Genervt bei historischen Romanen

  • Zitat

    Original von Alice ThierryDiesen Artikel hatte ich auch gefunden. Aber wie sieht es mit tatsächlichen Belegen zum Mittelalter und sogar früher aus? Wie war das zur Zeit der Ägypter, bei den Kelten oder um die erste Jahrtausendwende?


    Rein biologisch gesehen ist der Eintritt der Geschlechtsreife dann sinnvoll, wenn auch der Körper ausgewachsen bzw. fertig entwickelt ist (vom Geist wollen wir mal gar nicht sprechen). Und dass das bei Frauen durch die Jahrhunderte hinweg schon mit zwölf Jahren der Fall gewesen sein soll, kann ich mir nur schwer vorstellen.


    Hallo Alice,


    ich recherchiere gerade ausgiebig das 8./9. Jahrhundert, da sind die Frauen offenbar mit etwa 14 geschlechtsreif geworden, einige auch schon früher. Zumindest im Raum Arabien, Syrien, Byzanz.


    Der Islam betrachtete Mädchen vor Einsetzen der Menstruation als geschlechtslos. Es galten für sie völlig andere Verhaltensregeln als für geschlechtsreife Frauen. Das erleichtert hier die Zuordnung etwas. Männliche Muslime galten übrigens damals auch mit 14/15 als erwachsen.


    Verrückt. Ich bin, glaube ich, erst so richtig mit 25 erwachsen geworden. Für Spätzünder bin ich in der passenden Epoche geboren. :rolleyes


    Spannender Thread übrigens, ich habe ihn mit Wißbegier gelesen.


    Herzlich,


    Titus

  • Was mir in letzter Zeit innerhalb dieser historischen Emanzen auch noch auffällt, sind Frauen, die sich als Männer verkleiden (müssen).


    Wer hat eigentlich damit angefangen?


    letztmals in dem Buch gelesen:

  • Zitat

    Original von buchi
    Was mir in letzter Zeit innerhalb dieser historischen Emanzen auch noch auffällt, sind Frauen, die sich als Männer verkleiden (müssen).


    Wer hat eigentlich damit angefangen?


    letztmals in dem Buch gelesen:


    Das gibt's schon länger, das ist nicht neu. Und auch nicht die Kritik daran.
    Das Problem ist nur: ich stolpere in der Rechercheliteratur ständig über entsprechende, belegte historische Beispiele. Dennoch würde ich mich mittlerweile nicht mehr trauen, dieses Motiv zu verwenden (obwohl ich es reizvoll finde), eben weil die Leser oft nicht wissen, wie häufig das tatsächlich vorkam, sondern weil sie es mittlerweile für ein Klischee innerhalb der historischen Romane halten. Schade eigentlich.

  • Zitat

    Original von buchi
    Was mir in letzter Zeit innerhalb dieser historischen Emanzen auch noch auffällt, sind Frauen, die sich als Männer verkleiden (müssen).


    Wer hat eigentlich damit angefangen?


    Hallo,


    ich glaube losgegangen ist das mit der Päpstin, die ja ein Riesenerfolg war.
    Auch das ist aber ein historisch belegter Fall oder zumindest eine überlieferte Legende.


    Man stößt - leider - in den meisten früheren Kulturen auf den gesellschaftlichen Konsens, dass Frauen minderwertig sind und sich unterordnen sollen. Schaut man aber genauer hin, finden sich eine Menge historisch dokumentierter Frauen, die Macht ausübten, ihr eigenes Gewerbe betrieben, als Künstlerinnen Erfolg hatten etc. Auch erste Ansätze eines bewussten Strebens nach gesellschaftlicher Veränderung und Emanzipation lassen sich früher beobachten, als oft angenommen wird.


    Total unhistorisch sind die "Emanzen" daher nicht, wenn da auch manchmal etwas dick aufgetragen wird. Ich lese gerade "Die Totenleserin" von Ariana Franklin. Das ist ein sehr gut recherchiertes und spannendes Buch, aber die Protagonistin wirkt etwas arg modern: selbständig, atheistisch, auf gesunde Ernährung bedacht, reinlich, intellektuell, unhäuslich usw. Ein bisschen weniger davon wäre meiner Meinung nach besser gewesen. Aber das Buch ist trotzdem gut zu lesen.


