"Wir nennen es Arbeit" - Holm Friebe/Sascha Lobo

  • vollständiger Titel: „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung


    Inhalt:
    Die digitale Bohème ist ein bunt gemischte Gruppe kreativer Einzelunternehmer, die mit Hilfe des Internets ihr Geld verdient: Autoren, Journalisten, Künstler, Forscher, Programmierer etc. Teils wegen Arbeitsplatzmangel, zum großen Teil aber auch aus freien Stücken sagen diese Menschen bewusst „Nein“ zur Festanstellung, welche trotz all ihrer Sicherheiten auch ihren Preis hat: Anpassung, Abhängigkeit, Horizontbegrenzung durch die Unternehmenslogik und -sprache.
    Die digitale Bohème setzt auf Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung. Sie macht ihre Fähigkeiten und Hobbys zum Beruf. Ihre Mittel hierzu sind Kreativität, Online-Netzwerke, Selbstmarketing, Web-2.0.-Angebote wie Blogs, Wikis und Online-Rollenspiele und die Vermarktung raffinierter Ideen und Nischenprodukte.
    Doch nur einige Bohème-Mitglieder können damit tatsächlich ihren Lebensunterhalt bestreiten. Einige leben an der Existenzgrenze, einige haben nebenbei ihren Brotjob. Es ist ein Leben mit viel Risiko und ungewisser Zukunft.


    Die Perspektive und Sprache des Buches ist am ehesten einführend, alltagssprachlich-soziologisch mit subjektiver Färbung.



    Über die Autoren
    Holm Friebe: geb. 1972, Diplom-Volkswirt und Journalist, Redakteur des Weblogs „Riesenmaschine“, Geschäftsführer der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin. Die Zeitschrift NEON wählte ihn 2006 unter „die hundert wichtigsten jungen Deutschen“.
    Sascha Lobo: geb. 1975, Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit seiner Autorentätigkeit als Kommunikationsberater mit den Schwerpunkten Strategie, Internet, ungewöhnliche Kommunikation. Gegenwärtig Deutschlands meistgelesener Microblogger (Twitter.com).


    Meine Meinung:
    Wer sich über die digitale Bohème informieren möchte, sollte dieses Buch aus folgenden Gründen lesen: 1. die Autoren sind selbst erfolgreiche und prominente Mitglieder der Bohème, 2. sehr aktuelles Buch, 3. derzeit vermutlich das einzige Buch zu genau diesem Thema mit genau dieser Themenmischung: es ballt Diverses zusammen, was über mehrere Einzelbücher zu erfahren wäre, z. B. prekäre Arbeitsmarktsituation, Konzernkritik, neue Berufsfelder, Netzwerke, Kreativität, Aufmerksamkeit, Web-2.0.-Angebote, Vermarktung, Massenware vs. Nischenprodukte und, und, und.
    Auf der anderen Seite reißt das Buch durch seine Themenvielfalt die einzelnen Themen nur kurz an. Dadurch (sowie durch das Stichwortverzeichnis und detaillierte Inhaltsverzeichnis) eignet es sich aber fast als Nachschlagewerk. Da das Buch zahlreiche der bisherigen Entwicklungen und Diskurse über das Web 2.0. anreißt und zusammenfasst, ist es auch für Leser, die vorwiegend auf der Suche nach einem Buch zum Thema Web 2.0. und Netzwerke einen Blick wert.
    Wer bisher selbst erfolglos auf der Suche nach einer Festanstellung ist oder nur einen schlechtbezahlten Job hat, dem kann die Lektüre dieses Buches womöglich dazu anregen, Alternativen zu suchen und sie auch zu wagen. Das Buch fährt zwar einerseits auf der optimistischen „Freiheit-Kreativer-Selbstständiger“-Schiene, springt aber dennoch auch ganz unverblümt an vielen Stellen auf die nackten Tatsachen über arme Künstler um.


    Allerdings gibt es auch Kritikpunkte:


    1. Das Buch beginnt mit dem Bohème- und Arbeitsthema, schweift dann aber auf das Web 2.0.-Thema ab. Man muss schon ein wenig um die Ecken denken, um den Bezug der vielen Web 2.0.-Kapitel zum Thema digitale Bohème zu finden. Dem Buch fehlt es ein wenig an analytischer und struktureller Disziplin.
    2. Das Buch scheint sehr von Friebes und Lobos Sicht über die Merkmale und Eigenschaften der Bohème geprägt zu sein, welche dann aber so rüberkommt, als sei „die“ Bohème so. Es wird auch ausschließlich auf die kompetenten, erfahren, in irgendeiner Weise erfolgreichen fokussiert bzw. sie werden als Beispiele genannt. Von den Defiziten, Möchtergern-Kompetenten, Selbstüberschätzerm und den unerfahrenen Neueinsteigern etc. ist nicht angemessen die Rede.


    Wenn ich dieses Buch empfehlen würde, dann vor allem deshalb, weil es unterhaltsam, von prominenten Autoren und das einzige Buch zu genau diesem Thema ist. Eine Empfehlung aufgrund besonderer inhaltlicher Qualität wage ich nicht auszusprechen.