Jonathan Coe - Der Regen, bevor er fällt

  • OT: The Rain before it falls


    Über den Autor
    Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Er ist einer der Stars der Londoner Literaturszene; sein preisgekrönter Roman "Allein mit Shirley" wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien von ihm auf deutsch "Das Haus des Schlafes". Jonathan Coe lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in London.


    Kurzinhalt
    Für Imogen, die blinde Enkelin ihrer Cousine Beatrix, erzählt Rosamond die Familiengeschichte und findet nach und nach Worte für jenes Unglück, das zu Imogens Erblindung führte. Ein bewegender Roman über das verzweifelte Streben nach Liebe und dem Lebensglück.


    Meine Rezension
    Am Anfang steht der Tod: Gill erfährt vom Ableben ihrer Tante Rosamond. Nach der Beerdigung findet sie im Haus der Tante vier Kassetten mit der Anweisung, diese einer gewissen Imogen auszuhändigen, der verschollenen Enkelin von Rosamonds Cousine Beatrix, die in jungen Jahren von ihrer Familie getrennt wurde und bei einer „neuen“ Familie aufwuchs. Doch Imogen ist nicht aufzufinden. Daher entschließt sich Gill, die Kassetten gemeinsam mit ihren Töchtern Catharine und Elizabeth anzuhören.


    Rosamond beschreibt auf den Kassetten einen Stapel Bilder von ihr selbst und von Imogens Familie, aufgenommen über einen Zeitraum von annähernd 65 Jahren. Diese Bilder erzählen ihr Leben und sie sollen Imogen ihre eigene Vergangenheit und die ihrer Familie näher bringen – auch die dunklen Seiten. Auch wie es dazu kam, dass Imogen zu einer „neuen“ Familie kam und was sonst noch alles passierte, kommt Stück für Stück ans Tageslicht….. eine ebenso interessante wie tragische Familiengeschichte nimmt so nach und nach Gestalt an.


    Ich hatte hier stets vergilbte und verblichene Schwarzweißfotografien vor meinem Auge. Die Idee, den Roman anhand der Beschreibung von Bildern zu erzählen, finde ich interessant. Doch die Umsetzung wirkte manchmal zu Beginn der einzelnen Bildbeschreibungen ein wenig holprig auf mich und wurde erst dann flüssig, als der Autor vom Beschreiben ein wenig abging und in die eigentliche Handlung abschweifte. Dennoch finde ich die Idee, einen episodischen Roman als Abfolge von Momentaufnahmen zu erfassen, sehr gelungen und mal eine interessante Abwechslung.


    Allerdings hat der Autor in meinen Augen auch Chancen verschenkt, das Buch zu einem wirklich tollen Buch zu machen: Die Charaktere blieben allesamt ein wenig zu leb- und farblos, einen Tick zu eindimensional.


    So bleibt als abschließende Meinung: Das Buch war durchaus interessant, aber man hätte aus den wirklich guten Ansätzen noch einiges mehr machen können.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Danke für die Rezi, Batcat - ich wusste gar nicht, dass das Buch schon erschienen ist. Nachdem "Das Haus des Schlafes" mein Highlight 2008 war, hatte ich mich sehr gefreut, zu sehen, dass dieses Jahr ein neuer Roman erscheint, steht schon eine Weile auf meiner Wunschliste. Aber es gibt ja auch noch ein paar ältere Romane von ihm zu lesen.


    edit: In "Das Haus des Schlafes" wurde mehrmals eine Autorin namens Rosamond Lehmann erwähnt. Hier gibt es jetzt eine Figur namens Rosamond - nur als Anmerkung für Leser, die auf solche Details stehen :-)


    :wave

  • Auch wenn ich ein paar Kritikpunkte geäußert habe, bin ich prinzipiell neugierig auf andere Bücher des Autors, die ich dann aber definitiv erst mal gründlich anlesen würde.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Der Regen, bevor er fällt – Jonathan Coe


