Daniel Kehlmann - Ruhm

  • Inhalt (Verlagsangaben):
    Ein Mann kauft ein Mobiltelefon und bekommt Anrufe, die einem anderen gelten; nach kurzem Zögern beginnt er ein Spiel mit der fremden Identität. Ein Schauspieler wird von einem Tag auf den nächsten nicht mehr angerufen, als hätte jemand sein Leben an sich gerissen. Ein Schriftsteller macht zwei Reisen in Begleitung einer Frau, deren größter Alptraum es ist, in einer seiner Geschichten vorzukommen. Ein verwirrter Internetblogger wiederum wünscht sich nichts sehnlicher, als einmal Romanfigur zu sein. Eine Krimiautorin geht auf einer abenteuerlichen Reise in Zentralasien verloren, eine alte Dame auf dem Weg in den Tod hadert mit dem Schriftsteller, der sie erfunden hat, und ein Abteilungsleiter in einem Mobiltelefonkonzern verliert über seinem Doppelleben zwischen zwei Frauen den Verstand.


    Meine Meinung:
    Wie wahrscheinlich viele habe ich gespannt auf Daniel Kehlmanns neuen Roman Ruhm gewartet. Das nächste Buch, nach einem Riesenerfolg wie Die Vermessung der Welt es war, ist immer das schwerste und sicherlich auch aus diesem Grund heißt Kehlmanns neues Buch Ruhm.
    Ich wurde nicht enttäuscht. Ein Roman in neun Geschichten nennt der Autor sein neustes Werk. Es handelt von einer Fülle sehr unterschiedlichen Personen, die aber alle miteinander sehr aussergewöhnlich und interessant sind, unter anderem kommen darin vor: ein Autor von Lebenshilfebüchern, der das Vertrauen in das Gute verliert, ein neurotischer, angstgetriebener Autor, ein Internetjunkie, eine sterbenskranke Frau und eine Krimiautorin, die auf einer Lesereise irgendwo in Zentralasien verloren geht. Hier beweist sich einmal mehr Daniel Kehlmanns große Stärke. er braucht nicht viele Worte um Situationen und Personen Leben zu geben. Und so ist sein Roman voll von absurden Situationen, ohne dass er dadurch überladen wird. Eine abgerundete Romanhandlung entwickelt sich nicht, die einzelnen Episoden sind eher lose miteinander verknüpft. Einzelne Personen und Motivketten tauchen immer mit. Dabei entfaltet Kehlmann ein gewitztes Spiel zwischen verschiedenen textuellen Realitätseben, wie so häufig bei Kehlmann bekommt der Leser die Frage nach Wahrheit und Lüge, nach Realität und Fiktion gestellt. Das ganze ist nicht allzu orginell, bei Auster und anderen hat man ähnliches schon häufiger gelesen. Ich habe beim Lesen häufiger gedacht, ach, ist die gutem alte Postmoderne jetzt auch in der deutschen Literatur entgültig angekommen. Da das Ganze sprachlich brilliant und von einer geschliffenen Eleganz ist, ist Kehlmanns Buch trotzdem sehr, sehr lesenswert!

  • Ich lese das Buch auch gerade und kann mich Clios Meinung bisher anschließen. Kehlmann hat einen interessanten Stil. Vor allem die (seine!) Geschichte der alten Dame hat mir sehr gefallen. Ich freue mich jeden Abend auf's Lesen!

  • Klappentext:


    Geschichten in Geschichten in Geschichten. Man weiß nie, wo eine endet und eine andere beginnt. In Wahrheit fließen alle ineinander. Nur in Büchern sind sie säuberlich getrennt.


    Ein Mann kauft ein Mobiltelefon und bekommt Anrufe, die einem anderen gelten, nach kurzem Zögern beginnt er ein Spiel mit der fremden Identität. Ein bekannter Schauspieler wird von einem Tag auf den nächsten nicht mehr angerufen, als hätte jemand sein Leben an sich gerissen.
    Ein Schriftsteller macht zwei Reisen in Begleitung einer Frau, deren größter Alptraum es ist, in einer seiner Geschichten vorzukommen.
    Ein verwirrter Internetblogger wiederum wünscht sich nichts sehnlicher, als einmal Romanfigur zu sein.
    Ein weltweit gelesener Esoterik-Guru steht kurz vor dem Selbstmord, eine Krimiautorin geht auf einer abenteuerlichen Reise in Zentralasien verloren, eine alte Dame auf dem Weg in den Tod hadert mit dem Schriftsteller, der sie erfunden hat, und ein Abteilungsleiter in einem Mobiltelefonkonzern verliert über seinem Doppelleben zwischen zwei Frauen Arbeit und Verstand.
    Neun Episoden, ordnen sich nach und nach zu einem romanhaften Gesamtbild: ein raffiniertes Spiel mit Realität und Fiktionen, ein Buch über Ruhm und Verschwinden, Wahrheit und Täuschungen.


