Pseudonym und Vita - Wo liegen die Grenzen?

  • Hallo zusammen.


    Ich stimme Tom zu. Die Figuren sind es, mit denen der Leser sich identifizieren soll. Er soll mit Lachen und weinen, lieben und hassen ...


    (ACHTUNG! SATIRE UND KEIN ERNSTZUNEHMENDER ANGRIFF!)


    Allerdings ist es mit den Vitae so eine Sache.
    Wenn man sich da mal ein wenig umschaut, scheint es gar keine Bäcker, Taxifahrer oder andere Berufssparten zu geben, in denen geschrieben wird?
    Alles Akademiker, meist in einem Genre, einer Nische, die sie rein zufällig auch (an)studiert haben. Und wenn nicht, ein freiwiliges Jahr als Entwicklungshelfer in Afrika, oder ein halbes Leben als Globetrotter scheinen auch recht hilfreich zu sein ;-)


    Sicher, es gibt Ausnahmen. Aber die sind reichlich rar gesät, und bevölkern die meisten Bücherlisten wenig bis überhaupt nicht.


    Ein Schelm, der böses dabei denkt :grin


    Schelmische Grüße


    Dirk67
    (den die Vita eiines Autoren überhaupt nicht juckt, solange die Geschichte fesselnd erzählt ist und es kein Sachbuch sein soll)

  • Trotzdem fühlt sich eine gefälschte Vita für mich wie Betrug an.
    Wenn ich mir beim Bäcker einen Kuchen kaufe, weil der sich königlicher Kuchen-Hoflieferant nennt ist, kann er sich ja nicht damit rausreden, dass egal sei, wie er sich nennt, immerhin habe der Kuchen mir ja geschmeckt.


    Außerdem ist die Vita eines Autors für mich tatsächlich Kaufkriterium, diese vielleicht arrogant klingende Einstellung erlaube ich mir. Leidvolle Erfahrung habe ich da bei den Kinderbüchern gemacht. 95% der Bücher von Autorinnen, die Hausfrau und Mutter sind und auf einem Dorf in der Nähe von Passau wohnen, sind Schrott (meine Mutter schafft es immer, genau diesen Schrott zu finden und meinen Kindern zu schenken ;-(). Vor weiterem Schrott bewahrt mich da ein Blick in die Vita, so die denn stimmt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Hi DraperDoyle.


    Nein, arrogant wirkt diese Einstellung auf mich nicht.
    Eher ernüchternd.


    Ein einfacher Typ wie ich, mit einem Leben von der Stange ohne Studium oder Weltumseglung oder ähnlich "fundierten Lebenserfahrungen", könnte dir also nie einen Science Fiction Roman verkaufen? Oder einen Thriller? Oder einen Krimi?


    Fragend, ratlos und erstaunt


    Dirk67


    Edith
    Tippfehler korrigiert

  • Wie würdet ihr den darauf reagieren, wenn ihr mitbekommt der tolle Thrillerautor mit dem Supipseudonym ist in Wirklichkeit der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Berlin und nicht etwa pensionierter Polizist, sondern aktiver Rassist? Einem Herrn Wagner seine Musik kann ich gerade noch anhören und mir sagen r war Kind seiner Zeit- aber eigentlich möchte ich schon wissen wofür ich mein Geld ausgebe, wenn ich ein Buch kaufe.


    Und wenn auf dem Buchdeckel steht der Autor war dreissig Jahre angestellter Anstreicher und hat dabei viel Lebenserfahrung gewonnen und aus den kleinen Geschichten am Rande nun Krimis geschrieben- so what, wenn die gut sind? Frau Rowling hat mit der Dreiviertelswahrheit als gewesene Sozialhilfeempfängerin in ihrer Vita keine Abstossungseffekte hervorgerufen.

  • Also Science Fiction ganz sicher nicht, aber nur weil ich die nicht lese ;-)


    Bei Krimis bin ich nicht ganz so wählerisch, lese sogar Regionalkrimis aus seltsamen Verlagen oder isländischen Mist, da gucke ich sogar nicht mal auf die Vita, aber mal ehrlich: richtig gute Bücher sind da selten dabei, meist ist das mittelmäßiges Zeug, das zum Chillen auf dem Sofa reicht, mehr aber auch nicht.


