"Bearbeitungen für die Jugend"

  • Hallo, liebe Büchereulen!


    In der Sparte Kinder- und Jugendbücher wurden eine Menge Klassiker vorgestellt (z.B. Robinson Crusoe, Gullivers Reisen, Oliver Twist, Die Schatzinsel etc.), bei denen es sich um "Bearbeitungen für die Jugend" handelt.


    "Für die Jugend bearbeitet" bedeutet, daß diese Bücher massiv gekürzt und verändert wurden, teilweise entstellen diese "Bearbeitungen" völlig den Sinn des Werks und die Intentionen des Autors.


    Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Leute, die als Kinder/Jugendliche mit solchen "Bearbeitungen" beglückt worden sind, niemals die unbearbeiteten Versionen anfassen. Besonders tragisch ist das in den Fällen, wo das Original bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde wie z.B. bei Jonathan Swifts bissig-satirischen Roman Gullivers Reisen, von dem gerade mal Lilliput, bestenfalls noch -- na, wie hieß es denn noch? :grin -- das Land der Riesen übrigblieb. Oder bei Charles Dickens' Oliver Twist, dessen scharfzüngige und mitreißende Entlarvung der wirtschaftlichen Versklavung von Menschen (Armen, und insbesondere Kindern) und ihrer bewußten Verwahrlosung in ein süßliches Märchen verwandelt wurde.


    Meine Eltern haben mir niemals diese zensierten Varianten in die Hand gegeben -- ich habe diese Machwerke während meines Studium kennengelernt im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Trivialisierung klassischer, insbesondere brisanter Stoffe. Und ich muß gestehen, daß ich einigermaßen schockiert war, wie hier bewußt der klassische Stoff entstellt wurde, um eine völlig andere, zur Autorenintention in einem klaren Widerspruch stehenden Aussage in die Köpfe der Kinder/Jugendlichen zu trichtern.


    Wie sieht es aus:
    Wer von euch hat solche Erbauungsbüchlein geschenkt bekommen?
    Wie hat diese Lektüre eure Meinung über diese Klassiker geprägt?
    Wer hat später die tatsächlichen Werke gelesen?
    Hat das eure Einstellung zu Autor und Buch verändert?




    Anm.: Liebe Tanzmaus, das geht nicht gegen dich!!! :knuddel
    Ich bin allerdings ziemlich leidgeprüft, was diese Bücher angeht: Selbst unter Literaturwissenschaftlern ist die Kenntnis dieser Romane von den "Bearbeitungen für die Jugend" derart vorgeprägt worden, daß kaum jemand sich noch die Mühe macht, sich selbst ein echtes Bild davon zu machen.

  • Also ich habe die "Normal"-Ausgabe der Schatzinsel daheim (also nicht für die Jugend überarbeitet). In dieser Form halte ich die Schatzinsel nicht für Kinder empfehlenswert. Nicht wegen der Gewaltdarstellung, sondern einfach wegen des verwendeten Sprach- und Schreibstils. Soweit ich das beurteilen kann, trifft das auf relativ viele dieser angeblichen Kinder/Jugendbuch-"Klassiker" zu. In der "Orignial"fassung würde ich das heutzutage (da es wirklich sehr sehr viel Auswahl gerade auf diesem Markt gibt) keinem Kind mehr ans Herz legen.


    Gruss,


    Doc

  • Ahhh wo ist mein Beitrag..auch noch ein längerer..also nochmal


    Als Kind hab ich das original Mowgli Buch von Kipling gelesen, und fand es sehr schön, die ganzen gecoverten Disneyversionen konnten mich danach nicht mehr begeistern. genau wie bei Tom Saywer und Huckleberry Finn u.s.w


    Als Beispiel könnte ich noch meinen Jüngsten anführen.


    Er hat den Dinopark von Chrichton damals gelesen, weil er das Bild vorne schön fand..erst danach den Film geguckt und nochmal die Taschenbuchausgabe der Verfilmung gelesen..Entäuschung, nach dem Motto da fehlt ja die Hälfte


    So ging es mit ein paar Büchern und Geschichten...Und er fragt seither immer "Wer hat denn das in "Echt" geschrieben, und möchte es auch lesen.


    Allerdings kann man mit solchen Kindern nicht ins Kino gehen :wow
    Der Film Troya war ganz schlimm, zuvor hatte er sich die *Klassischen Sagen* vom Opa ausgeliehen.