    Grundsätzlich lese und schreibe ich viel lieber über Emanzen als über fügsame Weibchen. Wen würde das denn interessieren?


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von Tereza


    ich glaube losgegangen ist das mit der Päpstin, die ja ein Riesenerfolg war.
    Auch das ist aber ein historisch belegter Fall oder zumindest eine überlieferte Legende.


    Also, beim besten Willen, als "historisch belegten Fall" kann man diese ganze Farce ja nun wirklich nicht bezeichnen. Als Legende, meinetwegen.


    Bei Deinen weiteren Ausführungen stimmte ich Dir zu. Drei Namen verschiedener Epochen die mir gerade einfallen: Hildegard von Bingen, Artemisia Gentileschi und Clara Schuhmann.


    Was kann man daraus lernen? Wenn die Damen wollten, durften sie doch auch... ;-)


    Katerina : Kannst Du mal ein paar dieser zahlreichen historischen Beispiele nennen? Würde mich interessieren...

    Im Verhältnis zur Musik ist alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art.
    Friedrich Nietzsche

  • Zitat

    Original von Siorac
    [
    Also, beim besten Willen, als "historisch belegten Fall" kann man diese ganze Farce ja nun wirklich nicht bezeichnen. Als Legende, meinetwegen.


    Was kann man daraus lernen? Wenn die Damen wollten, durften sie doch auch... ;-)


    Hallo,


    ich habe mich damit nie genauer befasst, aber meines Wissens ist es schlichtweg unbekannt, wieviel Wahrheit hinter der Legende steckt.


    Und ganz so einfach war es für die Frauen früher nicht, es hat sicher auch viele gegeben, die wollten, aber nicht durften. Jene, die sich durchgesetzt haben, waren ungewöhnlich zäh, ungewöhnlich begabt und/oder hatten vielleicht auch ziemlich viel Glück.


    Tereza

  • Zitat

    Original von Siorac
    Katerina : Kannst Du mal ein paar dieser zahlreichen historischen Beispiele nennen? Würde mich interessieren...


    Bin nicht Katerina, aber mir fällt dazu das neue von Astrid Fritz ein, die Vagabundin. Als ich den Klappentext gelesen hab, dachte ich spontan, o nein, das liest sich ja wie die Quintessenz aller Hosenrollenromane der letzten Jahre, will das wirklich noch jemand lesen? Und prompt erzählt diese Geschichte einen wahren Fall.

  • Zitat

    Was mir in letzter Zeit innerhalb dieser historischen Emanzen auch noch auffällt, sind Frauen, die sich als Männer verkleiden (müssen). Wer hat eigentlich damit angefangen?


    Schon die Theaterdichter im 16. Jahrhundert (Shakespeare lässt grüßen).


    Das war ein ungemein beliebtes Thema (man kann sich denken warum: Frauen in Hosen!). Aber in realitas gab es das nicht allzu häufig. Frauen wie Anne Bonny und Mary Read waren sicher eine große Ausnahme, auch wenn es schon einige Frauen gab, die sich mit Handelsgeschäften befassten.


    Sie mussten dafür nicht unbedingt zäh oder durchsetzungsfähig etc. sein, sondern das richtige Umfeld haben und auch Interesse sowie Geschick für den jeweiligen Bereich mitbringen. Mitgemischt in den Läden ihrer Männer haben Frauen sowieso damals wie heute, ganz einfach, weil es notwendig war (und billiger als Personal).


    Man darf auch nicht vergessen, dass Frauen zu anderen Zeiten längst nicht so versessen auf Karriere und eigenen Beruf waren wie wir das heute selbstverständlich annehmen. Die Denke war eine andere. Wenn man aufwächst und gewöhnt ist, dass man als Frau keine Lehre macht oder sonst eine Ausbildung, dann ist das der Normalzustand, der nur von einer Minderheit in Drage gestellt wird. Es gibt ja selbst heute noch Frauen, die sich darauf einrichten, zu heiraten, Kinderlein großzuziehen und dem Mann, der alle versorgt, Essen und Schlappen zu bringen.


