Verlag: Beck, 2005
Gebundene Ausgabe: 251 Seiten
Übersetzt aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Der Roman ist inzwischen auch schon als Taschenbuch erschienen.
Kurzbeschreibung:
Im Roman "Der Zauberberg" von Thomas Mann findet sich der Satz, dass die Hauptfigur Hans Castorp einige Semester in Danzig studiert habe - Pawel Huelle hat diese Bemerkung zum Ausgangspunkt für einen poetischen, atmosphärischen und spannenden Bildungsroman über Castorp in Danzig gemacht.
Im Oktober 1904 kommt Hans Castorp nach Danzig, um dort Schiffbau zu studieren. Die Stadt, vor deren melancholischem Sog ihn sein Onkel, Konsul Tienappel, noch gewarnt hatte, zieht den knapp Zwanzigjährigen sofort in ihren Bann. Im benachbarten Zoppot verliebt er sich in eine junge Polin, Wanda Pielecka, die allerdings in eine Affaire mit einem jungen russischen Offizier verstrickt ist, in die auch Castorp am Ende mit hineingezogen wird. Um sich aus seiner Gefühlsverwirrung zu befreien, sucht Castorp Hilfe bei einem Psychologen, findet Trost bei Schopenhauer, dessen Spuren in Danzig er folgt. Am Ende kommt er bereichert und gereift, gestärkt durch eine erste, wenn auch unerfüllt gebliebene Liebe, nach Hamburg zurück.
Ohne Thomas Mann nachzuahmen, aber voller Anspielungen nicht nur auf den "Zauberberg", auf Theodor Fontanes "Effi Briest", auf Schuberts "Winterreise" und vieles andere erzählt Pawel Huelle elegant, unterhaltsam, voller Ironie und Humor und zugleich mit einem Schuß Melancholie, denn natürlich ist dieser Roman auch ein Buch über die komplizierte und schmerzhafte Beziehung zwischen der deutschen und der polnischen Kultur und darüber, wie man sie aufs neue verknüpfen kann.
Über den Autor:
Pawel Huelle, 1957 in Gdansk geboren, studierte Literaturwissenschaft, arbeitete als Journalist und Lehrer. Sein Roman "Weiser Dawidek", 1987 in Polen erschienen, wurde ein großer internationaler Erfolg. Auf Deutsch sind von Huelle außerdem die Erzählungen "Schnecken, Pfützen, Regen", die Feuilletons "Verschollene Kapitel" und "Silberregen. Danziger Erzählungen" und der Roman "Mercedes-Benz. Aus den Briefen an Hrabal" erschienen.
Über die Übersetzerin:
Renate Schmidgall, 1955 geboren, übersetzte u.a. Stefan Chwin, Witold Gombrowicz, Marek Lawrynowicz und Andrzej Stasiuk. 2001 erhielt sie den Jane Scatcherd-Preis der Ledig-Rowohlt-Stiftung für ihre Übersetzungen. Sie lebt in Darmstadt.
Vor kurzen hat sie auch Pawel Huelles neuen Roman Das letzte Abendmahl übersetzt.
Meine Meinung:
Die deutsche Literatur hat den Polen Pawel Huelle schon in seinen frühen Roman Weiser Dawidek beeinflusst, damals war es Günter Grass.
Dieser Roman, der sich um Thomas Manns Hauptfigur Castorp aus dem Zauberberg dreht und dessen Vorleben erzählt, ist zwar schon von 2005, doch der ebenso faszinierende wie unaufdringliche und unspektakuläre Stil, lohnt es, noch einmal einen Blick in den Roman zu werfen.
„Damals hatte er vier Semester Studienzeit am Danziger Polytechnikum hinter sich (…)“ schrieb Thomas Mann im Zauberberg über Hans Castorp.
Das nutzt Pawel Huelle um Danzig Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts zu zeigen, aus der Sicht eines jungen Mannes aus Deutschland.
Die Figur Hans Castorps wohnt eine eigene Mischung aus Ironie und Melancholie bei, aber in erster Linie ist er auch nur ein junger Student aus Deutschland, ein nicht ungewöhnlicher Vertreter seiner Zeit.
Es beginnt mit Hans in Deutschland, wie er zusammen mit seinem Onkel, dem Konsul Tienappel, entscheidet im Ausland Schiffbau zu studieren, dann folgt seine Reise und die Ankunft in Polen.
Den Blick auf die genauen Details teilt der Leser mit Castorp, so staunt man über die Fischer, Kaschuben, wie man ihm erklärt. Vertraut ist ihm aber die Ankunft im Hafen, da der gleiche Geruch wie in Hamburg vorherrscht. Ein Vergleich mit Hamburg wird noch öfter folgen, schließlich handelt es sich bei beiden um Hansestädte.
Danzig ist das wichtige Element in dem Buch. Vor dem geistigen Auge entspringen mit großer Deutlichkeit Pferdegespanne, Droschken, Straßenbahnen und gediegene Automobile, die durch die Straßen fahren. Dann spaziert man mit Hans Castorp am Ufer der Mottlau entlang und betrachtet den Hafen.
Pawel Huelle überzeugt mit seinem eigenen Stil, er gerät nicht in Versuchung Thomas Mann und dessen Ironie nachzumachen. Obschon er eine ähnliche Erzählperspektive wählt und so den Zusammenhang aufrechterhält. Manchmal wird sogar der Leser direkt angesprochen, das wirkt in einem modernen Roman eigentlich befremdlich, aber auch originell. Gerade in den Dialogen gelingt es ihm auch sehr schön, ein Gefühl für die damalige Zeit und die Menschen aufzubauen.
Der Roman wird nie besonders emotional oder spannend, aber er bleibt durchgängig interessant, verhalten stimmungsvoll und ist auch für ein zweites Lesen nach ein paar Jahren noch ein nahezu unverbrauchtes Lesevergnügen.