    Verlag: DVA, 299 Seiten


    OT: The rain before it falls
    Aus dem Englischen von Andreas Gressmann


    Kurzbeschreibung:
    Von Müttern und Töchtern, Lügen und Geheimnissen
    Eine Handvoll Fotos und ein Stapel selbst besprochener Tonbänder, das ist Rosamonds Vermächtnis an Imogen, die blinde Enkelin ihrer Cousine Beatrix. Auf den Bändern erzählt Rosamond die Familiengeschichte und findet nach und nach Worte für jenes Unglück, das zu Imogens Erblindung führte. – Ein bewegender Roman über drei Generationen von Frauen und über das verzweifelte Streben nach Liebe und dem Lebensglück.
    »Ich möchte dir, Imogen, einen Begriff von deiner Geschichte vermitteln. Du sollst ein Gefühl dafür bekommen, wo du herkommst und welches die Triebkräfte waren, die dich hervorgebracht haben.« So beginnen die Aufzeichnungen, die Rosamond hinterlassen hat. Anhand von zwanzig Fotografien erinnert sie sich an die tragische Geschichte ihrer Familie. In deren Zentrum steht Imogens Großmutter Beatrix, die unter der fehlenden Liebe ihrer Mutter litt und deshalb früh von zu Hause flüchtete; die die selbst erlebte Gefühlskälte an ihre Tochter weitergab und so den Weg zu dem schrecklichen Unglück ebnete, das Imogen für immer das Augenlicht nahm.


    Ein bewegender Familienroman über drei Generationen von Frauen und deren Sehnsucht nach Liebe – und die poetische Erkundung eines fatalen Vermächtnisses. Jonathan Coe gelingt es, in diesem dichten Roman emotional fesselnde Figuren zu entwickeln und ein sensibles Bild von der besonderen Dynamik der Mutter-Tochter-Beziehung zu zeichnen. Die Geschichte des blinden Mädchens Imogen, die Schilderungen der Momente intensiven Glücks zwischen Rosamond und Beatrix und die Aufdeckung der zerstörerischen Macht eines dunklen Familiengeheimnisses wird kein Leser je wieder vergessen.


    Über den Autor:
    Jonathan Coe wurde 1961 im englischen Birmingham geboren. Er studierte am Trinity College in Cambridge und promovierte über Henry Fieldings Roman „Tom Jones“. Neben Lehraufträgen an der University of Warwick komponierte er als professioneller Musiker Lieder für Jazz und Musical, bevor er sich vollständig dem Schreiben widmete. Coe ist einer der Stars der Londoner Literaturszene; sein preisgekrönter Roman „Allein mit Shirley“ wurde in fünfzehn Sprachen übersetzt, in England und Frankreich wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet (John Llewellyn Rhys Prize, Prix du Meilleur Livre Étranger, Prix Médicis Étranger u.a.), in Italien gehört er zu den bestverkauften ausländischen Autoren. Zwei seiner bisher sieben Romane wurden verfilmt. Zuletzt erschien auf Deutsch „Klassentreffen“ (2006). Jonathan Coe lebt heute mit seiner Familie in London.


    Meine Rezension:
    Dieser undramatische Roman wird getragen durch die Stimme einer Verstorbenen. Vier Kassetten hat Rosamond hinterlassen, auf denen sie gesprochen hat.
    Gehört wird ihr Bericht von der Protagonistin Gill, die aber eigentlich nicht die Empfängerin dieses Vermächtnisses ist. Die Kassetten richten sich eigentlich an die verschwundene Imogen.
    Zwischen durch werden Fotos, insgesamt 26 Stück, beschrieben, die den Kassetten beilagen.
    Das hätte eine wirklich interessante Erzählperspektive werden können, wenn die Umsetzung nicht so zurückhaltend und ohne Tempo erfolgt wäre. Zudem sind die Charaktere sehr farblos gezeichnet. Die Distanz der Figuren zum Leser wird unüberbrückbar und kontinuierlich aufrechterhalten. So stellt sich leider beim Lesen ein Gefühl der Gleichgültigkeit ein.
    Was dann letztlich aus Imogen geworden ist, erfährt man erst zum Schluß aus einem Brief von Imogens Mutter an Gill und damit schließt der Familienroman.


    Die Werbetexte zum Text besingen dessen Melancholie, die nach meinem Empfinden in Coes früheren Roman Haus des Schlafs noch bereichernd, hier jedoch eher trostlos wirkt.
    Auch der Vergleich zu Ian McEwans Abbitte halte ich aufgrund der Qwualitätsunterschiede für vermessen.


