„Ich mache es!“ sagte ich entschlossen zu meinem Kumpel Hartmut. Dieser erwiderte ein viel sagendes „hrmpf!“ oder so ähnlich und schickte direkt noch eine überflüssige Ermahnung hinterher: “Das mit diesen Kontaktanzeigen ist doch Bullshit“ belehrte er mich mit der ihm angeborenen Eloquenz. „Heiner, Da zahlst Du Unmengen von Geld um ein paar verzweifelte, verkorkste Tussen ins Café zu führen“.
„Ach wo, Hartmut, es kostet halt ein bisschen was und wenn zwei oder drei nette Abende dabei herausspringen ist das doch prima“ antwortete ich beschwichtigend und unnachgiebig zugleich. Damit war das Gespräch für mich beendet.
Also machte ich mich daran, einen Anzeigentext zu formulieren, welcher wie folgt in der nächsten Samstagsausgabe der hiesigen Tageszeitung zu lesen war:
„m, 27, 185, 75, schl., sportl., treu, sucht w bis 25, 170, 60. Zuschr. u. Chiffre 12345678“
Klar, die Anzeige klang mehr wie eine verschlüsselte Geheimbotschaft russischer Agenten, aber sie hat in 3 Zeilen gepasst und nur fünf Euro gekostet.
In den folgenden sieben Tagen fuhr ich ungefähr dreiundfünfzig Mal bei der Tageszeitung vorbei und erkundigte mich nach eventuellen Antwortschreiben. Es war frustrierend. Nicht eine Antwort! Und das in Berlin. Die nette Dame an der Chiffre-Ausgabe tröstete mich, bot mir das Du an und gab mir den Tipp, dass es wohl irgendwie am Anzeigentext liegen müsse.
Mit neuer Motivation und etwas investitionsfreudiger machte ich mich zuhause daran, einen neuen Text zu formulieren:
„Mann, 27 Jahre, 185cm, schlank, sportlich, treu, sucht Frau bis 25 Jahre und 60 Kilo leicht für alles, was nur zu zweit Spaß macht“ Fünf Zeilen, acht Euro fuffzig.
Isabel von der Chiffre-Ausgabe erschrak sich, als ich sie besuchte, und wendete sich hektisch vom Schredder ab. Ihre braunen Augen waren weit geöffnet, dann schaute sie weg, strich über ihr braunes Haar, richtete ihr braunes Kostüm und drehte sich lächelnd wieder zu mir um. Dann gab sie mir Kuchen-Rezepte, ein kostenloses Exemplar der Zeitung und den Tipp, doch mal ein paar Anzeigen von Männern zu lesen, nur so zum Vergleich. Und sie gab mir einen Antwortbrief. Ich war unsäglich nervös und machte mich noch im Auto über den Brief her.
Was ich fand, war eine verblasste Kopie eines mit Schreibmaschine geschriebenen Briefes. Selbst die Unterschrift war nicht original. Nun gut, dachte ich, die Dame – Klarissa, Konfektionsgröße 36, Studentin der Germanistik, sehr sportlich – sucht halt schon eine Weile und ist bereits etwas frustriert. Das und der sympathische kleine Fehler ihrer Schreibmaschine, das „m“ immer ein bisschen zu hoch zu setzen, weckten den Ritter in mir. Also warf ich meine schimmernde Rüstung über und nahm zwanzig Mal das Handy in die Hand, ehe ich mich entschloss, den Drachen zu wecken und die Prinzessin zu retten. Es nahm jemand ab und die rauchige, unfreundliche Stimme ließ mich zunächst vermuten, dass die Prinzessin zu Tisch sei und der Drache Telefondienst schiebe. Wie sich im Laufe der nächsten drei Sätze herausstellte, sprach ich tatsächlich mit Klarissa. Sie bestimmte einen präzisen Termin für ein erstes Treffen und informierte mich darüber, dass sie Unpünktlichkeit nicht ausstehen könne. Meinen hilflosen Versuch, Smalltalk zu betreiben, vernichtete sie mit dem Satz: ‚Über Details könne man sich ja später unterhalten’. Dann legte sie einfach auf.
Hartmut riet mir von dem Treffen ab und verwendete abermals das Wort ‚Bullshit’. Und abermals ignorierte ich seinen Rat.
