Ein bißchen Alibi hat jeder. Die besten Kriminalgeschichten aus der legendären Reihe. Das große Blaulicht-Buch - Hrsg. von Horst Bosetzky
Die Tatsache bringt Menschen, die in Westdeutschland aufgewachsen sind, immer noch zum Staunen. In der DDR gab es Kriminalromane! Mehr noch, es gab sie nicht nur in Buchform, gebunden und als Taschenbuch, es gab - Heftchen. Kleinoktav nennt man das Format, ein wenig erinnern sie an die alten DIN A5 Schulhefte. Was noch mehr Staunen auslöst, ist die andere Tatsache, nämlich die, daß die Mutter dieser Krimi - Heftchen das Ministerium des Innern war. Denkt man ein wenig darüber nach, hat das durchaus seinen Sinn. In den Geschichten sollte nämlich die Arbeit der volkseigenen Polizei so realistisch wie möglich dargestellt werden. Das geschieht auch, vornehmlich zwischen 1958, als das erste Heft erschien, bis 1963, dem Jahr des 30. Bands. Diese frühen Krimis sind meist kurze Kriminalerzählungen, in manchen Heften sind gleich zwei abgedruckt, die sich mit den Problemen der frühen DDR beschäftigen: Schmuggel von Waren, Waffen und Devisen oder Spionage. Der Feind sitzt draußen, im Land kämpfen die heroischen revolutionären Kräfte. Die Fronten sind klar, die Grenze verläuft zwischen den Helden des Sozialismus und den konterrevolutionären Feinden. Das ist politisch meist so korrekt, daß man sie als Krimi kaum lesen kann, es sind eher Quellen von hohem politikgeschichtlichen und soziologischen Wert.
Es gibt jedoch auch schon unter den frühen Ausgaben Hefte, in denen die Krimihandlung die Politik überlagert und, das ist eigentlich noch wichtiger, sich beträchtliche schriftstellerische Qualität zeigt. Diese Faktoren haben wahrscheinlich dazu beigetragen, daß die Hefte, die bis Band 16 keinen einheitlichen Reihen-Namen trugen, sich wachsender Beliebtheit beim Publikum erfreuten und sie mögen auch zu den Gründen gehört haben, daß sie mit Band 30 vom Verlag Neues Berlin übernommen wurden. Das war 1963. Da trugen die Heftchen bereits den Namen ‚Blaulicht’, hatten eine fortlaufende Numerierung und ein eigenes Signet, das Blaulicht der Polizei. Das Format änderte sich ein wenig, die Heftchen wurden ein bißchen kleiner und schmaler, der Umfang blieb bei unter 50 Seiten. Ihr Standardformat von 32 Seiten für den Einzelband und 64 Seiten für den Doppelband, erhielten sie endgültig Ende der sechziger Jahre, als auch die Umschlaggestaltung vereinheitlicht wurde. Bis dahin hatte man experimentiert, was die frühen Hefte auch optisch sehr interessant macht. Die Qualität der äußeren Gestaltung wird aber auch aufrecht erhalten, als die Vorgaben enger wurden. Die Umschläge zu betrachten ist nicht nur ein Genuß, sondern beweist auch, wie groß die künstlerische Vielfalt war.
Inhaltlich ist die Vielfalt ebenso groß. Es gibt einen deutliche Verschiebung der Perspektive, der Feind kommt nicht mehr von draußen, Verbrechensbekämpfung ist keine heroisch-sozialistische Tat mehr. Der Alltag ist eingekehrt, Menschen stehlen, betrügen, morden. Die Polizistinnen - es gibt bald Ermittlungsbeamtinnen - und Polizisten stehen dem Verbrechen im Lauf der Jahre immer hilfloser gegenüber, sie werden müder, der sozialistische Traum vom besseren Menschen ist ein Traum geblieben. Sie arbeiten für seine Umsetzung, aber sie wissen insgeheim, daß sie ihn gewiß nicht mehr erleben werden.
Der Unterschied zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus nicht-sozialistischen Ländern ist höchsten der, daß sie nie ganz so resigniert und melancholisch werden. Es gibt noch Hoffnung, es gibt noch ein Ziel. Politische Parolen aber schmettert schon lange keiner mehr, in nicht wenigen Bänden werden sie nicht einmal mehr matt geflüstert.