    Definitiv könntest du mir keinen zeitgenössischen Roman über die Maori verkaufen, keine norwegische Familiengeschichte und keinen Wissenschaftsthriller, wenn du Krankenschwester in Pirna bist. Und zwar weil ich denke, dass auch für das Schreiben eine gewisse "Ausbildung" notwendig ist, wie für alle anderen Berufe auch. Und die kriegt man bei der Arbeit im Krankenhaus nur bedingt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von beowulf
    Und wenn auf dem Buchdeckel steht der Autor war dreissig Jahre angestellter Anstreicher und hat dabei viel Lebenserfahrung gewonnen und aus den kleinen Geschichten am Rande nun Krimis geschrieben- so what, wenn die gut sind?


    Hast du so was schon mal gelesen? Meine ganz persönliche Lebenserfahrung sagt mir, dass literarisch wertvolle Anstreicher sehr selten sind.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von beowulf
    Wie würdet ihr den darauf reagieren, wenn ihr mitbekommt der tolle Thrillerautor mit dem Supipseudonym ist in Wirklichkeit der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Berlin und nicht etwa pensionierter Polizist, sondern aktiver Rassist? Einem Herrn Wagner seine Musik kann ich gerade noch anhören und mir sagen r war Kind seiner Zeit- aber eigentlich möchte ich schon wissen wofür ich mein Geld ausgebe, wenn ich ein Buch kaufe.


    100% Zustimmung und :write meinerseits!



    Zitat

    Original von DraperDoyle
    Definitiv könntest du mir keinen zeitgenössischen Roman über die Maori verkaufen, keine norwegische Familiengeschichte und keinen Wissenschaftsthriller, wenn du Krankenschwester in Pirna bist. Und zwar weil ich denke, dass auch für das Schreiben eine gewisse "Ausbildung" notwendig ist, wie für alle anderen Berufe auch. Und die kriegt man bei der Arbeit im Krankenhaus nur bedingt.


    Ah, okay. Jetzt verstehe ich deinen Standpunkt.
    Also eher in die Richtung: "Schuster, bleib bei deinem Leisten."


    Aber ist die beste Ausbildung denn nciht die, die das Leben gibt?
    Hatte Crichton soviele Titel, dass er etliche Romane, wissenschaftlich fundiert und gut recherchiert auch umsetzen konnte?


    Ich frage jetzt aus reiner Neugier, denn auch ohne eine entsprechende Ausbildung kann man ja Fakten recherchieren.
    Denn ganz eng gesehen dürfte nach deiner Meinung nur der einen Krimi schreiben, der auch schonmal kriminell war, oder bei der Polizei, aber niemals ein Justizvollzugsbeamter, der etliche wahre Storys in seinem Beruf hört.


    Sehe ich da was vollkommen daneben?


    Immer noch ratlos,
    Dirk67


    (der jetzt zum Brötchenjob muss, der stinklangweilig ist ;-))

  • Es kommt wohl auf die Art an, wie man liest. :gruebel


    Nehmen wir mal einen klassischen Krimi: Wer war's? Da brauche ich keine extravagante Mordmethode, die noch nie da war, und auch kein besonders kreatives Motiv. Es ist mir aber auch egal, ob der Fall nun realistisch ist oder nicht.
    Wichtig ist, dass die Personen, die handeln, für mich glaubwürdig sind. Und das werden sie nicht dadurch, dass sie echt sind, weil, sagen wir, der Autor Gefängniswärter war und genauso einen Typen mal kennengelernt hat, sondern dadurch, dass er es schafft, ihn so zu beschreiben, dass ich ihm diesen Kerl abnehme. Da mag ein in diesem Fall Mörder auch bis ins Kleinste ausgedacht sein, wenn der Autor es nicht schafft, dieses Gedankenkonstrukt in Sprache zu verwandeln, kann nur ein schlechter Krimi, wie originell er auch sein mag, bei rauskommen.
    Das ist viel schwieriger, als sich eine Geschichte auszudenken. Und Übung, sei es durch Journalismus oder andere Schreibberufe, hilft sicherlich, eine Geschichte in einen Roman zu verwandeln. Das ist das Handwerk.


