Ist die Bibel richtig übersetzt? - Pinchas Lapide

  • Es gibt im Grunde nur zwei Arten des Umgangs mit der Bibel: man kann sie wörtlich nehmen oder man nimmt sie ernst. Beides zusammen verträgt sich nur schlecht. (Seite 18)



    236 Seiten, gebunden
    Verlag: Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2004 (2. Auflage 2008)
    ISBN-10: 3-579-05460-0
    ISBN-13: 978-3-579-05460-5



    Kurzinhalt / Klappentext


    Entscheidend für unser Verständnis der Bibel ist ihre Übersetzung ins Deutsche. Diese weist aus der Sicht des jüdischen Religionsphilosophen Pinchas Lapide folgenreiche Fehler und Mißverständnisse auf, die er durch einen Vergleich mit der Originalsprache belegt. Sein Blickwinkel eröffnet interessante Neu- und Andersdeutungen für diesen zentralen Text der jüdischen und christlichen Kultur.



    Über den Autor


    Pinchas Lapide wurde am 28. November 1922 in Wien geboren und starb am 23. Oktober 1997 in Frankfurt/Main. Er war ein jüdischer Theologe und Religionswissenschaftler, der sich sehr um die Verständigung zwischen Juden und Christen bemühte. Nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich wurde er in ein KZ eingeliefert, konnte jedoch über Umwege nach Großbritannien fliehen. 1940 erreichte er Palästina. Von 1951 bis 1969 war er als Diplomat für die israelische Regierung tätig. Daneben studierte der Judaistik und promovierte an der Universätit Köln. Von 1972 bis 1975 lehrte er an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan bei Tel Aviv. Seit Mitte der Siebziger Jahre lebte er in Frankfurt/Main und erhielt 1993 das Bundesverdienstkreuz.


    Er hat über 35 Bücher (etliche davon zusammen mit seiner Frau Ruth) veröffentlicht, die in zwölf Sprachen übersetzt wurden. Nach seinem Tod setzen seine Witwe und sein Sohn die Arbeit für sein Anliegen fort.


    Informationen im Internet
    - < Klick > - der Eintrag bei Wikipedia
    - < Klick > - eine private Seite über Leben und Werk
    - < Klick > - die Seite beim Gütersloher Verlagshaus über den Autor



    Meine Meinung


    Was schreibe ich über ein Buch, das ich am liebsten in voller Länge hier zitieren möchte, weil man eigentlich nichts davon auslassen sollte? Das beschreibt etwa die Problematik vor der ich jetzt stehe. Und deutet meinen einzigen wirklichen Kritikpunkt (der aber vermutlich eher ein Lob für den Autor ist) an: das Buch quillt über vor Informationen und Wissen, so daß ich mich bisweilen von der Fülle des Dargebotenen erschlagen gefühlt habe. Ein Buch, das man als „interessierter Laie“ sicherlich mehr als ein Mal lesen muß, um es vollständig zu erfassen.


    Gleich auf Seite 14 führt er eines der Hauptprobleme an: Zu Beginn wurden Heilige Texte mündlich überliefert. Altes wie Neues Testament wurden ursprünglich „in der Glut der unmittelbaren Gotteserfahrung stammelnd erzählt“, das ganze in einem Umfeld fantasiereicher Orientalen für ihresgleichen. Von ergriffenen Gottesfürchtigen für Menschen mit Ehrfurcht. Erst viel später wurden diese Texte „von abendländischen Theologen kalt gelesen, zerebral ausgelegt und wissenschaftlich entmythologisiert. Dieser drastische Klimawechsel konnte nicht umhin, zu wesentlichen Umdeutungen, Mißverständnissen und Sinnverzerrungen zu führen, die weder dem Geist noch dem Wortlaut Der Schrift gerecht werden, so wie sie von den ursprünglichen Autoren und ihren Hörern empfunden werden mußte.“