    Auf jedenfall denke ich, man kann Kindern so einiges zumuten..wenn sie es nicht mögen, dann legen sie das Buch eh weg.


    Im Übrigen bin ich auch ein Verfechter des Märchen vorlesen...ist ja heutzutage auch umstritten. Weil angeblich zu brutal, ich sehe das anders.
    Die Welt ist hart, nicht weichgespült, und das können auch Kinder schon wissen.

  • Zitat

    Original von Alexx61
    Als Kind hab ich das original Mowgli Buch von Kipling gelesen, und fand es sehr schön, die ganzen gecoverten Disneyversionen konnten mich danach nicht mehr begeistern. genau wie bei Tom Saywer und Huckleberry Finn u.s.w


    Das ging mir ganz genauso. Ich kriegte als Kind schon diese Hanser-Dünndruckausgaben, richtige Heiligtümer. Wenn ich auch sonst ein Wildfang war, aber mein Bücher waren mir heilig.
    Ich kann auch nicht behaupten (:wave@Doc), daß ich besonders unter Sprache und Stil gelitten hätte, auch wenn das oft viel komplexer war als 08/15-Kinderbücher, aber ich konnte ja jederzeit wechseln zwischen Astrid Lindgren, diesen Klassikern und Enid Blyton etc.
    Gerade bei Gullivers Reisen war ich völlig fasziniert davon, daß es viel mehr und viel spannendere Geschichten darin gab als der Zwerge-und-Riesen-Kram. Am liebsten war ich in Laputa, und die Houyhnhnms toppten natürlich alles! Kennt das überhaupt jemand???


    Zitat

    So ging es mit ein paar Büchern und Geschichten...Und er fragt seither immer "Wer hat denn das in "Echt" geschrieben, und möchte es auch lesen.


    So einen Fall habe ich auch zuhause.


    Zitat

    Allerdings kann man mit solchen Kindern nicht ins Kino gehen :wow
    Der Film Troya war ganz schlimm, zuvor hatte er sich die *Klassischen Sagen* vom Opa ausgeliehen.


    Da ist meine Große pragmatischer. Immerhin sind Schwabs Sagen des Klassischen Altertums auch nur Varianten, in manchen Fällen (z.B. wenn es nicht in die Moralvorstellungen seiner Zeit paßte) hat er schon daran gebastelt.


    Zitat

    Auf jedenfall denke ich, man kann Kindern so einiges zumuten..wenn sie es nicht mögen, dann legen sie das Buch eh weg.


    Stimmt. Das hatten wir auch schon, und irgendwann war das INteresse dann doch da.


    Zitat

    Im Übrigen bin ich auch ein Verfechter des Märchen vorlesen...ist ja heutzutage auch umstritten. Weil angeblich zu brutal, ich sehe das anders.
    Die Welt ist hart, nicht weichgespült, und das können auch Kinder schon wissen.


    Denke ich auch.
    Ich erlebe es oft, daß Eltern ihre Kinder vor allem verschont haben -- und am Ende waren die Kinder wesentlich aggressiver als andere, weil sie nie gelernt haben, mit Agressionen umzugehen.

  • Also ich hab, glaub ich, auch immer die Orginalversionen gelesen. Hat mir auch nix geschadet.


    Letztens war irgendein Kinderpsychologe im Radio oder Tv (weiß nicht mehr genau) es ging da um die Geschehnisse in Beslan (Geiselnahme) und wie man mit den Kindern hier, die ja nun in den Medien einiges mitbekommen haben umgeht. Neben viel Geschwätz, hat er auch folgenden Satz los gelassen.


    Märchen sind wichtig für unsere Kinder, das Vorlesen von Märchen fördert die Entwicklung der Kinder. Da Märchen Lösungsansätze bieten. Kinder denen Märchen vorgelesen werden, haben mehr Selbstvertrauen und sind krativer als andere.


    Ich finde da ist viel wahres dran.

  • Bisher habe ich die "zensierten" noch nie mit den Originalen verglichen. Man hat mich mit solchen aufbereiteten Büchern auch immer verschont, was aber wohl daran lag, dass ich, seit meiner Kindheit meistens allein in die Bücherei marschiert bin und auch aus dem Regal meiner Eltern gelesen habe, was mich interessiert hat. Meine Eltern hatten nie große Sorge, dass ich ungeeignete Bücher in die Hände kriege.