    So, wie das Frauenbild oft in den Romanen dargestellt wird, ist es wahrscheinlich nicht gewesen. Fiktive Historie. Ein Endlos-Thema.
    Und am schlimmsten wird Historie sowieso in den Nackenbeißern verhackstückt. Das müsste eigentlich Fantasy heißen.


    :rolleyes

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



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    (Danny Kaye) :flowers


  • Hallo,


    beim Theater zu Shakespeares Zeiten hatte das einen zusätzlichen, ironischen Effekt, da diese Rollen ja von Knaben gespielt wurden. Die gesellschaftliche Realität sollte da sicher nicht dargestellt werden.


    Die historischen Emanzen-Romane machen aber meistens klar, dass ihre Heldinnen Ausnahmen sind und die übrigen Frauen sich eben nicht unbedingt so verhalten wollen oder können. Auch Ehefrauen konnten durchaus Macht haben, waren vielleicht das heimliche Oberhaupt der Familie.


    Wie die erfolgreichen Frauen der Vergangenheit zu ihrem Erfolg kamen, ist Spekulation. Man weiß ja nicht wirklich, was sie gedacht haben, ob sie es planten oder durch Umstände in diese Rolle gedrängt wurden. Ein bisschen Willen und persönlicher Ehrgeiz scheint mir aber wahrscheinlich, denn ganz ohne eigenes Zutun erreicht der Mensch selten etwas.


    Was die Nackenbeißer betrifft, stimme ich dir zu. Die sind unrealistisch. Meiner Meinung nach in erster Linie durch die sehr klischeehafte, kitschige Darstellung von Liebe. Da ist die Zeit, in der das spielt, eigentlich unwichtig.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von Alice Thierry
    Fiktive Historie. Ein Endlos-Thema.


    Hallo Alice,


    da ist sogar kürzlich ein Fachbuch erschienen, unter anderem zu diesem Thema (ich durfte mitmachen, jippieh :-) ). In einem Kapitel des Buchs geht es um Fiktionen im Geschichtsbewußtsein. Untertitel: Wie Legenden und Mythen das Bild von vergangener Wirklichkeit beeinflussen können.


    Sabine Horn, Michael Sauer (Hrsg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Ist bei UTB erschienen. Weitere Themen im Buch: Historische Romane, Historische Spielfilme, Fernsehdokumentationen, Historische Kinder- und Jugendliteratur, sogar Computerspiele.


    Herzlich,


    Titus


    P.S.: Wenn wir schon mal bei den Universitäten sind, an der Freien Universität Berlin veranstaltet mein ehemaliger Fachbereich gerade eine Vorlesungsreihe zum historischen Roman. Ich kopiere es einfach mal hier rein.


    --


    Im Rahmen des Programms „Offener Hörsaal“ der Freien Universität Berlin startet am 14. April 2009 die Vorlesungsreihe „Der historische Roman zwischen Kunst, Ideologie und Wissenschaft“. Zum Auftakt hält Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber von der Universität Augsburg einen Vortrag zum Thema „Ambivalente Dynamiken: Historische Grundlagen gegenwärtiger geschichtswissenschaftlicher Darstellungsformen“. Der Besuch der Vortragsreihe ist kostenfrei, eine Anmeldung nicht erforderlich.


    Zu den markanten Merkmalen des gegenwärtigen Literaturbetriebs zählt die verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber historischen Romanen, seien es Neuerscheinungen oder adaptierende Übersetzungen von Klassikern, seien es neu eingelesene Hörbucher oder Literaturverfilmungen. In dieser Vorlesungsreihe beschäftigen sich französische und deutsche Kultur- und Literaturwissenschaftler in Fallstudien mit aktuellen und älteren, mit bekannten und neu zu entdeckenden historischen Romanen. Auch historische Grundlagen gegenwärtiger geschichtswissenschaftlicher Darstellungsformen, Literarizität historischer Romane, kontrafaktische Geschichte sowie die Kunst, Methode und Wahrheit in der Geschichtsschreibung stehen im Mittelpunkt des Interesses.