    Kurzfazit: Spannungsarm und Fad!

  • Danke für eure Beurteilungen.
    Ich hatte das Buch auf meiner Merkliste, aber das stell ich jetzt erstmal hintenan.


    :flowers

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Meine Meinung:


    Mich hat die Aufmachung dieses Romans unheimlich angesprochen und obwohl ich sonst nicht so der Freund von Familiengeschichten bin, haben das tolle Cover (das wunderbar auf den Inhalt abgestimmt ist) und der poetische Titel ganze Arbeit geleistet und mich dazu bewogen, es trotz der Familienthematik zu lesen.


    Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, die etwas komplizierten Familienverhältnisse zu überblicken, da Rosamond aber sehr chronologisch erzählt, wurde vieles bald klarer.
    Anhand von 20 Fotographien und Bildern versucht Rosamond, die am Ende ihres Lebens steht, der Ekelin ihrer Cousine einen Eindruck von ihrer Herkunft zu vermitteln, die Hintergründe aufzudecken, die zu Imogens Erblindung führten. Rosamond möchte Imogen Klarheit über ihre eigene Geschichte verschaffen.
    Eine schöne Idee, von der Betrachtung und Beschreibung eines unbewegten Bildes in eine Geschichte einztauchen, allerdings waren mir diese Beschreibungen (besonders, was Landschaft und Gebäude angeht) teils zu langatmig und ich habe einiges lediglich überflogen.


    Sprachlich ist der Roman eher schlicht gehalten, das ist jedoch für mich kein Manko, sondern passt zur Erzählsituation.
    Inhaltlich hatte ich mir allerdings etwas mehr versprochen und war über das Ende, das beinahe belanglos daherkommt, doch recht enttäuscht.
    Wenn Gill am Ende vergeblich nach "Bedeutung" sucht, sieht sich der Leser in Bezug auf den Roman in einer ganz ähnlichen Situation ...


    In Anbetracht dessen, dass ich Cover und Titel derart gelungen finde, die Geschichte auch ganz ordentlich erzählt wird und es streckenweise sogar schafft, den Leser zu fesseln, würde ich auch trotz des m. E. fehlenden Tiefgangs 7 Punkte geben.

  • Ich habe das Buch jetzt doch angefangen zu lesen; gefiel es mir anfangs noch recht gut muss ich nun leider sagen dass ich es nicht mehr weiterlesen werde. Bin mittlerweile auf Seite 140 angelangt und nichts passiert.
    Rosamond weist uns zwar immer wieder auf irgendwelche unheilschwangeren Ereignisse hin, aber das sind nichts als Andeutungen denen nichts erkennbares folgt. Abgebrochen!!!


    :flowers :flowers :flowers

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

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  • Meine Meinung


    Es ist eine interessante Idee, eine Figur ihr Leben auf Kassetten sprechen zu lassen und diese von einigen Verwandten hören zu lassen. Leider blieben mir die Gefühlslage Roamond häufig zu sehr im Verborgenen. Anhand einiger Bilder will sie ihrer blinden Verwandten erzählen, wie es dazu kam. Leider verliert sie sich in den vielen Details und Nebensächlichkeiten, auch wird der Leser häufig auf später vertröstet.


    Letztlich hatte ich etwas tragischeres vermutet, obwohl Vernachlässigung von Kindern an sich tragisch ist. Aber hier war ich seltsam unberührt. Zudem war mir recht bald klar, dass [sp]Imogen schon vor Jahren verstorben ist. [/sp] Von dieser Wendung war ich nicht überrascht.


    Bis etwa zur Hälfte habe ich mich mit einem Abbruch des Buches getragen, habe dies aber letztlich wegen der geringen Seitenzahl nicht getan. Gelohnt hat es sich nicht so richtig, aber es war ganz nett zu lesen. Auch wenn ich einfach mehr erwartet hatte, da ich die Idee mit den Kassetten sehr gut fand. Am Ende war ich froh, das Buch zu klappen zu können.


    Es war mein erster Roman von diesem Autor und ich entnehme den anderen Rezensionen, dass die anderen Bücher wohl als besser einzustufen sind.