    Damit ist das Grundanliegen dieses Buches deutlich geworden: Lapide sucht hinter den uns geläufigen Texten nach der Fassung, wie sie wohl ursprünglich gewesen war. Bereinigt von Übersetzungs- und Abschreibfehlern. Dabei geht er davon aus, daß der ursprüngliche Text auch des Neuen Testamentes hebräisch (bzw. aramäisch) war, auch wenn es auf griechisch niedergeschrieben wurde. Er belegt dies, in dem der zahlreiche, bisweilen seltsam anmutende, Stellen ins hebräische „zurückübersetzt“, dabei die Streitfälle angibt und so zum vermutlichen „Urtext“ vordringt. Im Hebräischen werden nur die Konsonanten aufgeschrieben, nicht die Vokale. Bisweilen ergibt jedoch ein einziger veränderter Vokal im hebräischen einen ganz anderen Sinn, oder ein Wort hat im hebräischen mehrere Bedeutungen und ist nur aus dem Kontext heraus verständlich. Lapide bringt zahlreiche Beispiele für solche Fälle und erklärt, was vermutlich (als ursprünglich gesprochenes Wort) zu Beginn dahinter gestanden hat bzw. wie die Umwelt Jesu es verstanden hat.


    Ein Problem tritt natürlich auf, das ich der Vollständigkeit halber erwähnen will: Pinchas Lapide gibt immer wieder hebräische und aramäische „Rückübersetzungen“ an. Ich selbst kann diese Sprachen nicht, genauso wenig wie griechisch. Ich bin also darauf angewiesen, mich darauf zu verlassen, daß er diese mir unbekannten Sprachen korrekt wiedergibt. Wenn man an die Schwierigkeit der Bibelübersetzungen denkt, gehe ich davon aus, daß man manches durchaus auch anders sehen kann. Allerdings habe ich die Argumentationskette Lapides als in sich folgerichtig und schlüssig empfunden. Es entstand ein Bild (vom Alten wie vom Neuen Testament), das mir wesentlich sympathischer ist als das, was ich bisher „offiziell“ hatte. Wenn ich beispielsweise weiß, daß „hassen“ damals nicht die Bedeutung hatte, die wir dem Wort beimessen, sondern einfach „weniger lieben“ oder “geringer schätzen“ heißt, gewinnt eine Stelle wie Lk 14,26 eine ganz andere Bedeutung: „Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Zitiert nach der rev. Lutherübersetzung von 1984, Dt. Bibelgesellschaft 1985. In meiner „Einheitsübersetzung“ steht der Begriff „gering achtet“.)


    Als ich mich vor einiger Zeit etwas näher mit der Frühgeschichte des Christentums beschäftigt habe, hatte ich den Eindruck gewonnen, daß die Bibelübersetzung der Theologie entspricht - nicht umgekehrt. Dieser Eindruck hat sich durch dieses Buch noch verstärkt, verbunden mit einem Verstehen, weshalb manche Stellen im Neuen Testament eine gewisse Judenfeindlichkeit durchscheinen lassen (weil Lapide die Zeitumstände der Entstehung der Texte mit berücksichtigt und nachvollziehbare Begründungen liefert).


    Das Buch selbst ist gut und verständlich geschrieben und von einem großen Willen zur Verständigung zwischen Juden und Christen durchdrungen. Ich kann es jedem, der sich ernsthaft mit der Bibel auseinandersetzen will, nur empfehlen.




    Kurzfassung:


    In verständlicher Sprache mit unzähligen Beispielen der Versuch, sich dem eigentlichen Urtext, der wirklichen Bedeutung der Bibeltexte zu nähern. Ein in meinen Augen sehr gelungener und erfolgreicher Versuch.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Die Taschenbuchausgabe scheint es nicht mehr zu geben - ausserdem ist zweimal acht Euro auch nicht weit von der HC Ausgabe weg, aber wie soll ich da meinen SuB verkleinern?

  • Ich danke dir vielmals für die Rezi, SiCollier. Ich werde mir beide Bände ganz bestimmt kaufen und habe schon jemanden im Kopf, dem ich es weitergeben kann. :-)

    Education is an admirable thing, but it is well to remember from time to time that nothing that is worth knowing can be taught. ~ Oscar Wilde

  • Danke, für die schöne Rezi, SiCollier!
    Das ist ein Thema, das mich immer interessiert. Ich habe auch schon einiges zu Übersetzungen und ihren verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten gelesen (z. B. soll mit Maria auch nicht zwingend eine Jungfrau in unserem Sinne, sondern eher nur eine junge Frau gemeint sein - hab ich zumindest mal irgendwo gelesen).


