Kaputte Ermittler in Krimis...

  • Bei meinem derzeitigen Buch fällt mir mal wieder auf, daß es offenbar nicht gelingt, als ermittlende Personen normale Menschen mit normalem Verhalten einzusetzen.


    Ich lese grad einen Krimi, der leitende Ermittler besäuft sich ständig, betrügt seine Frau mit seltsamen Damen und zerlegt zu allem Überfluss auch noch betrunken das Auto seiner Frau irgendwo im Feld.
    Davon abgesehen, daß offenbar niemand der Kollegen sich daran wirklich stört, nervt es mich kolossal, auf jeder Seite trinkt er einen Whiskey oder wirft Schmerztabletten ein.
    Mag ja sein, daß ein Krimi mit einem Ermittler, der ein paar Probleme hat spannender ist, aber muß es gleich so ein Typ sein?


    Ganz schlimm fand ich das bei den Büchern von Mo Hayder, die ich aus diesem Grund nicht mehr lese. Der Vogelmann und die Behandlung hatten beide einen Ermittler, der mir nicht nur unsympathisch war, sondern der meiner Meinung nach dringend in den Knast gehörte.


    Wie ist das bei euch? Findet ihr das gehört zu einem Krimi dazu? Bastelt ihr euch dadurch nicht die Realität so zurecht, daß ihr der Meinung seid, alle Ermittler sind so? Fällt euch ein Krimi ein, bei dem der Ermittler oder die Ermittlerin eben nicht schrecklich problembeladen und versoffen oder verkokst durch die Welt läuft?
    Tipps zu mir, Bitte!

  • Da stimme ich Dir voll und ganz zu.
    1. Was die abgewrakten Ermittler im Ganzen betrifft und 2. speziell den in Mo Hayders Krimis. Die "Behandlung" gehört zu den ganz wenigen Büchern, die ich genervt abgebrochen habe.
    Und wenn es nicht so früh am Morgen wäre und ich noch keinen Kaffee hätte, dann fielen mir bestimmt auch einige Beispiele für das Gegenteil ein, also Kommissare mit intaktem Familienleben und ohne Alkoholproblem. Bei Susanne Mischke "Der Tote vom Maschsee" war das glaube ich der Fall.

  • Das habe ich mir auch schon oft gedacht.
    Mir ist es besonders bei "Wolfsfährte"von Craig Russell aufgefallen. Da dachte ich mir, müssen die Ermittler immer so depremierend sein.
    Oder bei Peter Robinson trifft es auch zu.
    Ermittler mit intaktem Familienleben findet man in den Büchern von Helene Thursten. Die Kriminalinspektorin Irene Huss ist verheiratet und hat zwei Töchter.

  • Patterson merke ich mir mal vor.
    Helene Thursten hab ich schon gelesen, Novembermörder oder so ähnlich. Fand ich auch gut, stimmt.


    Aber ist ja schön, daß ich mit diesem Gefühl nicht alleine bin.

  • Das hast Du auf den Punkt gebracht, Babyjane!
    Mir gehen diese, von überdimensionierten Problemen verfolgten Ermittler, auch zunehmend auf die Nerven. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie die Hauptfiguren der Handlung sind.
    Ich glaube, das kommt daher, weil sie jahrelang eher ein Schattendasein führten, und der Leser von ihrem Privatleben gar nichts wußte, so als hätten sie keines. Jetzt hat sich's gerade ins Gegenteil verkehrt und man erfährt mehr über sie, als man eigentlich wissen möchte.
    J. M. Simmel hat diese Typen in seinen frühesten Werken (meistens waren es da Journalisten) auch schon gerne strapaziert. Da gab es nur noch körperliche Wracks, sodaß ich mich öfter gefragt habe, wie die zu all den Verbrecherjagden noch fähig sind.

  • Ich bin ja seit einiger Zeit ziemlich fasziniert von den Krimis von Anne Holt, da haben wir allerdings auch eine etwas strange Ermittlerin, die aber wenigstens gesetzestreu ist und sich nicht selbst immer am Rande der Illegalität bewegt.
    Auch Jane Rizzoli hat es ja bei ihren Ermittlungen in den Büchern von Tess Gerritsen nicht immer einfach, bekommt aus meiner Sicht aber immer noch knapp die Kurve um mir eben nicht auf den Senkel zu gehen.


