Irreführende Klappentexte

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    Original von Lese-rina
    Was mir immer noch nicht ganz klar ist: Warum wird so eine genau zugeschnittene Zielgruppe definiert? Warum wird nicht kurz und knapp erklärt, um was es in dem Buch geht (natürlich ohne den Inhalt vorwegzunehmen) und Lust auf das Buch gemacht, ohne sich festzulegen: die, die oder die soll der Klappentext ansprechen. Das darf natürlich auch emotional gemacht werden, aber es sollten halt keine Erwartungen geweckt werden, die hinterher nicht eingelöst werden.


    Das hat etwas mit Marktmechanismen zu tun. Vergiss nicht, wie viele Konkurrenzprodukte es auszustechen gilt, die ja ebenfalls um die Gunst des Käufers (und ich sage hier bewusst "Käufer", denn viele Bücher werden auch ungelesen verschenkt) buhlen. Im Marketing und in der Werbung gibt es die Begriffe High Involvement und Low Involvement, d.h., grob übersetzt, jemand (der Käufer) hat entweder ein hohes Interesse bzw. ein niedriges bis gar keines an der Ware. Bücherkäufer sind im Großen und Ganzen der ersteren Gruppe zuzuordnen - Leser haben ein prinzipielles Interesse an Büchern. Und zwar an Büchern im Allgemeinen. Hier brauche ich also keine Hemmschwelle überwinden, der potenzielle Käufer geht ohnehin in den Laden.
    Aber dann! Eine unübersehbare Fülle von Büchern stürzt auf ihn ein, und daraus muss er sich jetzt eines oder zwei aussuchen. Dabei gilt für ihn für die allermeisten Bücher Low Involvement - er hat kein Interesse an diesem und jenem Genre, sondern sucht ganz speziell etwas aus seinem Interessenbereich. Tja, und da sind wir eben doch alle ziemlich berechenbar, auch die, die es besser wissen sollten: Gibt man uns die richtigen Schlüsselreize, in diesem Fall gelernte Covermotive, Wörter etc, springen wir darauf an. Wenn ein Buchcover dann besonders "laut schreit" und der Klappentext die richtigen Argumente liefert, wird das mit Sicherheit oft zu Spontankäufen führen. Die Kaufentscheidung wird in den meisten Fällen subjektiv und schnell getroffen, also muss die Kommunikation schnell und punktgenau sein. Und deshalb ist es wichtig, seine Käufer vorher zu kennen, um ihnen die Entscheidung leicht zu machen, indem man ihnen ein mundgerechtes Häppchen vorsetzt. Im Prinzip funktioniert auch ein Buchkauf nicht anders als die Entscheidung für Nivea oder Oil of Olaz. Ich persönlich mag Grün- und Blautöne. Rate Mal, was bei mir im Schrank steht :lache
    Ich kaufe Bücher übrigens häufig nach dem Cover; als Grafik Designer bin ich sehr anfällig für interessante und ungewöhnliche Motive. Geht mal schief, mal nicht, aber immerhin ist das Cover immer dekorativ :lache



    Zitat

    Original von Lese-rina
    Ich hab mir jetzt mal den Klappentext zu Jadepferd durchgelesen und gebe dir recht: wenn jemand mit China oder mit Toten nichts anfangen kann, wird ihn der Klappentext nicht ansprechen. Aber dann wahrscheinlich auch das gesamte Buch nicht, oder?


    Naja ... in der Lesrunde hat sich herausgestellt, dass ich einigen, die bisher mit China nichts am Hut hatten, dieses Land durchaus näher bringen konnte. Pauschalisieren lässt es sich also nicht. Trotzdem dürfte die Lese- und damit auch die Kaufbereitschaft bei Menschen, die sich von vornherein für China interessieren, wesentlich höher sein.

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    Original von SteffiB


    Naja ... in der Lesrunde hat sich herausgestellt, dass ich einigen, die bisher mit China nichts am Hut hatten, dieses Land durchaus näher bringen konnte.