    Sehr wichtig scheint mir zu sein, dass zwischen der mündlichen Überlieferung, wie Du sie beschreibst und der Niederschrift ein langer Zeitraum vergangen ist. Da wird wohl vom Ursprünglichen nicht mehr viel übrig geblieben sein.
    Man kennt das ja von Zeugenaussagen, die oft nur wenige Wochen zurückliegen. Da könnte man glauben, dass von unterschiedlichen Ereignissen gesprochen wird.
    Wie mag sich das dann wohl nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten verhalten?

  • Danke; schön, wenn Euch die Rezi gefällt. :-)



    @ Beowulf & Bohemia
    Nach einer TB-Ausgabe habe ich nicht gesucht; es scheint derzeit nur die HC Ausgabe beider Bücher in einem Band, wie ich sie habe, zu geben.



    @ keinkomma


    Stimmt, das kommt noch dazu (das mit der je eigenen Interpretation).



    @ Sylli7


    So überragend lange ist dieser Zeitraum nicht; beispielsweise hat Carsten Peter Thiede dazu in seinem Buch „Der Jesuspapyrus“ einiges geschrieben. Interessant (und neu) für mich war der Gedankengang, das auch das NT ursprünglich in hebräisch (bzw. aramäisch) überliefert, bevor es griechisch aufgeschrieben wurde. (Ich habe mich zwar immer gewundert, weshalb das NT griechisch ist, aber - ehrlich gesagt - nie weiter darüber nachgedacht.) Pinchas Lapide bringt „ewig viele“ Beispiele aus AT und NT und zeigt auf, was sich daraus für den Text, wie wir ihn kennen, für Folgen ergeben.


    Er geht naturgemäß auf das Alte Testament, also die Bibel der Juden, recht ausführlich ein, und schreibt etwas zu den Übersetzungsfehlern in der sog. „Septuaginta“, die im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung entstand. Ferner gibt er einige Stellen im NT an, in welchen falsch aus dem AT zitiert wurde (und vermutlich mit welcher Intention).


    Stichwort Jungfrauengeburt. Habe ich in der Rezi ausgelassen, obwohl im Buch etwas dazu steht. Ich habe allerdings vergessen, ein Zettelchen zu stecken und finde die Stelle momentan nicht mehr. :rolleyes (Da ich diese Erklärung allerdings schon von anderer Stelle her kannte, fiel es mir nicht so sehr auf). Aber es ist so, wie Du schriebst: im ursprünglichen Text steht wohl schlicht und einfach das Wort für „junge Frau“, woraus dann später „Jungfrau“ wurde - mit den bekannten Folgen.


    Jesus, aber auch Paulus, wird für mich durch diese veränderte Sichtweise auf die überlieferten Texte viel lebendiger, „nachvollziehbarer“, in sich schlüssiger, als er es bisher war. Das ist jetzt vermutlich nicht unbedingt „kirchentreu“, aber der Jude Jesus, wie Lapide ihn vorstellt, erscheint mir noch faszinierender, als es der „durch die Lehre in Stein gemeißelte“ Christ Jesus ist.


    Ich werde mich sicher noch näher mit der Thematik befassen, zumal noch ein paar Bücher dazu in meinem RuB des Lesens harren.
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Ich gebs zu: mich schreckt der Titel ab. Das klingt nach dem, der kommt und allen sagt, daß sie bisher nur Mist gemacht haben. Endlich kommt der, der weiß, was "richtig" ist.
    Was ist richtig? Gibt es das überhaupt?
    Dass die biblischen Texte eine Geschichte haben, wird in vielen verschiedenen Büchern seit etwa 200 Jahren dargestellt, und auch, wie sie ausgesehen haben können, die tausenden Geschichten der Texte.
    Der Titel suggeriert, es gebe nur eine deutsche Bibel und die sei falsch. Es gibt aber Unmengen verschiedenster Übersetzungsversuche, von denen alle neueren versuchen mit guten Argumenten einen Spagat zwischen Textgenauigkeit und Verständlichkeit zu wagen. In einem Buch mit einem solchen Titel würde ich eine gründliche Auseinandersetzung auch mit dieser Seite der Medaille wünschen.
    "Die Fassung, wie sie wohl ursprünglich war" zu suchen, halte ich mit Verlaub für lächerlich. Auch Herrn Lapide stehen keine anderen Quellen und keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung als jedem Bibelwissenschaftler, wie sie zu hunderten an unseren Unis täglich an den Texten arbeiten und forschen. Natürlich gibt es da auch Erkenntnisse zu Urtexten hinter der Bibel (logienquelle u.ä.) Diese sind auch veröffentlicht. Vermutungen und Deutungen, die darüber hinaus reichen, lassen sich in jeder kommentierten Bibelausgabe und den Kommentaren selbst sehr gut nachlesen.
    Übersetzungsvarianten können sehr gut in verschiedenen Übersetzungen nachgelesen werden. Mir erschließt sich von daher der Sinn des Buches von Lapide noch nicht so ganz....