Dafür gewinnen Krimihandlungen und die Darstellung des Alltags. Die Geschichten sind oft sehr spannend, die Krimihandlung gut ausgedacht, die Figuren lebendig. Atmosphäre, die Landschaften, Stadt wie Land, Wetter und Stimmungen werden gekonnt beschrieben. Die Dialoge sitzen, auch wenn der (sparsame) Humor ein wenig fremd daherkommt und so manches erwähnt wird, was sich einer Leserin, die keine DDR-Prägung hat, nicht gleich erschließt.
Der Eindruck aber bleibt, daß die Hefte der Blaulichtreihe keine Einheitsware sind, jedes Heft trägt unverwechselbar die Handschrift seiner Autorin und seines Autors. Nicht alle Geschichten gelingen, das ist jedoch ein grundsätzliches Problem von unterhaltenden Kurztexten, die auf eine Schlußpointe hinauslaufen.
1990 endete die Reihe mit Band 285.
Mitte der 90er Jahre gab es den Versuch, die Reihe wiederzubeleben, aber die inhaltliche Qualität konnte nicht an die Vorgänger anknüpfen. Die Blaulicht-Reihe ist Vergangenheit.
Wie es sich für Vergangenes gehört, gibt es jetzt ein Buch darüber. Horst Bosetzky, selbst Krimiautor von Rang, hat das Vorwort dazu geschrieben. Wer von dem Buch allerdings eine eingehende Beschreibung der Reihe erwartet, wird enttäuscht. Es gibt keine Entstehungsgeschichte, nichts über die AutorInnen und Autoren, etwa, wie sie zur Reihe kamen, wie sie gearbeitet haben, kein Wort aus dem Ministerium des Innern und keins über den Berlin Verlag. Man erfährt nichts über die Illustratorinnen und Illustratoren und auch nichts darüber, wie die Heftchen denn nun beim Publikum ankamen. Wer hat sie gelesen und warum?
Statt dessen hat man sich dafür entschieden, 15 Geschichten aus den 70er und 80er Jahren nachzudrucken. Darunter sind sehr wichtige Autoren und Autorinnen, etwa Barbara Neuhaus, Tom Wittgen (Pseudonym von Ingeburg Siebenstädt, die auch einige Jahre lang die Reihe lektorierte) und Jan Eick, Klaus Möckel, Gunter Antrak. Nicht jede und jeder von ihnen schrieb ausschließlich Kriminalromane, offenbar war die Reihe attraktiv genug, auch Autorinnen und Autoren anderer Genres anzuziehen.
Warum man gerade diese Geschichten gewählt hat, wird nicht erklärt, bei einer solchen Fülle an Vorlagen, setzt man sich wohl in jedem Fall dem Eindruck der Beliebigkeit aus. Immerhin ist Ingeborg Hahnfelds Krimi ‚Blaue Katzen’ enthalten, zuerst erschienen 1984, eine der offensten Auseinandersetzungen mit dem Thema Kindesmißbrauch, das ich aus der deutschsprachigen Kriminalliteratur kenne.
Es gibt dann noch Kurzbiographien zumindest der 15 AutorInnen dieses Bands, die Angabe, welche Heftnummer ihr Kurzkrimi trug, fehlt, wie so vieles in diesem Buch. Abgedruckt wurden am Ende noch eine Liste der gesamten Reihe zur Orientierung und als Überblick. Es gibt keine einzige Abbildung.
Ein wenig lieblos, das Ganze, der Bedeutung dieser ausgezeichneten Reihe, die fast die ganze DDR miterlebt hat, alles andere als angemessen.
Man kann sich das Buch zulegen, wenn man einige der Kurzkrimis in gebundener Form lesen will - das Großformat allerdings verhindert gemütliche Krimilektüre im Sessel - und sich einen Eindruck verschaffen möchte von der Art, in der diese Geschichten aus dem anderen Deutschland verfaßt sind, ideologisch, denkerisch, schriftstellerisch.
Wer nicht unbedingt an Neubücher gebunden ist, ist aber weit besser bedient, wenn sie im Antiquariat nach den alten Heftchen stöbert. Es ist ein besonderes Gefühl, diese schmalen Dinger in der Hand zu halten, das Cover ein wenig zerschrammt, die Seiten ein wenig vergilbt. Leicht sind sie und handlich, gut gedruckt und vor allem gut zu lesen. Krimis, die alles enthalten, was den klassischen Krimi ausmachte. Aber nicht nur das. Da wird eine besondere Vergangenheit lebendig, 32 Seiten lang. Mindestens.