Klarissa hatte in ihrem Brief nicht gelogen, sie trug Konfektionsgröße 36. Jedoch wäre Größe 42 passender gewesen. Das enge, schwarze Top, welches über dem Bauchnabel endete, drängte alle überschüssige Haut nach unten, wo sie kurz vor der rosafarbenen Leinenhose einen stabilen Rettungsring bildete. Zumindest war ihr Damenbart gepflegt. Ein schwacher Trost. Wir setzten uns und Klarissa, welche das Germanistik-Studium schon vor Jahren aufgegeben hatte, zog aus ihrer riesigen Handtasche einen abgegriffenen DinA4-Zettel heraus, auf dem stichpunktartig einige, hm, vermutlich Fragen notiert waren. Zugleich irritiert aber doch gespannt auf die Dinge, die da kommen, nahm ich erst mal einen Schluck Tee, als Klarissa unvermittelt loslegte: „Hast oder hattest Du, oder jemand aus Deiner Familie, Geschlechtskrankheiten?“ Der Tee schaute kurz in meine Luftröhre, und entschied sich dann, aus meiner Nase herauszuschießen. Ich entschuldigte mich und nahm die Serviette, um das Malheur zu beseitigen und war insgeheim sogar froh über die Bedenkzeit. Doch Klarissa legte nach: „Das ist ja ekelig! Sag´ mal, passiert Dir das öfter?“
„Nein, Deine Frage hat mich etwas überrascht, entschuldige.“
„Wieso, das ist doch eine ganz normale Frage. Wir sind erwachsene Menschen, da kann man doch über so was reden, oder nicht? Finde ich ganz schön merkwürdig, wie Du Dich hier aufführst“, erwiderte sie, offensichtlich bereits erheblich gereizt und kurz davor, das Date schon nach 5 Minuten abzubrechen. Ein undefinierbares Schuldgefühl und zugleich der Ehrgeiz, es ihr recht zu machen, brachten mich dazu, sie daran zu hindern. Und so unterhielten wir uns bei zwei weiteren Tassen Tee meinerseits und zwei Flaschen Wein ihrerseits über verwachsene Zehnägel, ihren letzten Frauenarzt-Besuch, meiner theoretischen Zeugungsfähigkeit und ihren großen Kinderwunsch. Nach drei Stunden täuschte ich Müdigkeit vor und verabschiedete mich von ihr mit dem Satz: „Vielen Dank für den Abend, ich rufe Dich an“ und war froh zu wissen, dass sie meine Telefonnummer nicht besaß.
Tags darauf rief ich Isabels Tipp in mein Gedächtnis zurück und begann, alle fünfzig Seiten der Rubrik „Er sucht Sie“ zu lesen, um mir Anregungen zu holen und festzustellen, warum meine Anzeige nicht den erhofften Erfolg hatte. Das machte ich zehn Wochen lang. Isabel war so freundlich, mir jedes Mal die Top Ten Anzeigentexte der Woche zu nennen. Es gab tatsächlich Anzeigen, auf die sich mehr als zehn Frauen gemeldet haben.
Also, originell sollte sie sein, und nicht zu kurz. Der Anzeige darf man nicht ansehen, dass sie dem Verfasser eigentlich zu teuer war. Außerdem musste man ein bisschen auf den Putz hauen. Sich - sagen wir mal - in ein besseres Licht rücken und finanzielle Sicherheit ausstrahlen:
„Nektar sucht flotte Biene, die an ihm kleben bleibt und mit ihm ein honigsüßes Leben verbringen möchte – 27-jähriger Akademiker aus gutem Hause sucht auf diesem Wege seine Traumfrau. Bist du wie ich attraktiv, intelligent, sportlich, einfühlsam, treu und vor Allem mutig, dann schreibe mir unter Chiffre 112233445 und ich lege Dir die Welt zu Füßen“.
Isabel empfing mich mit den Worten: „Heiner, stimmt das mit dem Akademiker eigentlich?“
„Naja“, antwortete ich „ich war mal in der Schulzeit als Gasthörer in einer Vorlesung der Sportwissenschaften. Meinst Du, das reicht?“ Isabel schüttelte grinsend den Kopf und zog einen Bündel Briefe hervor: „Eigentlich nicht, aber erfolgreich war´s trotzdem. Fünf Antworten.“
„Das ist ja auch das Mindeste“, sagte ich „bei Siebenundzwanzig Euro für den Anzeigentext“. Das Ergebnis war ernüchternd: Neben der altbekannten Kopie von Klarissa haben sich noch drei Partnervermittlungsinstitute und ein Mann gemeldet, der so freundlich war, mir ein Foto seiner Genitalien beizufügen.
