"Snow Crash" von Neal Stephenson

  • Hiro Protagonist, spezialisiert auf allerlei Dinge und vor allem anderen ein Top-Hacker, liefert Pizza aus. In der Zukunft scheint das der Höllenjob schlechthin zu sein - auf diesem Planeten, auf dem alles aus den Fugen geraten ist und die Privatisierung irrsinnige Ausmaße angenommen hat.
    Höllenjob lässt sich toppen: Recht bald brennt's in der Backstube, buchstäblich; der Job - unter allen Umständen die Pizza in weniger als 30 Minuten an den Mann zu bringen - ist beim besten Willen nicht zu bewältigen. Hiro schrottet den Firmenwagen und ist der pubertierenden Kurierin, die in letzter Sekunde seinen Arsch rettet, etwas schuldig. (Die Kleine ist ein echter Glücksgriff).
    Aber eigentlich ist er ja in einem ganz anderen Leben daheim, einem virtuellen, zweiten, ha, ha, in dem er der beste Schwertkämpfer der Welt ist und Langeweile ebenfalls nicht eines seiner vordringlichen Probleme.
    Die Frau, die Hiro liebt, immer schon geliebt hat, warnt ihn vor einer Gefahr, die alle Hacker, ja die Zivilisation als solche bedroht. In beiden Welten.
    Als sein bester Freund/Feind diesem gesichtslosen Gegner zum Opfer fällt, einem Virus, der so alt ist wie die menschliche Geschichtsschreibung, muss der Mann tun, was ein Mann tun muss. Die einzige Chance, die er wirklich hat, ist dieses blitzgescheite Gör.


    Neal Stephenson feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Geboren wurde er in Fort Meade, Maryland. Er hat jede Menge Preise abgeräumt - als SF-Autor, als Visionär, als jemand, der gut erzählen kann. Neben Snow Crash gilt vor allem "Diamond Age" als wichtiges Werk, faszinierende Verbindung von viktorianischem Zeitalter und Nanotechnologie - Oliver Twist für Leute, die denken, dass gelungene Kindererziehung eine Frage der richtigen Programmierung ist -, "Interface", nicht länger lediglich lustige Vorstellung eines US-Präsidenten, der wirklich Volkes Stimme ist, "Cryptonomicon", das Anfang des 18. Jahrhunderts spielt, irgendwie, und der ebenfalls in der Vergangenheit angelegte Barock-Zyklus.

    Gutes Buch, dachte ich, als es mir in die Hände fiel; spannende Geschichte über mögliche Abenteuer in einem virtuellen Leben. Vermutlich der beste Second Life-Roman. Bis ich nach Unstimmigkeiten wissen wollte, wann das Ding entstanden ist: 1992. Neunzehnhundertzweiundneunzig.
    Second Life war noch nicht geboren. (Hat Sterne geputzt, schwamm 's Rückenmark des www rauf und runter, was auch immer - schimmerte durch Stephensons Träume, während es vom Rest der Welt noch nicht mal angedacht war). Das Wort "avatar" wurde eigens für dieses Buch erfunden, sprich, erstmals im heute allgegenwärtigen Kontext genutzt. UNGLAUBLICH das Ding.
    Ich möchte, bitte, auch Visionärin sein. Das hier ist Zeitgeschichte. Gut erzählt und gute Unterhaltung obendrein.
    Wenn der Mafia-Boss auf ein Skateboard steigt und sich fotografieren lässt: Beim Fahren. Vergeblich mit den Händen rudern. Fallen (vor den Augen seiner entnervten Leibwächter). Nur um das Kurier-Gör zum Lächeln zu bringen - ist er dann wirklich nur der nette, bezaubernde Onkel, der sich für die rechtzeitig ausgelieferte Pizza bedankt??
    Dass geschätzte 7000 Jahre Menschheitsgeschichte und -mythen auf Teufel komm raus eingewoben sind in dieses irre Gespinst, machen es vollends zu etwas, das bis zum geht nicht mehr polarisiert.
    Ich mag's. Sehr.

  • Da kann ich nur zustimmen. Ich fand es auch einfach unglaublich, wie treffend die Schilderungen des Cyberspace in diesem Buch waren, das entstanden ist, als das Internet noch nicht populär war und von virtuellen Realitäten oder Online-Rollenspielen noch keine Rede sein konnte.