    Ich finde das wirklich schade, es vermittelt mir den Eindruck, daß unsere Gesellschaft doch schrecklich kaputt ist und gerade die, auf die man sich verlassen sollte, sprich hochrangige Polizisten in diesen Büchern, stellen solche kaputten Wracks da. Ein wenig seltsam empfinde ich das... :gruebel

  • Da dürftest wiederum recht haben.
    Literatur ist nun einmal ein Spiegel der Gesellschaft. Vielleicht wollen die Autoren ihre Ermittler dadurch menschlicher und glaubwürdiger machen, indem sie zeigen, dass auch Leute in solchen Berufen nur Menschen mit Fehlern und Schwächen sind, auf die man sich eben nicht immer bedingungslos verlassen kann und tragen dabei etwas dicker auf, damit die Botschaft auch sicher ankommt.
    So gesehen, ist das eine interessante Erkenntnis, aber in einem Thriller oder Krimi suche ich vor allem Unterhaltung und Entspannung und keine unterschwellige Gesellschaftskritik.
    Und außerdem nimmt dieser Typ des Polizisten oder Ermittlers einfach überhand. Ich hätte erst mal genug davon und wäre für etwas Neues aufgeschlossen.

  • Greif zu Agatha Christie, Jane! :lache


    Aber Spaß beiseite: ich finde auch, ein Detektiv/Kommissar etc. muß nicht selbst kaputt sein, um die noch kaputteren Typen zu fangen.


    Das kommt mir so hollywoodmäßig vor. In der Realität ist es doch wohl auch eher so, daß ein halbwegs intaktes Umfeld um so wichtiger ist, je belastender der Job ist.


    Klar gibt es auch den saufenden, kaputten Inspektor. Aber er ist hoffentlich nicht das Gros der Ermittler. :yikes

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Hey Babyjane!


    Also, ich muss mal sagen: ich hab ja was für diese kaputten Typen übrig.
    Mein Favorit ist ja im Moment Harry Hole - der fährt zwar nicht alles über´n Haufen, aber ist ziemlich unperfekt und hat das ständige Alkoholproblem.
    Ich mag diese "Derrek-Typen" gar nicht, die ganz ohne Privatleben daherkommen, fehllos sind und nur auf ihren Einsatz zu warten scheinen.


    Was liest Du denn da gerade?

  • Mir ist auch schon aufgefallen, dass viele Ermittler "nicht ganz normal" sind. Aber ich denke, dass jeder Schriftsteller sich halt von den anderen absetzen möchte und sich evtl. denken, es wäre zu langweilig, wenn der Ermittler nichts Besonderes an sich hat. Commissario Brunetti ist ein ganz normaler "langweiliger" Ermittler. Zwei Kinder, Frau, liebt gutes Essen...


    Mich stört vor allem, habe ich festgestellt, wenn die Ermittler ständig eine rauchen müssen. Z. B. Kommissar Ikmen von Barbara Nadel. Ist gar nicht schön.

  • Es ist wirklich so, dass die meisten Ermittler irgen ein Problem haben, sei es mi sich selber oder dass sie generell einen an der Macke haben. Ich denke das gehört dazu zu einem Krimi, was wäre ein Ermittler ohne Ecken und Kanten, ohne ein "spannendes" Privatleben, dass ihm den Job schwieirg macht... ein bisschen gehört es also dazu, finde ich, nur sollte es nicht übertrieben sein und sich das Buch nur noch um den Ermittler drehen, was es ja leider auch gibt.
    Agatha Christie, von der hab ich doch auch noch was auf dem SuB :gruebel

  • Da stimme ich dir zu, Babyjane. Meistens nervt es wirklich, zumal ich mich an keinen Krimi erinnern kann, in dem die Ermittler nicht wenigstens einen kleinen Hau hatten. Ich kenne aber auch Romane, in denen der "Knacks", den der Ermittler hat, ganz wesentlich für die Handlung ist. So zum Beispiel in den Romanen von Cody McFadyen und Chelsea Cain. Manchmal finde ich es nicht ganz einfach zu sagen, ob das kaputte Seelenleben des Ermittlers für die Handlung wichtig ist oder nicht.


    Ansatzweise normale Menschen ermitteln meines Erachtens bei Karin Slaughter, Tess Gerritsen und Kathy Reichs :wave.

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

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  • Gisa Klönnes Judith Krieger ("Der Wald ist Schweigen", "Unter dem Eis") ist auch so eine kaputte, hat ihren (Dienst-)Partner verloren, Schuldgefühle... Richtig unangenehm fand ich, als sie beschrieben wird, wie sie am Tatort so richtig versifft aussieht, weil sie abends so viel Rotwein getrunken hat. Das wirkt ziemlich deprimierend. Es hält sich aber in Grenzen, sodass die Bücher zu den besten im Krimigenre gehören, die ich gelesen habe.