    skeptische Grüße

  • ich finde es immer wieder sehr verwunderlich, wenn sich jemand zu einm Buch äußert, das er nicht gelesen hat, allein auf Grund von Besprechungen und Meinungen anderer


    Dyke - kopfschüttelnd ab zum Abendessen zubereiten

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • manches Erstaunen versetzt mich in Erstaunen. Warum sollte man sich nicht dazu äußern, wenn einen an einem Buch bereits der Titel abschreckt??
    In dem Fall schrecken mich Titel und (die wirklich gut gemachte) Rezi gleichermaßen ab. Auch das sollte man doch zum Ausdruck bringen dürfen, oder??

  • Der Titel des Buch ist durchaus geeignet, daß man die Haare aufstellt. Ich finde ihn nicht sehr glücklich.
    Bloß sagt er exakt das, was in den Büchern dargelegt wird. Es geht um 'Übersetzungsfehler', de facto um Mißverständnisse zwischen ChristInnen und Jüdinnen/Juden infolge der Überlieferungsprobleme der Quellen-Texte.




    @licht


    ich zähle Lapide zu den Irenikern. Er war allem Vernehmen nach ein ungemein milder, sanfter, ausgleichender Mensch. Das christliche-jüdische Miteinander zu fördern, war nicht nur sein Leben, das war er, sozusagen.
    Es ist ja nicht sehr üblich, daß ein jüdischer Religionsphilosoph als Schwerpunkt das christliche NT hat.
    Die christliche Seite schwärmte einen Tick mehr von ihm als die jüdische ;-)
    Aber das ist ein weites Feld.


    Wie auch die Frage, ob sich der Grundkonflikt tatsächlich auf 'sprachliche Mißverständnisse' zurückführen läßt.


    Die Bücher habe ich nicht gelesen, weil ich den Gegensatz jüdisch-christlich anders sehe.
    Lapide ist aber auf jeden Fall jemand, mit dem man sich beschäftigen kann. Nicht zuletzt unter dem Aspekt des Humanismus.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Am Titel kann ich noch nichts Erschreckendes feststellen. Was ist an der Frage, ob die Bibel richtig übersetzt ist, so haarsträubend? Versteh ich nicht!
    Aber vielleicht bin ich nur nicht so leicht zu erschrecken... :yikes

  • :lache


    @Sylli


    der Titel ist insofern ungeschickt, weil er suggerieren kann, daß hier einer antrabt, der die 'richtige' Lösung hat. Also mal wieder einer, der alles genau weiß.
    Leute, die wissen, wie problematisch die Bibelüberlieferung und die Übersetzungslage ist, sind in dem Punkt etwas empfindlich.
    Seeehr dünnes Eis.


    Wenn man 'Lapide' dazu addiert, kommt 'okay' raus.
    Für einmal.



    :grin


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Aber viele Theologen (vor allem die katholischen) behaupten seit Jahrhunderten nichts anderes, als dass sie im alleinigen Besitze der einzig selig machenden Wahrheit und Weisheit seien.
    Also müßte man dasselbe auch einmal anderen Disziplinen zugestehen.
    Und schon gar einem friedfertigen Religionsphilosophen, falls er diesen Anspruch in seinem Buch überhaupt stellt (ich hab es ja noch nicht gelesen).

  • @Sylli7



    wenn man die Wahrheit hat, hat man die Wahrheit. Nicht die anderen.
    Sach mal, bist Du etwa so eine wachsweiche Moderne? Tststst!
    :lache


    ;-)




    Aber darum geht es hier nicht.
    Es geht um Verständigung.
    Von daher kann man auch berücksichtigen, daß der sperrige Titel eine Frage enthält. MIT Fragezeichen.


