David Foster Wallace - Der Besen im System

  • “Ich glaube, ich seile mich ab.“
    “Was heißt das?“
    “Dass man sich weigern muss, über dieses Buch eine Rezension zu verfassen.“
    “…“
    “Dass es fast unmöglich ist, dieses wohlstrukturierte Chaos, aus dem es keinen Ausweg und auch keine wirkliche (Auf)Lösung gibt in strukturierten, gegliederten Worten zu beschreiben.“
    “Da muss ich dir leider Recht geben“, ließ sich Dr. Jay hinter dem Tresen vernehmen.
    “Wer ist Dr. Jay?“
    “Der Psychiater.“
    “Was macht der?“
    “Er hört zu und mischt sich ein.“
    “…“
    “Mischt sich ein, analysiert und plaudert für einen Zuhörer eindeutig zu viel.“
    “Hmnn. Und was passiert sonst. Immerhin über sechshundert Seiten?“
    “Keine Ahnung. Vlad, der Pfähler wird zu Ugolino und der wir bedeutsam, eine Großmutter verschwindet, Lenore wechselt die Liebhaber, ein Mann will alles in sich hineinstopfen, inklusive der ganzen Welt; Rick erzählt Lenore Geschichten, in der Telefonzentrale geht es drunter und drüber und am Ende…“
    “Heiliger Bimbam. Jesus wird nichts mangeln.“
    “Und wer war jetzt das?“
    “Ugolino der Bedeutsame. Der mischt sich immer ein.“
    “Aha. Hört sich an, als ob der Besen im System ein riesengroßer Fehler im System ist“
    “Mir hat’s Riesenspaß gemacht.“
    “Aber schwierig zu lesen?“
    “Seltsamerweise keineswegs. Und das Beste: Jeder dieser verzweifelt Sinnsuchenden wird verzweifeln.“
    “Es sei denn, er unterzieht sich einer ebenso komplizierten wie teuren Behandlung, die zurzeit nur in der Schweiz durchgeführt wird.“
    “Wer mengt sich da jetzt wieder ein?“
    “Egal.“
    “Ja und, was ist jetzt deine Aussage?“
    “Um es mit Peter Abbotts Worten zu sagen: Leitungsschwemme. Infiziert. Euer Tunnel wird zu heiß.
    “Na, da hast du mir jetzt enorm geholfen.“

  • Hallo david,


    eine sehr schöne Rezension - und in der einzig angemessenen Form für dieses ungewöhnliche Buch.


    Ich versuche es trotzdem einmal mit einer Rezi.


    Kurzbeschreibung von Amazon.de
    Das Buch, in dem u.a. von Wittgenstein, einem sprechenden Nymphensittich, einer Stadt mit den Umrissen Jane Mansfields, einem Mann, der die Welt mit seinem Fett füllen will, fehlgeschalteten Telefonleitungen, einer verschwundenen Großmutter und einem Babynahrungsimperium die Rede ist. Lenore Beadsman arbeitet in der Telefonzentrale eines erfolglosen Verlages in Ohio, der ihrem Freund Rick Vigorous gehört. Rick liebt sie über alles, hat aber Prob-leme mit dem Sex und erzählt ihr als Ersatz Geschichten, in denen Lenore nicht selten die Hauptrolle spielt. Um seine Probleme zu lösen, besucht er regelmäßig einen Psychiater, den auch Lenore konsultiert. Das Verhältnis Lenores zu ihrer Familie ist getrübt, lediglich ihrer Großmutter und Namensgeberin Lenore sen. fühlt sie sich verbunden. Lenore sen. ist jedoch aus dem Altersheim zusammen mit 25 Mitbewohnern und einem Teil der Angestellten verschwunden – und mit ihr ein wertvolles Notizbuch, das die Aufzeichnungen einer Wittgenstein-Vorlesung enthält, dessen Schülerin Lenore sen. war. Ein temporeicher Roman, der mit den unterschiedlichen Genres spielt und sich wie ein Krimi liest – eine frühe Meisterleistung von David Foster Wallace.


    Über den Autor
    David Foster Wallace gilt als einer der großen Autoren der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Er wurde 1962 geboren und hat u.A. Literatur und Philosophie studiert. Aus seiner Abschlussarbeit entstand sein erster Roman "Der Besen im System". Er erschien 1986, zu diesem Zeitpunkt war David Foster Wallace gerade einmal 24 Jahre alt. Es folgten weitere Veröffentlichungen, wie "Kurze Interviews mit fiesen Männern, "Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich", "In alter Vertrautheit", "Vergessenheit", etc. Sein größtes Werk "Infinite Jest" (1996) wird erst Ende August 2009 in deutscher Übersetzung vorliegen. Als Grund führt der Verlag die enorme Komplexität des Werkes und - daraus folgend - den hohen Übersetzungsaufwand an. Er galt als eine der größten Hoffnungen der amerikanischen Gegenwartsliteratur, bis er im September 2008 erhängt in seinem Haus aufgefunden wurde. Laut Medienberichten litt David Foster Wallace unter starken Depressionen, die ihn in den Suizid getrieben hätten.