  • Nicht, dass meine Ausführungen oben falsch verstanden worden sind. Ich bin nicht der Meinung, dass Originalversionen wegen Gewalt oder der Inhalte an sich für Kinder/Jugendliche nicht geeignet wären, wohl aber wegen des verwendeten Sprach- bzw. Schreibstils, der für heutige Verhältnisse manchmal einfach zu antiquiert rüberkommt (siehe Beispiel Schatzinsel). Ich glaube einfach mal, dass man damit nur die Wenigsten der angestrebten Zielgruppe tatsächlich noch hinter dem Ofen hervorlocken kann, denn gerade in diesem Marktsegment wimmelt es von wirklich guten und lesbareren Büchern.


    Gruss,


    Doc

  • Hallo Docalsgast!


    Ich will dir ja nicht mal widersprechen, denke aber, daß man die Pänz auch nicht unterschätzen darf. Im schlimmsten Fall lesen sie es zum Zeitpunkt des Geschenks noch nicht -- man kann ihnen die Geschichte des Buches ja auch mal erzählen.
    Meine Erfahrung ist, daß gerade der "antiquierte Stil" auch seine Reize hat. Ich hatte einen Schulkameraden, der aus ganz einfachen Verhältnissen stammte und so gar nichts "Gebildetes" an sich hatte; dessen Lieblingslektüre war eine uralte, in Fraktur gedruckte Vollversion von David Copperfield, ein heißgeliebter, sorgfältig gehüteter Schatz, den er auswendig hersagen konnte - und ansonsten nur Marvel-Comics.
    Ich glaube einfach nicht daran, daß man darauf Rücksicht nehmen muß.

  • Iris
    Rücksicht muß man darauf sicherlich nicht nehmen, da hast Du schon recht. Man macht ja nix kaputt. Ich bezweifle aber, dass solche Ausgaben von dem Großteil der Kids tatsächlich mit Freude (wenn überhaupt) gelesen werden.


    Gruss,


    Doc

  • Tja,


    ich bin mit den gekürzten, bearbeiteten Göttinger Jugendbücher großgeworden.


    Einfach-Band 0,95 DM, Doppel-Band 1,95 DM, Dreifach-Band 2,95 DM und das war bei meinem Lesekonsum schon sehr viel Geld.


    Da war so ziemlich alles drin vom Graf von Monte Christo bis Moby Dick.


    Einiges habe ich im Lauf der Jahre mit Gewinn in der deutschen Komplett-Fassung wieder gelesen und steht auch in meiner Bibliothek (die Göttinger sind allerdings schon lange den Weg alles Vergänglichen gegangen).


    Allerdings sind heute noch die sogenannten „Klassiker“ eher ein rotes Tuch und mit Lese“arbeit“ verbunden, als ein angenehmer Zeitvertreib. Und an der Schule kann es nicht gelegen haben, denn in der Realschule hat man nicht sehr viel Zeit dafür.


    Demnach könnte die Theorie ja stimmen.


    Wobei ich schon sehr früh die SF und phantastische Literatur für mich entdeckte und deren Themen mich mehr interessierten.


    Und heute muss mir einfach das Thema und die Geschichte gefallen. Da ist es mir egal, zu welcher Kategorie es gehört. Und ich unterscheide eher nach einem „Guten Buch“ (das mich noch lange danach beschäftigt,wie z. Bsp. Marlen Haushofer: Die Wand), und den „Leseräuschen“ (wie z.Bsp. Dan Brown: Illuminati) und dem ganzen Rest. Wenn ab und zu einmal beides zusammenkommt ist es „Mein Klassiker“


    LG Dyke

  • Zitat

    Original von Doc als Gast
    Rücksicht muß man darauf sicherlich nicht nehmen, da hast Du schon recht. Man macht ja nix kaputt. Ich bezweifle aber, dass solche Ausgaben von dem Großteil der Kids tatsächlich mit Freude (wenn überhaupt) gelesen werden.


    In diesen Fällen ist die Zeit besser darauf verwendet, wenn man seinen Kindern den "plot" selbst erzählt, anstatt das in biedermeierlicher Weise von einem Bearbeiter mit pädagogischen (?) Interessen erledigen zu lassen.

  • Hallo Dyke!


    Zitat

    Original von Dyke
    Demnach könnte die Theorie ja stimmen.


    "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie
    und grün des Lebens goldner Baum."


    Zitat

    Wobei ich schon sehr früh die SF und phantastische Literatur für mich entdeckte und deren Themen mich mehr interessierten.


