Herrad Schenk - Das Leben einsammeln - Olga A. , die Geschichte einer Messie

  • Über den Autor
    Herrad Schenk, geboren 1948, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Köln und York (England). 1975 Promotion mit einem Thema aus dem Bereich der Gerontologie. Seit 1980 freie Schriftstellerin (Romane und Sachbücher), seit 1995 Fernseh- und Rundfunkmoderatorin. Sie lebt in der Nähe von Freiburg.


    Kurzbeschreibung
    Olga ist Messie. Olga sammelt. Als Kind Steine und später alles, was sie finden kann. Olga verliert. Alles. Ihren Vater, ihren Mann, ihre Kinder, ihren Geliebten, ihre Arbeit, ihr Glück. Olga hortet, um die Leere zu füllen. Olga verkriecht sich darunter. Als ihr kein Platz mehr bleibt, geht sie.


    Herrad Schenk verschafft uns mit ihrem Buch »Das Leben einsammeln« einen authentischen Einblick in das Leben einer Messie und darüber, wie schnell jemand mitten unter uns in einen Abwärtsstrudel geraten kann, aus dem er nicht mehr herausfindet. Was sie so alles gesammelt hatte, in Plastikeimern, Holzkästen, Stoffbeuteln ... Seit Stunden hatte sie das Gefühl, die vielen Dinge nur von rechts nach links zu schieben und umgekehrt, es wurden dabei immer mehr, das Chaos um sie herum schwoll zugleich mit dem in ihrem Kopf an. Klumpert Ramsch Gedöns! hörte sie Großmama rufen. Dreck und Mist! Alles in den Sack!


    »Wie erklärt man dem eigenen Sohn, dass man ihn nicht in der eigenen Wohnung empfangen will, beziehungsweise kann? Ihr könnt mich leider nicht zu Hause besuchen , murmelte sie schwach, während ihre Gedanken hin und her rasten. Müllsäcke allüberall. Die vollgestopfte Höhle des Wohnzimmers. Die desolate Küche. Kein Geld, etwas zu kochen. Paul blickte sie verständnislos an. Handwerker! rief sie plötzlich. Immer am Rand, immer auf der Flucht, auf der Suche nach sicheren Verstecken. Dabei hat es doch auch mal eine Zeit gegeben, ganz früher, wo sie gern mittendrin war. Sie erinnert sich nur noch dunkel .


    Meine Meinung
    In Olgas Leben ist viel schiefgelaufen: Ihr Vater war Säufer. Ihr Bruder ist jung bei einem Unfall gestorben. Danach ging die Ehe mit ihrem Mann in die Binsen und sie stand alleine mit zwei Kindern da. Eine Affäre endet nach ein paar Jahren abrupt. Jahrelang pflegt sie ihre Mutter. Sie verliert ihre Jobs.


    Ihr Leben führt in einer stetigen Abwärtsspirale nach unten. Jetzt ist sie knapp fünfzig, dick und ungepflegt, sie lebt von Hartz4 und einem lausigen Prospektausträgerjob mehr schlecht als recht.


    Sie zieht sich vom Leben und von allem zurück, mit ihren Kindern hat sie keinen Kontakt mehr und sie ist depressiv und antriebslos geworden…. und so kommt es, dass sie in einem schleichenden Prozeß immer mehr vermüllt. Eigentlich möchte sie schon gerne aufräumen, aber dazu müsste sie ja alles erst mal ansehen und Nützliches von Unnützem trennen – und dazu fehlt ihr die Energie und der Antrieb. Also hortet sie ALLES, was nur geht, irgendwie und irgendwo in der Wohnung, solange sie nur noch einen schmalen Weg zu ihrem Bett, dem einzig sicheren Ort auf der Welt, findet.


    Als eines Tages wegen eines möglichen Wasserschadens ihre Vermieterin ihren Besuch ankündigt, muß Olga erst tagelang schwer schuften, damit die entsprechenden Räume überhaupt begehbar werden…


    Sehr nüchtern geschrieben bietet dieser Roman eine beklemmende Einsicht in ein verlorenes Leben. Man fühlt beim Lesen die Enge der zugemüllten Wohnung; man fragt sich, wann der Abstieg begann, wie Olga ihn hätte verhindern können und ob es ihr aus eigener Kraft gelingen wird, das Ruder noch einmal herumzureißen und ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen…


    Eine bittere Bestandsaufnahme ist das – beim Lesen überkommt einen das unwiderstehliche Bedürfnis, sich zu kratzen und nach dem Weglegen des Buches durch die eigene Wohnung zu streifen und einfach einmal wieder Razzia zu machen.