    Andererseits gibt es natürlich auch Fälle, wo Autoren gerade aus dem akademischen Bereich, Krimis schreiben, in denen gerade Sprache, Aufbau, Handlungsstränge ganz vorbildlich daherkommen, allerdings die Story derartiger Quark ist, dass es auch wieder keinen Spaß macht.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    ... Leidvolle Erfahrung habe ich da bei den Kinderbüchern gemacht. 95% der Bücher von Autorinnen, die Hausfrau und Mutter sind und auf einem Dorf in der Nähe von Passau wohnen, sind Schrott (meine Mutter schafft es immer, genau diesen Schrott zu finden und meinen Kindern zu schenken ;-(). Vor weiterem Schrott bewahrt mich da ein Blick in die Vita, so die denn stimmt.


    OT:
    Gibts diese Autorin wirklich oder war das nur so eine Redensart? :gruebel

  • Zitat

    Original von Jasmin87


    OT:
    Gibts diese Autorin wirklich oder war das nur so eine Redensart? :gruebel


    Eines der schrecklichsten Kinderbücher, dass ich je erlebt habe, war von einer solchen Autorin. Allerdings weiß ich nicht mehr genau, ob's Passau war, irgendwo in Bayern jedenfalls.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • hm :gruebel


    wenn ich weiß, dass der Autor/in unter Pseudonym schreibt, ist mir die Vita schnurze.


    Aber, wenn sich der "wirkliche" Autor zu Erkennen gibt, entscheiden seine Vita, sofern vorhanden, und die ersten zehn Seiten (zusammen mit Klappentext)
    ob Kauf oder Nichtkauf.


    Hat er/sie eine interessante Vita, lese ich mit anderen Augen. Das betrifft wohl jeden, der nicht nur Lesefutter konsumiert, sondern sich mit der Problematik der story versucht auseinander zu setzen.


    Hier liegt wohl die Crux. Fast food oder Erlebnis. Eintagsfliege, oder nachhaltige Spannung mit Grübeleffekt.


    euer hef

  • Zitat

    Original von Dirk67
    Ich frage jetzt aus reiner Neugier, denn auch ohne eine entsprechende Ausbildung kann man ja Fakten recherchieren.
    Denn ganz eng gesehen dürfte nach deiner Meinung nur der einen Krimi schreiben, der auch schonmal kriminell war, oder bei der Polizei, aber niemals ein Justizvollzugsbeamter, der etliche wahre Storys in seinem Beruf hört.


    Naja, wie immer ist das keine Schwarz-Weiß-Linie.
    Meiner Meinung nach bedarf es zweierlei Dinge - ein gewisses Maß an Lebenserfahrung, um glaubwürdige Charaktere zu erschaffen, die logisch handeln. Hier ist es natürlich von Vorteil, wenn der Autor viel gesehen und viel erlebt hat ... aber ich glaube, insbes. aus Lesersicht spielt das kaum eine Rolle, ob nun in der Vita drinsteht, der Autor hat als Archäologe, Blackwater-Söldner und zuletzt als Wandermönch die ganze Welt bereist.


    Andererseits empfinde ich es aus Leserperspektive bei gewissen Genres als Vorteil, wenn der Autor aus erster Hand weiß, wovon er schreibt. Als Autor übrigens auch :grin. Wenn man nicht selber im Metier drinsteckt(e), über das man schreibt, kommt man nicht im Traum drauf, welche Wendungen die Handlung nehmen könnte, oder welche Details von Bedeutung sind ... die dann plötzlich handlungsrelevant werden. Weil man überhaupt nicht weiß, wonach man recherchieren muss. Ich kann versichern, es gibt einen signifikanten Unterschied zwischen Thrillerautoren, die mal selber im US-Militär oder irgendeinem Nachrichtendienst waren (weil deren Thriller eine so fesselnde Dichte und so beängstigende Glaubwürdigkeit aufweisen, dass man sich die Lippen wundbeißt, während man fieberhaft umblättert) und solchen, die es nur aus dem Fernsehen und theoretischer Recherche kennen (da kommt dann gern mal eine zwar unterhaltsame, aber reichlich cartoonhafte Abenteuer-Klamotte raus, selbst wenn sie gut geschrieben ist).