    Trotzdem versteh ich das Stolpern. Ich stolperte auch, als ich ihn zum erstenmal las.


    Lapide sagt nicht, daß er im Besitz der Wahrheit sei. Er sucht nach Brücken zwischen den beiden Religion. Er streckt die Hände aus.




    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich finde jeder Übersetzer sollte dieses Buch- zumindestens den Anfang, den weiter bin ich noch nicht- lesen. Der Autor setzt sich nämlich intensiv mit der Frage wie wird etwas aufgenommen auseinander, also wenn wir schon so häufig aneinander vorbeireden, wenn einer etwas sagt und der andere etwas ganz anderes versteht, wie ist das dann zwischen Autor und Leser und wieviel schlimmer wird das dann wenn ein Leser seine gelesene Interpretation dann in eine andere Sprache überträgt, in der dann wieder viele Leser ihre höchst eigene Interpretation finden sollen. Also - Lapide macht sicherlich allerlei- nur nicht behaupten er sei im Besitz der allein seeligmachenden Wahrheit.

  • beowulf
    Als wachsweiche Moderne :grin (nach Magali zitiert) behaupte ich, dass die Katholische Kirche (und NICHT Herr Lapide) über Jahrhunderte verkündet hat, sie sei die einzig seeligmachende Religion. Und wer das nicht glaubt, kommt ins Fegefeuer! :hau


    Weil wir vom Aneinandervorbeireden sprechen.
    Ich stell' mir jetzt vor, dass nach der kurzen Zeitspanne von 50 Jahren das Leben und Wirken des Jesus von Nazareth nach mündlicher Überlieferung (von wem auch immer) aufgeschrieben wurde.
    Wenn da also einer etwas sagt, was ein anderer vor 50 Jahren gehört hat, und wieder ein anderer das aufschreibt, was der 1. zuerst gehört und dann gesagt hat, dann aber noch ein 2. und weitere dazu kommen, die auch etwas aufgeschrieben haben, was ...
    Und dann wird das alles noch in andere Sprachen übertragen, die der eine Übersetzer gut, der andere aber besser beherrscht...


    Alles weitere Nachdenken erübrigt sich hiermit für mich!

  • Wir haben mal im Psychologiestudium ein Experiment gemacht, bei dem eine Person einer anderen eine Geschichte (ca eine getippte Seite lang) vorgelesen hat und diese musste dann der nächsten Person erzählen, was sie behalten hat usw. Nach der vierten Person war von der ursprünglichen Geschichte kaum noch etwas übrig. :lache

  • SiCollier,


    vielen Dank für die Rezi dieses Buches! Ich hab letztens noch wars drüber gelesen (wo war das nur :gruebel) und überlegt, ob das nicht was für mich wäre. Deine Rezi ist ein weiterer Ansporn für mich, darüber nachzudenken!


    Der Titel ist mir - ehrlich gesagt - wurscht. Für mich - soweit ich das von dem bisschen, wass ich weiss, beurteilen kann - hat sich hier jemand die Mühe gemacht, ohne Schuldzuweisungen oder Wertungen uralten Schriftstücken nachzugehen und nachzuverfolgen, inwieweit die eigene Denke der Übersetzer, die Lebenswirklichkeit und die politischen Umstände, in denen sie lebten, und der Moral- und Ethikkodex, dem sie unterstanden, die Übersetzungen evtl. "gefärbt" oder - in einigen Fällen - sogar "verfälscht" hat.
    Insoweit bin ich bei Beowulf, das sollte jeder Übersetzer mal lesen, ganz unabhängig davon, um welches Buch es hier geht.


    Auf der anderen Seite finde ich persönliche es sehr angenehm, dass diese Person dieses Buch von einer Seite beleuchtet, die m.E. nach doch immer mal ein wenig unterrepräsentiert war. Die "Septaguinta" wird in einigen Kreisen schon sehr lange als fehlerhaft angesehen, auch ihre Entstehung ist eine "Mär" und nicht wörtlich zu nehmen.
    Und es gibt auch sehr viele Fachleute, die z.B. lange darauf hingewiesen haben, dass diese Geschichte mit der Jungfrauengeburt nicht nur unbedingt ein Übersetzungsfehler gewesen sein muss (das schwirrt schon lange), sondern auch darauf beruhen könnte, dass Jungfrauengeburten (d.h. unnatürliche Empfängnis oder auch unnatürliche Geburt) in fast allen "alten" Religionen als ein Zeichen für die Geburt eines besonderen Menschen "hergenommen" wurden.