    In diesem Roman wird das erschreckende Bild einer Verliererin unserer Gesellschaft gezeichnet, einer Frau die Mitleid, viel mehr aber noch praktischer Hilfe bedarf. Abschreckend und doch lesenswert. Ich werde mir auch mal ansehen, was die Autorin ansonsten bisher so geschrieben hat.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Klappentext:


    1,8 Millionen Messies gibt es allein in Deutschland. Olga ist eine von ihnen.


    Olga ist Messie. Olga sammelt. Als Kind Steine und später alles, was sie finden kann. Olga verliert. Alles. Ihren Vater, ihren Mann, ihre Kinder, ihren Geliebten, ihre Arbeit, ihr Glück.
    Die Roman- und Sachbuchautorin Herrad Schenk gibt einen authentischen und bewegenden Einblick in das Leben einer Messie und darüber, wie schnell jemand mitten unter uns in einen Abwärtsstrudel geraten kann, aus dem er nicht mehr herausfindet.


    Über die Autorin:


    Herrad Schenk ist freie Schriftstellerin und veröffentlichte eine Reihe von Romanen und Sachbüchern. Daneben moderierte sie in Rundfunk und Fernsehen. Seit 1994 ist sie P.E.N. Mitglied. 1993 erhielt Herrad Schenk, die in der Nähe von Freiburg lebt, den Literaturpreis der Bonner LESE (Quelle: Beltz).


    Meine Meinung:


    Ich stelle diese Buchbesprechung nach längerem Überlegen bei den psychologischen Sachbüchern ein, weil sich dieser Titel in der Buchhandlung wahrscheinlich auch in dieser Abteilung finden lassen wird. Glücklich bin ich damit nicht ganz, denn Das Leben einsammeln ist für mich alles andere als ein Sachbuch. Ein Roman ist es allerdings auch keiner und eine Biographie schon gleich dreimal nicht. Nicht Fisch, nicht Fleisch und damit wäre ich schon beim Hauptproblem, was ich mit diesem Buch hatte.


    Ich habe mich während des Lesens immer wieder gefragt, ob ich tatsächlich eine wahre Geschichte erzählt bekomme, die Geschichte der Olga A., wie der Untertitel vermuten lässt, und hatte erhebliche Zweifel. Es wollte sich einfach kein Gefühl von Authentizität einstellen. Das Nachwort hat diesen Eindruck dann bestätigt. Herrad Schenk gibt darin an, die Biographien zweier Messie-Frauen gemischt und daraus die fiktive Figur der Olga A. entwickelt zu haben, betont jedoch, "ihr Leben hätte genau so verlaufen können, wie ich es hier erzählt habe."


    Wie sieht es jetzt also aus, das Leben der fiktiven Olga A.? Schon früh verliert Olga, das Papakind, ihre wichtigste Bezugsperson. Der Vater nimmt sich im Schuppen, der Olga immer als Rückzugsort diente, das Leben.
    Der erste Verlust in einer langen Reihe, die noch folgen wird. Olgas Ehe geht in die Brüche, das Verhältnis, das sie über Jahre mit ihrem Vorgesetzten hatte, scheitert und Olga verliert dazu noch ihren Job. Sie überwirft sich mit ihrer Tochter, die in einer lesbischen Beziehung lebt und muss ihren Sohn schweren Herzens ziehen lassen, als dieser sich dafür entscheidet, mit seiner Familie in Australien zu leben.
    Das Chaos, das in Olgas kleiner Wohnung herrscht, kann sie schon längst nicht mehr überblicken, sie ist zu müde, um sich der Müllberge anzunehmen, die sich angehäuft haben, jeden Winkel der Wohnung einnehmen, sich in Badewanne, Spüle und Flur türmen, zu ausgelaugt, um sich von etwas anderem zu ernähren als Thunfisch aus der Dose und etwas anderes zu tun, als Rosamunde-Pilcher-Romane zu lesen und zu schlafen. Und Olga A. ist alleine. Nachbarn und Vermieter begegnen ihr mit abschätzigem Argwohn, von den staatlichen Einrichtungen fühlt sie sich im Stich gelassen. Und so bleibt Olga A. am Ende nur ein Ausweg ...