    Aber zurück zum eigentlichen Thema, Pseudonym und Vita:
    Als Leser kann ich nur sagen, ganz ehrlich, ich lese die Vita, wenn ich das Buch fertiggelesen habe, und der Inhalt derselben beeinflusst mein zukünftiges Kaufverhalten nicht im Geringsten. Sondern nur der Inhalt des Buches. Ob da steht, der Typ war 3 Jahre im CIA und hat nen schwarzen Gürtel im Karate (dann denke ich - wow, kein Wunder, dass der wusste, wovon er schreibt). Oder ob da steht, er lebt mit seiner Frau und drei Hunden in Hamburg und isst gerne Würstelbraten (dann denke ich: nichts. Und blättre weiter). Ist mir egal. Wirklich.


    Aus Verlagssicht verstehe ich den Wunsch, eine Marke aufzubauen und da gilt natürlich das Gesetz, dass man eine Marke nicht verwässern sollte.
    Also wird für ein neues Genre oft ein neues Pseudonym gewählt.
    Ich finde es gut und sinnvoll, wenn man das in der Vita erwähnt - viele machen das, direkt im Buch. Also z.B. Ingrid Schmidt, die Autorin dieses Historienschinkens, schreibt unter Pseudonym Kinderbücher und Erotik. Und dann guckt der Leser auf ihrer Webseite, wie die Pseudonyme lauten und sie kriegt vielleicht sogar ein paar Querverkäufe für ihre anderen Titel.


    Aus Autorensicht - sage ich, wozu die Aufregung?
    Ob mit Pseudonym oder ohne, Geschmackssache. Bestimmte Genres würde ich aus geschäcklerischen Gründen unter eigenständigem Pseudonym schreiben (Erotik oder Heftchenromane z.B. sind da Kandidaten).
    Ich persönlich glaube, dass mehrere Genres unter einem gemeinsamen Namen kein Problem sind, es gibt genug Autoren, die das tun.
    Andere splitten es auf - auch recht.
    Bei der Vita sage ich ganz pragmatisch, man kann alles machen, solange man sich nicht damit schadet. Und darunter fällt auch, dass man sich allzu abenteuerliche Erfindungen vielleicht schenken sollte, sonst schreibt am Ende jemand, der die Schwindelei entdeckt hat, einen gehässigen Artikel darüber, und sowas ist nicht so angenehm.
    Dann lieber vornehme Zurückhaltung üben, wenn man den beruflichen Hintergrund oder Herkunftsort für unpassend zum Buch hält.
    Man kann statt der Nennung des Wohnorts und Berufs auch schreiben, dass es sich um einen deutschen Autor mit einer leidenschaftlichen Liebe für Schottland handelt, der Schafswollpullis mag und beim Serien-Gucken saure Süßigkeiten lutscht. Fertig. Klingt lustig, sagt nichts aus, der Leser ists zufrieden.



    LG
    Andrea

  • Zitat

    Original von Jasmin87


    OT:
    Gibts diese Autorin wirklich oder war das nur so eine Redensart? :gruebel


    Ja leider, die gibts auch in der Version Hausfrau und Mutter, die in einem Dorf in der Nähe von Nashville, Tenessee wohnt.
    Die schreiben dann meistens unerträglich schlechte Liebesromane. Oder Liebeskitschvampirromane. Oder Liebeskitschpiratenvampirromane. Bei denen die HeldINNEN so strunzblöd sind, dass man sie ununterbrochen ohrfeigen möchte. Und die Prinzen auf dem weißen Ross, die den feuchten Träumen besagter Autorinnen entstammen, so unerträglich liebevoll und verständnisvoll und selbstaufopfernd sind, dass einem schlecht wird. Selbst wenn sie versuchen, ein Bad Boy zu sein. Wo sie nicht so wirklich wissen, wie das geht.

  • Sodele, frisch vom Kurzdienst kommend sehe ich die Lage etwas deutlicher.


    Ich verstehe allmählich die Aufregung seitens der Leser und die Bemühungen der Verlage, was Pseudonyme und Vitae angeht. Ich drösel das für mich mal auf, wie ich das jetzt glaube zu verstehen


    (Achtung! Augenzwinkernde Ironie!)