    Warum auch nicht? Wenn ich mir die Andeutung über dein Alter so anschaue, dann paßt das ja auch.
    Ich habe dieses Zeug auch verschlungen -- kann mich heute leider kaum an was erinnern außer Asimow und Lem. Aber diese Liebe ist leider vergangen.


    Zitat

    Und heute muss mir einfach das Thema und die Geschichte gefallen. Da ist es mir egal, zu welcher Kategorie es gehört. Und ich unterscheide eher nach einem „Guten Buch“ (das mich noch lange danach beschäftigt,wie z. Bsp. Marlen Haushofer: Die Wand), und den „Leseräuschen“ (wie z.Bsp. Dan Brown: Illuminati) und dem ganzen Rest. Wenn ab und zu einmal beides zusammenkommt ist es „Mein Klassiker“


    Und da ist sicher auch der eine oder andere Klassiker dabei.


    Übrigens: Jonathan Swifts Gullivers Reisen gehört wirklich zu den beißendsten Satiren, die ich je gelesen habe -- gleich nach seiner Schrift Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, dass die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Lande zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können (1729) -- Zitat: "Von einem sehr sachverständigen Amerikaner meiner Bekanntschaft in London ist mir versichert worden, dass ein junges, gesundes, gutgenährtes Kind im Alter von einem Jahr eine äusserst wohlschmeckende, nahrhafte und bekömmliche Speise sei, gleichviel, ob geschmort, gebraten, gebacken oder gekocht, und ich zweifle nicht, dass es in gleicher Weise zu Frikassee oder Ragout taugt." Weiterlesen?


    Liebe Grüße,


    Iris :wave

  • Also ich hab nie solche bearbeiteten Klassiker geesen. Aber als Kind/Jugendlicher gab es viele Bücher, die mir zu schwierig waren, die wurden dann schnell wieder ins Regal zurückgestellt und eben typische Jugendbücher gelesen.


    Die Schwierigen hab ich dann eben später angefangen, dann habe ich sie auch verstanden. In der Schule wirds nämlich oft zu früh probiert.

  • Hallole


    Ich meine, dass mit den vielen Ausgaben, die so jedes Jahr erscheinen, so langsam keiner mehr weiss, was die Originalfassung ist.
    Auch wenn sie von Erstausgaben nachgeschrieben werden, ist die Umwandlung in den modernen Schreibstil schon so viel Veränderung, dass man es mit dem Original nicht mehr vergleichen kann.


    Doch nichts deso zum Trotz habe ich auch sämtliche Klassiker verschlungen.


    Meine besonderen Lieblinge waren da


    "Sigismund Rüstig oder Der Schiffbruch des Pacific" und "Der fliegende Holländer" von Kapitän Marryat


    mit dem Zusatz für die Jugend bearbeitet von H.W.Georg.


    Das Buch ist auf altdeusch geschrieben, leider ohne Jahrgangsangabe, das einzige ist eine Widmung im Buchdeckel von 1937.


    und "Die Höhlenkinder im heimlichen Grund" von A.Th. Sonnleitner


    auch dieses Buch ist auf altdeutsch geschrieben mit dem Zusatz 83.Auflage und copyright 1930.


    Dies waren Bücher meiner Eltern, die ich dann mehrmals gelesen habe.
    Die restlichen wurden mir halt in meinen Jugendjahren, so nach und nach von meinen Eltern geschenkt.


    Aber ob zenziert oder nichtzenziert war mir da egal! Hauptsache ich hatte meinen Lesespass.

    Gruss Hoffis :taenzchen
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    :lesend Der fünfte Tag - Jake Woodhouse
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  • Mal was zur Entstehung und Geschichte dieser Art von Publikationen:


    Die Tradition dieser "Bearbeitungen" stammt noch aus der Zeit, als Zensur etwas völlig Normales war. Im 19.Jh. gab es noch kein echtes Urheberrecht; damals wurden sogar Texte von Goethe oder Schiller von Herausgebern solange bearbeitet, bis sie in das herrschende, der jeweiligen Obrigkeit genehme Weltbild paßten.
    Nach Einführung eines allgemeinen Urheberrechtsschutzes im Jahre 1857 (nach mehreren Anläufen) waren Werke noch 30 Jahre nach dem Tod des Verfassers vor Fremdeingriffen geschützt, dennoch wurden Veröffentlichungen durch die staatliche und verlagsseitige Zensur weiterhin manipuliert. Eine Form davon waren die besagten "Bearbeitungen für die Jugend", bei denen Texte der Weltliteratur für ihre ideologische Brauchbarkeit für die Erziehung der deutschen Jugend tüchtig umgeformt wurden.
    Einen weiteren Höhepunkt hatte diese unheilvolle Tradition im Dritten Reich.
    Was kaum jemand weiß, ist, daß ein Großteil der "Bearbeitungen" aus der Nazizeit nach 1945 unentwegt neu aufgelegt wurden, tw. mit geringfügigen Änderungen.