Also gut, dachte ich. Da habe ich bereits über Vierzig Euro, zwei Tee und zwei Flaschen Wein bezahlt. Wenn ich jetzt aufhöre, war alles umsonst. Ich glaube, Spielsüchtigen geht es ähnlich. Also setzte ich alles auf eine Karte. Ich verkaufte mein Auto und schaltete für den Erlös einen ganzseitigen, farbigen Anzeigetext mit Foto, und Rahmen. Eingebettet in zwei Gedichte von Eugen Roth konnte die geneigte Leserin den eigentlichen Anzeigentext finden, den ich von einem jungen Marketing- Unternehmen entwerfen ließ:
„Hast Du die Nase voll von den Kontaktanzeigen, in denen Danny de Vito behauptet, er wäre Brad Pitt?
Hast Du keine Lust mehr auf missglückte Treffen mit schizophrenen Muttersöhnchen und notgeilen Böcken, die sich mit dreißig Euro teuren, verlogenen Anzeigetexten tarnen?
Oder ist es genau die Angst davor, die Dich bisher davor bewahrt hat, auf eine Anzeige zu antworten?
Du verlangst nach Ehrlichkeit? Gut! Ich habe mein Auto verkauft, um diese maßlos übertriebene Anzeige zu schalten, nur um endlich mal bemerkt zu werden. Ich verdiene 1.400 EURO netto pro Monat, und habe KEINE Geschlechtskrankheiten!
Wenn Du also die Konfektionsgröße trägst, die Dir auch passt, einigermaßen normal bist und einfach nur einen netten Mann suchst, dann würde ich mich sehr über Deine Zuschrift freuen.
Antworten von Partnervermittlungsunternehmen, Klarissa oder Männern, die Fotos ihrer Genitalien beifügen, werden rituell verbrannt.“
Isabel war begeistert und sagte mir, dass sie noch nie so viele Zuschriften für eine Kontaktanzeige erhalten hätte. Auch der Korb mit dem geshredderten Papier war voll wie nie, was mir aber erst im Nachhinein auffiel. Ich nahm den Korb mit den siebenundachtzig Antworten mit nach Hause, rief Hartmut an und wir lasen die Briefe zusammen.
7 Briefe waren von älteren Damen, die mit „i.A. Pfleger Mischa“ oder so ähnlich unterschrieben waren.
23 Briefe von Männern, die meine Anzeige außerordentlich mutig und toll fanden und dies einfach mal zum Ausdruck bringen mochten.
5 Briefe von Anwälten, die die Männer vertraten, welche sich mit den „schizophrenen Muttersöhnchen“ angesprochen und aufs schlimmste beleidigt fühlten.
2 Briefe von dubios wirkenden Männern, die mir versprachen, mir gegen ein geringes Taschengeld meine Traumfrau zu beschaffen.
48 Briefe von Partnervermittlungsagenturen aus ganz Deutschland.
1 kopierter Brief einer alten Bekannten.
Und, ich staunte nicht schlecht: 1 Brief von Isabel.
„Daß ich da nicht früher darauf gekommen bin“ sagte ich zu Hartmut und klatschte mir demonstrativ mit meiner flachen Hand auf die Stirn, was ein bisschen weh tat. Erwartungsfroh riß ich den Brief auf und las: „Lieber Hartmut, unsere Redaktion war ganz begeistert von Deiner Anzeige und sendet Dir die besten Wünsche, sowie einen Gutschein über 10 Euro, einlösbar beim nächsten Inserat. Liebe Grüße, Isabel.“
Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube der Abend klang aus, indem Hartmut und ich die Briefe auf dem Wohnzimmerparkett verbrannten und dabei nackt, jodelnd und mit einer Flasche Bier bewaffnet darum herum tanzten.
Und in der Zwischenzeit vernichtete Isabel vermutlich die ernst gemeinten Zuschriften des Tages.