Sir Andreas war einer der edelsten Ritter des Reiches.
Sein Name stand für Recht, Gerechtigkeit und Ehre und wurde mit großem Respekt ausgesprochen.
Ohne jeden Makel war seine Kleidung. Selbst seine Rüstung glänzte in der Sonne heller als die aller anderen.
Weithin wurde sein Ruf geehrt.
Dieser Ruf drang nun auch in ein Dorf, welches weit außerhalb der Ländereien dieses Ritters lag.
Von diesem Dorf sei gesagt, daß es ein Dorf wie viele andere Dörfer war. Wie in vielen anderen Dörfern arbeiteten die Menschen auf den Feldern oder in den Ställen, feierten, wenn es etwas zu Feiern gab, trauerten, wenn sie traurig waren, froren im Winter, schwitzten im Sommer, in diesem Dorf, das wie viele andere Dörfer war.
Und doch klagten die Menschen, weil seit einiger Zeit etwas anders war als in anderen Dörfern.
Ja, Bauern klagen oft über etwas.
Über schlechte Ernten, über Hitze oder Kälte, über Armut oder aus Angst vor schlechten Ernten, Kälte oder Armut.
Doch diese Menschen hatten wirklich Grund zum Klagen.
Denn ein Drache war bei ihnen aufgetaucht und spie tagelang Feuer.
Niemand aus dem Dorf hatte das Untier bisher gesehen, doch wenn man die großen Feuer betrachtete, die auf den Feldern wüteten, so musste es ein gewaltiges Monstrum sein.
Nun wollte jeder seinen Nachbarn bei der Beschreibung des Ungetüms überbieten, und so erzählte man sich, daß er groß wie ein Gebirge wäre. Mindestens tausend Köpfe müsse er haben. Seine Flügel seien so gewaltig, daß er Sonne und Mond gleichermaßen damit bedecken könne. Und wohin sein Schatten fiele verdorre das Land für tausend mal tausend Jahre. Eine seiner Schuppen könne, als Schild benutzt, ein ganzes Heer vor den Pfeilen der Feinde schützen.
Grauenhafte Dinge sollten ihm folgen:
Von reitenden Skeletten, manchen gar ohne Haupt, erzählte man sich. Von Dämonen, vor denen sich gar der Herrscher der Hölle fürchte. Einige aus dem Dorf behaupteten gar, die vier Reiter der Apokalypse selbst dienen dem Drachen.
Und wie zum Beweis all dieser Geschichten hörte man des Nachts das Brüllen und Fauchen des Drachen zwischen den nahegelegenen Felsen so laut und fürchterlich, daß selbst die tapfersten Hunde des Dorfes sich winselnd in die hintersten Ecken ihrer Hütten verkrochen.
In diesem Dorf also hörte man nun von dem edlen Sir Andreas.
Da der Ritter dieser Ländereien geflohen war, kaum daß er von dem Drachen gehört, berieten die Menschen, daß es das Beste wäre, die Hilfe dieses Ritters untertänigst und demütig zu erbitten.
Schon bald darauf, daß dieser Beschluß gefasst, erreichte eine Gesandtschaft des Dorfes den Hof des Sir Andreas.
Da der Ritter seinen Ruhm mehren wollte, bedurfte es keiner Überlegungen.
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In dem Dorf wurde Sir Andreas mit einer großen Feier empfangen. Die Ernte der letzten Jahre war mehr als gut gewesen, und so konnten die Dorfbewohner dem Ritter trotz der verbrannten Felder einen solchen Empfang bereiten.
Ausgelassen tanzten die Menschen und feierten ihre baldige Befreiung von dem Ungetüm.
Einzig Sir Andreas ließ sich nicht von der allgemeinen Freude anstecken. Zwar war Furcht ihm fremd, doch war er nicht so dumm, einen Sieg zu feiern, den er noch nicht errungen.
