'Penthesilea' - Auftritt 21 - 24

  • Ok, hier rastet die wilde Rasende dann ganz aus. Ihr Wahn wird unheimlich gut beschrieben und man fühlt mit ihr, als ihr bewußt wird, was sie getan hat. Dennoch frage ich mich, warum das alles passieren mußte, bzw. was von Kleist ausdrücken wollte, das wird mir nicht komplett klar...


    Die Anhänge bei mir waren zum einen
    ein Glossar
    Anmerkungen zur Textgestaltung
    Kurzbio des Autors
    und Nachwort.


    Der Glossar war wirklich sehr hilfreich, fand ich, als ich ihn dann endlich entdeckt hatte, ich dummes Huhn... :rolleyes
    Die Anmerkungen waren ganz interessant, da ich ja einen Neuabdruck der Erstausgabe lese, die wirklich bis ins Kleinste daran orientiert war.
    Die Kurbio war nett zu lesen und im Kontext gesehen, wirklich wichtig.
    Das Nachwort, fand ich weniger spannend und hab es nur überflogen...

  • Die „Penthesilea“, soviel steht fest, ist kein leicht verdauliches Bühnenstück. Die unverständliche Mischung aus Pathos und Irrationalität der beiden Hauptcharaktere, das grausame Ende des Achilles, der eigentümliche Tod der Amazonenkönigin, all das dürfte nicht leicht zu erklären sein. Was uns nicht abschrecken sollte: auch das Gefolge der beiden Akteure steht am Ende ratlos da und begreift nicht, was hier eigentlich geschehen ist.


    Im Anschluss an den letzten Auftritt habe ich mich mit den biographischen Daten des Autors im Anhang befasst und da fallen mir drei Aspekte auf: erstens ist der Autor früh verstorben, in seinem 35. Lebensjahr. Wir haben es also nicht mit einem altersweisen Spätwerk zu tun und von daher ist die Impulsivität und Emotionalität seiner Charaktere vielleicht erklärbar. Zweitens: Kleist hat in seinem kurzen Leben eine Menge mitgemacht. Er war Soldat, Offizier der preußischen Armee um genau zu sein, hat an Feldzügen teilgenommen, geriet in französische Gefangenschaft. Wenn in der „Penthesilea“ von den Gräueln des Krieges die Rede ist, dann spürt man, dass der Autor diese am eigenen Leib erfahren musste, sie werden von einem erzählt, der sozusagen vom Fach ist. Drittens, und da komme ich auf die Umstände des Todes zurück: Kleist hat sich das Leben genommen – er hat in der Nacht des 21. November 1811 zunächst seine Freundin Henriette Vogel und dann sich selbst erschossen. Am Abend zuvor hatten die beiden einander Abschiedsbriefe geschrieben.


    Schaut man auf diese biographischen Tatsachen, dann wird klar, dass die „Penthesilea“, die Kleist nur vier Jahre vor seinem Tod vollendet hatte, mehr ist als ein absurde, unverständliche Fiktion – am Ende steht hier wie dort der Tod eines Liebespaares und somit hat Kleist mit den Versen über die rätselhafte Amazonenkönigin Dinge zur Sprache gebracht, um die es ihm bitterernst war und die - mich jedenfalls - zutiefst erschrecken.

  • Ich wage mich mal an den Versuch, ein paar Merkmale unseres Trauerspiels zusammenzutragen, die mir beim zweiten Lesen aufgefallen sind. Man muss das Augenmerk, glaube ich, insgesamt auf das Handeln und Fühlen der beiden Hauptcharaktere richten, dann kommt man schnell ein gutes Stück voran. Beide stammen ja, der Sage nach, von Göttern ab, beide sind herausragende Anführer im Krieg, gelten als unüberwindbar, ragen aufgrund ihrer strahlenden Erscheinung aus der Masse der „Durchschnittsmenschen“, die sie umgibt, heraus. Kleist lässt in seinem Stück bewusst den größten griechischen Helden und eine ihm in allem ebenbürtige Gegnerin aufeinanderprallen. Ansonsten scheint ihm aber der Kampf um Troja und der konkrete Verlauf der damaligen Geschichte gleichgültig zu sein. Kleist möchte Neues zum Ausdruck bringen. Zu Achilles und Penthesilea:


    Beide sind launisch, sprunghaft, unberechenbar, werden von ihren Gefühlen angetrieben und selbst vom eigenen Gefolge nicht mehr verstanden. Ich habe nicht gezählt, wie oft und in welchen Variationen der Begriff „Rasende“, „Rasender“ auftaucht, die Häufung dieser Bezeichnung spricht für sich (bei dtv z.B.: 50,31; 73,14; 92,2). Kennzeichnend ist, dass Penthesilea Prothoe im 5. Auftritt in einem Wutanfall verstößt und im nächsten Augenblick begnadigt, dass sie im 7. Auftritt das „Rosenfest“, also die Siegesfeier, anordnet und sich kurze Zeit später erneut in die Schlacht gegen die Griechen stürzt.