  • Das Buch habe ich auch auf meiner WL - dank der nicht so guten Rezensionen hier werde ich das Buch wohl streichen. :-(


    :wave

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Rosamund stirbt alt und einsam. Ihre Nichte Gill kümmert sich um ihren Nachlass und stösst dabei auf eine Reihe von besprochenen Kasetten, die an eine unbekannte Imogen gerichtet sind. Nachdem sie Imogen nicht finden kann, hört sie sich die Bänder an. Die enthüllen das bewegte und unkonvetionelle Leben der alten Frau. Und es verrät ihr die traurige Geschichte ihrer Familie. Rosamund berichtet von vier Frauengenerationen, die die Lieblosigkeit und das Desinteresse, das sie als Kind erlebt haben, an ihre Töchter weitergeben. Keine von ihnen ist in der Lage diesen Teufelskreis zu durchbrehen und so leben sie alle ein Leben voller Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die sie nicht finden. Erst Imogen entkommt diesem Leben, allerdings zum Preis ihres Augenlichts, das sie bei einem Unfall verliert.
    Die Erzählsituation eines Erzälers der post mortem ein dunkles Familiengeheimnis weitergibt, ist nicht besonders originell. Aber Coe hat einen gewanten Sprachumgang und erzählt atmosphärisch dicht, so dass man ihm dies nachsieht. Besonders gefallen haben mir die Naturbeschreibungen und die Einblicke in Rosamunds Leben, die bereits in den 50er Jahren versucht, eine innige, lesbische Beziehung zu leben und damit immer wieder auf Abneigung und Widerstand stösst. Rosamund erzählt voller Respekt und Zuneigung von den Frauen und ihren Schicksalen, und so fühlt man mit ihnen mit, versteht ihre Gefühle, auch wenn es schwer ist, ihre Handlungen nachzuvollziehen. Gerade heute, wo Kindesvernachlässigung so ein großes Thema ist, wirft dieser Roman in seiner differenzierten Perspektive ein erhellendes Licht auf diese Thematik.

  • Ich finde solche Famliengeschichten immer sehr spannend, vor allem weil ich selber gerne in unseren alten schwarz-weiß Fotos herumkrame.


    Leider fehlt dieser Erzählung das i-Tüpfelchen Spannung und etwas rundes. Es lies sich schnell und gut, allerdings ist das Ende keine Überraschung und auch für Gill hätte ich mir mehr gewünscht.

  • Zitat

    Original von Clio
    Besonders gefallen haben mir die Naturbeschreibungen und die Einblicke in Rosamunds Leben, die bereits in den 50er Jahren versucht, eine innige, lesbische Beziehung zu leben und damit immer wieder auf Abneigung und Widerstand stösst.


    Dann scheint das wirklich auf die Rosamond Lehmann bezogen zu sein, die in "Das Haus des Schlafes" genannt wurde, denn das war eine lesbische Autorin. ... Hab mal die Suchmaschine befragt: "Among other things, of course, it is meant to be a sustained hommage to the novels of Rosamond Lehmann" sagt Coe.
    Diese Schriftstellerin (wohl ziemlich unbekannt) scheint es ihm angetan zu haben. Er scheint überhaupt eine Vorliebe für unbekannte Schriftsteller zu haben, in "Mein Leben als Leser" schreibt Nick Hornby über eine Biographie, die Coe über einen Autor geschrieben hat, den keine Sau kennt - die aber nichtsdestotrotz sehr unterhaltsam zu sein scheint.

  • Nun nun ist das Buch endlich auch zu mir gekommen und wieder hat Jonathan Coe es geschafft, mich in den Bann seiner Geschichte zu ziehen. Auch mir hat der Aufbau um die Bilder herum gut gefallen. Die Beschreibung einer Szene, die längst vergangen ist und die rückblickende Erzählung der damaligen Geschehnisse sorgen dafür, dass durchgehend ein eher melancholischer Ton vorherrscht. Und trotzdem kommt bei jedem Bild der Moment, wo man nicht mehr nur mit Rosamond das Bild betrachtet und ihr zuhört, sondern wo man richtig eintaucht in eine bestimmte Zeit und Situation, wo die Distanz also aufgehoben wird.


