Klappentext
'Manhattan Transfer' gehört zu den großen revolutionären Romanen des 20. Jahrhunderts. Durch eine Fülle von Schauplätzen und Charakteren lässt Dos Passos ein schillerndes Porträt des urbanen New Yorker Dschungels entstehen, in dem das Jagdfieber wütet: nach Arbeit, Glück und Macht.
Zum Autor
John Dos Passos wurde 1896 in Chicago geboren. Nach Jugendjahren in Mexiko und Westeuropa studierte er an der Harvard University. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, den er als Sanitäter in Spanien miterlebte, begann er pazifistische Kriegsliteratur zu verfassen, bevor er den amerikanischen Großstadtroman revolutioniert. Dos Passos starb 1970 in Baltimore.
Meine Meinung
Der Roman verfügt nicht über eine typische Romanstruktur mit Haupt- und Nebenpersonen und einer mehr oder weniger geschlossenen Handlung. Wer eine schön erzählte Geschichte lesen möchte, wird hier wahrscheinlich enttäuscht werden.
Dos Passos lässt anhand einer Vielzahl von Charakteren (angeblich 50-60, ich habe sie nicht gezählt), die zu sämtlichen sozialen Schichten der New Yorker Bevölkerung gehören, ein Bild vom New York des frühen 20. Jahrhunderts und seinen Menschen entstehen. Es gibt häufiger wiederkehrende Personen und solche, die nur ein oder zweimal auftauchen. Die Szenen werden collageartig angeordnet. Man hat das Gefühl, wie in einem Dokumentarfilm, für einige Minuten Beobachter eines bestimmten Menschen zu werden. Kurz darauf schwenkt der Autor (wie eine Kamera) zum nächsten Protagonisten. Trotz dieser kurzen, spotartigen Szenen, die auch Fragen offen lassen, schafft es Dos Passos, dass ich Mitgefühl für die Schicksale seiner Charaktere entwickelt habe - was ich angesichts dieser Schreibtechnik durchaus erstaunlich fand. Dazu möchte ich bemerken, dass Dos Passos wirklich glückliche und zufriedene Menschen kaum beschreibt - fast alle sind auf der Suche nach Glück, Erfolg, Liebe, Geld, Macht. Manche auf materiell hohem Niveau, manche um ihre physische Existenz kämpfend. Von einer Glorifizierung des "American Dream" oder New York als der Stadt der Träume von Millionen von Einwanderern kann keine Rede sein.
Gerade im letzten Drittel fand ich es jedoch zunehmend schwierig, den wiederholt auftauchenden Personen ihre jeweilige Geschichte zuzuordnen - durch die Collagetechnik fällt es schwer, sich wirklich ein Bild und eine Erinnerung von jeder einzelnen Figur zu machen. Das hat mir das Ende etwas verleidet.
Für alle New York-Liebhaber und experimentierfreudigen Leser kann ich das Buch aber empfehlen. Ich fand es fantastisch, wie gerade im ersten Drittel das New York des frühen 20. Jahrhunderts ausgebreitet wurde. Teilweise mit detaillierten geographischen Beschreibungen, müsste es für New York-Kenner und -Reisende besonders spannend sein.
Ansonsten ist vielleicht noch der Hinweis interessant, das "Manhattan Transfer" 1927 ins Deutsche übersetzt wurde und europäische Romane wie Döblins "Berlin Alexanderplatz" maßgeblich beeinflusste.