    Über den Autor:


    Daniel Kehlmann, 1975 in München geboren, lebt in Wien und Berlin. Sein Werk wurde unter anderem mit dem Candide-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem WELT-Literaturpreis, dem Per-Olov-Enquist-Preis, dem Kleist-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet.
    Sein Roman Die Vermessung der Welt, übersetzt in über vierzig Sprachen, ist einer der größten Erfolge der deutschen Nachkriegsliteratur.
    (Quelle: Rowohlt)


    Meine Meinung:


    "Das alles passiert nicht wirklich," sagte sie. "Oder?"
    "Hängt von der Definition ab (...) Wirklich. Dieses Wort heißt so viel, dass es gar nichts mehr heißt."


    Das hier anklingende Problem der Definition von Wirklichkeit, von Realität, ist für mich der eigentliche rote Faden, der in allen neun Geschichten durchschimmert. Das titelgebende Phänomen des "Ruhms" scheint nur auf den ersten Blick das Element zu sein, das die Geschichten miteinander verbindet. Eigentlich illustriert es aber vorwiegend die Diskrepanz von Fremd- und Eigenwahrnehmung, die Kluft zwischen Sein und Schein, die Gefahr, sich selbst zu verlieren, indem man sich über die Sichtweise der Umwelt definiert. Die Frage nach der eigenen Identität ist für mich also das tiefer liegende Thema dieses Romans.


    Immer wieder kritisch ins Feld geführt wird dabei die moderne Medien- und Kommunikationstechnik, die es der einen Figur ermöglicht, kurzzeitig die Identität eines anderen anzunehmen und die eigene, unliebsame Existenz vorübergehend abzustreifen, während eine andere Figur, den berühmten Schauspieler Ralf Tanner, mit jedem Foto, das von ihm gemacht, jedem Film, der mit ihm gedreht wird, das Gefühl beschleicht, ein Stück von sich selbst zu verlieren ...


    Die einzelnen Geschichten sind auf virtuose, bestechende und oftmals verblüffende Weise miteinander verknüpft. Das Spiel mit Fiktion und Realität betreibt Kehlmann auf mehreren Ebenen. Auf der reinen Figurenebene, wenn ein jämmerlicher, unbeliebter kleiner Angestellter, der mit Mitte 30 noch bei seiner Mutter wohnt und dem Leser als Versager auf der ganzen Linie präsentiert wird, sich in diversen Internetforen eine andere Identität kreiert, oder in Form einer Geschichte in der Geschichte, wenn Rosalie, die Figur des bekannten Schriftstellers Leo Richter mit ihrem Schöpfer ins Zwiegespräch tritt und das Ende, das dieser für sie geschrieben hat, nicht akzeptieren will.
    Und dann ist da natürlich die Frage nach der Präsenz des Autors Kehlmann in diesen Geschichten. Wenn Leo Richter an den immer gleichen Fragen danach verzweifelt, wo er denn seine Ideen hernehme, ob er vormittags oder nachmittags schreibe, mag man darin durchaus einen satirischen Seitenhieb des Autors auf den Literaturbetrieb herauslesen, wenngleich auf Textebene die Grenze von literarischer Fiktion und Realität immer wieder ironisch gebrochen wird.


    Das ist es auch, was mich an Ruhm besonders begeistert hat: die Hintergründigkeit und die feine Ironie, die raffinierte Komposition und Verschachtelung der einzelnen Geschichten. Zudem bewundere ich die stilistische Bandbreite, den ganz eigenen Duktus, der jede der neun Geschichten begleitet.


    "Sie fragen sich, warum so vieles nicht geht, lieber Herr? Weil ein Mensch vieles sein will. Im wörtlichen Sinn. Er will viel sein. Vielfältig. Möchte mehrere Leben. Aber nur oberflächlich, nicht im Tiefsten. Das letzte Drängen, lieber Freund, zielt darauf, eins zu sein. Mit sich, mit allem."


    Was hier über die Natur des Menschen gesagt wird, also scheinbar lediglich die literarisch-inhaltliche Ebene betrifft, scheint mir auf anderer Ebene auch auf die formale Gestaltung des Romans zuzutreffen.
    Neun Geschichten, vielfältiges Personal und doch erschließt sich unter der Oberfläche ein tieferer Gesamtzusammenhang. Am Ende schließt sich der Kreis, die scheinbar lose miteinander verknüpften Geschichten werden zu einem Ganzen.