    Ort und Zeit:


    * Dienstags, 18.00 bis 20.00 Uhr
    * Gebäudekomplex Habelschwerdter Allee 45, Raum KL 25/134, 14195 Berlin-Dahlem
    (U-Bhf. Dahlem-Dorf oder Thielplatz, U3; Bus 110, M 11, X 83, X 11)


    Das Programm im Internet:


    www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi


    Termine und Themen:


    * 14. 04. 2009 Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber (Universität Augsburg)
    Ambivalente Dynamiken: Historische Grundlagen gegenwärtiger geschichtswissenschaftlicher Darstellungsformen
    * 21.04.2009 Dr. Anne Kwaschik (Paris)
    „Zuweilen musste ich vergessen, daß ich eine Frau war“. Artemisia Gentileschi, Anna Banti, Susan Sontag oder die Geschichte außergewöhnlicher Frauen
    * 28.04.2009 Prof. Dr. Richard Faber (Freie Universität Berlin)
    Cäsarismus – Bonapartismus –Faschismus. Zur Rekonstruktion des Brechtschen „Cäsar“-Romans
    * 05.05.2009 Prof. Dr. Jens Flemming (Universität Kassel)
    Kriegsromane als Zeit- und Gesellschaftsromane. Arnold Zweig und der „Große Krieg der weißen Männer“
    * 12.05.2009 Prof. Dr. Gerhard Bauer (Freie Universität Berlin)
    30 Jahre Krieg: Dicht, streng, hell. Zu Ricarda Huch und vier Anderen
    * 19.05.2009 Dr. Helmut Hanko (München)
    Leo Perutz’ „Nachts unter der steinernen Brücke“ – historischer Roman oder Kaiser Rudolf II. Kunst- und Wunderkammer?
    * 26.05.2009 Prof. Dr. Margarete Zimmermann (Freie Universität Berlin)
    Geschichte im Medium von Gegenwartsliteratur. Annie Ernaux, «Les Années» (2008)
    * 02.06.2009 PD Dr. Ina Ulrike Paul (Freie Universität Berlin)
    „Ich wollte schreiben wie ein verrückt gewordener Historiker“ – Daniel Kehlmann und „Die Vermessung der Welt“
    * 09.06.2009 Prof. Dr. Karin Bruns (Universität Linz, Potsdam)
    Der Baader-Meinhof-Komplex in Film und Literatur
    * 16.06.2009 Prof. Dr. Erhard Schütz (Humboldt-Universität zu Berlin)
    Kontrafaktische Geschichtsschreibung zum NS in Romanen nach 1945
    (Achtung: Beginn 18.30 Uhr)
    * 23.06.2009 Prof. Dr. Jörn Rüsen (Universität Witten-Herdecke)
    Kunst, Methode und Wahrheit in der Geschichtsschreibung
    * 30.06.2009 Prof. Dr. Christine de Gemeaux ( Universität Tours)
    Über Marguerite Yourcenars Roman „Die schwarze Flamme“ (L’OEuvre au noir)
    * 07.07.2009 Dr. Andreas Pfersmann (Paris, Universität Tahiti)
    Die Fußnoten im Roman der Gegengeschichte. Über Chamoiseau und Roa Bastos
    * 14.07.2009 Prof. Dr. Dr. mult. Otto Gerhard Oexle (MPI und Universität Göttingen)
    Claude Simon – und „wie es eigentlich gewesen“


    Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
    Dr. Ina Ulrike Paul, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin,
    Telefon: 030 / 838-54528,
    E-Mail: papu@zedat.fu-berlin.de

  • Zitat

    Original von Siorac
    Katerina : Kannst Du mal ein paar dieser zahlreichen historischen Beispiele nennen? Würde mich interessieren...


