. Das war wirklich to-tal lustig. :uebel


    Willst du mich jetzt veralbern???


    Hast du das Hörbuch gehört?Nein du hast das Buch gelesen.


    Wenn ich das Buch gelesen hätte dann hätte ich es vielleicht auch nicht lustig gefunden.


    Kopf schüttel

  • Hallo, Loeckchen.


    Nein, ich wollte Dich nicht veralbern. Ich nahm an, dass Du:


    Zitat

    Allein wenn seine Frau ihn gerufen hat.Paul Elmarrr


    grundsätzlich lustig gefunden hast, Hörbuch hin oder her. Mir ging's nicht so, und nur das wollte ich anmerken. :wave