    Meine Meinung zu dem Buch
    Ein ebenso ungewöhnliches wie absolut abgedrehtes Buch. Beim Lesen fühlte ich mich stark an Filme der Coen-Brüder erinnert. Abstruse Dialoge, merkwürdige Situationen, Komik und Tragik dicht aneinander und nicht das Ziel, jede Frage bis zum Schluss klären zu müssen.
    Bemerkenswert ist vor allem Wallace' Erzählstil. Das Buch besteht aus gefühlten 90% reinem Dialog. Gelegentlich fragte ich mich, wer spricht da jetzt eigentlich miteinander? Wallace charakterisiert seine Figuren viel mehr durch die Art und Weise wie sie miteinander kommunizieren als durch einfache Beschreibungen ihrer Eigenschaften. So ließen sich die Figuren an Wortwahl, Satzbau, usw. erkennen, auch wenn ihre Namen z.T. erst später genannt wurden. Dies hat mich wirklich beeindruckt und mich einmal mehr an einen Film (nur ohne Bilder) denken lassen.
    Ich hatte bei diesem Buch das Gefühl, nur an der Oberfläche zu kratzen. Vieles steckt zwischen den Zeilen, das sich vermutlich erst mit Materialien und nochmaligem Lesen erschließen lässt. Dennoch war das Buch ein großer Lesespaß, vor allem dank Wallace' überschäumender Kreativität.


    Ich gebe dem Buch 8/10 Punkten. Hätte ich mehr verstanden, würde ich sicher höher bewerten.

  • Die Ouvertüre zu "Unendlicher Spaß"

    Eine hübsche junge Frau namens Leonore, die nur weiße Baumwollkleider und ausgeleierte Turnschuhe trägt, eigentlich reich wäre, wenn sie mit dem Vater, der Babynahrung herstellt, nicht gebrochen hätte, und die für vier Dollar in der Stunde in der Telefonzentrale eines obskuren Verlags jobbt, der keine Publikationen herausgibt. Ein Verlagsinhaber, der darunter leidet, ein recht kleines Glied zu besitzen, zum Ausgleich seiner Freundin - Leonore - Geschichten erzählt, die vermeintlich dem Verlag zugesendet wurden, wahrscheinlich aber von ihm erdacht wurden. Ein Nymphensittich namens Vlad, der Pfähler, der plötzlich fließend sprechen kann. Eine Oma, auch namens Leonore, die nur bei 37 Grad Außentemperatur lebensfähig ist und gemeinsam mit mehreren Dutzend anderen Insassen spurlos aus dem Altenheim verschwindet. Eine künstliche Wüste mit der Bezeichnung G.O.D. - Great Ohio Desert. Ein Psychiater, der sämtliche Leiden auf eine hirnrissige Membran-Theorie zurückführt, in seiner Praxis eine Art Autoscooter betreibt und seine Patienten gerne auch mal fragt, ob sie eigentlich bekloppt seien. Ein fetter Industrieller, der durch enorme Gewichtszunahme die gesamte Menschheit verdrängen will. Ein junger Mann, der sich "Antichrist" nennt, in seiner Beinprothese Drogen hortet und als Gegenleistung für Nachschub seine Kommilitonen mit Prüfungsantworten versorgt. Eine durchdrehende Verlags-Telefonanlage, die Anrufe für "Bambis Bondage Studio" durchstellt und viele andere, aber nie die richtigen. Ein Fernsehmissionar, der den sprechenden Vogel als Stimme Gottes verkaufen will. Und, und, und.


    Dazu wechselnde Perspektiven und Zeiten, seitenlange Dialoge ohne Nennung der Sprecher, Fragmente aus Geschichten, kryptische Anspielungen, Abkürzungen und Zitate. "Der Besen im System" hält, was der Titel verspricht: Sobald sich der Roman, den Wallace in den Danksagungen als "Projekt" bezeichnet hat, zu etwas entwickeln scheint, verhaken sich die Borsten des immanenten Besens und lassen die Maschine absichtlich unrund laufen.


    Das Debüt des gefeierten Autors, der nach dem Erscheinen von "Unendlicher Spaß - Infinite Jest" Selbstmord beging, zeigt die Richtung an, die Wallace später vervollkommnen wird: Verweigerung aller bekannten Formen, wildes Spiel mit Stilmitteln, kreatives Chaos auf höchstem Niveau. Wer Bücher erwartet, die einfach so Geschichten erzählen, ist hier fehl am Platz. Wer sich aber darauf einlässt, einem Schriftsteller zu begegnen, der Strukturen aushebelt und vermeintlich dem "Creative Flow" alle Entscheidungen überlässt, möglicherweise bewusster, als erkennbar wird, kann "Der Besen im System" durchaus mit Genuss lesen.


    Davon abgesehen bietet das stotternde System amüsante, kluge, originelle und sehr, sehr unkonventionelle Lesestunden. Bewältigt man das stark fragmentarische, fast 700 Seiten lange Werk, das, was den Anspruch anbetrifft, bestenfalls eine leise Ouvertüre zu "Infinite Jest" darstellt, muss man aber für sich selbst herausfinden, was zur Hölle das eigentlich war, was man gerade gelesen hat.