Berlinale 09

  • Ein kleiner Berlinale-Bericht. Dieses Jahr habe ich sechs Wettbewerbsbeiträge gesehen.


    Rage (GB) Weltpremiere im Berlinale Palast. Ein sehr experimenteller Spielfilm der britischen Regisseurin Sally Potter (Orlando). Michelangelo, ein vermutlich jugendlicher Blogger, interviewt wichtige und unwichtige Personen am Rande einer Modenshow. Der gesamte Film besteht aus den Antworten der interviewten Personen vor einem Blue-Screen, ohne Hintergrund, nur die Farben wechseln. Die einzige andere erzählerische Komponente ist ein zunehmend bedrohlicher "Soundtrack" aus Protestrufen, Helikoptergeräuschen und schließlich einem Schuß. Ein Model wurde ermordet. Die Interviews werden fortgesetzt und die Personen reflektieren über die Morde, das Beauty-Geschäft und schließlich über Michealangelos Verwertung seines Materials im Internet. Eine interessante Rückkopplung. Plötzlich wird z.B. die Näherin, zum Star, was sie überhaupt nicht mag. Es ist faszinierend wie man mit so minimalistischen erzählerischen Mitteln einen Plot und so lebendige Charaktere entwickeln kann. Sehr zu empfehlen. Publikum und Kritik hassten den Film ("höchste walk-out rate", wie der Spiegel treffend beobachtete). Es waren anwesend: Sally Potter, Lily Cole und Steve Buscemi.


    Alle anderen (D) Weltpremiere im Berlinale Palast. Ein deutsches Paar in der Krise während eines Sardinien-Urlaubs. Originelle Dialoge und gute Schauspieler, aber inhaltsarm und irgendwie blutleer. Zu deutsch (zu Dominik Graf) und irgendwie filmhochschulhaft. Es waren anwesend die Regisseurin Maren Ade und die Hauptdarsteller.


    The Messenger (USA) Wiederholung im Friedrichstadtpalast. Ein junger verwundeter Held kehrt zurück aus dem Irak-Krieg (gespielt von Ben Foster). Seine letzten drei Dienstmonate soll er noch sinnvoll verbringen und so wird er ins "Casualty Notification Unit" versetzt, um zusammen mit einem älteren Desert Storm Veteranen und trockenen Alkoholiker (gespielt von Woody Harrelson) Hinterbliebenden ("NKOs" - Next of Kins) die Todesnachrichten zu überbringen. Ein sehr starker und bewegender und oftmals gar witziger Film. Sehr stark.


    Cheri (GB / D / F) Weltpremiere im Berlinale Palast. Eine alternde Kurtisane (gespielt von Michelle Pfeiffer), die bereits an Ruhestand denkt, fängt noch mal was mit einem halb so alten jungen Mann an. Pfeiffer, Regisseur Stephen Frears und Drehbuchautor Christopher Hampton haben bereits gemeinsam "Gefährliche Liebschaften" gedreht und kommen bei dieser Colette-Verfilmung erstmals wieder zusammen. Guter Film, wenn auch nicht weltbewegend. Anwesend: Michelle Pfeiffer (Glamour-Höhepunkt des Festivals), Stephen Frears, Rupert Friend. Ausschnitt und roter Teppich - Associated Press.


    Forever Enthralled (China) Wiederholung im Friedrichstadtpalast. Sehr opulenter Film des chinesischen Regisseurs Chen Kaige, der nach "Fairwell my Concubine" sich erstmals wieder dem Thema Peking-Oper annimmt. Dieses Mal erzählt er die wahre Geschichte des legendären Peking-Oper-Darstellers Mei Lanfang, der ausschließlich Frauen dargestellt hat. Er wird zum Erneuerer der Peking-Oper und wird schließlich zum nationalen Helden (der Höhepunkt des Film ist die Belagerung Chinas durch die Japaner). Sehr starker Film in bester chinesischer Erzähltradition (ich habe z.B. an "Leben" von Zhang Yimou gedacht). Trailer.