    Ähm, ja ich bin so einer. Also mich spricht vom "Jadepferd" weder das Cover noch der Klappentext an. Ich hätte in einer Buchhandlung vermutlich nie danach gegriffen. Hätte ich es, wäre spätestens beim Klappentext Schluß gewesen. Da sind etliche "no-gos" für mich drin. Nachdem ich jedoch den Rezithread und die Leserunde verfolgt habe, habe ich das Buch doch gekauft und gelesen. Und war begeistert. Also obwohl die Verpackung auf mich eher abschreckend wirkte, ist das Buch prima. Allerdings weiß ich nicht, was für einen Klappentext man hätte schreiben müssen, damit ich deswegen danach greife. In solchen Fällen helfen wohl wirklich nur "Mund-zu-Mund-Propaganda" bzw. Eulenempfehlung.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich hätte keinen Klappentext für dich schreiben können, SiCollier. In dem Buch geht es nun mal um China, und auch am Rande um einen Mord (auch wenn es kein Krimi ist), und so waren die Hauptkriterien, die für viele, die sich eben genau dafür interessieren, für dich Ausschlusskriterien. Dass dir das Buch trotzdem gefallen hat, ist ja im Grunde ein schöner Beweis, dass man ruhig auch mal über Genre- und Interessengrenzen hinausschauen sollte. Ich denke, genau dies ist einer der Gründe, warum hier in diesem Forum so viele Leser/innen unterwegs sind - sie wollen sich neue Anregungen holen, und was wäre dazu besser geeignet als die Rezensionen von Menschen, denen man vertraut? Oft gibt es ja auch kontroverse Diskussionen, die dann ein Anreiz sind, es eben doch mal zu versuchen ...
    Trotzdem haben der Klappentext und das Cover seine Berechtigung: Sie holen diejenigen ab, die ein Buch suchen, das in China spielt und noch einige andere Kriterien erfüllt.
    Jemanden, der kein Grundinteresse hat, ist auch nicht mit Werbung einzufangen. Unsere selektive Wahrnehmung lässt uns nur sehen oder hören, was uns ohnehin schon interessiert, ob es sich nun um Werbung, Nachrichten oder den neuesten Hit handelt. Wir kennen es alle: Wenn etwas in den Fokus unseres Interesses rückt, dann finden wir plötzlich überall Nachrichten, Berichte und Dokumentationen und haben das Gefühl, unser neuestes Steckenpferd findet gerade in der ganzen Welt Beachtung. Das war aber meist schon vorher so, hat uns zu dem Zeitpunkt aber nicht interessiert, also haben wir es überlesen/übersehen/überhört. Gutes Beispiel: Die Uighuren im Jadepferd. Die kannte keiner (ich auch nicht, bevor ich auf der Seidenstraße unterwegs war). Jetzt scheinen die Zeitungen voll von Berichten über sie. Es gab aber durchaus schon vorher Berichte, mindestens seit 9/11.

  • Von diesem Phänomen habe ich natürlich auch schon gehört, aber ich kann mich jetzt an kein konkretes Beispiel erinnern.
    Doch abgesehen davon, finde ich es eine große Schweinerei! :fetch Wie soll man sich denn sollst als Leser über den Inhalt des Buches informieren....

    Versuche zu kriegen, was du liebst, sonst bist du gezwungen, das zu lieben, was du kriegst
    :lesend"Herren der Unterwelt;Schwarzer Kuss" Gena Showalter

  • Mich nerven falsche Klappentexte auch. Aber man kann ja nichts dagegen machen und ich habe auch nicht immer die Zeit, erstmal in das Buch reinzulesen, bevor ich es kaufe.


    Ich habe mich beim Klappentext von "Die Tochter der Apothkerin" verarscht gefühlt. Das Buch wurde als historischer Roman angepriesen und auch der Klappentext hat nichts davon verlauten lassen, dass es vorallem um Fantasy geht. allerdings wurde mir mittlerweile erklärt, dass die Autoren darauf keinen Einfluss haben, sondern selbst unzufrieden damit sind. Ändern wird man als Leser daran also nichts ändern können, wenn es nicht mal die Autoren schaffen, sich bei den Verlagen durchzusetzen!

  • Ich finde, Steffi hat das sehr anschaulich erklärt.
    Klappentexte sind, wie jeder andere Text eben auch, immer subjektiv. Wie werden die einzelnen Handlungsstränge gewichtet? Faszinieren einen die Schilderungen Chinas oder ist das nur Kulisse für eine schöne Liebesgeschichte oder die wiederum nur Nebenhandlung in einem spannenden Krimi?
    Gerade bei Büchern, die nicht ein eng umgrenztes Genre bedienen, ist es sicherlich schwierig, das auf den Punkt zu bringen.