    Herrad Schenk erzählt diese Geschichte in der dritten Person, aus der Perspektive Olgas. Die Wortwahl ist schlicht, der Satzbau simpel. Das passt zum Gemüt der Hauptfigur, wirkt stimmig und ist für mich der einzige Aspekt, der positiv hervorgehoben werden kann.
    Ansonsten hat mich dieses Buch nur geärgert. Es zeichnet ein überaus einseitiges Bild, das so offensichtlich Betroffenheit evozieren will, dass es schon beinahe plump ist. Insbesondere das Ende ist in dieser Hinsicht unerträglich.
    Es gibt auch keinerlei sachliche Informationen über das Thema. Keine Zahlen, keine Hintergründe, keine Auskünfte über therapeutische Maßnahmen, nichts.
    Ich frage mich wirklich, was die Autorin mit diesem Buch anderes erreichen wollte, als auf die Tränendrüse zu drücken ...
    Eine sachliche, differenzierte Aufarbeitung des Themas sieht für mich jedenfalls anders aus.
    Nicht empfehlenswert!

  • Ich habe vor langer Zeit dieses Buch der Autorin gelesen.
    Das klingt nicht sonderlich originell, wurde aber schon vor über zehn Jahren geschrieben. Ich fand's ganz interessant.


    Wieviel Mutter braucht der Mensch?: Der Mythos von der guten Mutter


    Kurzbeschreibung
    Die Ansicht, daß eine Mutter in den ersten Lebensjahren ihres Kindes unersetzlich ist und allein ihre fürsorgende Betreuung dem Kind einen guten Start ins Leben garantiert, ist nach wie vor weit verbreitet. Damit stehen viele Frauen vor der schwierigen Entscheidung, wer oder was in ihrem Leben die Hauptrolle spielen soll: Kinder oder Karriere oder was sonst? Wenn sie nach langen Überlegungen ein Kind bekommen, wollen viele alles besonders gut machen und verlieren dabei die eigenen Bedürfnisse aus den Augen.


    Olga werde ich aber auch mal ins Auge fassen, danke für die Vorstellung

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • So, ich hatte das Buch unterm Weihnachtsbaum vorgefunden und hoffe mal, dass das kein Wink mit dem Zaunpfahl war. Und weil Weihnachten ja immer so furchtbar langweilig ist, habe ich es auch gleich durchgelesen.


    Meine Meinung liegt irgendwo mittig zwischen Seestern und Batcat.
    Eindringlich und durch die einfach Sprache zum Sujet passend, fand ich die Schilderungen von Olgas Alltag, wie es passieren kann, dass man plötzlich acht Katzen in der Bude hat, die das Ganze nicht gerade appetitlicher machen, wie es kommt, dass man aus sämtlichen sozialen Netzen purzelt und wie all die kleinen Unzulänglichkeiten sich zur Katastrophe addieren können.
    Was allerdings Olgas psycho-pathologischen Werdegang anging, war mir doch einiges zu dick aufgetragen. Streckenweise hatte ich den Eindruck, die Autorin wolle eine möglichst vollständige Sammlung von Schichsalschlägen, die Menschen so passieren können, in Olgas Leben quetschen, um ihr katastrophales Scheitern zu begründen: Seht her, mit solch einer Biografie muss man schießlich Messi werden!
    Außerdem konnte ich diesen Werdegang ausgerechnet zum Messi nicht nachvollziehen: Olga war als Kind schon schlampig, wie wir aus einer etwas konstruierten Rückblickszene erfahren, sie ist zu antriebslos, um aufzuräumen, und kann Steine und Kinderbilder nicht wegwerfen. Das geht mir manchmal auch so, wo aber der Schalter liegt, der schließlich zur Eskalation führt, war für mich nicht schlüssig erklärt.
    Deshalb blieb ich auch etwas ratlos zurück, ich habe das Buch gerne gelesen, aber so richtig fesseln konnte es mich nicht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)