    My One and Only (USA) Weltpremiere im Berlinale Palast. Amerika, 50er-Jahre. Schöne, verwöhnte New Yorkerin und Frau eines Jazz-Bandleaders (Rene Zellweger - die Frau, nicht der Bandleader) ertappt selbigen bei einem Seitensprung und verlässt ihn zusammen mit ihren zwei Söhnen, Robert und George. Sie reist quer durch Amerika auf der Suche nach einem neuen Ehemann. Kandidaten gibt es viele. Die Odyssee endet schließlich in Hollywood. Der Film basiert auf den Jugenderinnerungen des Schauspielers George Hamilton (einem der beiden Söhne). Der Film ist beim Publikum sehr gut angekommen. Guter Mainstream. Es waren anwesend: Rene Zellweger und der Darsteller ihres Filmsohnes Robert.


    Meine Prognose für die Preisverleihung am Samstag.


    Goldener Bär: der einzige Kandidat von den Filmen, die ich gesehen habe, ist "The Messenger". Ich schätze die Jury um Tilda Swinton als tendenziell eher experimentell und politisch ein, so dass "Cheri", "Forever Enthralled" und vor allem "My One and Only" als zu Mainstream und unpolitsch ausscheiden. Wenn es "The Messenger" nicht wird tippe ich auf auf einen nicht-englischsprachigen Film, den ich nicht gesehen habe. Ich tippe mal auf den iranischen Beitrag "About Elly".


    Silberner Bär, bester Darsteller: Ben Foster aus "The Messenger". Aussenseiterchancen hat Leon Lai aus "Forever Enthralled".


    Silberner Bär, beste Darstellerin: Wahrscheinlich keine Schauspielerin, die ich gesehen habe. Michelle Pfeiffer und Rene Zellweger dürfen sich mit höchster Wahrscheinlichkeit auf Oscar-Nominierungen im nächsten Jahr freuen, aber für einen Bären wird es höchstens und eher unwahrscheinlich für Michelle Pfeiffer reichen.


    Silberner Bär, beste Regie: Hätte Chen Kaige für "Forever Enthralled" verdient.


    Vielleicht irgendwas kleineres für Rage. Irgendein Spezialpreis oder bestes Drehbuch.


    Und mein persönlicher Berlinale-Star des Jahres Preis an Steve Buscemi. Der sowohl in "Rage" und "The Messenger" kleinere Rollen sehr stark ausfüllte und der offenbar auch noch in einem dritten Berlinale-Film ausserhalb des Wettbewerbs zu sehen war (dem deutschen Film "John Rabe" von Florian Gallenberger).

  • Preise:


    Goldener Bär für den Besten Film
    La teta asustada (The Milk Of Sorrow)
    von Claudia Llosa
    aus Peru!


    Weitere Preise:
    Silberner Bär - Großer Preis der Jury
    Alle Anderen (Everyone else)
    von Maren Ade
    und
    Gigante
    von Adrián Biniez


    Silberner Bär - Beste Regie
    Asghar Farhadi
    für Darbareye Elly (Alles über Elly)


    Silberner Bär - Beste Darstellerin
    Birgit Minichmayr
    in Alle Anderen (Everyone else) von Maren Ade


    Silberner Bär - Bester Darsteller
    Sotigui Kouyate
    in London River
    von Rachid Bouchareb



    Silberner Bär - Herausragende künstlerische Leistung
    Gábor Erdély und Tamás Székely
    für das Sound-Design in
    Katalin Varga
    von Peter Strickland


    Silberner Bär - Bestes Drehbuch
    Oren Moverman und Alessandro Camon
    für The Messenger
    von Oren Moverman



    Die Jury verleiht den Alfred-Bauer-Preis an:

    Gigante
    von Adrián Biniez
    und an
    Tatarak (Der Kalmus)
    von Andrzej Wajda