    Autor Y ist eine Couchpotatoe erster Klasse. Er wohnt in Wanne Eickel, seine weiteste und längste Reise waren mal 4 Wochen Gran Canaria all inclusive und er schreibt recht unterhaltsame Romane der Humorschiene auf Stammtischniveau. Autor Y schreibt so, wie ihm der (humorvolle) Schnabel gewachsen ist.
    Die Leser kaufen es ihm ab, er ist ja einer der ihren, und fertig ist.


    Autor Y will jetzt aber einen … sagen wir mal Thriller schreiben. Er kann sich gut ausdrücken und auch spannend schreiben, hat aber bisher noch nie eine Waffe in der Hand gehabt, und der letzte Ausbilder der ihn anbrüllte war der Schwimmlehrer am Beckenrand des Nichtschwimmerbereichs auf seiner alten Hauptschule.


    Und schon jammert der Verlag verständlicherweise los, dass er Autor Y ja schon als Autor Y in der Humorschiene ihres Verlags Pages for dreams aufgebaut haben! Wie könne er es da wagen, aus der Schublade auszubrechen! Die Marke würde ja verwässern. Das wäre, als würde Cola plötzlich Schnaps brauen, oder Maggi auf die Idee kommen, Tapeten ins Sortiment aufzunehmen :pille
    Entweder schreibt er den Thriller unter Pseudonym, oder gar nicht!


    Autor Y, nicht dumm, hat aber einen anderen Verlag an der Hand. Und der sagt: Wir versuchen es.
    Also schreibt er einen Thriller ohne Massenmörder, aber mit reichlich Agenten, Killern, Verfolgungsjagden und Verschwörungen. Der neue Verlag, nennen wir ihn einfach mal Vita Morgana, druckt in die Innenseite nur:
    "Autor Y lebt mit Frau und Hund in Wanne Eickel."


    Jetzt kommt aber irgendein (begeisterter?) Leser auf die Idee, seinem Idol die Hand schütteln zu wollen. Wahrscheinlich in dem Gedanken, er würde James Bond persönlich treffen, der für ihn als Leser seine Memoiren verfasst hat. Also fährt er nach langer Spurensuche nach Wanne Eickel zu unserem Autor.
    Er klingelt und erwartet ein markiges:
    "Mein Name ist Y. Autor Y."
    Ärgerlicherweise öffnet ihm aber ein Hängebauchträger mit Dreitagebart und Jogginghose vom Discounter.
    Was passiert?
    Die Glaubwürdigkeit des Autoren ist in Richtung der Körperöffnung gewandert, in die sich niemals ein Sonnenstrahl hinein verirren würde. (OP´s und monströse Flatulenzen ausgeschlossen :wow)
    Das Buch, von Lesern und Kritikern von "wohlwollend" bis "Begeistert" aufgenommen, wird plötzlich zerrissen. Wo es vorher noch hieß ...
    "Autor Y schreibt, wie Robert Ludlum träumte"
    liest man dann also ...
    "Autor Y träumt sich in eine Welt irgendwo zwischen Alarm für Döner 11 und spätpupertären Jungenträumen."


    Also bleibt es Fakt, dass ein Pseudonym sowohl Schutz, als auch "Schutzmarke" ist.
    Schutz für den Autoren vor enttäuschten Fans, Schutzmarke für den Verlag, denn wer würde z.B. schon Zahnpasta einer Firma kaufen, die zugleich auch Schokolade und Tapeten herstellt?


    Aber wie sieht es mit der Vita aus?
    Bei einer Vita zu lügen empfinde ich als schlechten Stil und absolutes NOGO.
    Da wäre es dann also besser ganz zu schweigen, wenn man über ein Thema schreibt, das man nur aus der Theorie kennt. Egal ob unter Eigennamen oder mit Pseudonym.
    Ob der Roman dann noch glaubhaft rüberkommt (von wegen Fakten, Wissen etc.) sollte erstmal egal sein.
    Dann findet man zwar nur sehr schwer einen Verlag, weil sich ein Name nur mit Infos zu dem Namen glaubwürdig verkaufen lässt, nicht mit Romanen alleine, aber das ist eine andere Baustelle, über deren Kosequenzen beim "Pfusch am Bau" man vorher ein Denkpäuschen einlegen sollte.
    Wer hier lügt oder beschönt, der muss damit leben, gebrandmarkt zu werden.