    Second Life ist nach Aussage der Programmierer massgeblich von "Snow Crash" inspiriert, und ich denke das gilt für eine grossen Teil der Internetkultur. Du hast ja das Beispiel "Avatar" schon angesprochen. Jeder, der sich für virtuelle Realitäten und Cyberpunk interessiert, sollte dieses Buch gelesen haben.


    Aber auch die anderen Aspekte des Buches fand ich absolut faszinierend, die Geschichten vom Codex von Hammurabi, der babylonischen Sprachverwirrung und wie das alles stimmig ineinander verwoben ist. Einfach genial und für mich auch das bisher beste Buch von Stephenson, das ich gelesen habe (habe danach auch "Diamond Age" gelesen, war davon aber eher enttäuscht, und "Cryptonomicon" kam für mich auch nicht an "Snow Crash" ran).

  • Wie gesagt, hat mich sehr beeindruckt. Und wie das so ist, wenn ein Thema Gedanken und Phantasie angeregt hat: Ich stoße in den vergangenen Tagen immer wieder auf Passendes. Etwa beim jüngsten Geo-Epoche über die Germanen: Ich hab nicht gewusst, dass sämtliche Stämme zunächst eine Sprache sprachen. Sprache hat tatsächlich die Tendenz, sich zu verästeln und damit schlussendlich Menschen(gruppen) voneinander zu trennen. Natürlich ist das eigentliche Konstrukt hanebüchener Blödsinn. Babel und Babbeln, Enki und Ashera, die sich auf höchstem wissenschaftlichen Niveau bekriegen, Viren, die Computer, Körper und Geist gleichermaßen befallen, die über Blutaustausch übertragen werden, aber auch über den Blick auf ein paar Daten - in diesem einen Fall stört mich das alles gar nicht. Ist einfach eine trashige, gut erzählte Geschichte, die zu lesen Freude macht. Und eben visionär ist bis zum geht nicht mehr.

  • Ich fand die Story gar nicht mal schlecht, auch, wenn es mir am Ende etwas sehr rasant mit einigen Nebencharakteren zuende ging. Das Amerika einer fiktiven Zukunft war interessant und liebevoll ausgearbeitet, auch, wenn einige der technischen Details und der genauen Reglungen an mir vorbei gegangen sind. Ein Glossar wäre nett gewesen, weil es mir zum Teil schwer fiel, mir die verschiedenen Parteien zu merken bzw. zuzuordnen, wer noch mal wer war (Mr. Lee, Raven, L.Bob Rife, das FBI, Onkel Enzo ...).


    Was aber für mich ein großes Manko ist, ist die Tatsache, dass ich mir ein Buch erwünscht habe, das wirklich zum großen Teil im Metaversum spielt. Die Szenen in der virtuellen Welt waren jedoch sehr überschaubar und die Hauptgeschichte passierte in der realen Welt. Damit war der Inhalt von Snow Crash leider nicht, was ich mir erhofft hatte.

    Es ist erst dann ein Problem, wenn eine Tasse heißer Tee nicht mehr hilft. :fruehstueck

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  • Ich hätte eine Frage: Es gibt ja mehrere Veröffentlichungen in Deutschland, neuere und ältere. Gibt es da auch unterschiedliche Übersetzungen oder ist das immer dieselbe?


    Weil bei Neuromancer war eine Übersetzung total grausam. Ich will Snowcrash endlich mal lesen, aber nicht versehentlich zu einer blöden Übersetzung greifen. Oder sind die Übersetzungen allgemein so schlecht, dass man doch lieber das Original lesen sollte?

  • SnowCrash gehört für mich zu den absoluten Favoriten- das ist ein irrwitziges, rasend schnelles Buch voller interessanter Ideen und Protagonisten (der väterliche Mafiaboss wurde ja eingangs schon erwähnt). Zum Schluss hin schwächelte es aus meiner Sicht, die Sexszene gegen Ende wäre aus meiner Sicht verzichtbar gewesen (nicht weil mich Sexszenen stören, sondern weil es sich nicht recht in den Plot fügt).


    Hab's mehrfach gelesen und werde das demnächst auch noch einmal tun.

    Lesen schadet eigentlich nicht.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Timm ()