    Ich finde es nicht ganz unbedenklich, Kindern oder Jugendlichen Versionen von Klassikern in die Hände zu geben, die bewußt manipuliert wurden -- und das in eine Richtung, die sich mit unserer freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfassung und unseren ethischen Grundsätzen längst nicht mehr vereinen lassen.
    Haltet mich für pedantisch, aber als Schriftstellerin tut es mir geradezu körperlich weg, zu sehen, daß diese Texte, die einmal aus ideologischen Gründen komplett verstümmelt wurden, noch immer ohne große Bedenken an kommende Generationen weitergegeben werden. Viele Schriftsteller werden auf diese Weise übel verleumdet und in eine Ecke gestellt, in die sie nie gehörten.

  • Ich hab mir heute aufgrund der Diskussion hier mal "Gulliver's Travels", "David Copperfield" und "Ivanhoe" in der "complete and unabridged version" gekauft. Waren echte Schnäppchen: 3.50 Euro, 2.30 Euro und 3.00 Euro. :wow


    "Gullivers Reisen" kenn ich noch aus der Grundschule. :wow Das kann ja nur die Kinder- und Jugendversion gewesen sein. Ohne Deinen Hinweis, Iris, hätte ich da nie wieder reingeschaut.


    Bei "Ivanhoe" bin ich ja mal gespannt, wie Richard Löwenherz dargestellt wird. Ich lese ja gerade "Here be dragons" von Sharon K. Penman und da wird Richard zwar als hervorragender Feldherr anerkannt, ist aber ansonsten auch nicht nur edel und gut und John ist nicht nur der hinterhältige und armselige Bruder wie in Disney's Zeichentrickfilm "Robin Hood". :grin ;-)


    Na, ich bin gespannt. Ist mir allerdings schleierhaft, wann ich die Bücher nun auch noch lesen soll. :help


    lg Iris

  • Das sind aber doch zwei Paar Schuhe, oder?


    Das eine ist eine (vermeintlich oder tatsächlich) kindgerechte Bearbeitung, die z.B. (vermeintlich oder tatsächlich) zu schwierige oder schwerverdauliche Stellen rauseditiert oder vereinfacht. Darüber lässt sich diskutieren. Es gibt ja z.B. auch vereinfachte Texte für Fremdsprachenlerner - die Möglichkeit, "Klassiker" oder einfach nur gute Literatur kennen zu lernen, wenn Wortschatz und Grammatik noch begrenzt sind und das Original eine Überforderung wäre. Nicht ideal, aber besser als nix.


    Das andere ist eine inhaltliche Bearbeitung zum Zweck der Manipulation (Beispiel Nazizeit). Darüber lässt sich wohl nicht diskutieren. Oder doch? Was ist, wenn - ganz im Gegenteil - z.B. Rassismus rauseditiert wird, den ein erwachsener Leser (idealerweise) im Kontext des Buchs wahrnimmt, ein Kind aber vielleicht für bare Münze nehmen würde? Leider hab ich kein Beispiel.


    Ich denke an die Musik - es gibt verschiedene Musikstücke, die ich "nur" in einer Bearbeitung oder Kurzfassung kennen gelernt habe, weil die verfügbaren Stimmen/Instrumente oder auch meine musikalischen Fähigkeiten oder die der Leute, mit denen ich jeweils musizierte, fürs Original nicht reichten. Da greift man z.B. zum Klavierauszug einer Oper und spielt sich da durch (so man kann), oder man singt ein Madrigal im Chor drei- statt fünfstimmig. Alle diese Erlebnisse und Erfahrungen möchte ich nicht missen, und sie haben mir auch ganz sicher einen sinnvollen Eindruck vom betreffenden Werk vermittelt, auch wenn ich nicht das "authentische" Erlebnis des "historischen" Originals hatte. Natürlich fällt der Aspekt der "ideologisch motivierten" Bearbeitung hier weg. Aber davon war ja bis zu Iris' letztem Beitrag auch hier im Thread nicht die Rede - ich denke, das sollte man in der Diskussion trennen.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Zitat

    Original von MaryRead
    Das sind aber doch zwei Paar Schuhe, oder?