    Mein Fazit:
    Die Vita eines Autoren hat mich noch nie gejuckt, und wird es auch nie. Wenn die Geschichte gut erzählt war, lag alles in Butter bei mir. Ob da jetzt über Raketentechnik geschrieben wurde, Westentaschen-James-Bonds oder Viren im Kühlschrank. Ich wollte unterhalten werden, und nicht die Welt erklärt bekommen.
    Dafür gibt es schließlich Werbefernsehen.


    Aber sollte ich jemals einen Thriller schreiben, und sollte mir tatsächlich das Glück zuteil werden, dafür einen Verlag zu finden, wähle ich von Anfang ein Pseudonym und bitte den Verlag um folgende Auskunft im Innendeckblatt meines Romans:


    Autor Dirk67 lebt.


    Und dann geht hier irgendwann die Debatte los, wer einen Ghostwriter hat, wer noch selber schreibt, wer einen Supercomputer benutzt ... :lache


    Nachtrag:
    Ich nehme das Thema einfach nicht ernst genug, war aber einfach mal neugierig, was denn so schlimmes dahintersteckt.
    Ich werde im Alltag schon so oft mit anegblich wissenschaftlich hinterlegten Fakten und Statistiken belogen, da macht mir das mit einer falschen Vita auch nix mehr aus. Es geht hier um Unterhaltung, um Träume, um eine Flucht aus dem grauen Alltag, und nicht um die nächste Tariferhöhung.
    Ich glaube, da werde ich viel schlimmer beschissen, als bei einer getürkten oder schöngefärbten Vita ;-)

  • Zitat

    Es geht hier um Unterhaltung, um Träume, um eine Flucht aus dem grauen Alltag


    Eben nicht! Ich finde die Vorstellung abstrus, zu lesen, um dem grauen Alltag zu entfliehen!
    OK, manchmal lese ich allein zur Unterhaltung, da tut's dann auch ein mittelmäßiger Regionalkrimi. Aber es ist doch absurd, zu denken, ich fliehe aus meinem grauen Alltag in Leipzig in den grauen Alltag von Wanne Eickel.


    Ich will auch nicht in eine Traumwelt flüchten, sondern mein Hirn mit etwas so wunderbar Zweckfreiem wie Literatur beschäftigen. Das erfordert eine gewisse Qualität, die eben selten aus einem Dorf nahe Passau resp. Nashville kommt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von agu


    Ja leider, die gibts auch in der Version Hausfrau und Mutter, die in einem Dorf in der Nähe von Nashville, Tenessee wohnt.
    Die schreiben dann meistens unerträglich schlechte Liebesromane. Oder Liebeskitschvampirromane. Oder Liebeskitschpiratenvampirromane. Bei denen die HeldINNEN so strunzblöd sind, dass man sie ununterbrochen ohrfeigen möchte. Und die Prinzen auf dem weißen Ross, die den feuchten Träumen besagter Autorinnen entstammen, so unerträglich liebevoll und verständnisvoll und selbstaufopfernd sind, dass einem schlecht wird. Selbst wenn sie versuchen, ein Bad Boy zu sein. Wo sie nicht so wirklich wissen, wie das geht.


    Ich komme nun weder aus der Nähe von Passau, noch aus der Nähe Nashville.
    Aber wenn ich das lese, habe ich das überwältigende Bedürfnis, den aktuellen Roman in die Ecke zu pfeffern und mir stattdessen eine aufregende, hochtrabende und superfaszinierende Vita zu konstruieren. ?(


    Und das macht mich gerade sehr, sehr wütend.
    Hätte es meine Fähigkeiten zu schreiben in irgendeiner Weise verändert, wenn ich mich Jahre auf einer x-beliebigen Uni gelangweilt oder aufregende Weltreisen auf Kosten meiner Eltern gemacht hätte? Ich glaube kaum, auch wenn die Vita sich dann spannender läse.
    Dass man sich nun schämen muss, weil man früh Familie gründet und dadurch in den Augen einiger gleich zu einem NoGo-Autor herabsinkt, macht mich ehrlich gesagt ein bisschen sprachlos. Und sauer.