    Die Geschichten der verschiedenen Frauen haben mich berührt und Rosamonds Gefühle und Gedanken konnte ich sehr gut nachvollziehen. Am Ende sagt Rosamond zu Imogen mittels der Tonbandaufnahme etwas, das sie und auch den Leser mit Imogens ganzer tragischer Geschichte versöhnen mag, ich zitiere nur die letzten Sätze davon:


    "Alles, was zu dir geführt hat, war falsch. Daher hättest du nicht geboren werden dürfen. Doch alles an dir ist richtig, du musstest geboren werden. Du warst unvermeidlich."

  • Die Tante der Erzählerin Gill ist überraschend gestorben und hat noch an ihrem Todestag als Nachlass für ihre Großnichte mehrere Cassetten besprochen. Da Imogen in England nicht zu ermitteln ist, hören Gill und ihre Töchter die hinterlassene Lebensbeichte an, um vielleicht so Imogen auf die Spur zu kommen. Tante Rosamond war sichtlich betagt und das Aufnehmen ihrer Erinnerungen hat sie stark mitgenommen. Für ihre Erinnerungen hatte sie eine feste Gliederung vorgesehen, indem sie zwanzig ausgewählte Familienfotos für die - blinde - Imogen beschreibt. Von ihrem vorgesehen Rahmen weicht Rosamond jedoch ab und zu ab und muss sich zwingen, zum Thema zurückzukehren. Rosamonds Umwege sind der interessantere Teil des Romans, weil sie hier spontaner ihre Gefühle mitteilt. Rosamond hatte eine besondere Beziehung zu ihrer Cousine Beatrix, seit sie selbst als Kind während des Zweiten Weltkrieges aus Birmingham zu Beatrix Familie evakuiert war. In Beatrix Familie wurden Hunde stärker geliebt als Kinder und Söhne stärker als Töchter. In dieser Atmosphäre der Lieblosigkeit wachsen die beiden Mädchen zu Verbündeten gegen die Gleichgültigkeit zusammen und besiegeln ihre Freundschaft sogar mit ihrem Blut. Doch dann trennen sich ihre Wege. Als Jahre später ihre Tochter Thea ihren persönlichen Plänen im Weg steht, greift Beatrix nur zu gern auf ihre gutmütige Bewunderin zurück. Sie lässt Thea nonchalent jahrelang bei Rosamond und deren Lebensgefährtin in England zurück, um selbst in Kanada zu leben. Als Beatrix es sich ebenso plötzlich eines Tages in den Kopf setzt, Thea aus ihrer gewohnten Umgebung herauszureißen und sie wieder zu sich zunehmen, muss Rosamond sich damit abfinden, dass sie keinerlei Rechte auf Thea hat. Soziale Mutterschaft war bedeutungslos. Eine Weile lebt Rosamond das Klischee der alleinstehenden Tante ohne eigenen Lebensinhalt, ehe sie im Alter doch noch ihr persönliches Glück findet. Thea wiederholt die unselige Familientradition: sie bekommt sehr jung ihre Tochter Imogen, die sie, wie schon Mutter und Großmutter vor ihr, nicht lieben kann.


    Jonathan Coe erzählt vom Schicksal dreier Generationen von Frauen, von denen jede bei ihrer Mutter nur Gleichgültigkeit erfährt und selbst unfähig ist, ihr eigenes Kind zu lieben. Coe schließt damit aus, dass auch wer unter ungünstigen Bedingungen aufwuchs aus eigener Kraft ein glückliches Leben führen kann. Die durch Rosamond gelüfteten Familiengeheimnisse, ihre Homosexualität und die Vernachlässigung der Töchter von einer Generation zur anderen, können für moderne Frauen wie Gill oder Imogen nicht so überraschend sein, wie Jonathan Coe es Rosamond annehmen lässt. Das wirklich Schockierende an der Geschichte war für mich die forsche Ausnutzung Rosamonds, solange ihre Dienste gebraucht wurden, und ihr ergebenes Erleiden dieser Verhältnisse. Verstärkt durch wiederkehrende düstere Andeutungen wirkt die ungewöhnlich aufgebaute Geschichte einigermaßen spannend. Die sehr eindimensionalen Charaktere und Rosamonds mangelnde persönliche Entwicklung trüben das Lesevergnügen jedoch.