    Ich hab mir die, über die ich bei Recherchen nebenbei gestolpert bin, leider nicht notiert, weil ich es wie gesagt kaum noch wagen würde, dieses Motiv aufzugreifen.
    Deshalb fallen mir jetzt so auf Anhieb auch nur die üblichen Verdächtigen ein: Anne Bonny, Catalina de Erauso, Nadeschda Andrejewna Durowa, "Anastasius" Lagrantinus Rosenstengel. In den Befreiungskriegen sollen 22 Fälle von Frauen bekannt geworden sein, die als Soldaten kämpften. Das Verbot in vielen Kulturen, dass Frauen keine Männerkleidung tragen dürfen, hätte sicher nicht bestanden, hätte es solche Fälle nicht gegeben.

  • Ich muss gestehen, obwohl ich Geschichte studiere, mich auch in der Freizeit gerne damit auseinandersetze und auch später hoffentlich bei vielen meiner Schüler Interesse wecken kann, habe ich bisher so gut wie keine historischen Romane gelesen. Angelesen, ja. Aus der neuen Geschichte war auch mal das ein oder andere dabei und manchmal schwingt der Hintergrund ja einfach so mit. Aber anderersets habe ich irgendwie "Angst" davor, dass ich dann enttäuscht werde, weil ich weiß, dass es anders war. Wenn ich was zu Geschichte lesen will, nehm ich mir das ein oder andere Sachbuch, die sind in der Regel wahr(er) und fundiert(er), aber auch interessant(er). ;-)


    Es ist zwar kein historischer Fahler, aber allein schon "Vom Winde verweht": Während sich alle freuen, dass der Krieg bald zuende ist und ich hoffe, dass bald ein anderer Ton angeschlagen wird und dieselbe Leier nicht so weitergeht, taucht da das Jahr 1863 auf. Ich habe im selben Moment jegliche Lust am Weiterlesen verloren, weil ich weiß, dass es genauso weitergeht, es kommen ja noch 3 Jahre.


    Ich bin wahrscheinlich zu ängstlich für die vielen "tollen" historischen Romane... da bleib ich lieber beim Fantasy, da muss ich mich nicht über Verdrehungen und Irrtümer aufregen... :-)

  • Zitat

    Original von Zaniah
    Wenn ich was zu Geschichte lesen will, nehm ich mir das ein oder andere Sachbuch, die sind in der Regel wahr(er) und fundiert(er), aber auch interessant(er). ;-)


    Ich bin wahrscheinlich zu ängstlich für die vielen "tollen" historischen Romane... da bleib ich lieber beim Fantasy, da muss ich mich nicht über Verdrehungen und Irrtümer aufregen... :-)


    Hallo,


    wer wirklich nur fundierte Tatsachen lesen will, sollte auch bei Sachbüchern bleiben, obwohl mir bei den Recherchen zu meinen historischen Romanen immer wieder auffällt, dass sich die Historiker in vieler Hinsicht auch uneinig sind und manchmal ganz schön herumspekulieren. Hat denn nicht jede Zeit auch ein anderes Geschichtsbewusstsein, sprich nimmt vergangene Epochen anders wahr?


    Ich sehe einen historischen Roman in allererster Linie als Roman, erwarte lebendige Charaktere und eine fesselnde Handlung. Allzu unglaubwürdig sollte der historische Hintergrund nicht sein, aber ehrlich gesagt bin ich da tolerant, solange das Buch gut ist.


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Hallo Alice,


    da ist sogar kürzlich ein Fachbuch erschienen, unter anderem zu diesem Thema (ich durfte mitmachen, jippieh ). In einem Kapitel des Buchs geht es um Fiktionen im Geschichtsbewußtsein. Untertitel: Wie Legenden und Mythen das Bild von vergangener Wirklichkeit beeinflussen können.


    Hallo Titus,


    herzlichen Dank für den interessanten Input. In Berlin müsste man wohnen. :-)



    @ Tereza


    Bei der Popularität von Theaterstücke mit Hosenrollen für Frauen meinte ich eigentlich deren Aufführungen zu einer Zeit, zu der Frauen auch auf der Bühne standen. Da der gute Schüttelspeer aber schon um einiges früher derartige Stücke zu Papier gebracht hatte, wurden diese nun umso dankbarer umgesetzt.