  • Mich stoert dieses Klischeegeschmeisse so fuerchterlich.
    Weltreisen werden auf Kosten der Eltern gemacht.
    Unis sind langweilig.
    Studiengaenge befaehigen zwar Aerzte zum Doktorn, aber nicht Schreibarbeiter zum Schreiben.
    Verlage sind boese und gemein und luegen.
    Lesen ist Flucht aus dem "grauen" Alltag.
    Der kleine Mann von der Strasse schreibt tapfer in Wanne-Eickel.
    Die Hausfrau in Tennessee ist doof.
    Usw.


    Das kommt mir so vor wie Kleinweltenbasteln leicht fuer jedermann, das ich schon ueberhaupt nicht lesen will, weder von Hausfrauen noch von Nobelpreistraegern.


    Ich oute mich als Snob. Das Buch des Archaeologen interessiert mich mehr als das der Hausfrau, egal, was es ist. Wenn die Hausfrau es geschrieben hat und ich's nicht merke, hat sie meinen Segen. Betruegen soll sie mich gerne, solange sie's gut macht, sie erleichtert's mir dadurch, den Vertrag, der zwischen Autor und Leser nun einmal notwendig ist, einzugehen und ihr zuzutrauen, dass sie etwas zu erzaehlen hat, das mich in irgendeiner Weise tangiert.


    Bei alledem lohnt es sich fraglos, im Gedaechtnis zu behalten, dass beispielsweise der Lebenslauf des armen Franz K. sich auf einem Klappentext auch nicht toll gemacht haette. Jedenfalls nicht, ehe wir Franz K. alle kannten und den Klappentext nicht mehr brauchten. Autorenvitae sind zweifellos ein bisschen breiter gefaechert als womoeglich die von Aerzten oder Volljuristen (aber nur ein bisschen! Und beides schliesst einander natuerlich nicht aus usw.), weshalb ich mit allzu fest sitzenden Scheuklappen vermutlich so manchen Hoehepunkt versaeume und vor allem einen Ausschnitt der Landschaft fuer die ganze Landschaft halte. Was ja so zutraeglich nicht ist.


    Trotzdem ist's mein Recht als Fuer-Buecher-Geld-Ausgeber ueberall da, wo ein Buch ohne Empfehlung kommt und Klein-Ich sich's ganz allein aussuchen muss, zu denken: Was der Rechtsanwalt aus dem Genre Gerichtsthriller macht, interessiert mich mehr, als wie's mein Versicherungssachbearbeiter anpackt (und trotzdem lieb ich Kafka, und Grisham lieb ich nicht). Oder: Was der Dozent der Literaturwissenschaftler sprachlich aus einem Kammerspiel macht, reizt mich, wie's bei meinem Fusspfleger aussieht, eher nicht so sehr.


    Wenn ich aber nach der begeisterten Beschaeftigung mit einem Buch erfahre, dass der vermeintliche Literaturwissenschaftler in Wirklichkeit als hausfraulich begabter Fusspfleger in Wanne Eickel Versicherungen betruegt, zieh' ich meinen Hut.


    Froehliches Wochenende wuenscht Charlie

  • Ich versteh schon, Charlie.
    Klischees in die eigene Richtung stören einen bloß immer ungemein mehr, als in die andere. Das geht nicht nur mir so. Ist so typisch, dass man es fast schon wieder Klischee nennen könnte.


    Was soll's. Wenn der Weg, den ich für mich gewählt habe (früh Familie zu gründen und bis dato noch nicht viel älter geworden zu sein) mich nun auf Lebzeit zum schriftstellerischen Dilettanten macht - sei es drum. Irgendwie war's das wert.
    [SIZE=7]Wenn die Kinderlosen mit Karriere in meinen letzten Satz nun hineininterpretieren, sie hätten etwas verpasst ... kann ich nichts dran ändern.[/SIZE] ;-)



    Pseudonyme und fiktive Vitas (Viten) kommen leider nicht infrage, wenn man eine gewisse Lesernähe wünscht. Da kommt das schnell raus und wird peinlich.

  • Ist nicht letztendlich egal wer ein Buch geschrieben hat? Wenn es mir gefällt dann ist die Vita der Autorin/des Autors eh unwichtig.


    Und was haben eigentlich alle gegen "schreibende Hausfrauen"? Dabei ist der Beruf der Hausfrau einer der härtesten Jobs die es gibt - und man bekommt dafür nicht einmal einen Pfennig Gehalt. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.