In dieser Nacht hörte man das Fauchen des Drachen lauter als je zuvor.
Ängstlich verzogen sich die Menschen in ihre Häuser und beteten, daß sie endlich von diesem Monster befreit würden.
Alle sehnten den Anbruch des neuen Tages herbei.
Das Licht des Morgens ließ die Bedrohung ein bißchen weniger gefährlich erscheinen. Noch immer war das Wüten des Drachen zwischen den Bergen zu hören, doch wirkte es nun nicht mehr so schrecklich wie nachts. Trotzdem war es noch schrecklich genug, die Dorfbewohner in Angst und Furcht zu versetzen.
Rings um das Dorf roch es nach frischem Heu. Schmetterlinge tanzten auf den Sonnenstrahlen. In dem kleinen Wäldchen sangen die Vögel den Eichhörnchen etwas aus vergangenen Tagen vor. Ein Fuchs schimpfte über eine Wachtel, die ihm am Tag zuvor entkommen war.
Ein schöner Sommertag wäre es gewesen, wären nicht die Brände zwischen den Felsen, die vom feurigen Atem des Drachen zeugten.
Das Pferd des Ritters war gesattelt worden. Sein Schwert so blankpoliert, daß niemand die Klinge betrachten konnte, ohne daß das Licht der Sonne, welches sich im Stahl spiegelte, ihn blendete.
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Bald schon hatte er den Steinbruch erreicht, in welchem der Drache hausen sollte.
Die Felsen lagen blank in der Sonne. Von einem Drachen aber war nichts zu sehen. Trotzdem war da etwas, was das Pferd ängstigte. Unruhig verlagerte es sein Gewicht von einem Huf auf den anderen. Seine Nüstern bebten.
Nun gut...
Er war gekommen, um gegen einen Drachen zu kämpfen, also wollte er dieses Untier nun zur Strecke bringen. Mit dem Schwert schlug er gegen seinen Schild, um das Monster, wo immer es sein mochte, aufzuscheuchen.
Plötzlich schoß aus einer Felsenhöhle ein Feuerstrahl heraus. Das Pferd des Ritters geriet in Panik und scheute zurück, bäumte sich auf.
Unvorbereitet stürzte der Ritter aus dem Sattel, fiel mit dem Kopf auf einen Stein und blieb besinnungslos liegen.
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Langsam kam er wieder zu sich.
Auf dem Felsen vor ihm saß ein kleines grünes Etwas und musterte ihn interessiert.
Das sollte dieser furchterregende Drache sein? Diese Echse ging ihm ja nicht einmal bis zu den Hüften.
"Guten Tag Herr Ri... Hicks" sagte der Drache, wobei das "Hicks" von einem Feuerstoß begleitet wurde. Gerade noch konnte Sir Andreas den Kopf einziehen.
"Entschuldigung, Herr Ritter. Ich habe schon seit Tagen diesen... Hicks" - wieder ein Feuerstrahl - "...Schluckauf. Meine Mandeln sind schon ganz verbrannt. Hicks! Das ist mir ... Hicks... wirklich sehr peinlich."
Ohne etwas zu sagen packte Sir Andreas den kleinen Drachen, hob ihn blitzschnell an und schleuderte ihn in den See, der sich in der Mitte des Steinbruchs gebildet hatte.
Ein letztes "Hicks" und der Drache tauchte unter.
Schon einen kleinen Moment später tauchte er wieder auf und stapste ans Ufer.
Empört schüttelte er das Wasser von sich.
"Ich muß schon sagen, Herr Ritter, sie haben nicht die besten Manieren." Dann überlegte er einen Augenblick "He, mein Schluckauf ist weg, und meine Mandeln brennen nicht mehr ganz so schlimm. Vielen Dank, Herr Ritter."
Kopfschüttelnd drehte Sir Andreas sich um und verließ den Steinbruch und das Dorf, das wie so viele andere Dörfer war.