    Sicher, es kommt immer auf die Intention an ...


    Allerdings kenne ich inzwischen zuviele Menschen, die bei Gullivers Reisen, Robinson Crusoe, den Lederstrumpf-Erzählungen, Oliver Twist, David Copperfield, Moby Dick, Schatzinsel, aber auch Ilias und Odyssee etc. an Kinderbücher, bestenfalls an Jugendliteratur denken und diese Werke schlichtweg nicht für voll nehmen, weil sie nicht erkennen, daß es sich um zensierte und entstellte Versionen handelt, sondern die Tendenz der "Bearbeitung" für die des Autors halten.
    Diese Leseerfahrungen prägen die Einstellung zum Originalwerk.


    Zitat

    Alle diese Erlebnisse und Erfahrungen möchte ich nicht missen, und sie haben mir auch ganz sicher einen sinnvollen Eindruck vom betreffenden Werk vermittelt, auch wenn ich nicht das "authentische" Erlebnis des "historischen" Originals hatte.


    Der Vergleich hinkt ziemlich.
    Bei diesen "Bearbeitungen für die Jugend" wird in der Tat grundsätzlich die Intention des Werkes zerstört, um die reine Story oder auch nur einen (als kindertauglich etikettierten) Teil davon zu vermitteln. Sie haben mehr von verpopten Versionen Klassischer Musik an sich, von Supermarktgedudel. Der Charakter des Werkes wird meistens vollständig geopfert.


    Meiner Ansicht nach werden hier noch immer bedenkenlos die Intention transportiert, den Originalautor der eigenen Weltanschauung dienstbar zu machen. Denn die "neueren" Bearbeitungen sind kaum mehr als Neufassungen der älteren, ideologischen Bearbeitungen, bereinigt um die krassen ideologischen Sentenzen aus Kolonialzeit, Nationalismus und Nazizeit. Der Grundtenor einer primitiven Schwarz-Weiß-Welt ist geblieben.


    Wenn es darum geht, den bloßen Plot zu vermitteln, z.B. um Interesse zu wecken, fände ich es weitaus sinnvoller, diesen den Kindern zu erzählen, anstatt sie mit einem schlechten Buch abzuspeisen. Durch das Erzählen kann man auch die eigentliche Absicht des Autors einfließen lassen -- abgesehen davon beugt es der immer wieder beklagten Sprachlosigkeit in den Familien bzw. zwischen den Generationen vor.

  • Ich überleg, ob ich mir "The Adventures of Tom Sawyer" und "The Adventures of Huckleberry Finn" auch noch kaufen soll. Ich weiss nämlich noch, dass ich die als Kind überhaupt nicht mochte, weil mich da eigentlich eher Mädchenbücher interessiert haben - Internats- und Pferdegeschichten, die Hauptfigur musste halt ein Mädchen sein... :lache


    Na mal sehen. Als Penguin Classics bekommt man die ja für fast nix, da ist es kein grosser Verlust, wenn sie mir dann doch nicht gefallen.


    Was meinst Du denn zu den beiden, Iris? Ich hab gesehen, dass sie auf Eurer Vorschlagsliste sind?


    lg Iris :wave

  • Ui. Ich habe gerade entsetzt festgestellt, dass wir auch 2 solche gekürzten Exemplare im Haus haben, und zwar "Robinson Crusoe" und "Die Schatzinsel", beide Bücher sind aus der Reihe "Arena Kinderbuchklassiker":




    Ich hab die Bücher gekauft, weil ich diese Ausgabe so schön fand. Aus der Reihe haben wir auch noch "Betty und ihre Schwestern" und "Der kleine Lord", aber diese beiden Bücher sind nicht gekürzt worden. Wahrscheinlich, weil die Geschichten nicht so lang sind, oder wie?


    Jedenfalls mag ich das gar nicht, dass wir jetzt nur die geschnippelte Fassung haben, das muss sich schnellstens ändern!! :wow :wow
    Blöd, dass man da jetzt immer gaaaanz genau nach gucken muss, ob es auch wirklich der ganze Text ist! :-(

    Neue Bücher riechen so gut - man kann am Geruch förmlich merken, wie schön es sein wird, sie zu lesen.
    [Astrid Lindgren: "Die Kinder aus Bullerbü"]

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