    Wir alle kennen das Kinderspiel "Stille Post", insofern sollte es doch nicht verwundern, dass auch hier sicherlich viele Übertragungs- und/oder Übersetzungsfehler vorgekommen sind.


    Wer die Bibel in der heutigen Form allerdings als Tatsachenbericht und absolut unkritisierbar ansieht, wird das Buch sicherlich nicht auf seine "Top 5"-Liste setzen.


    Und jetzt geh ich mal gucken, wo es zu kriegen ist :wave


    Liebe Grüße
    Alraune

  • Zum Titel:


    Also ich kann nichts dafür, ich habe ihn nicht gemacht, sondern der Verlag. Das nur zur Klarstellung.


    Es stimmt schon, er ist - vorsichtig ausgedrückt - wirklich „nicht glücklich“ oder „ungeschickt“. Man könnte ihn so interpretieren, wie licht es tat - dann wäre er sogar irreführend. Aber über Titel und Klappentexte wurde hier im Forum schon viel diskutiert. Wobei der Klappentext hier allerdings durchaus zutreffend ist.


    Nochmals im Klartext: sicher erhebt Pinchas Lapide den Anspruch, Recht zu haben mit seiner Darstellung. Aber nicht mehr oder weniger, als jeder andere Sachbuchautor, der über ein Thema schreibt, auch. Keinesfalls in der Art „ich habe die Wahrheit gepachtet und alle anderen unrecht“. Er führt zahlreiche Stellen an, die seiner Meinung nach falsch (oder einfach unglücklich) übersetzt sind, übersetzt diese "zurück" ins Hebräische, gibt in der Regel Hinweise zum geschichtlichen Hintergrund, führt aus, weshalb es zu der Fehlübersetzung (um bei dem Wort zu bleiben) gekommen ist, und fragt am Ende, ob es nicht an der Zeit wäre, dies zu korrigieren.


    Nachprüfen kann ich seine Argumentationskette nicht, weil ich - wie in der Rezi erwähnt - eben weder des Griechischen noch des Hebräischen mächtig bin. Deshalb auch mein Hinweis, daß man manches möglicherweise anders sehen kann.




    Zitat

    Original von licht
    Übersetzungsvarianten können sehr gut in verschiedenen Übersetzungen nachgelesen werden. Mir erschließt sich von daher der Sinn des Buches von Lapide noch nicht so ganz....


    Er gibt auch immer wieder verschiedene Textvarianten zum Vergleich an, was recht interessant ist. Vereinfacht gesagt, geht Lapide davon aus, daß bereits der griechische Urtext des NT eine Übersetzung ist, und zwar aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen. Denn Jesus hat mit Sicherheit nicht auf Griechisch gepredigt, und mit vermutlich gleicher Sicherheit geschah die allererste Tradierung (im Sinne von „Weitergeben der Botschaft“) ebenfalls nicht auf Griechisch, sondern in der Landessprache. Erst als alles aufgeschrieben wurde, geschah dies auf Griechisch. Bei dieser Übersetzung traten die ersten Probleme auf. Wenn wir einen deutschen Text vom NT haben, ist das also eine Übersetzung einer Übersetzung einer Übersetzung. Er versucht in seinem Buch, von der ersten Übersetzung (griechisch) zurückzukommen auf das Original (hebräisch). Ich persönlich halte das für eine sehr sinnvolle Sache.



    Zitat

    Original von magali
    Es geht um 'Übersetzungsfehler', de facto um Mißverständnisse zwischen ChristInnen und Jüdinnen/Juden infolge der Überlieferungsprobleme der Quellen-Texte.


    (NB: den Begriff „Quelle“ habe ich wohlweislich und bewußt vermieden, in der Rezi wie hier. Nur damit niemand behaupten kann, ich hätte eine Quellendiskussion begonnen. ;-) )


    Stimmt, wobei er bei etlichen Stellen auch die damaligen Zeitumstände (Stichwort Römer) berücksichtigt und erklärt, wie manche Stelle, die sich antijüdisch interpretieren läßt, ins NT gelangt ist. Das kann man möglicherweise auch anders sehen, mir erschien seine Argumentationskette jedenfalls schlüssig und passend zu dem, was ich in anderen Büchern über die damalige Zeit gelesen habe.