    Ein Roman sollte natürlich nicht in ein Sachbuch ausarten und mit Fakten überladen sein, hinter denen die eigentliche Geschichte verschwindet, aber die Essentialia einer Zeit sollten schon korrekt wiedergegeben werden. Oft sind es gerade die kleinen Details, die den Reiz eines historischen Romans ausmachen und ihn so überzeugend wirken lassen. Ich persönlich freue mich häufig mehr die Verwendung von zeitgenössischen Ausdrücken als z.B. eine detailgenaue richtige Darstellung der Schlacht von Trafalgar.


    Manchmal sind es auch nur einzelne Passagen, die stören. Zum Beispiel, wenn seitenlang der historische Hintergrund oder Örtlichkeiten reiseführermäßig präsentiert werden. Solche Informationen kann man leichter verdaulich und unterhaltsamer vermitteln.

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    (Danny Kaye) :flowers

  • Ich bin gestern zufällig auf diesen spannenden Thread gestossen. Nachdem mich gestern den ganzen Abend das Problem der Authezität nicht losgelassen hat, nun meine Gedanken dazu.


    Als Geschichtsstudentin, die von der frühen Neuzeit und dem Mittelalter wenig Ahnung habe, habe ich größte Hochachtung mit Leuten, die sich ernsthaft mit dieser Epoche beschäftigen, Hochachtung deshalb, weil man sich um diese Epochen auch nur ansatzsweise zu verstehen, in ein vollkommen anderes Gedankengebäude, in eine unglaublich fremde Weltsicht einfinden muss. Obwohl die Quellen aus der Zeit zum Teil die gleichen Begriffe und eine ähnliche Sprache benutzen wie wir heute, bedeuten ihnen diese Begriffe in vielen Fällen, was vollkommen anderes. Das betrifft nicht nur abstrakte Vorstellungen wie Kirche, Staat, etc, sondern auch ganz alltägliche Worte wie Angst oder Mutter.


    Aus diesem Grund passen eigentlich die Anforderungen von Unterhaltungsliteratur und zumindest die Epochen vor der Aufklärung grundsätzlich nicht zusammen. Unterhaltungsliteratur baut ja grundsätzlich auf den Faktor der Identifikation auf, was hunderte von Rezensionen bei den Buchereulen, in denen das Kriterium "Kann ich mich in die Figuren eindenken? Sind sie mir sympathisch und verständlich?" eine entscheidende Rolle spielt, bestätigen. Ein authentischer, historischer Roman ist eigentlich nur im Bereich der absoluten Höhenkammliteratur denkbar, weil der Effekt ungeheuerlich befremdend wäre. Spontan fällt mir nur ein solcher Roman ein (was nicht heißen soll, dass es keine anderen gibt...), und zwar " Rub Al-Khali Leeres Viertel" von Michael Roes, ein Buch, was von der Wissenschaft mit Begeisterung aufgenommen wurde, aber selbst in diesem doch anspruchsvollen Forum keinerlei Spuren hinterlassen hat.


    Authentische historische Unterhaltungsliteratur ist deshalb fast eine Unmöglichkeit, weil sie von der völlig ahistorischen Annahme ausgehen, dass Menschen universell annähernd gleich fühlen, wahrnehmen und denken.

  • Zitat

    Original von blaustrumpf
    ...
    Woran merkt eigentlich die geneigte Leserin/der geneigte Leser, ob ein Buch gut recherchiert ist? Gut, eine Kartoffel, deren umstrittener Besitz schlussendlich zum Auslöser der Schlacht im Teutoburger Wald wird, da werden wohl die meisten helllesig.
    ...


    Andererseits, wenn das der einzige Schnitzer ist, der Autor/in passiert ist und das Buch als Ganzes sehr unterhaltsam ist und / oder mich überzeugt, werde ich Autor/in daraus sicher keinen Strick drehen. Vielleicht bringe ich den Punkt in einer Rezension zur Sprache (wenn er mir überhaupt aufgefallen ist), aber die Rezension wird trotzdem positiv sein.


    Eine Kleinigkeit lässt sich verzeihen, kritisch wird es erst, wenn es von solchen Kleinigkeiten nur so wimmelt oder diese einfach nur nerven.