    "Normale", rational agierende Ermittlerinnen gibt es in Sabine Kornbichlers "Gefährliche Täuschung".


    Der Ermittler aus Susanne Mischkes "Liebeslänglich" wird sehr zurückhaltend dargestellt, wirkt sympathisch und stabil.


    In beiden Büchern spielen aber die Ermittler eben nicht die Hauptrolle.


    Und zwar wird Christie immer genannt, aber obwohl ich Poirot sehr mag, auch gerade wieder lese, kann man wohl kaum behaupten, dass er normal wäre; der Typ ist zwar kein Säufer, aber neurotisch und zickig ;-)


    Die beiden Ermittler bei P.J. Tracy finde ich noch ganz gesund!


    :wave

  • @ Batcat
    Ich kann dich beruhigen, meine Kollegen haben zwar auch alle ihre Päckchen zu tragen, aber so strange Typen, wie hier in den Büchern geschildert werden, sind doch eher die Ausnahme....


    Agatha Christie mag ich nicht. Ich finde ihre Art zu schreiben schrecklich plump. (Schlagt mich nicht)



    Die anderen genannten, die ich jetzt noch nicht kannte, habe ich mir mal notiert. Danke.

  • Ich lese nicht sehr viele Krimis, aber sogar bei Henning Mankell kämpft der Ermittler, Wallander, mit diversen Problemen, über diese Abschnitte lese ich nur oberflächlich hinweg, weil es mich ein bisschen langweilt.


    Oft ist es so vorhersehbar: Deprimierende Telefonate mit der eigenen Frau und Gedanken an die drohende Trennung, die nächste Bar ist nicht weit, dort ist er der letzte, der exakt zur Schließzeit noch einen Drink bestellt, den man schließlich gewaltsam vor die Tür setzten muss, danach nimmt er sich noch ne Flasche Wein oder zwei mit aufs Zimmer. Am nächsten Morgen ein verkatertes Schmuddelgesicht, das ich mir wirklich nicht bildlich vorstellen möchte.


    (In "die Rückkehr des Tanzlehrers" schwebt auch noch das Damokles-Schwert einer tödlichen Krankheit über ihm, er hat Krebs...zum Thema "Problembeladen und latente Absturzgefahr" kommt also noch ein tragisches Thema hinzu.)


    Trotzdem funktioniert Wallander im Alltag während seiner Ermittlungen ganz gut, er ist also kein Paradebeispiel für den total kaputten Typen, den Babyjane beschrieben hat.


    Ich selbst, das ist mein persönlicher Geschmack, bevorzuge den innerlich einigermaßen stabilen Ermittler mit klarem Kopf und ausgeprägter Menschenkenntnis, der auch Fehler macht, aber auf den man sich doch verlassen kann.

  • Also nur mal die Frage: Was ist denn normal?
    Alkoholprobleme sind leider in unserer Gesellschaft sogar sehr normal - ich kenne leider viele, die da mehr oder weniger Schwierigkeiten haben. Beziehungsprobleme sind im Alter der meisten Ermittler - die sind in der Regel ja eher 40 aufwärts auch nicht soooo selten. Bei mir lassen sich gerade ganz viele zwischen 40 und 50 scheiden oder denken zumindest ernsthaft darüber nach. Und psychisch ist der Druck für die Ermittler - auch die echten - schon hoch. Außerdem, die Ermittler in den Büchern müssen ja meist mindestens einmal im Jahr - je nachdem wie schnell ihr Erfinder schreibt - :grin einen besonders schwierigen, bizzarren ja womöglich grausigen Mordfall aufklären - womöglich sogar Serienmörder. Da würde ich mich schon sehr wundern, wenn spätestens im zweiten Buch unser "Held" nicht einen leichten Knacks hätte. :pille Die haben ja nicht mal Zeit zum Verarbeiten. Und psychologische Hilfe ist in den Krimis ja meist ein Fremdwort.
    Und dramaturgisch ist es natürlich für einen Schriftsteller meist leichter, einen komplizierten, problemgebeutelten Ermittler in eine düstere Verbrecherwelt einzubauen als einen strahlenden, gutgelaunten, immer noch verliebten, mehrmaligen Familienvater, der seiner lieben Frau immer Freitags nach dem Mordfall Blümchen mitbringt und am Samstag mit ihr bei Ikea schoppen geht. :lache


    Okay ich oute mich hier. Ich mag z.B.keine humorvollen lustigen Krimis. Ich mag es lieber düster.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Die Abschaffung des Todes - Andreas Eschbach

    Elantris - Brandon Sanderson


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)