    Ich habe zum Beispiel die Grönlandsaga von Jane Smiley sehr gerne gelesen und war sehr angetan von der Schilderung des Lebens zur Landnahmezeit. Nun habe ich mich kürzlich mit einer Freundin unterhalten, der besonders die Liebesgeschichte gefallen hat.
    Liebesgeschichte? Die schien mir so nebensächlich, dass ich die sofort wieder vergessen habe.


    Ich hätte das Buch auch nicht gelesen, wenn es "Die Grönlandfahrerin" geheißen hätte, und als "spannender historischer Roman aus dem Mittelalter" annonciert worden wäre, obwohl das keineswegs gelogen wäre.
    Es wäre aber möglich, dass die Verkaufszahlen in die Höhe schössen, wenn das getan werden würde. Und die Zielgruppe wäre wahrscheinlich gar nicht mal enttäuscht :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Wenn sich hinter einem schlechten KT ein gutes Buch verbirgt, dann geht es ja noch... Viel schlimmer finde ich, wenn der KT super ist und das Buch gehört eigentlich in den Müll, weil es so schlecht ist.
    Mir ist es auch ganz ehrlich lieber, wenn ein KT zu allgemein ist und dafür aber nicht zu viel vom Buch verrät. In manch einem KT finden sich ja richtige Spoiler und man braucht das Buch schon fast nicht mehr zu lesen. Das nervt mich erst richtig.
    Klar nervt es auch, wenn auf jedem Buch annähernd das selbe steht, aber da kann man ja zur Not noch nach dem Cover, dem Autor oder nach den Eulen gucken. :grin

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • @ SteffiB


    Ich danke dir :wave (und natürlich auch allen anderen), für die sehr interessanten Beiträgen zum Klappentext. Mir ist es jetzt schon ein bißchen klarer, warum sie so "reißerisch" geschrieben sind und werde sie in Zukunft bewusster als Werbung wahrnehmen.


    Bleibt außerdem zu hoffen, dass auch die Verlage einsehen, dass sie mit irreführenden Klappentexte Leser verärgern, die dann kein zweiter Buch dieser Richtung/dieses Verlags/dieses Autors mehr kaufen.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Ich hätte keinen Klappentext für dich schreiben können, SiCollier. In dem Buch geht es nun mal um China, und auch am Rande um einen Mord (auch wenn es kein Krimi ist), und so waren die Hauptkriterien, die für viele, die sich eben genau dafür interessieren, für dich Ausschlusskriterien. Dass dir das Buch trotzdem gefallen hat, ist ja im Grunde ein schöner Beweis, dass man ruhig auch mal über Genre- und Interessengrenzen hinausschauen sollte.


    Ich weiß nicht, ob überhaupt jemand in diesem Falle einen Klappentext hätte schreiben können, der mich angesprochen hätte. Drum sehe ich ja auch öfters in Rezithreads und Leserunden, die ich gar nicht mitmache, hinein, eben um über den Tellerrand hinauszusehen. Und manchmal gibts dann eben einen Volltreffer. :-)


    Einen sachlich falschen Klappentext (bzw. U4-Text) hat übrigens Luanne Rice' "Das Weihnachtswunder von New York". Der Sohn ist nicht seit einigen Jahren weg, sondern seit genau einem Jahr. Bisweilen soll es nicht verkehrt sein, zumindest rudimentäre Kenntnisse des Buches, das man bewerben will, zu haben.



    Zitat

    Original von SteffiB
    Das war aber meist schon vorher so, hat uns zu dem Zeitpunkt aber nicht interessiert, also haben wir es überlesen/übersehen/überhört. Gutes Beispiel: Die Uighuren im Jadepferd. Die kannte keiner (ich auch nicht, bevor ich auf der Seidenstraße unterwegs war). Jetzt scheinen die Zeitungen voll von Berichten über sie. Es gab aber durchaus schon vorher Berichte, mindestens seit 9/11.


    Da fällt mir Vera Birkenbihl ein, die vor Jahren mal sinngemäß schrieb, daß die Welt plötzlich voll von Dingen ist, wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf lenken. Als Beispiel nannte sie Wohnmobile. Nie sah sie welche. Bis zu dem Tag, an dem sie beschloß, sich eines zuzulegen. Ab dem Tag war die Autobahn voll davon.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")