  • KLAPPENTEXT:
    Imogen ist seit frühester Kindheit blind. Als Rosamond, die Cousine von Imogens Großmutter merkt, dass ihr Leben zu Ende geht, hinterlässt sie Imogen eine Handvoll Fotos und einen Stapel selbst besprochener Tonbänder. Darauf enthüllt sie das furchtbare Geheimnis über jene Tat, die zu Imogens Erblindung führte. Es ist die Geschichte dreier Generationen von Frauen, ein bewegender Roman über das verzweifelte Streben nach Liebe und dem Lebensglück.
    ZUM AUTOR:
    (Quelle: btb)
    Jonathan Coe wurde 1961 in Birmingham geboren. Für seine Bücher wurde er u.a. mit dem John Llewellyn Rhys Prize, dem Prix du Meilleur Livre Étranger und dem Prix Médicis Étranger ausgezeichnet. Zwei seiner bisher neun Romane wurden verfilmt. Zuletzt erschien bei DVA "Der Regen, bevor er fällt" (2009). Jonathan Coe lebt heute mit seiner Familie in London.
    EIGENE MEINUNG:
    „Der Regen, bevor er fällt“ zu lesen ist als würde man selbst Rosamonds Erzählungen lauschen. Und auf einmal wundert man sich, dass schon so viel Zeit vergangen ist.
    Rosamond nimmt während des Kriegs an der Überlandverschickung teil und lebt einige Zeit bei ihrer Cousine Beatrix. Bea ist die ältere der beiden und wird von der jüngeren Cousine angehimmelt. Rosamond verehrt Beatrix geradezu, was auch lange nach ihrer Heimkehr noch so ist. Doch Bea hat es nicht ganz leicht. Ihre Mutter ist sehr steif und kühl, hegt eine gewisse Abneigung gegenüber ihrer Tochter. Beim kleinsten Fehltritt wird Beatrix beschimpft und auf übelste nieder gemacht. Vor allem bekommt sie das Gefühl vermittelt, dass sie weder geachtet, noch geliebt wird.
    Um diesem Leben möglichst schnell zu entkommen, und auch, um endlich einmal geliebt zu werden, heiratet sie den ersten Mann, der ihr Aufmerksamkeit schenkt. Sie bekommen ein kleines Mädchen namens Thea. Auch sie erfährt das Schicksal der ungeliebten Tochter. Rosamond, die sich der Familie immer noch eng verbunden fühlt, versucht ein bisschen Liebe in Theas Leben zu bringen und nimmt sie zu sich, als Beatrix wieder einmal versucht Liebe und Anerkennung zu finden und mit einem Mann nach Irland durchbrennt.
    Doch auch Rosamond trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum, das schwer auf ihrem Herzen lastet. Erst als sie stirbt und ihre Nichte Gill ihre Aufzeichnungen in Form von Kassetten findet, kommen die dunklen Familiengeheimnisse ans Tageslicht und helfen irgendwie der ganzen Famile ihre Probleme aufzuarbeiten.
    Mit viel Gefühl und Tiefgang hat Autor Jonathan Coe ein Buch geschrieben, das aufzeigt, wie ausgreifend sich ein Problem über mehrere Generationen hinweg ziehen kann. Wie stark Menschen von den Erlebnissen ihrer vorherigen Generationen beeinflusst werden und wie schwer es ist, etwas dagegen zu tun.
    Aufgrund der Ausdrucksstärke des Autors könnte man meinen, dass es sehr schwer ist, dieses Buch zu lesen, was jedoch gar nicht der Fall ist. Gern und zügig habe ich Rosamonds Geschichten verfolgt. Ein wenig Abzug bekommt das Buch jedoch dafür, dass mich nicht alle Erlebnisse immer in ihrer vollen Ausführlichkeit interessiert haben. Dennoch bin ich froh, Jonathan Coe entdeckt zu haben und werde auch weitere Bücher von ihm lesen.
    FAZIT:
    „Der Regen, bevor er fällt“ ist ein ausdrucksstarker Generationen Roman, der mit viel Tiefgang zu überzeugen weiß.