    Das Wechselbad widersprüchlicher Anordnungen und Gemütszustände geht so weit, dass beide vom Gefolge für „wahnsinnig“ gehalten werden: „Wahrt solch ein Wahnsinn jemals noch erhört!“ und „Sie ist von Sinnen“ lautet das Urteil der Oberpriesterin und das Prothoes im 7. und im 9. Auftritt über den Gemütszustand der Chefin. Mehrfach wird beschlossen, die beiden mit Gewalt in die eigenen Reihen zurückzuholen: Diomedes über Achill im 1. Auftritt: „Weicht er dir nicht, wohlan, so will ich ihn / Mit zwei Ätoliern auf den Rücken nehmen, / und einem Klotz gleich, weil der Sinn ihm fehlt, / in dem Argiverlager niederwerfen.“ Die Oberpriesterin über Penthesilea (im 22. Auftritt): „Drum mit dem Strick, Ihr Arestöchter, schleunig / Dort auf dem Kreuzweg hin, legt Schlingen ihr, / Bedeckt mit Sträuchern, vor der Füsse Tritt. / Und reißt, wenn sich ihr Fuß darin verfängt, / Dem wutgetroffnen Hunde gleich, sie nieder: / Daß wir sie binden, in die Heimath bringen, / Und sehen, ob sie noch zu retten sei.“


    Es ist in der Tat so, dass beide für das eigene Gefolge zur wachsenden Bedrohung werden, indem sie nur noch ihre eigenen Ziele, nicht aber diejenigen der Gemeinschaft verfolgen. Achilles beispielsweise formuliert seine innere Kündigung im 21. Auftritt dem Odysseus gegenüber so: „Wenn die Dardanerburg, Laertiade, / Versänke, du verstehst, so daß ein See, / ein bläulicher, an ihre Stelle träte; / Wenn graue Fischer, bei dem Schein des Monds, / Den Kahn an ihre Wetterhähne knüpften; / Wenn im Pallast des Priamus ein Hecht / Regiert´, ein Ottern- oder Ratzenpaar / Im Bette sich der Helena umarmten: / So wär´s für mich gerad´ so viel, als jetzt.“ Ganz ähnlich grübelt Penthesilea schon im 5. Auftritt: „Denk´ ich bloß mich, sind´s meine Wünsche bloß, / Die mich zurück aufs Feld der Schlachten rufen?“


    Alles in allem scheinen beide von einer geheimnisvollen Art von Sehnsucht getrieben, der sie keinen Widerstand entgegensetzen können und die sie weit über die (kleinkarierten) Bedürfnisse und Sorgen des Gefolges (der „Durchschnittsmenschen“ also) herausragen lässt. Das wird an den immer wiederkehrenden Metaphern über „Höhen“ und „Gestirne“ deutlich, die sich beide Könige zum (unerreichbaren) Ziel nehmen. So Penthesilea, während sie im 9. Auftritt geistesabwesend in die Sonne blickt: „Daß ich mit Flügeln weit gespreizt und rauschend, / Die Luft zertheilte - !“ So der Kommentar eines Mädchens über den Zweikampf der beiden im 7. Auftritt: „Ihr Götter! Haltet eure Erde fest - / Jetzt, eben jetzt, da ich dies sage, schmettern / Sie, wie zwei Sterne, auf einander ein!“.


    Beide erkennen wohl, dass sie ihr Ziel im Leben nicht verwirklichen können, gehen vom ersten Auftritt an auf den eigenen Tod zu. Achilles spricht diese Konsequenz im 4. Auftritt offen aus: „Was mir die Göttliche begehrt, das weiß ich; / Brautwerber schickt sie mir, gefiederte, / Genug in Lüften zu, die ihre Wünsche / mit Todgeflüster in das Ohr mir raunen.“

  • Ich finde deine Deutungen und Assoziationen sehr interessant und habe es genossen sie zu lesen.
    Eigentlich mag ich dir auch gar nicht widersprechen oder andere Aspekte anführen.
    Nur dieses bewußte auf den eigenen Tod zu gehen, empfand ich irgendwie trotz allem als etwas Positives, kann das schlecht in Worte fassen, aber es erschien mir als einziger notwendiger Schluß real.

  • Hallo Babyjane, - vielen Dank für Deine nette Antwort (baut mich für den Rest der Woche ein wenig auf...)


    Ich bin Dir noch einen Vorschlag zur Besetzung der Penthesilia schuldig, und würde Angelina Jolie wählen.