    Um zum Ende zu kommen und ein Fazit zu ziehen:
    Für mich ist Ruhm stilistisch brilliant, hintersinnig und in seiner Thematik durchaus philosophisch. Der Roman ist bis ins Detail perfekt komponiert und ich bin mir sicher, dass sich bei nochmaliger Lektüre einige Zusammenhänge ergeben würden, die einem beim ersten Lesen entgangen sind.
    Kurzum, ich bin mehr als begeistert und dafür gibt es dann auch 10 Punkte.

  • Auch mir hat das neue Buch "Ruhm" von Daniel Kehlmann gut gefallen. Ich habe jede einzelne der neun Geschichten gerne gelesen und mich hat besonders die Verbindung zwischen den einzelnen Geschichten immer wieder begeistern können. Natürlich hat mir die ein oder andere Geschichte mehr oder weniger gefallen - die Geschichte über den Forenbeiträgeposter - hat mich z.B. weniger begeistert, aber insgesamt ist "Ruhm" wirklich ein toller Erzählband.


    Zitat

    Original von SeesternDas ist es auch, was mich an Ruhm besonders begeistert hat: die Hintergründigkeit und die feine Ironie, die raffinierte Komposition und Verschachtelung der einzelnen Geschichten. Zudem bewundere ich die stilistische Bandbreite, den ganz eigenen Duktus, der jede der neun Geschichten begleitet.


    :write
    Ich würde zwar keine 10 Punkte geben, aber auf jeden Fall 8,5. ;-)

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    die Geschichte über den Forenbeiträgeposter - hat mich z.B. weniger begeistert


    Komisch. Ging mir genauso. Ingesamt ein sehr gutes Buch, aber in dem Abschnitt hat er den Ton irgendwie nicht getroffen. Der Teil wirkt sehr unauthentisch.

  • Googol & buzz,


    ich habe den aufgesetzten Ton (das "Unauthentische" wie Ihr sagt) als höchst gelungen empfunden, weil er das unaufrichtige, gekünstelte Verhalten des Protagonisten unterstreicht. Für mich betont der Duktus hier nur den Inhalt, das "Mehr-scheinen-als-Sein", das ja dann in der Geschichte Wie ich log und starb umso wirkungsvoller konterkariert wird.

  • Zitat

    Original von Seestern
    Googol & buzz,


    ich habe den aufgesetzten Ton (das "Unauthentische" wie Ihr sagt) als höchst gelungen empfunden, weil er das unaufrichtige, gekünstelte Verhalten des Protagonisten unterstreicht. Für mich betont der Duktus hier nur den Inhalt, das "Mehr-scheinen-als-Sein", das ja dann in der Geschichte Wie ich log und starb umso wirkungsvoller konterkariert wird.


    Gekünstelt war der Ton definitiv. Was mich irritierte war, dass zwar in einer in sich konsistenten Kunstsprache erzählt wurde, aber in keiner, die ich je online gelesen habe. Oder anders ausgedrückt: was man auf Blogs und in Internet-Foren liest ist zwar eine Kunstsprache, aber es sind Kunstsprachen, die von Gruppen geschrieben werden, nicht von Einzelpersonen (da wird allgemein geLOLt, geBTWt usw.). Kehlmann (bzw. die Figur) hat hier eine Kunstsprache aus dem Nichts geschaffen. Das scheint mir eher Internet-untypisch. Die Figur selber fand ich durchaus interessant nur den Ton fand ich eben nicht perfekt getroffen.

  • Ich lese es gerade und es gefällt mir bislang gut - gerade habe ich die Geschichte von dem brasilianischen Autoren hinter mir.


    Ist es sehr abwegig, da an einen vielgelesenen realen Autorein zu denken -nämlich Paulo Coelho :gruebel



    und danke für die schönen Rezensionen -da bleibt ja nicht viel mehr zu schreiben. :-)


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Zitat

    Zitat buzzaldrin:
    Doch, deine Meinung über die Geschichte von dem Forenbeitragsposter ...


    Ich fand die Geschichte am anstrengendsten zu lesen mit dieser merkwürdigen Sprache.(Der Internetblogger ist wohl der deutschen Sprache etwas verlustig geworden)
    Mag sein, dass es etwas überspitzt ist - aber irgendwie hat sie mir schon gefallen.



    Ich musste da an einen Typen denken, den ich mal im Fernsehen gesehen habe - ich weiß nicht mehr in welcher Sendung. Ihn konnte man auch kaum verstehen - zum einen, weil er offenbar nicht so ganz der deutschen Sprache mächtig war (obwohl er Deutscher war) und zum anderen, weil er genuschelt hat.



    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

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