    Obwohl, manchmal können solche Schnitzer auch lustig sein, so z. B. in einem Roman zur Zeit des Kaisers Vespasian, wo die Protagonistin regelmäßig bei einem Griechen griechischen Salat ist, weil sie Angst um ihre Figur hat. (Hätte ich diesen Roman als Ganzes nicht langweilig gefunden, hätte ich diesen Schnitzer mit einem Augenzwinkern abgetan.)


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    ...
    Aber was ist, wenn mal ein Datum im Roman ein anderes ist, als in meinem Unterstufengeschichtsbuch abgedruckt wurde? Ist das dann schlampige Recherche? Oder ist es eventuell dem julianischen Kalender geschuldet, der in Russland die Oktoberrevolution stattfinden lässt, während es in Westeuropa bereits November ist? Mit anderen Worten: Woran genau soll ich merken, ob ein Roman gut recherchiert ist
    ...


    Gerade in solche Fällen kann es für Autor/in vorteilhaft sein, wenn er/sie im Nachwort darauf eingeht und damit für Leser/in auch nachvollziehbar macht, welchen Quellen er/sie gefolgt ist bzw. wo er/sie bewusst Veränderungen vorgenommen hat. Günstig sind auch Literaturangaben, die Leser/in vielleicht auch zur näheren Beschäftigung mit einem historischen Stoff ermuntern können.


    Denn letztlich kann jede/r Autor/in behaupten, dass er / sie toll recherchiert hat, wichtiger ist für mich, dass auch durch die Geschichte, die er / sie erzählt, indirekt bestätigt wird. Selbst eine fundierte, tolle Recherche bringt nichts, wenn ihre Ergebnisse sich nicht auf das Buch ausgewirkt haben. Ist das nicht der Fall, kann sich Autor/in diese Behauptung eigentlich sparen.


    Allerdings kann es auch für Leser/innen wie mich auch interessant sein, wenn Autor/in das Nachwort oder Vorwort dazu nutzt, zu erklären, warum Recherchearbeit letztlich für den Roman nicht verwendet wurde.
    -------------------


    Wie kann ich nun überprüfen, ob ein Roman die Ansprüche auf seine Historizität, mit denen er von Autor/in und Verlag vermarktet bzw. beworben wurden, tatsächlich erfüllt?


    Wichtig ist, ob der Roman die Erwartungen, die bei mir geweckt wurden und weswegen ich ihn gelesen habe oder zu lesen versuchte, erfüllt hat.


    Wenn der Roman z. B. eine Liebesgeschichte zurzeit der Rosenkriege (zw. Richard III. und Anne Neville) verspricht, werde ich sicher weniger historische "Authentizität" erwarten (und einfordern9, als wenn mir die "wahre Geschichte von Richard III. vom historischen Starautor XY, ein packendes Historienepos, genau recherchiert" "versprochen" wurde.


    Was ich eher für unnötig halte, ist eine Internetrecherche, um die historische Authentizität eines Romans zu überprüfen.
    Abgesehen davon, dass im Internet eine ganze Menge von angeblichen Fakten zu finden ist, die unrichtig oder nur Blödsinn sind, ist doch zu erwarten, dass ein/e clevere/r Autor/in bzw. Verlag das auch selbst gemacht hat (Vielleicht die einzige Recherche.) (Besonders wenn er / sie da etwas zu verbergen haben sollten ...)


    Was die "Überprüfung" betrifft, wenn ich mir das überhaupt antue, empfiehlt sich, aktuelle Literatur zu dem Thema, die quellenfundiert ist. Ein guter Gradmesser für die Qualität die Historizität eines historischen Romans sind übrigens die Nebenhandlungen sowie die Neben- und Randfiguren.


    Zitat

    Original von blaustrumpf
    ... Problematisch ist es für mich eher, wenn das "historische Setting" nur Staffage ist ...


    Wenn nur das in der Buchbeschreibung / Bewerbung von Autor/in und Verlag angekündigt wird, ist nichts dagegen einzuwenden.


    Zitat

    Original von blaustrumpf... Aber feigen Etikettenschwindel, den mag ich nicht. ...


    Wenn Autor/in und / oder Verlag so etwas machen, sind sie bei mir unten durch, denn das ist Betrug.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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