Stilles Chaos - Sandro Veronesi

  • Kurbeschreibung
    Über den Mut, seiner inneren Stimme zu vertrauen


    Sandro Veronesi ist neben Niccolò Ammaniti und Alessandro Baricco einer der wichtigsten italienischen Gegenwartsautoren. Sein Roman »Stilles Chaos« wurde mit dem Premio Strega ausgezeichnet und steht seit Monaten auf den italienischen Bestsellerlisten. Der Roman wird in zehn Sprachen übersetzt und mit Nanni Moretti in der Hauptrolle verfilmt werden.


    Es sollte ein entspannter Tag am Meer werden, doch als er zu Ende geht, hat sich das Leben des vom Erfolg verwöhnten Mailänder Managers Pietro schlagartig verändert: seine Lebensgefährtin ist tot, die gemeinsame Tochter Claudia traumatisiert. Immer wird sich Pietro vorwerfen, im entscheidenden Moment für Frau und Kind nicht da gewesen zu sein. Das soll nie wieder vorkommen. Er beschließt, von nun an für seine Tochter immer verfügbar zu sein. Tagtäglich sitzt er vor Claudias Schule und wartet, bis sie wieder aus dem Gebäude auftaucht. Dass er sich mit seiner totalen Fürsorge lächerlich macht, interessiert ihn nicht. Seine Umwelt ist zunächst irritiert - und dann zunehmend fasziniert. Da wagt es einer, sich nicht von der Vernunft, sondern von seinen Empfindungen leiten zu lassen. Pietro wird zu einer Attraktion, zu dem die Mitmenschen mit ihren Sorgen und Nöten kommen, der Zeit für sie hat und der es versteht, ihnen wieder Lebensmut zu geben. Ein herrlich subversiver Roman über die Möglichkeit, aus dem Alltagstrott auszubrechen und das zu machen, was man für wirklich wichtig hält im Leben.



    Meine Meinung


    Wieso sollte Chaos nicht still sein?


    Als ich begonnen habe dieses Buch zu lesen, war ich sofort vollauf begeistert. Die Geschichte saugt einen förmlich ein und man ist sofort mitten im Geschehen. Die Grundidee des Buches finde ich sehr originell und einzigartig.


    Eine Familie befindet sich im Urlaub am Meer. Eines Tages, während Pietro gerade eine Frau vor dem Ertrinken rettet, kommt es gleichzeitig zu einem tragischen Fall in der Familie. Seine Frau stirbt, direkt vor den Augen der 10-jährigen Tochter Claudia. Wie geht man nun mit so einer Situation um? Claudia und Pietro können nicht richtig trauern und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. So beschließt Pietro jeden Tag vor der Schule seiner Tochter auszuharren, bis der Unterricht vorbei ist. Auf diese Weise hat er eine neue Aufgabe und zugleich lässt er Claudia nicht allein, gibt ihr eine gefühlte Sicherheit. Es wird immer bekannter, dass Pietro sich vor der Schule aufhält und nun kommt es zu den unterschiedlichsten Begegnungen und Gesprächen zwischen Pietro und Bekannten, aber auch vollkommen Fremden. Alle versuchen ihm in irgendeiner Form ihr Leid mitzuteilen.


    Der Schreibstil ist zunächst wirklich rührend und man ist ergriffen, wenn Pietro seine Umgebung beschreibt und weil er seiner Umwelt so viel Liebe entgegenbringt. Die Geschichte geht wirklich zu Herzen und gerade kleine Details berührten mich sehr und ließen ein echtes Glücksgefühl bei mir zurück. Auch die Menschenkenntnis des Autors ist verblüffend. Wie er seine Umwelt (durch den Protagonisten Pietro) betrachtet, ist verblüffend. Häufig hat das schon etwas Weises an sich, aber es wirkt dennoch nicht unecht oder übertrieben. Diese Gabe, das Besondere an einem Menschen zu sehen, hat mich sehr berührt.


    Leider schafft es der Autor aber nicht, diese Ergriffenheit und Spannung durchweg aufrecht zu erhalten. Er verliert sich in Beschreibungen von Problemen und Veränderungen des Unternehmens, in dem Pietro arbeitet. Seitenweise geht es nur um die geplante Fusion zweier Unternehmen und deren Vor- und Nachteile. Mich hat das leider nur gelangweilt. Dies wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass der Autor zu extremen Verschachtelungen im Satzaufbau neigt. So gibt es schon häufiger Sätze, die über eine halbe Seite gehen. Dadurch wird die Handlung unnötig in die Länge gezogen. Gerade wenn es dabei um die Unternehmensfusion ging, war ich geneigt nur noch querzulesen. 100 bis 200 Seiten weniger hätten dem Buch gut getan!


    Es findet also ein relativ regelmäßiger Wechsel zwischen spannenden und gefühlvollen Abschnitten im Gegensatz zu langatmigen Abschnitten statt. Schließlich wird das Buch dann aber außergewöhnlich kreativ und hat mich wieder richtig für sich vereinnahmt. Vollkommen neu- und einzigartig ist der Handlungsverlauf, den der Autor zum Ende des Buches hin entwickelt. Schon allein dafür lohnt sich meines Erachtens das Lesen.


    Nun bin ich gespannt, wie die Verfilmung dieses Buches ist. Ich habe die Hoffnung, dass die langweiligen Passagen extrem gekürzt wurden.



    Über den Autor
    Sandro Veronesi, geboren 1959, schrieb bisher zwei Romane, die alle wichtigen italienischen Literaturpreise gewannen und in über 15 Sprachen übersetzt wurden. Mit einigen Schriftstellern seiner Generation gründete er den Autorenverlag Fandango und betreut dort als Cheflektor die amerikanische Literatur. Sandro Veronesi lebt als alleinerziehender Vater mit seinen drei Söhnen in Prato.

  • Vielen Dank für diese Rezension, ich hatte mir das schon einmal angesehen, mich aber dagegen entschieden.
    Die Tatsache, dass das Buch von Dir beschriebene Längen aufweist, bestärkt mich in der Richtigkeit meiner Entscheidung :-]



    zufriedene Grüße von Elbereth :wave

    “In my opinion, we don't devote nearly enough scientific research to finding a cure for jerks.”

    ― Bill Watterson

  • Ich habe das Buch vor ein paar Monaten gelesen und kann Daniliesing voll und ganz zustimmen.


    Für mich ist es ein überaus liebenswertes "stilles", ganz anderes Buch, das ich nur zum Lesen empfehlen kann. Über die bereits erwähnten Längen kann man durchaus ohne Verluste drüberlesen, so dass sie nicht allzusehr störten dürften.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ja, klar, da hätten einige Seiten gespart werden können, die niemand vermisst hätte. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass das Buch trotzdem sehr lesenswert ist, damit keiner von den Längen abgeschreckt wird. :-)

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021