Hiro Protagonist, spezialisiert auf allerlei Dinge und vor allem anderen ein Top-Hacker, liefert Pizza aus. In der Zukunft scheint das der Höllenjob schlechthin zu sein - auf diesem Planeten, auf dem alles aus den Fugen geraten ist und die Privatisierung irrsinnige Ausmaße angenommen hat.
Höllenjob lässt sich toppen: Recht bald brennt's in der Backstube, buchstäblich; der Job - unter allen Umständen die Pizza in weniger als 30 Minuten an den Mann zu bringen - ist beim besten Willen nicht zu bewältigen. Hiro schrottet den Firmenwagen und ist der pubertierenden Kurierin, die in letzter Sekunde seinen Arsch rettet, etwas schuldig. (Die Kleine ist ein echter Glücksgriff).
Aber eigentlich ist er ja in einem ganz anderen Leben daheim, einem virtuellen, zweiten, ha, ha, in dem er der beste Schwertkämpfer der Welt ist und Langeweile ebenfalls nicht eines seiner vordringlichen Probleme.
Die Frau, die Hiro liebt, immer schon geliebt hat, warnt ihn vor einer Gefahr, die alle Hacker, ja die Zivilisation als solche bedroht. In beiden Welten.
Als sein bester Freund/Feind diesem gesichtslosen Gegner zum Opfer fällt, einem Virus, der so alt ist wie die menschliche Geschichtsschreibung, muss der Mann tun, was ein Mann tun muss. Die einzige Chance, die er wirklich hat, ist dieses blitzgescheite Gör.
Neal Stephenson feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Geboren wurde er in Fort Meade, Maryland. Er hat jede Menge Preise abgeräumt - als SF-Autor, als Visionär, als jemand, der gut erzählen kann. Neben Snow Crash gilt vor allem "Diamond Age" als wichtiges Werk, faszinierende Verbindung von viktorianischem Zeitalter und Nanotechnologie - Oliver Twist für Leute, die denken, dass gelungene Kindererziehung eine Frage der richtigen Programmierung ist -, "Interface", nicht länger lediglich lustige Vorstellung eines US-Präsidenten, der wirklich Volkes Stimme ist, "Cryptonomicon", das Anfang des 18. Jahrhunderts spielt, irgendwie, und der ebenfalls in der Vergangenheit angelegte Barock-Zyklus.
Gutes Buch, dachte ich, als es mir in die Hände fiel; spannende Geschichte über mögliche Abenteuer in einem virtuellen Leben. Vermutlich der beste Second Life-Roman. Bis ich nach Unstimmigkeiten wissen wollte, wann das Ding entstanden ist: 1992. Neunzehnhundertzweiundneunzig.
Second Life war noch nicht geboren. (Hat Sterne geputzt, schwamm 's Rückenmark des www rauf und runter, was auch immer - schimmerte durch Stephensons Träume, während es vom Rest der Welt noch nicht mal angedacht war). Das Wort "avatar" wurde eigens für dieses Buch erfunden, sprich, erstmals im heute allgegenwärtigen Kontext genutzt. UNGLAUBLICH das Ding.
Ich möchte, bitte, auch Visionärin sein. Das hier ist Zeitgeschichte. Gut erzählt und gute Unterhaltung obendrein.
Wenn der Mafia-Boss auf ein Skateboard steigt und sich fotografieren lässt: Beim Fahren. Vergeblich mit den Händen rudern. Fallen (vor den Augen seiner entnervten Leibwächter). Nur um das Kurier-Gör zum Lächeln zu bringen - ist er dann wirklich nur der nette, bezaubernde Onkel, der sich für die rechtzeitig ausgelieferte Pizza bedankt??
Dass geschätzte 7000 Jahre Menschheitsgeschichte und -mythen auf Teufel komm raus eingewoben sind in dieses irre Gespinst, machen es vollends zu etwas, das bis zum geht nicht mehr polarisiert.
Ich mag's. Sehr.