Sonja bockt. Das Amulett des Wolfsgottes, die zerstörerischen Nebeldämonen, der Krieg, die Alten Völker, ja, ganz Parva, kann ihr den Buckel hinunterrutschen. Es reicht! Was die neue Prophezeiung verlangt, ist einfach zuviel. Sonja will ihre Ruhe, ein für alle Mal. Abhauen sollen sie alle. Außer Nachtfrost, natürlich. Das Einhorn ist es auch, das Sonja mit der Geschichte vom Teshante-Mann und der Falkenfrau wieder auf den Weg bringt. Und schon sind sie wieder in Parva, weit im Norden diesesmal. Ihr Ziel ist ihnen rätselhaft, offenbar geht es darum, Darian, den Königssohn von Chiarron, endlich wieder zu treffen. Zunächst scheint die Reise im Gegensatz zu früheren Ausflügen geradezu harmlos. Doch plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Nicht nur stört Sonja alte Legenden auf, das freudig erwartete Treffen mit Darian schlägt in böses Erwachen um. Noch ehe der kleine Trupp aus Sonja, Melanie, Elri und Lorin begriffen hat, was geschehen ist, sitzen sie im Kerker von Chiarron. Und Chiarron ist in der Hand des Spürers.
Die folgenden Ereignisse bringen jedes der Kinder bis an den Rand des Erträglichen. Melanie geht eigene Wege und landet in ihrer eigenen Albträumen. Elri muß sich einem völlig veränderten Darian stellen. Darian kämpft nicht nur um sein Land, sondern auch um das Leben seiner Eltern. Lorin muß sich mit dem Vermächtnis auseinandersetzen, das der Wolfsgott ihm hinterlassen hat und das auch die tödliche Prophezeiung enthält. Sonja muß die Macht des Amuletts einsetzen und lernen, bewußt zu handeln. Hoch auf der schwarzen Brücke über dem Schlot aus Obsidian entscheidet sich unter dem Flügelschlag der riesigen Feuervögel das Schicksal Parvas.
Nach silbergrünlich, silberrosa, silberblau und Altgold prangt der Einband nun in kupferorange. Wir sind bei Teil 5 der Saga ‚Einhornzauber’ angekommen und es brennt! In Parva ebenso wie in den Köpfen und Herzen unserer HeldInnen. Das Buch überrascht mit eine Fülle neuer Einfälle, der Erfindungsreichtum der Autorin scheint unerschöpflich. Gelegentlich drängt er schon heftig gegen die Enge der äußeren Vorgaben.
Zum erstenmal geht es ganz deutlich um die Kehrseite der Dinge, die Folgen von Handlungen. Und um Grenzen. Wie wird man die Geister los, die man rief? Oder aber: kann man lernen, mit ihnen zu leben? Einer der Geister ist dabei die Liebe. Sie öffnet die Augen, kann sie aber auch verschließen, eine Erfahrung, die außer Sonja auch Darian machen muß.
Ein wichtiger Teil der Geschichte ist die Entwicklung Melanies. Ihre Entscheidung ist richtig und zugleich falsch, eine provozierende Setzung in einem Jugendbuch. Was Melanie dadurch auslöst, ist durchaus geeignet, auch bei den Leserinnen Albträume auszulösen. Überhaupt gibt es nicht wenige Schreckensszenen. Daß sie nur zu einem Teil von der Fantasy-Szenerie bedingt sind, eigentlich aber sehr genau die höchst diffizile Befindlichkeit der frühen Pubertät wiedergeben, mit all den Ängsten und Wünschen des Angenommenwerdens und Weggestoßenseins, ist ein weiterer Pluspunkt dieses Bandes.
Neben neuen Figuren, wie z.B. der ganz großartigen Sturmvogelfrau, den Windläufern und der Falkenfrau, tauchen alte Bekannte auf, allen voran der Spürer, Sonjas böser Gegenspieler, aber auch die Hexenschwestern Idore und Isarde, in deren Fänge Melanie wieder gerät. Es gibt phantastische Landschaftsbeschreibungen, über der Erde und unter der Erde. Der nächtliche Zug der Einhörner über die Steppe bleibt ebenso unvergeßlich, wie die Beschreibung der juwelenbesetzten Kristallhöhle. Die Figuren sind überzeugend, trotz der harten Beschränkung, die die vorgegebene Seitenzahl der Erzählerin auferlegt, gelingt es tatsächlich, vier ganz unterschiedliche Entwicklungen ihrer Hauptfiguren zu zeigen. Dabei verlieren auch die Nebenfiguren nicht, weder die alten, noch die neuen.
Die Spannung steigt auf den höchsten Punkt und entlädt sich grandios. Tatsächlich ist die Geschichte um das Wolfsamulett hier zu Ende. Daß es trotzdem noch eine Fortsetzung gibt, ist im Unterschied zu anderen Serien keine Zeichen für eine Endlos-Spule, sondern, aufs Ganze gesehen, tatsächlich ein meisterlicher Kniff. Schließlich geht es hier ums echte Leben. Auch unter dem riesigen Mond von Parva.