    Die Beschreibung magalis über den Menschen Pinchas Lapide entspricht genau dem, was ich über ihn wußte bzw. gefunden habe. Das ganze Buch ist getragen von einem ungemein großen Willen zur Verständigung. Nur an wenigen Stellen kommt ganz leise so etwas wie Traurigkeit über die fortbestehenden Probleme und Diskrepanzen (zwischen Juden und Christen) durch. „Ireniker“ ist eine recht gute Beschreibung seiner Haltung.



    Zitat

    Original von magali
    Lapide sagt nicht, daß er im Besitz der Wahrheit sei. Er sucht nach Brücken zwischen den beiden Religion. Er streckt die Hände aus.


    Exakt so ist es. Und das ist mit Sicherheit auch ein Grund, noch mehr von ihm zu lesen (ich besitze mindestens zwei weitere Bücher von ihm).



    Mir selbst ist das Thema Übersetzungen übrigens durch diverse (Fantasy-)Leserunden bewußt geworden, in denen ich im (amerikanischen) Original las, für die Leserunde (und als Lexikon, wenn mir ein Wort fehlt) aber die deutsche Ausgabe benutzte. Dabei habe ich von schludriger oder ungenauer Übersetzung, über das Vordrängen der Meinung des Übersetzers (wie gerade erlebt) bis hin zu sinnentstellender Übersetzung alles vorgefunden. Insofern hat das mein Bewußtsein für Übersetzungen (und deren Korrektheit) geschärft. Da ich, wie gesagt, die Sprachen der Bibel nicht beherrsche (und vermutlich auch nicht mehr erlernen werde) muß ich mich auf anderem Wege dieser Problematik nähern. Dieses Buch ist ein Baustein dazu, und wird sicher nicht der einzige bleiben.



    Zitat

    Original von Sylli7
    Ich stell' mir jetzt vor, dass nach der kurzen Zeitspanne von 50 Jahren das Leben und Wirken des Jesus von Nazareth nach mündlicher Überlieferung (von wem auch immer) aufgeschrieben wurde.


    In dem oben schon verlinkten Buch kommt Peter Carsten Thiede zu dem Ergebnis, daß das erste Evangelium auf jeden Fall deutlich vor 70 n. Chr. niedergeschrieben worden sein muß. Die Kreuzigung war, wenn ich es recht im Kopf habe, ungefähr zwischen 30 und 33 n. Chr. Damals lebten auf jeden Fall noch Augenzeugen.


    Ich glaube, ich muß den Herrn Thiede wieder mal lesen, damit ich eine Rezi schreiben kann. Dann können wir uns über das Alter der Evangelien streiten unterhalten.



    Edit / Ergänzung


    Zitat

    Original von Alraune
    hat sich hier jemand die Mühe gemacht, ohne Schuldzuweisungen oder Wertungen uralten Schriftstücken nachzugehen und nachzuverfolgen, inwieweit die eigene Denke der Übersetzer, die Lebenswirklichkeit und die politischen Umstände, in denen sie lebten, und der Moral- und Ethikkodex, dem sie unterstanden, die Übersetzungen evtl. "gefärbt" oder - in einigen Fällen - sogar "verfälscht" hat.


    Genau so ist das Buch und seine Intention bei mir angekommen. :-)



    Stichwort Jungfrauengeburt. Ich habe erst sehr spät, vor ein paar Jahren durch Joseph Campbell, gelernt, daß das nichts originär christliches ist (wie ich es mal vor vielen Jahren gelernt habe), sondern nahezu überall auf der Welt vorkommt. Zuletzt ist mir dieses Phänomen bei den Cheyenne und deren Mythen begegnet.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von SiCollier ()

  • Wenn sich einige Leser schon am Titel (harmloser und vorsichtiger kann man den nun wirklich nicht formulieren) stören, wie soll es dann zu einer Verständigung über den Inhalt kommen?
    Und wenn man spitzfindig sein will, wird man immer ein Haar in der Suppe finden.
    Aber zivilisiert streiten diskutieren, ist ja erlaubt!