  • Zitat

    Original von Babyjane:


    Nur dieses bewußte auf den eigenen Tod zu gehen, empfand ich irgendwie trotz allem als etwas Positives, kann das schlecht in Worte fassen, aber es erschien mir als einziger notwendiger Schluß real.


    Mir geht es genauso. Und wenn es auch anscheinend niemanden mehr gibt, der die Penthesilea lesen oder sich über das Stück Gedanken machen mag – mir schwirren noch immer einige Episoden des „Trauerspiels“ im Kopf herum, die ich mir nicht vollständig erklären kann, und ich will mal versuchen, das zu beschreiben:


    Achilles und Penthesilea vermitteln ja beide – trotz ihrer überschäumenden Energie und trotz der Entschlossenheit, mit der sie sich in wilde Verfolgungsjagden und klapperndes Kampfgetümmel stürzen, - den Eindruck, von einer tiefsitzenden Sehnsucht nach dem Tod angetrieben zu werden. Mit ihren Stoßseufzern im neunten und im neunzehnten Auftritt („Ach, meine Seel´ ist matt bis in den Tod!“ und „Ich will in ew´ge Finsterniß mich bergen!“) spricht die junge Königin einen düsteren Gedanken aus, und auch dem Achilles sind solche Stimmungen nicht fremd (dtv 41, 12 ff.) Gleichwohl ist es keineswegs so, dass die beiden Helden ohne Umschweife auf ihr Ende zusteuern. Wenn die Amazonen im 23. Auftritt die Zerfleischung des Achilles beschreiben, dann klingt das so, als sei dieser in eine Falle gelockt worden, als habe er gar nicht begriffen, dass ihn im Kampf mit der Geliebten der Tod erwartet. „Mit einem Spieß sich arglos ausgerüstet: / Stutzt er, und dreht den schlanken Hals, und horcht, / Und eilt entsetzt, und stutzt und eilet wieder: / Gleich einem jungen Reh, das im Geklüfft / Fern das Gebrüll des grimmen Leu´n vernimmt.“ Die „grimmige Löwin“, von der hier die Rede ist, wird später alle Absicht, den Achilles zu töten, von sich weisen. Rätsel gibt schon eine Bemerkung im neunten Auftritt auf: „Ist´s meine Schuld, daß ich im Feld der Schlacht / Um sein Gefühl mich kämpfend muß bewerben? / Was will ich denn, wenn ich das Schwerdt ihm zücke? / Will ich ihn denn zum Orkus niederschleudern? / Ich will ihn ja, ihr ew´gen Götter, nur / An diese Brust will ich ihn niederziehn!“.


    Beide, das könnte eine mögliche Erklärung sein, sind durchaus auf der Suche nach dem Glück, das sie in der Liebe zum jeweils anderen auch finden wollen. Beide erkennen aber wohl sehr bald die Unerreichbarkeit bzw. die – am eigenen Maßstab gemessene – Unzulänglichkeit dieses Ziels. Sie sehen die Enttäuschung durch den anderen voraus und möchten sich damit nicht abfinden. Penthesiela zum (toten) Achilles im 24. Auftritt: „Wie Manche, die am Hals des Freundes hängt, / Sagt wohl das Wort: sie lieb´ ihn, o so sehr, / Daß sie vor Liebe gleich ihn essen könnte; / Und hinterher, das Wort geprüft, die Närrin! / Gesättigt sein zum Eckel ist sie schon. / Nun, du Geliebter, so verfuhr ich nicht. / Sieh her: als i c h an deinem Halse hieng, / Hab´ ich´s wahrhaftig Wort für Wort gethan; / Ich war nicht so verrückt, als es wohl schien.“


    Eine Bemerkung Prothoes gegenüber der durch und durch vernunftgesteuerten Oberpriesterin bringt die Macht solcher (unerfüllbaren) Sehnsüchte auf den Punkt: „Das ist ihr Schicksal! / Dir scheinen Eisenbanden unzerreißbar, / Nicht wahr? Nun sieh: sie bräche sie vielleicht, / Und das Gefühl doch nicht, das du verspottest. / Was in ihr walten mag, das weiß nur sie, / Und jeder Busen ist, der fühlt, ein Räthsel. / Des Lebens höchstes Gut erstrebte sie, / Sie streift´, ergriff es schon: die Hand versagt ihr, / Nach einem andern noch sich auszustrecken.“ Ich glaube, dass in diesen wenigen Sätzen einer der Schlüssel für den schwer zu ergründenden Tod der Amazonenkönigin liegen mag.

  • Da magst du Recht haben, sowohl mit der passenden Besetzund, als auch mit dem vermutlichen Schlüssel, allerdings gelingt es mir nicht, diesen Schlüssel klar zu erkennen. :gruebel